S 9 AL 59/05 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 9 AL 59/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1.Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, der Antragstellerin für April 2005 weiteres Arbeitslosengeld auszuzahlen und zwar durch Überweisung von - 235,- EUR (Miete X an.I, Kto. 0000000 bei Sparkasse B (BLZ 000 000 00) - 119,40 EUR (Kundennr.: 00000000, Vertragskto. 00000000) an T AG, KtoNr. 00, Sparkasse B (BLZ 000 000 00). 2.Der weitergehende Antrag wird abgelehnt. 3.Die Antragsgegnerin trägt 7/8 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin bewilligte der Antragstellerin Arbeitslosengeld (Bescheide vom 02.05.2005/28.04.2005) ab 01.04.2005. Ausgezahlt werden monatlich 401,70 EUR. Dabei ist eine Minderung des Arbeitslosengeldanspruchs nach § 140 SGB III um insgesamt 1.050,00 EUR, täglich 13,38 EUR, berücksichtigt, weil die Antragstellerin sich um 44 Tage zu spät arbeitsuchend gemeldet habe. Die Antragstellerin war seit dem 29.03.2004 befristet beschäftigt bis 31.03.2005. Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, die Antragstellerin hätte sich zur Vermeidung einer Minderung ihres Arbeitslosengeldanspruches spätestens am 03.01.2005 arbeitsuchend melden müssen, während die Antragstellerin tatsächlich erst am 16.02.2005 vorgesprochen habe.

Die Antragstellerin trägt vor, sie sei 1 Jahr lang befristet bei Q in B beschäftigt gewesen und habe eine mündliche Zusage über ihre Weiterbeschäftigung gehabt. Wegen einer Erkrankung sei es jedoch nicht zur Vertragsverlängerung gekommen. Sie habe 6 Wochen vor Ablauf des Arbeitsvertrages erfahren, dass sie nicht weiter beschäftigt werde und sei dann sofort zur Agentur für Arbeit gegangen und habe sich arbeitsuchend gemeldet. Der überwiesene Betrag von 401,70 EUR sei ihr von der Sparkasse nur in Höhe von 150,- EUR ausgezahlt worden, weil ihr Konto mit 1.900,- EUR überzogen sei. Sie müsse Miete und Stromkosten in Höhe von insgesamt 354,40 EUR bezahlen und habe zudem am 09.05.2005 auch noch ihre Geldbörse mit ihrem restlichen Geld und allen Papieren verloren. Sie sei deshalb völlig mittellos und benötige dringend ihre volle Leistung.

Die Antragstellerin beantragt,

die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr ihr Arbeitslosengeld I zumindest übergangsweise bis zur Entscheidung über ihren Widerspruch ungekürzt auszuzahlen.

Die telefonisch angehörte Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Die Antragstellerin habe für 1 Jahr Anspruch auf Arbeitslosengeld, die Anrechnung der Minderung nach § 140 SGB III erfolge bis 19.06.2005. Über den Widerspruch der Antragstellerin könne nicht sofort entschieden werden, da eine Auskunft der Firma Q eingeholt werden müsse.

II.

Der zulässige Antrag ist im Wesentlichen begründet. Der Antragstellerin sind Leistungen für April 2005 im tenorierten Umfang zusätzlich auszuzahlen.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass das geltend gemachte Begehren im Rahmen der beim einstweiligen Rechtsschutz allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung begründet erscheint (Anordnungsanspruch) und erfordert zusätzlich die besondere Eilbedürftigkeit der Durchsetzung des Begehrens (Anordnungsgrund). Zudem darf eine Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache nicht endgültig vorweggenommen werden (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl., § 86 b Rdnr. 31 und 40 m. w. N.).

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund (letzterer für einen Teil des Anspruchs) sind gegeben. Der Anordnungsgrund ergibt sich daraus, dass die Antragstellerin nach eigenen unwiderlegten Angaben derzeit nicht über ausreichende Mittel verfügt, fällige Miete und Stromkosten zu begleichen. Höhe und Fälligkeit sind durch Vorlage des Mietvertrages und einer zweiten Mahnung des Stromversorgungsunternehmens glaubhaft gemacht. Die Verpflichtung der Antragsgegnerin erfolgt zur Zahlung an die Gläubiger, nicht an die Antragstellerin, da deren Konto überzogen ist und deshalb der Anordnungsgrund nur so beseitigt werden kann. Hingegen ist Mittellosigkeit im Übrigen aufgrund Verlustes der Geldbörse nicht glaubhaft gemacht, da nach Auskunft des Einwohnermeldeamtes B vom 18.05.2005 der Verlust von Ausweispapieren dort noch immer nicht gemeldet ist. Auch hinsichtlich der Folgemonate ist bisher nichts vorgetragen, ggfs. kann für den nächsten Zahlungszeitraum ein neuer Eilantrag gestellt werden.

Ein Anordnungsanspruch ist gegeben, weil die Antragstellerin die Tatbestandsvoraussetzungen für den Leistungsanspruch erfüllt, wie sich aus der entsprechenden Bewilligungsentscheidung der Antragsgegnerin ergibt und die Voraussetzungen für eine Minderung des Anspruchs nach § 140 SGB III bei der Antragstellerin nicht vorliegen. Die Minderung des Arbeitslosengeldanspruchs der Antragstellerin ist offensichtlich rechtswidrig, so dass die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit obsiegen wird. Bei Abwägung der Erfolgsaussichten und der gegenläufigen Interessen der Beteiligten ergibt sich daher, dass die Antragsgegnerin zur Auszahlung weiterer Alg-I-Leistungen zu verpflichten ist und die Antragstellerin nicht auf subsidiäre Leistungen, etwa Alg-II oder Sozialhilfe, verwiesen werden kann (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, Rdnr. 12 zu § 86 b SGG).

Für die Anspruchsminderung fehlt es an der nach § 140 SGB III erforderlichen Voraussetzung, dass sich die Antragstellerin "entsprechend § 37 b SGB III nicht unverzüglich arbeitsuchend gemeldet hat". Zwar verpflichten § 37 b Satz 1 und 2 SGB III die Anspruchsinhaber grundsätzlich, sich 3 Monate vor Ablauf eines befristeten Arbeitsverhältnisses bei der Antragsgegnerin arbeitsuchend zu melden. Denn nach diesen Vorschriften besteht die Pflicht zur Arbeitsuchendmeldung unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts des Versicherungspflichtverhältnisses, bei befristeten Arbeitsverhältnissen aber frühestens 3 Monate vor deren Beendigung. D. h., dass die Arbeitsuchendmeldung bei befristeten Arbeitsverhältnissen unter 3 Monaten Dauer sofort bei Arbeitsaufnahme, bei längeren befristeten Arbeitsverhältnissen 3 Monate vor deren Ablauf zu erfolgen hat. Demnach trifft es grundsätzlich auch zu, wenn die Antragsgegnerin davon ausgeht, dass sich die Antragstellerin spätestens am 03.01.2005 arbeitsuchend melden musste. Aus der Verwendung der Begriffe "unverzüglich" (also: Ohne schuldhaftes Zögern, vgl. § 121 Abs. 1 BGB) und "Pflichtverletzung" in § 140 SGB III ergibt sich aber, dass nicht schon bloße objektive Verspätung eine Anspruchsminderung begründet, sondern dass die Kürzungsvorschriften ein Verschuldenselement enthalten, also eine Kürzung nur bei vorwerfbarem Verhalten erfolgen kann (Landessozialgericht – LSG – NRW, Urteil vom 21.09.2004, L 1 AL 51/04).

Der Gesetzesbefehl des § 37 b SGB III ist so unklar formuliert, dass er – wie die tägliche sozialgerichtliche Praxis zeigt – auch für ausgebildete Volljuristen nicht ohne weiteres verständlich zu sein scheint. Insoweit schließt sich die erkennende Kammer der Rechtsprechung der 11. Kammer dieses Gerichts (Sozialgericht Aachen, Urteil vom 23.02.2005, S 11 AL 112/04; vgl. jetzt auch SG Aachen, 9. Kammer, S 9 AL 8/05, Urteil vom 10.03.2005; S 9 AL 18/05, Gerichtsbescheid vom 22.04.2005) ausdrücklich an, wonach Satz 2 des § 37 b SGB III nicht entsprechend dem Rechtstaatsprinzip (Artikel 1 Abs. 3, Artikel 20 Abs. 3 des Grundgesetzes) hinreichend bestimmt gefasst ist, weil der gesetzgeberische Wille nicht klar genug erkennbar wird, so dass Betroffene die Rechtslage nicht erkennen und ihr Verhalten nicht danach einrichten können (BVerfGE 52, 1, 41). Denn das Tatbestandsmerkmal "frühestens" in dieser Vorschrift kann offenbar so verstanden werden – und wird jedenfalls in der Praxis von Betroffenen und ihren Bevollmächtigten ständig dahingehend verstanden – dass es das Tatbestandsmerkmal "unverzüglich" in Satz 1 derselben Vorschrift nicht ausgestaltet, sondern ersetzt, mit der Folge, dass sich der Betroffene zu einem beliebigen Zeitpunkt nach Beginn der 3-Monatsfrist arbeitslos melden könnte. Fehlt es aber an einem genügend bestimmbaren Gesetzesbefehl, so ist die verspätete Meldung der Antragstellerin nicht vorzuwerfen.

Im Übrigen ist nach Aktenlage auch nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin Kenntnis von der Verpflichtung hatte, sich am 03.01.2005 bei der Antragsgegnerin arbeitsuchend zu melden. Diese sich aus § 37 b SGB III ergebende Verpflichtung ist auch bisher nicht so allgemein bekannt, dass ihre Nichtkenntnis jedem Arbeitslosen vorgeworfen werden könnte.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 183, 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Rechtskraft
Aus
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