S 8 RJ 3/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 RJ 3/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 11.11.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.04.2004 wird abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit unter Zugrundelegung eines Versicherungsfalls vom 23.09.2004 auf Dauer nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen. Die Beklagte hat ½ der Kosten des Klägers zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um einen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der am 00 00.0000 geborene Kläger ist seit 1969 gelernter Geselle im Zentralheizungs- und Lüftungsbauerhandwerk. Er arbeitete zuletzt von 1995 bis Oktober 2003 als Heizungsbauer bei der Firma Q1 GmbH Gas- Wasser-Heizungsbau C. Seit März 2003 ist der Kläger arbeitsunfähig.

Am 23.11.2003 beantragte er Rente wegen Erwerbsminderung. Unter Vorlage eines Attestes seines behandelnden Arztes.I berief er sich insbesondere auf einen Zustand nach tiefer Beinvenenthrombose rechts, Zustand nach Lungenembolie sowie Verdacht auf koronare Herzerkrankung. Die Beklagte zog einen Entlassungsbericht der B1 F in der der Kläger vom 30.07.2003 bis zum 27.08.2003 stationär behandelt wurde, bei und lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 11.11.2003 ab. Der Kläger leide unter einer Verlegung der rechten Beinvenen, derzeitigen Blutverdünnungsbehandlung, Übergewicht sowie einem unteren Versensporn rechts. Hiermit sei er nicht mehr in der Lage, als Heizungsbauer zu arbeiten. Er könne jedoch zumutbar auf die Tätigkeit als Monteur kleiner Aggregate und Hausmeister verwiesen werden.

Im Widerspruchsverfahren berief sich der Kläger auf das Attest von I. Die Beklagte veranlasste eine orthopädische Begutachtung durch T. Dieser Arzt diagnostizierte verschiedene orthopädische Erkrankungen im Bereich der Lendenwirbelsäule und der unteren Gliedmaßen. Er hielt den Kläger für imstande, körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten.

Mit Bescheid vom 20.04.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Als zumutbare Verweisungstätigkeiten kämen ergänzend eine Tätigkeit als Kassierer an Selbstbedienungstankstellen und Magaziner in Betracht.

Hiergegen richtet sich die am 00.00.0000 erhobene Klage. Der Kläger beruft sich auf das vorgelegte Attest und ergänzend auf den vom Versorgungsamt B2 anerkannten GdB von 30.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 11.11.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.04.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Rente wegen Erwerbsminderung nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist den Kläger ergänzend auf die Tätigkeit eines Kunden- und Ersatzteilberaters. Sie hat diverse berufskundliche Unterlagen vorgelegt.

Das Gericht hat Beweis erhoben über den Gesundheitszustand des Klägers durch Einholung eines Befund- und Behandlungsberichtes von I sowie eines Gutachtens von Q2 Arzt für innere Medizin und Arbeitsmedizin, vom 01.10.2004. Zur Aufklärung des berufskundlichen Sachverhaltes hat es eine Auskunft der Arbeitgeberin eingeholt sowie eine im Rechtsstreit LSG NRW L 2 KN 191/00 erstellte Auskunft des Bundesverbandes Tankstellen und Gewerbliche Autowäsche Deutschland e. V. vom 13.02.2003 beigezogen.

Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die genannten Unterlagen verwiesen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Der angefochtene Bescheid ist insoweit rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, als ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit abgelehnt wird. Der Kläger hat einen entsprechenden Rentenanspruch. Einen weitergehenden Anspruch hat der Kläger nicht.

Der Kläger kann Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht beanspruchen, weil er nicht voll erwerbsgemindert ist. Gemäß § 43 Abs. 3 Satz 1 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Der Kläger leidet unter folgenden Erkrankungen: 1. Postthrombotisches Syndrom 2. Zustand nach fraglicher Lungenembolie 3. Funktionsstörung der Lendenwirbelsäule 4. Funktionsstörung der unteren Gliedmaßen Hiermit kann er noch körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Haltung ausführen. Der Kläger kann nicht in ungünstigen Zwangshaltungen arbeiten ebenso wenig in Tätigkeiten mit langdauernden Stehen oder nahezu ausschließlich sitzender Position. Tätigkeiten auf Gerüsten und Leitern oder mit erhöhter Verletzungsgefahr müssen unterbleiben. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen kann der Kläger mindestens 6 Stunden täglich arbeiten.

Dies ergibt sich aus dem Gutachten von Q2. Das Gutachten ist schlüssig. Dem Sachverständigen lagen die relevanten medizinischen Unterlagen vor. Q2 ist als Internist und Arbeitsmediziner besonders befähigt, die Gesundheitsstörungen des Klägers und ihre Wechselwirkungen untereinander zu bewerten. Die Beteiligten haben Einwendungen gegen das Gutachten nicht erhoben.

Der Anspruch des Klägers auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ergibt sich aus § 240 SGB VI. Gemäß § 240 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind einen entsprechenden Rentenanspruch, wenn die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 43 Abs. 1 Nr. 2, 3 SGB VI) erfüllt sind.

Der Kläger ist vor dem 2. Januar 1961 geboren, erfüllt die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen und ist berufsunfähig.

Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als 6 Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderung ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 240 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB VI).

Der Kläger ist aufgrund seiner Erkrankungen nicht mehr in der Lage als Heizungsbauer zu arbeiten. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten und wird belegt durch das von der Beklagten vorgelegte berufskundliche Gutachten von Q3 vom 29.07.1996 aus dem Rechtsstreit SG Dortmund - S 15 (8) J 52/95 -. Hiernach erfordert die Tätigkeit als Heizungsbauer körperliche Fitness, es müssen schwere Gegenstände gehoben und getragen werden, auch Arbeiten in Zwangshaltungen sind häufig erforderlich.

Die von der Beklagten benannten Verweisungstätigkeiten scheiden aus. Eine Tätigkeit als Hausmeister ist gesundheitlich nicht möglich, denn diese Arbeit ist verletzungsanfällig und findet teilweise auf Leitern statt. Dies ergibt sich aus dem von der Beklagten vorgelegten Gutachten von M vom 02.11.2001 aus dem Rechtsstreit LSG NRW L 3 RJ 122/00. Hier ist ausgeführt, dass ein Hausmeister Tätigkeiten wie das Auswechseln von Glühbirnen, Befestigungsarbeiten, Gangbarmachung von Fenstern und Türen, regelmäßige Kontrolle der Funktionssicherheit technischer Anlagen und Einrichtungen wie Heizungsanlagen, Aufzüge, Lüftungsanlagen u. s. w. erledigen muss. Es liegt auf der Hand, dass diese Tätigkeiten auch das gelegentliche Besteigen von Leitern erfordern und die Gefahr mit sich bringen, sich an Werkzeugen, Arbeitsmaterialien oder den Anlagen selbst zu verletzen. Zudem sind auch schwere Arbeiten nicht ausgeschlossen (von der Beklagten vorgelegtes Urteil des sächsischen LSG vom 18.11.2003 - L 5 RJ 198/02 - ). Weil die Tätigkeit mit dem Besteigen von Leitern einhergeht ist auch eine Arbeit als Magaziner ausgeschlossen (von der Beklagten vorgelegtes berufskundliches Gutachten von S vom 27.08.2002 aus dem Rechtsstreit SG Neuruppin - S 5 RJ 301/01 -). Eine Tätigkeit als Kunden- und Ersatzteilberater scheidet aus, weil der Kläger hierfür nicht ausreichend qualifiziert ist ( Gutachten von - Q3 vom 29.07.1996 a.a.O.). Die von der Beklagten benannte, jedoch nicht mit berufskundlichen Unterlagen belegte, Arbeit als Monteur kleiner Aggregate dürfte dem Kläger sozial nicht zumutbar sein und ihn gesundheitlich überfordern, denn diese Tätigkeit findet nicht in wechselnder Körperhaltung statt.

In der mündlichen Verhandlung hatte die Beklagte in erster Linie als Verweisungstätigkeit die eines Tankstellenkassierers benannt. Auch diese Arbeit scheidet als Verweisungstätigkeit aus. Zum einen ist diese Tätigkeit dem Kläger sozial nicht zumutbar. Als Facharbeiter kann der Kläger nur auf Anlerntätigkeiten verwiesen werden, die sich aus dem Kreis ungelernter Tätigkeiten im Ansehen, aber auch unter Berücksichtigung ihrer tariflichen Eingruppierung im Vergleich mit anderen Tätigkeiten besonders hervorheben. Die bloße Tätigkeit eines Kassierers in Selbstbedienungstankstellen erfüllt diese Voraussetzungen nicht (LSG NRW, Urteil vom 17.11.1998 - L 18 KN 17/97- rechtskräftig). Zudem überfordert diese Tätigkeit den Kläger in gesundheitlicher Sicht. Aus der beigezogenen Auskunft des Bundesverbandes Tankstellen und Gewerbliche Autowäsche Deutschland e. V. vom 13.02.2003 ergibt sich, dass die Tätigkeit in der Regel im Stehen abgehalten wird und der Sitzanteil normalerweise denkbar gering ist. Dies wird überzeugend damit begründet, dass zwar möglicherweise in der einen oder anderen Tankstelle eine Steh- oder Sitzhilfe vorhanden ist, dies allerdings häufig nicht gern gesehen wird, da dies nicht ein kundenfreundlicher Anblick sei. Bei Kundenandrang ist zudem zu berücksichtigen, dass Kassierer auch Zigaretten über den Tresen reichen müssen, EC-Karten in das Lesegerät schieben müssen u. s. w. Diese Ausführungen entsprechen den Erfahrungen des täglichen Lebens, sodass sie ohne weiteres plausibel sind. Wenn die Beklagte sich dem gegenüber auf das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 20.03.2002 - L6 RJ 231/01 - beruft, so folgt die Kammer dem nicht, weil sie das Urteil nicht für überzeugen hält. Auch dem LSG Rheinland-Pfalz lag eine Auskunft (Firma TABTS- BetriebsgesellschaftmbH) vor, in der mitgeteilt wurde, dass Kassierer im Stehen arbeiten müssen. Ohne weitere Begründung wird ausgeführt, dass diese Angaben jedoch nur für die 69 Mitarbeiter dieses Unternehmens gelten würden. Repräsentativ und damit heranzuziehen sei die Auskunft des "ZTG" wonach bei Kundenfrequenz zwar das Stehen dominiere, ansonsten aber die Möglichkeit des Sitzens bestehe. Anscheinend ist das LSG Rheinland-Pfalz der Meinung, dass das Auftreten von Kunden in Tankstellen eher die Ausnahme als die Regel ist. Diese Annahme ist nicht plausibel. Zudem dürfte es ausgeschlossen sein, dass Arbeitgeber des Tankstellengewerbes Mitarbeiter einstellen, die nicht lange stehen können, denn es ist jedenfalls potentiell davon auszugehen, dass aufgrund starken Kundenandrangs langes Stehen erforderlich wird.

Schließlich liefe die Auffassung der Beklagten auf eine faktische Abschaffung der BU-Rente hinaus. Die Tätigkeit eines Tankstellenkassierers steht in keinerlei Zusammenhang mit dem bisherigen Beruf des Klägers. Der Vertreter der Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung zugestanden, dass diese Verweisungstätigkeit ebensogut einem Bäcker, einem Koch, einem Gärtner, einem Fliesenleger, einem Dachdecker (so LSG Rheinland-Pfalz a.a.O) oder einem sonstigen Facharbeiter entgegengehalten werden könnte. Dies entspricht nicht den Vorgaben des § 240 Abs. 2 Satz 2 SGB VI, denn hiernach ist eine Verweisungstätigkeit unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs einer absolvierten Ausbildung sowie des bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit zumutbar. Eine Verweisungstätigkeit ohne jeden Bezug zum bisher ausgeübten Beruf, die bei jedweder Berufstätigkeit benannt werden kann, erfüllt diese Voraussetzungen nicht und führt zur faktischen Abschaffung der BU-Rente auf Verwaltungswege. Die Abschaffung einer Rentenart ist indes Aufgabe des Gesetzgebers, nicht der Exekutive.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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