Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 10 AL 152/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Bescheide der Beklagten vom 10.07.2000 und 16.07.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.07.2001 werden aufgehoben. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin dem Grunde nach.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die teilweise Rücknahme der Entscheidung über die Bewilligung von Fahrtkosten für die Zeit vom 1. Februar 1999 bis 31. Januar 2000 rechtmäßig ist und die Beklagte gegenüber der Klägerin einen Anspruch auf Erstattung von Fahrtkosten in Höhe von 7.877,22 DM hat.
Die 32 Jahre alte Klägerin ist im Januar 1990 aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt. Von 00.1991 bis 00. 1992 hat sie eine Tätigkeit als Spielhallenaufsicht ausgeübt. Im Anschluss hieran war sie bis Ende November 1992 im gewerblichen Bereich bei der Fa. X N N Europe GmbH tätig. Anschließend bezog die Klägerin Arbeitslosengeld. Wegen der Geburt ihrer Tochter N1 im 00.1993 nahm die Klägerin anschließend Erziehungsurlaub wahr.
Im Juli 1998 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Förderung der Teilnahme an einer beruflichen Bildungsmaßnahme. Es handelte sich hierbei um eine beim Autohaus P & L in I durchzuführende Einzelumschulungsmaßnahme zur Bürokauffrau, die von August 1998 bis Juli 2000 erfolgen sollte. Die Teilnahme an dieser Bildungsmaßnahme wurde seitens der Beklagten durch Gewährung von Unterhaltsgeld, Kinderbetreuungskosten und Gewährung von Fahrtkosten gefördert. Durch Bescheid vom 24. August 1998 bewilligte die Beklagte unter Berücksichtigung der von der Klägerin gemachten Angaben betreffend die Fahrstrecke zur Arbeitsstätte (einfache Strecke zwischen Wohnort und Arbeitsstätte 6 km) Fahrtkosten für den Zeitraum August 1998 bis Juli 2000 in Höhe von insgesamt 2.528,40 DM. Die Auszahlung dieser Leistung sollte in monatlichen Raten je 105,35 DM erfolgen.
Im Februar 1999 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie innerhalb ihres Wohnortes umgezogen sei und sich hierdurch die Entfernung zwischen Wohnort und Ausbildungsstätte auf 12 km verdoppelt habe. Unter Berücksichtigung dieser Änderung beantragte sie erneut die Erstattung von Fahrtkosten.
Durch Bescheid vom 4, März 1999 bewilligte die Beklagte daraufhin für die Zeit vom 1. August 1998 bis 31. Juli 2000 Fahrtkosten in Höhe von insgesamt 15.130,62 DM. Hinsichtlich der Auszahlung dieses Betrages wurde in diesem Bescheid ausgeführt, dass die Fahrtkosten ab dem Monat März 1999 bis Juni 2000 in monatlichen Raten je 665,- DM erstattet würden und darüber hinaus eine sofortige Nachzahlung in Höhe von 3.647,82 DM erfolge.
Im Januar 2000 bemerkte die Beklagte, dass die dem Bescheid vom 4. März 1999 zugrunde liegende Berechnung falsch vorgenommen wurde und es daher zu einer Überzahlung von Fahrtkosten für die Zeit von August 1998 bis Januar 2000 in Höhe von 7.952,88 DM gekommen ist. Für die Zeit ab Februar 2000 bis Juli 2000 bewilligte die Beklagte daraufhin durch bestandskräftigen Änderungsbescheid vom 19. Januar 2000 die Erstattung von monatlichen Fahrtkosten von 309,57 DM.
Durch Bescheid vom 10. Juli 2000 hob die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Fahrtkosten vom 4. März 1999 für die Zeit von August 1998 bis Januar 2000 teilweise auf und verlangte die Erstattung von Leistungen in Höhe von 7.952,88 DM. Als Rechtsgrundlage für diesen Rücknahme- und Erstattungsbescheid gab die Beklagte § 45 Abs. 1 i.V.m. Abs.2 Satz 3 Nr. 3 des 10. Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m, § 330 Abs. 2 3. Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) an.
Hiergegen richtete sich der am 31. Juli 2000 bei der Beklagten eingegangene Widerspruch der Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin machten geltend, dass die Klägerin sich zwar seinerzeit darüber gewundert habe, dass die Fahrtkostenerstattung so hoch gewesen sei. Aus diesem Grunde habe sie direkt von ihrem Arbeitgeber aus Herrn E, ihren Sachbearbeiter in der Leistungsabteilung der Beklagten angerufen und ihn auf den hohen Betrag hingewiesen. Dieser habe nach Prüfung bestätigt, dass der Bescheid in Ordnung sei. Dennoch habe sie einige Tage danach erneut beim Arbeitsamt angerufen und habe sich diesmal bei Herrn C nach der Rechtmäßigkeit des Bescheides erkundigt. Dieser habe ihr zugesagt, die Akte zu ziehen und sie dann zurückzurufen. Herr C habe ihr dann anlässlich des zweiten Telefongespräches bestätigt, dass mit dem Bescheid alles in Ordnung sei. Aufgrund dieser Angaben der Arbeitsamtsmitarbeiter sei die Klägerin nunmehr von der Richtigkeit der Bescheide ausgegangen, so dass sie insoweit gutgläubig gewesen sei. Die rechtlichen Grundlagen für die Aufhebung der Bewilligung und Rückforderung des Betrages lägen daher nicht vor.
In einer daraufhin seitens der Beklagten eingeholten schriftlichen Stellungnahme des Mitarbeiters Herrn E vom 25. September 2000 führte dieser aus: "Ob die Leistungsempfängerin seinerzeit tatsächlich im Sachgebiet angerufen und nach der Richtigkeit der Fahrtkosten gefragt hat, kann von mir nicht mehr nachvollzogen werden."
Die seitens der Beklagten ebenfalls angeforderte Stellungnahme des Mitarbeiters und Zeugen Herrn C vom 26. September 2000 lautete: "Frau L1 hat seinerzeit des öfteren im Sachgebiet angerufen. An die Gesprächsinhalte kann ich mich jedoch nicht erinnern. Ob Frau L1 bezüglich der Höhe der Fahrtkosten angerufen hat, kann daher weder bejaht noch bestritten werden."
Durch Änderungsbescheid vom 16. Juli 2001 beschränkte die Beklagte die teilweise Aufhebung der Entscheidung über die Bewilligung von Fahrtkosten auf den Zeitraum von Februar 1999 bis Januar 2000, was zu einer Reduzierung der Erstattungsforderung auf einen Betrag in Höhe von 7.877,22 DM führte.
Im übrigen wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2001 als unbegründet zurück. Die Beklagte führte darin u.a. aus, dass die Klägerin auch unter Berücksichtigung des ihr ausgehändigten Merkblattes zur beruflichen Weiterbildung darüber informiert gewesen sei, dass in ihrem Falle eine Fahrtkostenerstattung in Höhe von 0,38 DM je Fahrkilometer in Betracht komme. Sie hätte daher leicht erkennen können, dass die Fahrtkostenerstattung ab Februar 1999 bei weitem überhöht gewesen sei. Ohne sich weiter mit der Argumentation der Klägerin auseinander zu setzen, dass sie sich nach der Richtigkeit der Bescheide erkundigt habe, ging die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid weiterhin davon aus, dass grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X vorläge und die Klägerin daher zur Erstattung der geltend gemachten Forderung verpflichtet sei.
Hiergegen richtet sich die am 23. August 2001 erhobene Klage.
Zur Begründung der Klage wiederholt die Klägerin im wesentlichen ihr Vorbringen im Rahmen des Widerspruchsverfahrens. Ergänzend macht sie geltend, dass ihr damaliger Arbeitskollege beim Autohaus P.& L in I, Herr N2, die von ihr geführten Gespräche mit den Arbeitsamtsmitarbeitern mittelbar mitbekommen habe, da er zu diesem Zeitpunkt in dem selben Büro wie sie tätig gewesen sei.
Die Klägerin beantragt,
die Bescheide vom 10. Juli 2000 und 16. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 2001 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die getroffene Verwaltungsentscheidung für zutreffend.
Das Gericht hat Beweis erhoben über die Frage, ob die Klägerin nach Zugang des Fahrtkostenbewilligungsbescheides vom März 1999 eine Rückfrage beim Arbeitsamt betreffend die Richtigkeit dieses Bescheides gehalten hat, durch uneidliche Vernehmung der Zeugen C und N2. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Anlage 1 und 2 der Sitzungsniederschrift vom 27. Februar 2002 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten (Stammnummer: 000000) Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide vom 10. Juli 2000 und 16. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 2001 beschwert im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da die Bescheide rechtswidrig sind.
Die Beklagte hat zu Unrecht die Entscheidung über die Bewilligung von Fahrtkosten für die Zeit von Februar 1999 bis Januar 2000 teilweise zurückgenommen. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Leistungsbewilligung nach § 45 des Sozialgesetzbuches 10. Buch (SGB X) liegen nicht vor. Zwar ist der Bescheid vom 4. März 1999, mit dem das Arbeitsamt B Fahrtkosten für den streitbefangenen Zeitraum bewilligt hat, insofern rechtswidrig, als der Bewilligung eine falsche Berechnung der Kosten zugrunde gelegt wurde und es dadurch zu einer überhöhten Zahlung von Fahrtkosten gekommen ist.
Die Rücknahme dieses begünstigenden Verwaltungsaktes nach seiner Bestandskraft ist jedoch nicht mehr zulässig, weil sich die Klägerin auf den Vertrauensschutz berufen kann. Sie hat glaubhaft vorgetragen, dass sie auf den Bestand der Bewilligungsentscheidung vertraut hat. Dieses Vertrauen ist auch in der Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig, weil die Klägerin nach ihrem für die Kammer ebenfalls glaubhaften Vortrag die von der Beklagten erbrachten Leistungen verbraucht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 SGB X).
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist keine der Tatbestände des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X mit der Folge, dass sich die Klägerin nicht auf Vertrauen berufen könnte, erfüllt. Dies bedarf keiner näheren Erörterungen hinsichtlich der Ziffer 1, da die Klägerin die Leistungsbewilligung nicht durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat. Auch die Voraussetzungen der Ziffer 2 sind nicht erfüllt, denn die Klägerin hat weder unrichtige noch unvollständige Angaben gemacht. Wenn ihr trotz dieser richtigen und vollständigen Angaben Fahrtkosten in falscher Höhe bewilligt wurden und sie die Rechtswidrigkeit dieser Bewilligungsentscheidung nicht erkannt hat, beruht diese Unkenntnis nicht auf grober Fahrlässigkeit (§ 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB X).
Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 2. Halbsatz SGB X). Gemäß § 276 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) handelt fahrlässig (einfache Fahrlässigkeit) wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Dagegen erfordert grobe Fahrlässigkeit nach der Rechtsprechung eine besonders grobe und auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit erheblich übersteigt. Dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen der Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff vgl. BSGE 44, 246, 273).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist die Kammer zu der Einschätzung gelangt, dass die Klägerin weder die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides vom 4. März 1999 kannte, noch infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. In diesem Zusammenhang geht die Kammer davon aus, dass der Klägerin anlässlich der Bekanntgabe des Bescheides vom 4. März 1999 sehr wohl aufgefallen ist, dass eine drastische Erhöhung der Fahrtkostenerstattung gegenüber dem ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 24. August 1998 eingetreten ist. Die Klägerin gibt hierzu selbst an, dass sie über die Höhe der erstatteten Fahrtkosten verwundert gewesen sei. Aufgrund des Umstandes, dass die Klägerin jedoch auf zweimalige Nachfrage beim Arbeitsamt jeweils die Aussage erhalten hat, dass die Fahrtkostenerstattung korrekt berechnet worden sei, durfte sie davon ausgehen, dass der Bescheid vom 4. März 1999 rechtmäßig war. Die Kammer sieht keinen Anlass an der Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin betreffend der von ihr unternommenen Telefongespräche zu zweifeln. Bereits anlässlich der Widerspruchseinlegung durch ihre Prozessbevollmächtigten wurde zur Begründung des Widerspruches vorgetragen, dass die Klägerin mit zwei Mitarbeitern des Arbeitsamtes telefoniert habe und Anfragen betreffend die Höhe der Fahrtkosten gestellt habe. Bereits im Widerspruchsschreiben vermochte die Klägerin die Namen der Mitarbeiter zu benennen, mit denen sie telefoniert haben will. Es handelte es sich hierbei um Herrn E und Herrn C, die ausweislich der Leistungsakte der Beklagten die maßgeblichen Sachbearbeiter bzw. Anordnungsbefugten betreffend die hier strittigen Fahrtkosten waren. Nach den Angaben des Zeugen C wurden von ihm auf Bl. 43 der Leistungsakte die dem fehlerhaften Bescheid vom 4. März 1999 zugrunde gelegte falsche Berechnung vorgenommen. Herr C war demzufolge derjenige Sachbearbeiter, der die fehlerhafte Berechnung der Fahrtkostenerstattung vorgenommen hat. Ausweislich der auf der Kassenanordnung Bl. 47 Rückseite der Leistungsakte befindlichen Paraphe des Anordnungsbefugten ist auch ersichtlich, dass Herr E als Anordnungsbefugter die Bewilligung der falsch berechneten Fahrtkosten verfügt hat. Im Rahmen der Beweisaufnahme vermochte sich der Zeuge C konkret nicht an die Klägerin erinnern. Nach Vorhalt der von ihm im Rahmen des Widerspruchsverfahrens am 26. September 2000 gefertigten Stellungnahme schloss der Zeuge die von der Klägerin behaupteten Telefongespräche nicht aus. Er vermochte sie jedoch aufgrund des fehlenden Erinnerungsvermögens auch nicht zu bestätigen. Auch der im Rahmen des Widerspruchsverfahrens um Stellungnahme gebotene Mitarbeiter der Beklagten, Herrn E, gab in seiner Stellungnahme vom 25. September 2000 an, dass er zu der Frage, ob die Klägerin sich hinsichtlich der Fahrtkosten an ihn gewandt habe, dies nicht mehr nachvollziehen könne. Die von der Klägerin behaupteten telefonischen Anfragen wurden jedoch im Rahmen der Beweisaufnahme durch den Zeugen N2 bestätigt. Der Zeuge N2 vermochte sich noch konkret daran zu erinnern, dass seine damalige Arbeitskollegin, die Klägerin, vom Büro ein- bzw. zweimal das Arbeitsamt angerufen habe. Im Rahmen dieser Gespräche, die er als im Raum anwesende Person mittelbar mitbekommen habe, sei es um die Rechtmäßigkeit der erbrachten Fahrtkostenerstattung gegangen. Der Klägerin sei die Rechtsmäßigkeit der Fahrtkostenerstattung bestätigt worden. Die Angaben des Zeugen N2 sind in sich schlüssig und widerspruchsfrei. Die Kammer hat keinen Zweifel an den Angaben des Zeugen zu zweifeln. Demzufolge durfte die Klägerin aufgrund der ihr gegenüber gemachten telefonischen Angaben davon ausgehen, dass die durch Bescheid vom 4. März 1999 bewilligten Fahrtkosten der Höhe nach korrekt waren. Die Voraussetzungen für die Aufhebung des entsprechenden Bewilligungsbescheides gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB X liegen daher nach Einschätzung der Kammer nicht vor.
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Beklagte nicht dazu berechtigt war, den von ihr geltend gemachten Erstattungsbetrag zurückzufordern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die teilweise Rücknahme der Entscheidung über die Bewilligung von Fahrtkosten für die Zeit vom 1. Februar 1999 bis 31. Januar 2000 rechtmäßig ist und die Beklagte gegenüber der Klägerin einen Anspruch auf Erstattung von Fahrtkosten in Höhe von 7.877,22 DM hat.
Die 32 Jahre alte Klägerin ist im Januar 1990 aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt. Von 00.1991 bis 00. 1992 hat sie eine Tätigkeit als Spielhallenaufsicht ausgeübt. Im Anschluss hieran war sie bis Ende November 1992 im gewerblichen Bereich bei der Fa. X N N Europe GmbH tätig. Anschließend bezog die Klägerin Arbeitslosengeld. Wegen der Geburt ihrer Tochter N1 im 00.1993 nahm die Klägerin anschließend Erziehungsurlaub wahr.
Im Juli 1998 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Förderung der Teilnahme an einer beruflichen Bildungsmaßnahme. Es handelte sich hierbei um eine beim Autohaus P & L in I durchzuführende Einzelumschulungsmaßnahme zur Bürokauffrau, die von August 1998 bis Juli 2000 erfolgen sollte. Die Teilnahme an dieser Bildungsmaßnahme wurde seitens der Beklagten durch Gewährung von Unterhaltsgeld, Kinderbetreuungskosten und Gewährung von Fahrtkosten gefördert. Durch Bescheid vom 24. August 1998 bewilligte die Beklagte unter Berücksichtigung der von der Klägerin gemachten Angaben betreffend die Fahrstrecke zur Arbeitsstätte (einfache Strecke zwischen Wohnort und Arbeitsstätte 6 km) Fahrtkosten für den Zeitraum August 1998 bis Juli 2000 in Höhe von insgesamt 2.528,40 DM. Die Auszahlung dieser Leistung sollte in monatlichen Raten je 105,35 DM erfolgen.
Im Februar 1999 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie innerhalb ihres Wohnortes umgezogen sei und sich hierdurch die Entfernung zwischen Wohnort und Ausbildungsstätte auf 12 km verdoppelt habe. Unter Berücksichtigung dieser Änderung beantragte sie erneut die Erstattung von Fahrtkosten.
Durch Bescheid vom 4, März 1999 bewilligte die Beklagte daraufhin für die Zeit vom 1. August 1998 bis 31. Juli 2000 Fahrtkosten in Höhe von insgesamt 15.130,62 DM. Hinsichtlich der Auszahlung dieses Betrages wurde in diesem Bescheid ausgeführt, dass die Fahrtkosten ab dem Monat März 1999 bis Juni 2000 in monatlichen Raten je 665,- DM erstattet würden und darüber hinaus eine sofortige Nachzahlung in Höhe von 3.647,82 DM erfolge.
Im Januar 2000 bemerkte die Beklagte, dass die dem Bescheid vom 4. März 1999 zugrunde liegende Berechnung falsch vorgenommen wurde und es daher zu einer Überzahlung von Fahrtkosten für die Zeit von August 1998 bis Januar 2000 in Höhe von 7.952,88 DM gekommen ist. Für die Zeit ab Februar 2000 bis Juli 2000 bewilligte die Beklagte daraufhin durch bestandskräftigen Änderungsbescheid vom 19. Januar 2000 die Erstattung von monatlichen Fahrtkosten von 309,57 DM.
Durch Bescheid vom 10. Juli 2000 hob die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Fahrtkosten vom 4. März 1999 für die Zeit von August 1998 bis Januar 2000 teilweise auf und verlangte die Erstattung von Leistungen in Höhe von 7.952,88 DM. Als Rechtsgrundlage für diesen Rücknahme- und Erstattungsbescheid gab die Beklagte § 45 Abs. 1 i.V.m. Abs.2 Satz 3 Nr. 3 des 10. Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m, § 330 Abs. 2 3. Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) an.
Hiergegen richtete sich der am 31. Juli 2000 bei der Beklagten eingegangene Widerspruch der Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin machten geltend, dass die Klägerin sich zwar seinerzeit darüber gewundert habe, dass die Fahrtkostenerstattung so hoch gewesen sei. Aus diesem Grunde habe sie direkt von ihrem Arbeitgeber aus Herrn E, ihren Sachbearbeiter in der Leistungsabteilung der Beklagten angerufen und ihn auf den hohen Betrag hingewiesen. Dieser habe nach Prüfung bestätigt, dass der Bescheid in Ordnung sei. Dennoch habe sie einige Tage danach erneut beim Arbeitsamt angerufen und habe sich diesmal bei Herrn C nach der Rechtmäßigkeit des Bescheides erkundigt. Dieser habe ihr zugesagt, die Akte zu ziehen und sie dann zurückzurufen. Herr C habe ihr dann anlässlich des zweiten Telefongespräches bestätigt, dass mit dem Bescheid alles in Ordnung sei. Aufgrund dieser Angaben der Arbeitsamtsmitarbeiter sei die Klägerin nunmehr von der Richtigkeit der Bescheide ausgegangen, so dass sie insoweit gutgläubig gewesen sei. Die rechtlichen Grundlagen für die Aufhebung der Bewilligung und Rückforderung des Betrages lägen daher nicht vor.
In einer daraufhin seitens der Beklagten eingeholten schriftlichen Stellungnahme des Mitarbeiters Herrn E vom 25. September 2000 führte dieser aus: "Ob die Leistungsempfängerin seinerzeit tatsächlich im Sachgebiet angerufen und nach der Richtigkeit der Fahrtkosten gefragt hat, kann von mir nicht mehr nachvollzogen werden."
Die seitens der Beklagten ebenfalls angeforderte Stellungnahme des Mitarbeiters und Zeugen Herrn C vom 26. September 2000 lautete: "Frau L1 hat seinerzeit des öfteren im Sachgebiet angerufen. An die Gesprächsinhalte kann ich mich jedoch nicht erinnern. Ob Frau L1 bezüglich der Höhe der Fahrtkosten angerufen hat, kann daher weder bejaht noch bestritten werden."
Durch Änderungsbescheid vom 16. Juli 2001 beschränkte die Beklagte die teilweise Aufhebung der Entscheidung über die Bewilligung von Fahrtkosten auf den Zeitraum von Februar 1999 bis Januar 2000, was zu einer Reduzierung der Erstattungsforderung auf einen Betrag in Höhe von 7.877,22 DM führte.
Im übrigen wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2001 als unbegründet zurück. Die Beklagte führte darin u.a. aus, dass die Klägerin auch unter Berücksichtigung des ihr ausgehändigten Merkblattes zur beruflichen Weiterbildung darüber informiert gewesen sei, dass in ihrem Falle eine Fahrtkostenerstattung in Höhe von 0,38 DM je Fahrkilometer in Betracht komme. Sie hätte daher leicht erkennen können, dass die Fahrtkostenerstattung ab Februar 1999 bei weitem überhöht gewesen sei. Ohne sich weiter mit der Argumentation der Klägerin auseinander zu setzen, dass sie sich nach der Richtigkeit der Bescheide erkundigt habe, ging die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid weiterhin davon aus, dass grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X vorläge und die Klägerin daher zur Erstattung der geltend gemachten Forderung verpflichtet sei.
Hiergegen richtet sich die am 23. August 2001 erhobene Klage.
Zur Begründung der Klage wiederholt die Klägerin im wesentlichen ihr Vorbringen im Rahmen des Widerspruchsverfahrens. Ergänzend macht sie geltend, dass ihr damaliger Arbeitskollege beim Autohaus P.& L in I, Herr N2, die von ihr geführten Gespräche mit den Arbeitsamtsmitarbeitern mittelbar mitbekommen habe, da er zu diesem Zeitpunkt in dem selben Büro wie sie tätig gewesen sei.
Die Klägerin beantragt,
die Bescheide vom 10. Juli 2000 und 16. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 2001 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die getroffene Verwaltungsentscheidung für zutreffend.
Das Gericht hat Beweis erhoben über die Frage, ob die Klägerin nach Zugang des Fahrtkostenbewilligungsbescheides vom März 1999 eine Rückfrage beim Arbeitsamt betreffend die Richtigkeit dieses Bescheides gehalten hat, durch uneidliche Vernehmung der Zeugen C und N2. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Anlage 1 und 2 der Sitzungsniederschrift vom 27. Februar 2002 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten (Stammnummer: 000000) Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide vom 10. Juli 2000 und 16. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 2001 beschwert im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da die Bescheide rechtswidrig sind.
Die Beklagte hat zu Unrecht die Entscheidung über die Bewilligung von Fahrtkosten für die Zeit von Februar 1999 bis Januar 2000 teilweise zurückgenommen. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Leistungsbewilligung nach § 45 des Sozialgesetzbuches 10. Buch (SGB X) liegen nicht vor. Zwar ist der Bescheid vom 4. März 1999, mit dem das Arbeitsamt B Fahrtkosten für den streitbefangenen Zeitraum bewilligt hat, insofern rechtswidrig, als der Bewilligung eine falsche Berechnung der Kosten zugrunde gelegt wurde und es dadurch zu einer überhöhten Zahlung von Fahrtkosten gekommen ist.
Die Rücknahme dieses begünstigenden Verwaltungsaktes nach seiner Bestandskraft ist jedoch nicht mehr zulässig, weil sich die Klägerin auf den Vertrauensschutz berufen kann. Sie hat glaubhaft vorgetragen, dass sie auf den Bestand der Bewilligungsentscheidung vertraut hat. Dieses Vertrauen ist auch in der Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig, weil die Klägerin nach ihrem für die Kammer ebenfalls glaubhaften Vortrag die von der Beklagten erbrachten Leistungen verbraucht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 SGB X).
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist keine der Tatbestände des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X mit der Folge, dass sich die Klägerin nicht auf Vertrauen berufen könnte, erfüllt. Dies bedarf keiner näheren Erörterungen hinsichtlich der Ziffer 1, da die Klägerin die Leistungsbewilligung nicht durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat. Auch die Voraussetzungen der Ziffer 2 sind nicht erfüllt, denn die Klägerin hat weder unrichtige noch unvollständige Angaben gemacht. Wenn ihr trotz dieser richtigen und vollständigen Angaben Fahrtkosten in falscher Höhe bewilligt wurden und sie die Rechtswidrigkeit dieser Bewilligungsentscheidung nicht erkannt hat, beruht diese Unkenntnis nicht auf grober Fahrlässigkeit (§ 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB X).
Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 2. Halbsatz SGB X). Gemäß § 276 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) handelt fahrlässig (einfache Fahrlässigkeit) wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Dagegen erfordert grobe Fahrlässigkeit nach der Rechtsprechung eine besonders grobe und auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit erheblich übersteigt. Dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen der Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff vgl. BSGE 44, 246, 273).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist die Kammer zu der Einschätzung gelangt, dass die Klägerin weder die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides vom 4. März 1999 kannte, noch infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. In diesem Zusammenhang geht die Kammer davon aus, dass der Klägerin anlässlich der Bekanntgabe des Bescheides vom 4. März 1999 sehr wohl aufgefallen ist, dass eine drastische Erhöhung der Fahrtkostenerstattung gegenüber dem ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 24. August 1998 eingetreten ist. Die Klägerin gibt hierzu selbst an, dass sie über die Höhe der erstatteten Fahrtkosten verwundert gewesen sei. Aufgrund des Umstandes, dass die Klägerin jedoch auf zweimalige Nachfrage beim Arbeitsamt jeweils die Aussage erhalten hat, dass die Fahrtkostenerstattung korrekt berechnet worden sei, durfte sie davon ausgehen, dass der Bescheid vom 4. März 1999 rechtmäßig war. Die Kammer sieht keinen Anlass an der Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin betreffend der von ihr unternommenen Telefongespräche zu zweifeln. Bereits anlässlich der Widerspruchseinlegung durch ihre Prozessbevollmächtigten wurde zur Begründung des Widerspruches vorgetragen, dass die Klägerin mit zwei Mitarbeitern des Arbeitsamtes telefoniert habe und Anfragen betreffend die Höhe der Fahrtkosten gestellt habe. Bereits im Widerspruchsschreiben vermochte die Klägerin die Namen der Mitarbeiter zu benennen, mit denen sie telefoniert haben will. Es handelte es sich hierbei um Herrn E und Herrn C, die ausweislich der Leistungsakte der Beklagten die maßgeblichen Sachbearbeiter bzw. Anordnungsbefugten betreffend die hier strittigen Fahrtkosten waren. Nach den Angaben des Zeugen C wurden von ihm auf Bl. 43 der Leistungsakte die dem fehlerhaften Bescheid vom 4. März 1999 zugrunde gelegte falsche Berechnung vorgenommen. Herr C war demzufolge derjenige Sachbearbeiter, der die fehlerhafte Berechnung der Fahrtkostenerstattung vorgenommen hat. Ausweislich der auf der Kassenanordnung Bl. 47 Rückseite der Leistungsakte befindlichen Paraphe des Anordnungsbefugten ist auch ersichtlich, dass Herr E als Anordnungsbefugter die Bewilligung der falsch berechneten Fahrtkosten verfügt hat. Im Rahmen der Beweisaufnahme vermochte sich der Zeuge C konkret nicht an die Klägerin erinnern. Nach Vorhalt der von ihm im Rahmen des Widerspruchsverfahrens am 26. September 2000 gefertigten Stellungnahme schloss der Zeuge die von der Klägerin behaupteten Telefongespräche nicht aus. Er vermochte sie jedoch aufgrund des fehlenden Erinnerungsvermögens auch nicht zu bestätigen. Auch der im Rahmen des Widerspruchsverfahrens um Stellungnahme gebotene Mitarbeiter der Beklagten, Herrn E, gab in seiner Stellungnahme vom 25. September 2000 an, dass er zu der Frage, ob die Klägerin sich hinsichtlich der Fahrtkosten an ihn gewandt habe, dies nicht mehr nachvollziehen könne. Die von der Klägerin behaupteten telefonischen Anfragen wurden jedoch im Rahmen der Beweisaufnahme durch den Zeugen N2 bestätigt. Der Zeuge N2 vermochte sich noch konkret daran zu erinnern, dass seine damalige Arbeitskollegin, die Klägerin, vom Büro ein- bzw. zweimal das Arbeitsamt angerufen habe. Im Rahmen dieser Gespräche, die er als im Raum anwesende Person mittelbar mitbekommen habe, sei es um die Rechtmäßigkeit der erbrachten Fahrtkostenerstattung gegangen. Der Klägerin sei die Rechtsmäßigkeit der Fahrtkostenerstattung bestätigt worden. Die Angaben des Zeugen N2 sind in sich schlüssig und widerspruchsfrei. Die Kammer hat keinen Zweifel an den Angaben des Zeugen zu zweifeln. Demzufolge durfte die Klägerin aufgrund der ihr gegenüber gemachten telefonischen Angaben davon ausgehen, dass die durch Bescheid vom 4. März 1999 bewilligten Fahrtkosten der Höhe nach korrekt waren. Die Voraussetzungen für die Aufhebung des entsprechenden Bewilligungsbescheides gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB X liegen daher nach Einschätzung der Kammer nicht vor.
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Beklagte nicht dazu berechtigt war, den von ihr geltend gemachten Erstattungsbetrag zurückzufordern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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