S 11 AL 93/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AL 93/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AL 27/05
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 21.07.2004 in der Fassung des Bescheides vom 30.09.2004 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 27.07.2004, alle in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.10.2004 verurteilt, dem Kläger ungeminderte Arbeitslosenhilfe auch für die Zeit vom 12.07. bis 22.09.2004 zu zahlen. Die Beklagte hat die Kosten des Klägers zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen eine Minderung der an ihn erbrachten Arbeitslosenhilfe (Alhi) wegen verspäteter Meldung als arbeitsuchend.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger bezog bis zum 17.07.2003 Arbeitslosengeld (Alg) und vom 01.01.2004 an Alhi. Vom 15.03. bis 28.05.2004 arbeitete er bei der Firma G U in I vom 01. bis 30.06.2004 aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrages bei der Firma F in O. Am 12.07.2004 meldete er sich arbeitslos und beantragte Alhi. Mit Bescheid vom 21.07.2004 minderte die Beklagte den Leistungsanspruch des Klägers um 1.500.- Euro, da er sich 55 Tage zu spät arbeitsuchend gemeldet habe. Als Minderungszeitraum nahm sie die Zeit vom 12.07. bis 22.09.2004 an. Mit Bescheid vom 27.07.2004 bewilligte die Beklagte sodann geminderte Alhi ab dem 12.07.2004.

Der Kläger begründete seinen am 30.07.2004 erhobenen Widerspruch damit, er habe sich erst arbeitslos gemeldet, als Verhandlungen mit seinem vorletzten Arbeitgeber über eine erneute Einstellung endgültig gescheitert seien. Mit Bescheid vom 30.09.2004 verkürzte die Beklagte den von ihr angenommenen Verspätungszeitraum auf 41 Tage (unter Beibehaltung des Minderungsbetrages) und wies sodann den Widerspruch mit Bescheid vom 11.10.2004 zurück. Hiergegen richtet sich die am 00.00.0000 erhobene Klage.

Der Kläger führt aus, er sei sich aufgrund personeller Verflechtungen zwischen den Firmen G und F weder eines Wechsels des Arbeitgebers noch einer nunmehr eingetretenen Befristung des Arbeitsverhältnisses bewußt gewesen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21.07.2004 in der Fassung des Bescheides vom 30.09.2004 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 27.07.2004, alle in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.10.2004 zu verurteilen, ihm ungeminderte Arbeitslosenhilfe auch für die Zeit vom 12.07. bis 22.09.2004 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bleibt bei ihrer bisherigen Auffassung.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten sind rechtswidrig i. S. von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beklagte durfte den Alhi-Anspruch des Klägers nicht wegen verspäteter Meldung mindern.

Die §§ 37 b Satz 1 und 2, 140 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) sind zu unbestimmt, um die Beklagte zur Minderung des Anspruchs auf Alhi zu ermächtigen; andere einschlägige Ermächtigungsgrundlagen der vorgenommenen Minderung sind nicht ersichtlich.

Nach § 140 Satz 1 SGB III mindert sich der Anspruch auf Alg, wenn sich der Arbeitslose entgegen § 37 b SGB III nicht unverzüglich arbeitsuchend gemeldet hat. Nach § 37 b Satz 1 SGB III sind Personen, deren Versicherungspflichtverhältnis endet, verpflichtet, sich unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden. Gemäß § 37 b Satz 2 SGB III hat die Meldung im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses frühestens drei Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen.

Der Anwendbarkeit der §§ 37 b, 140 SGB III steht nicht bereits der Umstand entgegen, dass die Beklagten nicht das Alg, sondern die Alhi gemindert hat. Gemäß dem Grundsatz der Anspruchseinheitlichkeit von Alg und Alhi ergibt sich die Anwendbarkeit der §§ 37 b, 140 SGB III aus § 198 Satz 2 1. Satzteil SGB III in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung (a.F.). Nach § 198 Satz 2 2. Satzteil SGB III a.F. beachtenswerte Besonderheiten des Alhi-Rechts stehen nicht entgegen, insbesondere ist kein Grund ersichtlich, warum die Bezieher von Alhi im Zusammenhang mit Meldeversäumnissen besser gestellt sein sollten als Bezieher von Alg.

Jedoch lassen sich die Argumente, mit denen die Kammer bislang eine Minderung von Alg nach Beendigung eines befristeten Arbeitsverhältnisses verneint hat, auch auf die Minderung von Alhi übertragen. Die §§ 37 b, 140 SGB III sind keine geeignete Ermächtigungsgrundlage zur Minderung von Alg oder auch Alhi in Zusammenhang mit befristeten Arbeitsverhältnissen. § 37 b Satz 2 SGB III ist in Verbindung mit § 37 b Satz 1 SGB III derart unbestimmt, dass er (wiederum i.V.m. § 140 SGB III) keine taugliche Ermächtigungsgrundlage für einen Eingriff in den Anspruch auf Alg darstellt (SG Dortmund, Urteil vom 26.07.2004 – S 33 AL 127/04). Die Vorschrift besagt mithin nicht, dass sich der Alg-Anspruch (nach Maßgabe von § 140 SGB III) mindert, wenn die genannte Frist verstrichen ist und der Versicherte sich nicht arbeitsuchend gemeldet hat. Vielmehr ist § 37 b Satz 2 SGB III bei verfassungsrechtlich gebotener geltungserhaltender Reduktion (vgl. BVerfGE 69, 1, 55 m.w.N.) dahingehend auszulegen, dass er lediglich regelt, ab wann sich ein Versicherter arbeitsuchend melden und somit die Pflicht der Beklagten zur Arbeitsvermittlung nach § 38 Abs. 4 SGB III auslösen kann.

Bei der Minderung von Alhi lässt sich diese Argumentation zwar nicht auf den Charakter der §§ 37 b, 140 SGB III als Inhalts- und Schrankenbestimmung im Rahmen der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) stützen, da der Anspruch auf Alhi kein Eigentum im verfassungsrechtlichen Sinne ist (aus neuerer Zeit etwa BSG SozR 3-4100 § 118 Nr. 4 m.w.N.). Allerdings gelten die Bestimmheitsanforderungen aus dem Rechtsstaatsprinzip auch bei Eingriffen in nicht (spezial-)grundrechtlich geschützte Ansprüche. Aus dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG, ergibt sich, dass eine Ermächtigung der Verwaltung zum Eingriff in Grundrechte durch Gesetz erfolgen und insbesondere hinreichend bestimmt sein muss. Klarheit und Bestimmtheit einer Vorschrift bedeutet Erkennbarkeit des gesetzgeberisch Gewollten. Betroffene müssen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können (BVerfGE 52, 1, 41). Das Handeln der Verwaltung muss für den Bürger voraussehbar und berechenbar sein (BVerfGE 56, 1, 12; BVerwGE 100, 230, 236; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 7. Aufl., 2004, Art. 20, Rn. 60, 61).

§ 37 b Satz 2 SGB III wird diesen Anforderungen schon deswegen nicht gerecht, weil die Vorschrift in Zusammenschau mit § 37 b Satz 1 SGB III, auf den sie sich unmittelbar bezieht, mehrere ungefähr gleich naheliegende und plausible Auslegungen zulässt, die jedoch im Einzelfall zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führen: § 37 b Satz 1 und 2 SGB III kann zum einen so verstanden werden, dass die Meldung mit Ablauf des nächsten dienstbereiten Tages zu erfolgen hat, nachdem der Versicherte Kenntnis von der Befristung hat und es nur mehr 3 Monate bis zur Beendigung des Versicherungspflichtverhältnisses sind (Satz 1 als nähere Ausgestaltung des Tatbestandsmerkmals "frühestens" in Satz 2). Denkbar ist jedoch auch eine Auslegung, wonach die Meldung ab Kennntnis und Unterschreitung der Frist erfolgen kann, jedoch nicht unverzüglich erfolgen muss (das Tatbestandsmerkmal "frühestens" in Satz 2 verdrängt das Tatbestandsmerkmal "unverzüglich" in Satz 1). Diese Unklarheiten betreffen nicht nur den isoliert betrachteten Norminhalt von § 37 Satz 2 SGB III, sondern auch die Frage, ob neben § 37 b Satz 2 SGB III noch Raum für eine subsidiäre Anwendung von § 37 b Satz 1 SGB III ist. Welche der möglichen Auslegungen die vom Gesetzgeber gewollte ist, erschließt sich den – regelmäßig mit juristischen Auslegungsmethoden ohnehin nicht vertrauten – Betroffenen selbst bei genauer Kenntnis des Wortlauts von § 37 b SGB III nicht. Die von dieser Regelung betroffenen Versicherten haben mithin keinerlei Möglichkeit, das gesetzgeberisch Gewollte zu erkennen und ihr Verhalten an der gesetzlichen Regelung auszurichten.

Es handelt sich schließlich auch nicht um einen derjenigen Fälle, in denen ein Minus an inhaltlicher Bestimmtheit zulässig ist, da der Gesetzgeber die fragliche Materie nur durch Generalklauseln und/oder durch Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe regeln kann (zu derartigen Konstellationen Jarass, a.a.O., Rn. 61). Dies mag auf die Verwendung des Begriffs "unverzüglich" in § 37 b Satz 1 SGB III zutreffen, der Begriff "frühestens" ist jedoch kein unbestimmter Rechtsbegriff.

Die Klage ist auch nicht etwa deswegen unbegründet, weil der Kläger sich erst am 12.07.2004 und somit nach Beendigung der Beschäftigung bei der Firma F arbeitslos gemeldet hat, denn er ist anlässlich der Beendigung seiner Beschäftigung bei der Firma F nicht auf die Obliegenheit zu unverzüglicher Arbeitsuchendmeldung hingewiesen worden. Die Kammer kann offen lassen, ob eine Meldung erst nach Beendigung des befristeten Arbeitsverhältnis nach beiden möglichen Auslegungen des § 37 b Satz 1 und 2 SGB III ein Verstoß gegen dessen Anforderungen ist und deswegen die oben dargestellten Grundsätze zur inhaltlichen Bestimmtheit dieser Vorschrift insoweit nicht greifen. Diese Auffassung bedeutete im Ergebnis eine Reduzierung von § 37 b SGB III auf dessen Satz 1 auch im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses. Hierauf lässt sich aber jedenfalls dann keine Leistungsminderung stützen, wenn der Versicherten seine Obliegenheit zur unverzüglichen Meldung als arbeitsuchend weder kannte noch infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (näher zu diesem Erfordernis bei der Beendigung unbefristeter Versicherungspflichtverhältnisse LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.09.2004, L 1 AL 51/04). Auch insofern sind die Grundsätze über die Auslegung von § 37 b Satz 1 SGB III auf den Alhi-Anspruch übertragbar, denn auch sie beruhen nicht auf dem besonderen verfassungsrechtlichen Schutz des Alg-Anspruchs.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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