S 6 KR 24/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 6 KR 24/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 19.01.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2001 verurteilt, der Klägerin Haushaltshilfekosten in Höhe von EUR 1.159,61 zu erstatten; die weitergehende Klage wird abgewiesen. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt die Beklagte zu 1/2, im Übrigen die Klägerin selbst.

Tatbestand:

Mit der Klage vom 00.00.0000 gegen den Bescheid der Beklagten vom 19.01.2000 und vom 25.07.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2001 fordert die Klägerin Kostenerstattung bzw. höhere Kostenerstattung für die Inanspruchnahme einer Haushaltshilfe in der Zeit vom 29.11.1999 bis zum 31.03.2000. Die 00.00.00 geborene Klägerin - ägyptischer Herkunft - war Ende 1999 mit ihrem siebten Kind - geboren am 00.00.0000 - schwanger. Ihre sechs Kinder waren zu dieser Zeit 8, 10, 12, 16, 18 und 19 Jahre alt. Sie war vom 29.11.1999 bis zum 17.12.1999 wegen drohender Fehlgeburt in stationärer Krankenhausbehandlung. Am 29.11.1999 oder 30.11.1999, mit Sicherheit aber am 02.12.1999, beantragte der Ehemann bei der Beklagten Haushaltshilfe, woraufhin ihm diese unter dem 02.12.1999 ein Antragsformular zusandte, indem wahlweise die Gestellung einer Ersatzkraft (Haushaltshilfe), Ersatz des Verdienstausfalles des Ehepartners oder Kostenerstattung in angemessener Höhe für eine selbstbeschaffte Ersatzkraft angekreuzt werden konnte. Mit Attest der Frauenfachärztin (FFÄ) C vom 29.11.1999 über die Notwendigkeit von Haushaltshilfe wegen eines Krankenhausaufenthalts und Quittungen über Haushaltshilfe-Kosten für 33 Tage - 10 Stunden täglich/montags bis samstags - à DM 150,- beantragte die Klägerin am 05.01.2000 Erstattung von insgesamt DM 4.950,-. Mit weiterem Attest der FFÄ C vom 23.03.2000 über die Notwendigkeit von Haushaltshilfe wegen Überlastung und Risikogravidität für zwei Stunden täglich vom 01.01.2000 bis zum 31.03.2000 und einer Quittung für 91 Tage ä DM 30,- - montags bis samstags - beantragte die Klägerin am 04.04.2000 die Erstattung von DM 2.730,-. Nachdem die Beklagte am 05.01.2000 telefonisch einen Haushaltshilfe-Bedarf von zwei Stunden täglich mit der FFÄ C abgesprochen hatte, bewilligte sie mit Bescheid vom 19.01.2000 Haushaltshilfe für zwei Stunden täglich an fünf Wochentagen - montags bis freitags - in der Zeit vom 29.11.1999 bis zum 31.121999, wobei sie - ohne dies im Bescheid darzulegen - den Stundensatz auf DM 10,25 begrenzte und insgesamt DM 287,- - 14 Tage x DM 20,50 -zahlte. Gestützt auf die gutachtliche Stellungnahme des MDK(Medizinischer Dienst der Krankenversicherung)-Arztes G vom 26.06.2000 und den Vermerk des MDK-Arztes H vom 20.09.2000 zu dem Attest der FFÄ C vom 30.08.2000 über einen insulinpflichtigen Gestationsdiabetes und nach geburtlichen Bluthochdruck lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25.07.2000 bzw. Widerspruchsbescheid vom 12.02.2001 eine Haushaltshilfe-Kostenerstattung für die Zeit vom 01.01.2000 bis zum 31.03.2000 ab, weil die schwangerschaftsbedingten Blutungen mit Dezember 1999 aufgehört hätten, Haushaltshilfe nicht zum Ersatz von Behandlungen bei Erkrankungen gedacht sei und die im Haushalt lebenden Angehörigen den Haushalt hätten führen können, soweit die Klägerin hierzu außerstande gewesen sei. Mit der Klage gegen den die Widersprüche gegen die Bescheide zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 12.02.2001 verfolgt die Klägerin ihr Kostenerstattungs-Begehren weiter. Sie macht geltend, dass auch die älteren Kinder nicht in der Lage gewesen seien, einen Haushalt zu führen, erst recht nicht einen 8-Personen-Haushalt. Zum Einen trägt sie vor, dass der Zeitraum vom 17.12.1999 bis zum 31.12.1999 mit zwei Stunden bewilligter Haushaltshilfe unstreitig sei, zum Anderen ermittelt sie rechnerisch einen Zeitaufwand von 8 Stunden 45 Minuten täglich. Haushaltshilfe sei wegen der bescheinigten Risikoschwangerschaft in der Zeit vom 18.12.1999 bis zum 31.03.2000 notwendig gewesen. Zur Stützung ihres Vorbringens legt sie ein Attest des Internisten O vom 14.01.2002 vor, wonach bei ihr seit 1999 eine labile arterielle Hypertonie mit gehäuften hypertensiven Entgleisungen im Zeitraum von 1999 bis Oktober 2000 vorgelegen habe.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 19.01.2000 und des Bescheides vom 25.07.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2001 zu verurteilen, ihr Haushaltshilfekosten für die Zeit vom 29.11.1999 bis 16.12.1999, vom 17.2.1999 bis 31.12.1999 und vom 01.01.2000 bis zum 31.03.2000 in Höhe von insgesamt EUR 2.340,69 zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich auf den Inhalt der von ihr erteilten Bescheide. Unter Berücksichtigung einzelner aufgelisteter Haushaltstätigkeiten erkennt sie einen Haushaltshilfe-Bedarf während der stationären Krankenhausbehandlung der Klägerin für 5,5 Stunden täglich an fünf Wochentagen an. Sie verneint ein Leistungsbestimmungsrecht der Klägerin, weil diese die Beklagte nicht um Sachleistung ersucht und sich die Haushaltshilfe selbst beschafft habe. Es ist Beweis erhoben worden durch Einholung des schriftlichen Sachverständigengutachtens des Internisten/Rehabilitationsmediziners K vom 16.12.2001, dem die Krankenpapiere und die Ablichtung der Patientenkartei der FFÄ C vorgelegen haben. Wegen des Beweisergebnisses wird auf den Inhalt des Gutachtens verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 19.01.2000 ist insoweit rechtswidrig, als die Beklagte nur Haushaltshilfe für fünf Tage wöchentlich und nur für zwei Stunden täglich in der Zeit vom 29.11.1999 bis zum 16.12.1999 anerkannt und je Stunde nur DM 10,25 gezahlt hat.

1.

Die Klägerin hat gemäß § 38 Abs. 1 S. 1 u. Abs. 4 S. 1 des Sozialgesetzbuches - 5. Buch/Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V - sowie § 13 Abs. 3 SGB V Anspruch auf Erstattung der Haushaltshilfe-Kosten für die Zeit vom 29.11.1999 bis zum 16.12.1999 für zehn Stunden täglich " montags bis samstags - bei einem Stundensatz von DM 15.-. Die tägliche Einsatzzeit von zehn Stunden ist in entsprechender Anwendung eines Leistungsbestimmungsrechts der Klägerin gemäß § 315 Bürgerliches Gesetzbuch zugrunde zu legen, weil die Beklagte es rechtswidrig unterlassen hat, der Klägerin - wie gesetzlich vorgesehen - Haushaltshilfe als Sachleistung anzubieten und es ihr anheim gestellt hat, sich eine Haushaltshilfe selbst zu beschaffen, ohne ihr zugleich verbindlich mitzuteilen, für wieviel Stunden an welchen Wochentagen und zu welchem Stundensatz ein Anspruch auf Haushaltshilfe-Kostenerstattung anerkannt werden kann. i Es ist gerichtsbekannt (vgl. auch: SG Aachen Urt. v. 25.05.1998 " S 2 KN 95/97 KR " ; LSG Nds Urt. v. 29.04.1987 - L 4 Kr 7/86 - in SozVers 1988, 287 ff.), dass die Krankenkassen regelmäßig zur Vermeidung der wesentlich höheren Kosten bei Bereitstellung einer vertraglichen Haushaltshilfekraft - 1999 ca. 35.-/38-, DM/Std. - den Versicherten statt der gesetzlich vorgesehenen Regel-Sachleistung die als Ausnahmeleistung bei Unvermögen, eine Haushaltshilfe zu stellen, mögliche Kostenerstattung für selbstbeschaffte Haushaltshilfe anbieten und nur bei ausdrücklichem Beharren der insoweit über die Gesetzeslage informierten Versicherten Sachleistung gewähren. Der fehlende Wille der Beklagten zur Bereitstellung der Sachleistung ist nicht nur ein fehlendes Können i.S. der §§38 Abs. 4 S. 1, 13 Abs. 3 - I.Alt. - SGB V, sondern auch der rechtswidrigen Ablehnung einer Sachleistung i.S. des § 13 Abs. 3 - 2. Alt. " SGB V gleichzusetzen. Die Klägerin hat durch ihren Ehemann entweder am 29./30.11.1999 - so die glaubhafte Behauptung der Klägerin - , spätestens aber am 02.10.1999 Haushaltshilfe bei der Beklagten beantragt; nach deren Vorbringen beruht der am 02.10.1999 versandte Antragsvordruck auf einem entsprechenden Antragsbegehren. Wenn die Beklagte - aus wirtschaftlich verständlichen Gründen " gesetzeswidrig die Sachleistungsgewährung unterlässt, so obliegt es ihr, die Einzelheiten eines Kostenerstattungsanspruchs zu bestimmen. Tut sie es - wie hier - nicht, so soll aufgrund stillschweigend geschlossener Vereinbarung die Leistung nach billigem Ermessen durch den Leistungsgläubiger - die Klägerin - bestimmt werden entsprechend der Antragsalternative "Kostenerstattung in angemessener Höhe". Die Bestimmung des täglichen Stundenbedarfs von 10 Stunden ist unter Berücksichtigung eines zu versorgenden 7-Personen-Haushalts in einem 180 m großen Einfamilienhaus bei ganztägiger Abwesenheit des Ehemannes der Klägerin und Vaters der Kinder aus der Sicht einer verständigen Versicherten ohne sozialversicherungsrechtliche Kenntnisse nicht unbillig, d.h., willkürlich und von sachfremden Erwägungen geprägt. Dies ergibt sich schon aus der Tatsache, dass die Klägerin tatsächlich eine Haushaltshilfe für täglich 10 Stunden bezahlt hat. Dass älteren Kindern gesetzlich die Übernahme von Haushaltstätigkeiten zugemutet wird und von Versicherten zur Vermeidung unnötiger Kosten in Anspruch zu nehmen ist, musste der Klägerin aus ihrer laienhaften Sicht nicht geläufig sein. Auch der Stundensatz von DM 15,- ist "angemessen" i.S. von § 38 Abs. 4 S. 1 SGB V bzw. "entstanden" i.S. von § 13 Abs. 3 SGB V. Die Verwaltungspraxis der Krankenkassen, ausgehend von einem täglichen Höchstbetrag von 2,5 v.H. der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV hiervon 1/8 als Stundensatz anzuerkennen (RdSchr. 88 c zu § 38 SGB V, Ziff. 5.2, S. 93017) ist rechtswidrig, wenn - wie hier " der pauschalierte Stundensatz nicht annähernd dem tariflichen oder üblichen Entgelt entspricht (vgl. KassKomm, SozVersR, Rn. 37 zu § 38 SGB V; BSG SozR 2200 § 185 b Nrn. 8 u. 10); die Beklagte hätte bei Sachleistungsgewährung zwischen 35,-und 38,- DM/Std. aufwenden müssen. Da der Ehemann aufgrund seines Gebrauchtwagenhandels auch samstags ganztags als "Haushaltsversorger und Kinderbetreuer" abwesend war, ist die Beschränkung der Haushaltshilfe auf eine 5-Tage-Woche unbegründet. Die 5-Tage-Woche entspricht dem Leitbild der "Normalfamilie" (vgl. BSG SozR 2200 § 185 b Nr. 10), aber nicht den im Falle der Klägerin vorliegenden und zu berücksichtigenden besonderen Umständen (vgl. L SG Nds Urt. v. 31.05.2000 - L 4 KR 44/98 " ). Es ergibt sich für die Zeit vom 29.11.1999 bis zum 16.12.1999 ein Restanspruch der Klägerin von EUR 1.080,36: 150,00 DM tgl. x 16 Tage DM 2400,- (EUR 1227,10)./. 20,50 DM tgl. x 14 Tage DM 287.-(EUR 146.74) EUR 1080,36

2.

Für die Zeit vom 17.12.1999 bis zum 31.12.1999 ergibt sich unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen ein Restanspruch der Klägerin von EUR 79,26: 30,00 DM tgl. x 12 Tage DM 360,-(EUR 184,07)./. 20,50 DM tgl. x 10 Tage DM 205.-(EUR 104.81) EUR 79,26

3.

Die weitergehende Klage ist unbegründet, denn der Bescheid der Beklagten vom 25.07.2000 ist rechtmäßig. Haushaltshilfe i.S. von § 38 Abs. 2 SGB V oder § 199 S. 1 Reichsversicherungsordnung - RVO " war nicht "notwendig" i.S. des § 12 Abs. 1 S. 1 SGB V, um den Haushalt der Klägerin weiterzuführen. Eine Erkrankung, welche die Klägerin von der Haushaltsführung ausschloss, hat nach dem ausführlich und nachvollziehbar begründeten und somit schlüssigen und damit insgesamt überzeugenden Gutachten des Sachverständigen K nicht vorgelegen. Die Patientenkartei der FFÄ C enthält für diese Zeit keine pathalogischen Befunde, insbesondere keine Hinweise auf überhöhten Blutdruck und Zuckerkrankheit; der sonografisch festgestellten Nierenzyste kommt keine wesentliche krankhafte Bedeutung zu; eine Risikoschwangerschaft ist nicht feststellbar. Mit diesem Ergebnis ist die " ohnehin nicht eindeutig auf den hier streitbefangenen Zeitraum bezogene " Bescheinigung der FFÄ C vom 30.08.2000 nicht zu vereinbaren. Das Attest des O vom 14.01.2002 bescheinigt einen Bluthochdruck ohne Angaben von Blutdruckwerten und ist damit wertlos. Die Klägerin konnte in dieser Zeit den Haushalt organisieren, die üblichen leichten bis mittelschweren Haushaltsarbeiten verrichten und für schwere Arbeiten die Mithilfe der drei älteren Kinder im Alter von 16 bis 19 Jahren sowie sonntags die ihres Ehemannes in Anspruch nehmen. Die Entscheidung über die Kosten der nach alledem nur teilweise begründeten Klage folgt aus §§ 183, 193 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - ; die Aufteilung der außergerichtlichen Kosten entspricht dem Umfang des Obsiegens und Unterliegens der Beteiligten. Die Zulässigkeit der Berufung ergibt sich aus §§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG, denn der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt EUR 500,-.
Rechtskraft
Aus
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