S 11 AL 72/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AL 72/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AL 76/05
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 05.05.2004 in der Fassung des Bescheides vom 23.08.2004 und des Widerspruchsbescheids vom 24.08.2004 wird insoweit aufgehoben, als die Bewilligung von Unterhaltsgeld für die Zeit ab dem 01.10.2003 aufgehoben und das geleistete Unterhaltsgeld zurückgefordert worden ist. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte hat ¾ der Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagten ihre Bewilligungsentscheidungen über Arbeitslosenhilfe (Alhi) und Unterhaltsgeld aufheben und die in der Zeit vom 01.09.2003 bis 31.03.2004 erbrachten Leistungen zurückfordern durfte.

Die am 00.00.0000 geborene Klägerin bezog zunächst Arbeitslosengeld (Alg) bis zum 20.05.2003. Ihren Antrag auf Alhi lehnte die Beklagte angesichts der Unterhaltsleistungen des getrennt lebenden Ehemanns ab. Nachdem die Klägerin die Einstellung der Zwangsvollstreckung wegen des Unterhalts nachweisen konnte, zahlte die Beklagte sodann vom 01.08. bis 30.09.2004 Alhi und ab dem 01.10.2004 Unterhaltsgeld. Am 20.01.2004 verurteilte das Amtsgericht (AG) Aachen den Ehemann der Klägerin zur Leistung von Unterhalt i.H.v. monatlich 780,21 Euro ab August 2003, wobei es die Leistungen der hiesigen Beklagten an die Klägerin als unterhaltsmindernd in Ansatz brachte.

Die Beklagte teilte der Klägerin im April 2004 mit, dass sie die Aufhebung der Bewilligungen von Alhi und Unterhalsgeld auch für die Zeit vom 01.08.2003 bis zum 31.03.2004 sowie eine entsprechende Rückforderung beabsichtige und erließ am 05.05.2004 den angekündigten Bescheid. Ihren am 12.05.2004 erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass bereits das AG die Leistungen der Beklagten unterhaltsmindern in Ansatz gebracht habe, weswegen Unterhaltsnachzahlungen nicht auch noch zur Rückforderung der arbeitsförderungsrechtlichen Leistungen führen dürften. Darüberhinaus habe es die Beklagte – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – versäumt, den Unterhaltsanspruch gegen den Ehemann der Klägerin auf sich überzuleiten, was der Klägerin nicht zum Nachteil gereichen dürfe.

Die Beklagte verringerte ihre Rückforderung mit Bescheid vom 23.08.2004 um die Beiträge zu Kranken- und Pflegeversicherung auf 2357,66 Euro und wies den Widerspruch im Übrigen mit Bescheid vom 24.08.2004 zurück. Sie führte aus, die Leistungen seien im Wege der Gleichwohlgewährung nach § 203 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) erbracht worden. Da die Beklagte aber den zwischenzeitlich an die Klägerin nachgezahlten Unterhalt nicht mehr von deren Ehemann fordern könne, sei die Klägerin nach § 203 Abs. 2 SGB III insoweit zur Erstattung von Alhi und Unterhaltsgeld verpflichtet.

Hiergegen richtet sich die am 00.00.0000 erhobene Klage.

Die Klägerin wiederholt und vertieft ihr bisheriges Vorbringen und weist darauf hin, dass der rückständige Unterhalt noch nicht vollständig nachgezahlt worden sei.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 05.05.2004 in der Fassung des Bescheids vom 23.08.2004 und des Widerspruchsbescheids vom 24.08.2004 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bleibt bei ihrer bisherigen Auffassung.

Hinsichtlich der wesentlichen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten sind insoweit rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), als die Beklagte auch die Bewilligung des Unterhaltsgeld aufgehoben und das erbrachte Unterhltsgeld zurückgefordert hat. Im Übrigen ist die Klage unbegründet, denn die Beklagte durfte die Alhi-Bewilligung aufheben und die für die Monate August und September 2003 geleistete Alhi zurückfordern.

Die Beklagte hat die Alhi-Bewilligung zu recht aufgehoben und durfte die Alhi zurückfordern. Rechtsgrundlage der Aufhebung ist § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III. Hiernach ist ein Dauerverwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit insoweit aufzuheben, als nach seinem Erlass Einkommen erzielt worden ist, das zum Wegfall des Leistungsanspruchs geführt haben würde. Die Klägerin hat nach Erlass der Alhi-Bewilligung Unterhaltsleistungen ihres Ehemanns jedenfalls für die Monate August und September 2003 erhalten. Dass sie noch nicht sämtliche Nachzahlungen erhalten hat, ändert hieran nichts, denn Leistungen gelten nach § 366 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) im Zweifel als auf die älteste Schuld erbracht. Diese Unterhaltszahlungen haben den Anspruch auf Alhi mangels Bedürftigkeit nachträglich entfallen lassen, was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist. Ermessen brauchte die Beklagte nach der Spezialvorschrift des § 333 Abs. 1 Satz 1 SGB III nicht auszuüben.

Rechtsgrundlage für die Rückforderung der erbrachten Alhi ist § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Hiernach sind bereits erbrachte Leistungen nach Aufhebung des zugrundeliegenden Verwaltungsakts zu erstatten.

Der Aufhebung und Rückforderung der Alhi steht nicht entgegen, dass das AG die erbrachte Alhi unterhaltsmindernd berücksichtigt hat. Denn die Entscheidungsgründe der familiengerichtlichen Entscheidung sind für das Sozialgericht nicht verbindlich und können sich nicht zum Nachteil der (am familiengerichtlichen Verfahren unbeteiligten) Beklagten auswirken. Dieser Grundsatz findet seine Entsprechung auch auf materiell-rechtlicher Ebene, denn die Kammer entnimmt der einschlägigen Rechtsprechung, dass die bedürftigkeitsabhängige und nach den §§ 193, 194 SGB III a.F. subsidiäre Alhi nur dann unterhaltsminderndes Einkommen des Unterhaltsberechtigten darstellt, wenn ausgeschlossen ist, dass sie wegen der Unterhaltsnachzahlungen zurückgefordert wird (vgl. zur Fallkonstellation des § 203 Abs. 1 SGB III a.F.: OLG Celle, Beschluss vom 23.09.2003, 10 WF 321/03; Wendl/Staudigl, das Unterhaltsrecht in der famlilienrichterlichen Praxis, 2. Aufl., S. 29; siehe auch Unterhaltsrechtliche Leitlinien des OLG Celle, Stand 01.07.2003, Nr. 2.2). Somit knüpft die familienrechtliche Würdigung an die arbeitsförderungsrechtliche an und nicht umgekehrt.

Aufhebung und Rückforderung sind auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil sich die Beklagte auf § 203 Abs. 2 SGB III a.F. als Ermächtigungsgrundlage berufen hat. Auch diese Vorschrift führt zu keinem für die Klägerin besseren Ergebnis: Nach einer Auffassung ist § 203 Abs. 2 SGB III a.F. auch bei unterbliebener Überleitungsanzeige (§ 203 Abs. 1 Satz 2 und 2 SGB III a.F.) anwendbar (Brandts, in: Niesel, SGB III, 2. Aufl., § 203, Rn. 13), was im vorliegenden Fall zum selben Ergebnis führt wie § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X, denn von der Erstattung der Beiträge zu Kranken- und Pflegeversicherung nach § 335 SGB III hat die Beklagte mit Bescheid vom 23.08.2004 abgesehen. Die Gegenansicht (Krauß, in: PK-SGB III, 2. Aufl., § 203, Rn. 7 und 10) wendet in dieser Fallkonstellation allein die §§ 45, 48 SGB X an. Die Beklagte musste der Klägerin jedoch das Unterhaltsgeld belassen.

Eine Rückforderung des erbrachten Unterhaltsgelds scheidet aus, da die Beklagte die entsprechende Bewilligung nicht aufheben durfte. Eine Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X scheitert daran, dass die Unterhaltsnachzahlungen den Anspruch auf Unterhaltsgeld nicht haben nachträglich entfallen lassen. Die Beklagte erbrachte nach dem bis zum 31.12.2004 geltenden Recht Unterhaltsgeld gem. § 153 SGB III a.F. an Arbeitnehmer bei Teilnahme an einer für die Weiterbildungsförderung anerkannten Vollzeitmaßnahme, wenn sie die allgemeinen Förderungsvoraussetzungen für die Förderung der beruflichen Weiterbildung einschließlich der Vorbeschäftigungszeit erfüllten. Auf das Unterhaltsgeld fanden nach Maßgabe von § 157 SGB III a.F. die Vorschriften über das Alg (§§ 117 ff SGB III) entsprechend Anwendung, Besonderheiten bei der Höhe regelte § 158 SGB III a.F. Eine Minderung des an Klägerin erbrachten Unterhaltsgelds wegen Einkommensanrechnung nach §§ 157 Nr. 3, 141 SGB III scheidet im vorliegenden Fall aus, denn der familienrechtliche Unterhalt ist kein Nebeneinkommen in diesem Sinne.

Ein nachträglicher Wegfall des Anspruchs auf Unterhaltsgeld ergibt sich auch nicht aus der Anwendung der Vorschriften über die Alhi. Der nachgezahlte Unterhalt ist zwar Einkommen i.S.d. § 48 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB X, dieses Einkommen würde jedoch nicht zum Wegfall des Anspruchs geführt haben, da das Unterhaltsgeld anders als die Alhi nicht bedürftigkeitsabhängig ist. Die Beklagte sieht (wie das Gericht dem hier nicht streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid vom 20.07.2004 über die Fortzahlung des Unterhaltsgelds ab April 2004 entnimmt) in § 158 Abs. 1 Satz 2 SGB III a.F. einen Verweis auf das Recht der Alhi (§§ 190 - 206 SGB III aF) und somit auch auf die Anspruchsvoraussetzung der Bedürftigkeit (§ 193 SGB III a.F.). Dieser Regelungsgehalt kann § 158 SGB III a.F. jedoch nicht beigemessen werden. Nach § 158 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB III a.F. wurde das Unterhaltsgeld an Arbeitnehmer, die zuletzt Alhi bezogen haben, in Höhe des zuletzt bezogenen Alhi-Betrags geleistet. Hätte sich die Höhe der Alhi in der Zeit der Teilnahme an der Maßnahme verändert, so veränderte sich das Unterhaltsgeld vom selben Tage an entsprechend.

§ 158 Abs. 1 Satz 2 SGB III a.F. führte jedoch nicht dazu, dass Arbeitslose, die zuletzt mangels Bedürftigkeit keine Alhi bezogen haben, auch keinen Anspruch auf Unterhaltsgeld haben (hierzu und zum Folgenden ausführlich LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.11.2004, L 1 AL 55/03), denn die Voraussetzungen für die Leistung von Unterhaltsgeld waren bereits andernorts abschließend normiert und eine planwidrige Regelungslücke lag nicht vor. In diesen Fällen schloß § 158 Abs. 1 Satz 2 SGB III a.F. den Anspruch auf Unterhaltsgeld nicht aus und für dessen Bemessung galt die allgemeine Regel in § 158 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F. Nichts anderes muss im erst-recht-Schluss gelten, wenn (wie hier) der Bezieher von Unterhaltsgeld tatsächlich sogar Alhi bezogen hat, sie allerdings rechtmäßigerweise nicht hätte beziehen dürfen.

Auch in § 158 Abs. 1 Satz 3 SGB III a.F. findet die Rechtsansicht der Beklagten keine Stütze: Auch diese Vorschrift diente – wie § 158 Abs. 1 Satz 2 SGB III a.F. (hierzu LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.) – der Verwaltungsvereinfachung. Bei den dort angesprochenen Änderungen der Alhi-Höhe handelte es sich etwa um die Anpassung nach § 200 Abs. 2 SGB III a.F. (wie sie durch die Teilnahme an der Maßnahme unberührt blieb, § 200 Abs. 4 SGB III a.F. argumentum e contrario), nicht aber um ein vollständiges Entfallen der Alhi. Denn hiermit wäre nicht mehr nur die Höhe des Unterhaltsgelds (auf die sich § 158 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB III a.F. aber ausdrücklich beschränkte), sondern bereits der Anspruchsgrund betroffen (vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.).

Aus denselben Gründen kann sich die Beklagte auch nicht auf § 45 SGB X berufen. Auch § 203 Abs. 2 SGB III a.F. scheidet als Ermächtigungsgrundlage aus, denn die Vorschrift bezog sich bereits ihrem Wortlaut nach auf die Erstattung geleisteter Alhi. Ihre Anwendung über § 158 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB III a.F. scheidet – wie eben dargelegt – aus. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved