S 11 AL 51/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AL 51/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AL 130/05
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 23.03.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2005 verurteilt, der Klägerin ungemindertes Arbeitslosengeld auch für die Monate Februar bis April 2005 zu zahlen. Die Beklagte hat die Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen eine Minderung des an sie erbrachten Arbeitslosengelds (Alg) wegen verspäteter Meldung als arbeitsuchend.

Die am 00.00.1961 geborene Klägerin arbeitete zuletzt vom 17.02.2003 bis zum 17.02.2005 befristet als Altenpflegerin bei der Firma W in B. Am 01.02.2005 meldete sie sich arbeitsuchend und beantragte am 11.03.2005 Alg. Nach Einholung einer Arbeitsbescheinigung gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 23.03.2005 Alg ab dem 18.02.2005 und nahm hierbei eine Minderung i.H.v. ingsesamt 1.050.- Euro für die Zeit von 67 Leistungstagen, beginnend mit dem 18.02.2005, vor, da die Klägerin sich um 75 Tage zu spät arbeitsuchend gemeldet habe. Den am 24.03.2005 eingelegten Widerspruch wies sie mit Bescheid vom 08.04.2005 zurück.

Hiergegen richtet sich die am 00.00.0000 erhobene Klage.

Die Klägerin führt aus, sie habe erst am 21.01.2005 erfahren, dass keine Verlängerung des befristeten Arbeitsverhältnisses beabsichtigt sei. Im Übrigen ergebe sich bereits aus der einschlägigen gesetzlichen Bestimmung nicht zweifelsfrei, wann die Meldung bei Auslaufen eines befristeten Arbeitsverhältnisses erfolgen müsse.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 23.03.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2005 zu verurteilen, ihr ungemindertes Arbeitslosengeld auch für die Monate Februar bis April 2005 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bleibt bei ihrer bisherigen Auffassung.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten sind rechtswidrig i. S. von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beklagte durfte den Alg-Anspruch der Klägerin nicht wegen verspäteter Meldung mindern.

Nach § 140 Satz 1 SGB III mindert sich der Anspruch auf Alg, das dem Arbeitslosen auf Grund des Anspruchs zusteht, der nach der Pflichtverletzung entstanden ist, wenn sich der Arbeitslose entgegen § 37 b SGB III nicht unverzüglich arbeitsuchend gemeldet hat. Nach § 37 b Satz 1 SGB III sind Personen, deren Versicherungspflichtverhältnis endet, verpflichtet, sich unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden. Gemäß § 37 b Satz 2 SGB III hat die Meldung im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses frühestens drei Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen.

Die Beklagte durfte den Anspruch nicht mindern, weil die §§ 37 b Satz 1 und 2, 140 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) zu unbestimmt sind, um zu einer Minderung des (von der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie in Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz - GG - erfassten) Anspruchs auf Alg zu ermächtigen.

Die §§ 37 b, 140 SGB III sind keine geeignete Ermächtigungsgrundlage zur Minderung von Alg in Zusammenhang mit befristeten Arbeitsverhältnissen. § 37 b Satz 2 SGB III ist in Verbindung mit § 37 b Satz 1 SGB III derart unbestimmt, dass er (wiederum i.V.m. § 140 SGB III) keine taugliche Ermächtigungsgrundlage für einen Eingriff in den Anspruch auf Alg darstellt (SG Dortmund, Urteil vom 26.07.2004 - S 33 AL 127/04). Die Vorschrift besagt mithin nicht, dass sich der Alg-Anspruch (nach Maßgabe von § 140 SGB III) mindert, wenn die genannte Frist verstrichen ist und der Versicherte sich nicht arbeitsuchend gemeldet hat. Vielmehr ist § 37 b Satz 2 SGB III bei verfassungsrechtlich gebotener geltungserhaltender Reduktion (vgl. BVerfGE 69, 1, 55 m.w.N.) dahingehend auszulegen, dass er lediglich regelt, ab wann sich ein Versicherter arbeitsuchend melden und somit die Pflicht der Beklagten zur Arbeitsvermittlung nach § 38 Abs. 4 SGB III auslösen kann.

Aus dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG, ergibt sich, dass eine Ermächtigung der Verwaltung zum Eingriff in Grundrechte durch Gesetz erfolgen und insbesondere hinreichend bestimmt sein muss. Klarheit und Bestimmtheit einer Vorschrift bedeutet Erkennbarkeit des gesetzgeberisch Gewollten. Betroffene müssen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können (BVerfGE 52, 1, 41). Das Handeln der Verwaltung muss für den Bürger voraussehbar und berechenbar sein (BVerfGE 56, 1, 12; BVerwGE 100, 230, 236; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 7. Aufl., 2004, Art. 20, Rn. 60, 61).

§ 37 b Satz 2 SGB III wird diesen Anforderungen schon deswegen nicht gerecht, weil die Vorschrift in Zusammenschau mit § 37 b Satz 1 SGB III, auf den sie sich unmittelbar bezieht, mehrere ungefähr gleich naheliegende und plausible Auslegungen zulässt, die jedoch im Einzelfall zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führen: § 37 b Satz 1 und 2 SGB III kann zum einen so verstanden werden, dass die Meldung mit Ablauf des nächsten dienstbereiten Tages zu erfolgen hat, nachdem der Versicherte Kenntnis von der Befristung hat und es nur mehr 3 Monate bis zur Beendigung des Versicherungspflichtverhältnisses sind (Satz 1 als nähere Ausgestaltung des Tatbestandsmerkmals "frühestens" in Satz 2). Denkbar ist jedoch auch eine Auslegung, wonach die Meldung ab Kennntnis und Unterschreitung der Frist erfolgen kann, jedoch nicht unverzüglich erfolgen muss (das Tatbestandsmerkmal "frühestens" in Satz 2 verdrängt das Tatbestandsmerkmal "unverzüglich" in Satz 1). Diese Unklarheiten betreffen nicht nur den isoliert betrachteten Norminhalt von § 37 Satz 2 SGB III, sondern auch die Frage, ob neben § 37 b Satz 2 SGB III noch Raum für eine subsidiäre Anwendung von § 37 b Satz 1 SGB III ist. Welche der möglichen Auslegungen die vom Gesetzgeber gewollte ist, erschließt sich den - regelmäßig mit juristischen Auslegungsmethoden ohnehin nicht vertrauten - Betroffenen selbst bei genauer Kenntnis des Wortlauts von § 37 b SGB III nicht. Die von dieser Regelung betroffenen Versicherten haben mithin keinerlei Möglichkeit, das gesetzgeberisch Gewollte zu erkennen und ihr Verhalten an der gesetzlichen Regelung auszurichten.

Es handelt sich schließlich auch nicht um einen derjenigen Fälle, in denen ein Minus an inhaltlicher Bestimmtheit zulässig ist, da der Gesetzgeber die fragliche Materie nur durch Generalklauseln und/oder durch Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe regeln kann (zu derartigen Konstellationen Jarass, a.a.O., Rn. 61). Dies mag auf die Verwendung des Begriffs "unverzüglich" in § 37 b Satz 1 SGB III zutreffen, der Begriff "frühestens" ist jedoch kein unbestimmter Rechtsbegriff.

Auch angesichts der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25.05.2005, B 11a/11 AL 81/04 R (hier zitiert nach der Presse-Mitteilung Nr. 26/05 vom 25.05.2005) braucht das Gericht nicht zu klären, ob die Klägerin ihre in § 37 b SGB III festgeschriebene Obliegenheit zur unverzüglichen Meldung kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Das Gericht sieht sich jedoch zu dem Hinweis veranlasst, dass eine Kenntnis der Obliegenheit nicht schon dann unterstellt werden kann, wenn sich der Arbeitslose nicht positiv auf die Rechtsunkenntnis beruft. Hierzu bedarf es vielmehr konkreter Anhaltspunkte und zumindest im Regelfall eines aktenkundigen Hinweises auf die geltende Rechtslage. Unterbleiben können Ermittlungen zu einer etwaigen Rechtskennntnis deswegen, weil der Minderung von Alg nach der Beendigung befristeter Versicherungspflichtverhältnisse das sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebende Erfordernis von Klarheit und Bestimmtheit einer Vorschrift entgegen steht. Genügt eine Vorschrift bereits diesen fundamentalen rechtsstaatlichen Anforderungen nicht, so kommt es auf eine Einzelfallprüfung nicht mehr an und selbst Rechtskennntnis oder eine gleichgelagerte Rechtauffassung sind für den Arbeitslosen unschädlich (vgl. SG Aachen, Urteil vom 25.05.2005, S 11 AL 27/05 - vorheriger Hinweis - und SG Aachen, Urteil vom 15.12.2004, S 11 AL 68/04 - gleiche Rechtsauffassungen -).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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