S 11 AL 65/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AL 65/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darum, ob die Beklagte bei der Berechnung von Insolvenzgeld (Insg) die monatliche Beitragsbemessungsgrenze als Leistungsbemessungsgrenze heranziehen durfte.

Der am 00.00.1956 geborene Kläger arbeitete vom 10.04.2001 bis zum 24.08.2001 als Aktientrader bei der Firma FUD. Mit Urteil vom 21.08.2002 verurteilte das ArbG N den ehemaligen Arbeitgeber des Klägers zur Zahlung von Vergütung iHv 54.767,36 Euro brutto. Ein Versuch der Zwangsvollstreckung im Mai 2003 blieb fruchtlos.

Den Insg-Antrag des Klägers vom 03.07.2003 (wegen des Zeitraums vom 25.05.2001 bis 24.08.2001) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07.11.2003 als verfristet ab. Sie führte aus, die Betriebseinstellung sei bereits am 13.07.2001 erfolgt, so dass die Antragsfrist am 14.09.2001 geendet habe. Der Kläger habe auch von der Betriebseinstellung Kenntnis gehabt, denn er habe am 14.07.2001 seine Arbeit in den Räumen des Arbeitgebers nicht fortsetzen können, da die Schreibtische von dort entfernt worden waren.

Seinen am 17.11.2003 erhobenen Widerspruch begründete der Kläger zunächst damit, im Juli 2001 sei lediglich der Geschäftssitz verlegt worden, gegen eine Betriebseinstellung spreche aber schon, dass sein ehemaliger Arbeitgeber im Jahr 2002 noch als Prozesspartei aufgetreten sei. Nachdem das AG Düsseldorf mit Beschluss vom 20.01.2004 den (am 29.07.2003 vom Kläger gestellten) Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgewiesen hatte, führte der Kläger ergänzend aus, nunmehr sei der 20.01.2004 eindeutig als Tag des Insolvenzereignisses festgelegt.

Die Beklagte bewilligte sodann mit Bescheid vom 19.03.2004 Insg iHv 6.916,32 Euro und erhöhte diesen Betrag mit Bescheid vom 11.05.2004 auf 7.472,35 Euro. Der Kläger erhielt seinen Widerspruch mit der Begründung aufrecht, dass ihm im Verfahren vor dem ArbG N ein wesentlich höheres Arbeitsentgelt - vor allem in Form entgangener Provisionen - zugesprochen worden sei.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 11.08.2004 zurück und führte zur Begründung aus, unter Zugrundelegung des 20.01.2004 als Insolvenzereignis gelte § 185 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) in der ab dem 01.01.2004 geltenden Fassung, wonach die Beitragsbemessungsgrenze zugleich als Leistungsbemessungsgrenze fungiere. Die Annahme eines früheren Insolvenzereignisses führe zu einem für den Kläger weit schlechteren Ergebnis, da unter Zugrundelegung des 14.07.2001 als des Tages der Betriebsstillegung der klägerische Antrag verfristet gewesen wäre (§ 324 Abs. 3 SGB III).

Hiergegen richtet sich die am 00.00.0000 erhobene Klage.

Der Kläger wiederholt und vertieft sei bisheriges Vorbringen. Er verweist auf das im Insolvenzeröffnungsverfahren vor dem AG Düsseldorf (000 IN 000/00) eingeholte Gutachten des Rechtsanwalts B, wonach der Arbeitgeber bereits im Juli 2003 nicht mehr über Mitarbeiter und Geschäftsräume verfügt habe. Im Übrigen verstoße die gesetzliche Neuregelung zur Höhe des Insg gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in Art. 3 Grundgesetz (GG), da Insolvenereignisse vor und nach dem 01.01.2004 verschieden behandelt würden. Auch verstoße es - wie das Urteil des EuGH vom 15.05.2003, C-160/01, zeige - gegen die europarechtlichen Vorgaben aus Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 80/987 EWG vom 20.10.1980, wenn § 183 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 SGB III als maßgeblichen Zeitpunkt die Entscheidung über den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und nicht schon den Antrag selbst annehme.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 19.03.2004 in der Fassung des Bescheides vom 11.05.2004 und des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2004 zu verurteilen, dem Kläger Insolvenzgeld ohne Heranziehung der Beitragsbemessungsgrenze als Leistungsbemessungsgrenze zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bleibt bei ihrer bisherigen Auffassung.

Das Gericht hat die bei der Beklagten über den Arbeitgeber des Klägers geführte Betriebsakte sowie die Akten des ArbG Mönchengladbach, 0 Ca 00/00, und des AG Düsseldorf, 000 IN 000/00, begezogen.

Hinsichtlich der wesentlichen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten sind nicht rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Dem Kläger steht kein höheres Insg zu.

Nach § 185 Abs. 1 SGB III ist der Berechnung des Insg das auf die monatliche Beitragsbemessungsgrenze (§ 341 Abs. 4 SGB III) begrenzte Bruttoarbeitsentgelt zugrunde zu legen. Diese Leistungsbemessungsgrenze gilt ab dem 01.01.2004, die vorherige Fassung ist nach § 434 j Abs. 12 Nr. 5 SGB III nur auf Ansprüche wegen Insolvenzereignissen anzuwenden, die vor dem 01.01.2004 liegen.

Ein Insolvenzereignis vor dem 01.01.2004 kann das Gericht nicht feststellen; vielmehr ist das Insolvenzereignis erst mit dem Beschluss des AG Düsseldorf vom 20.01.2004 eingetreten.

Insolvenzereignisse sind nach § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Nr. 1), die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse (Nr. 2) und die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (Nr. 3). Die Aufzählung ist abschließend; maßgeblich ist das zeitlich erste Insolvenzereignis (Schmidt, in: PK-SGB III, 2. Aufl, 2004, § 183, Rn 27, 28).

Ein Insolvenzereignis nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III ist offensichtlich nicht eingetreten, ein Insolvenzereignis nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III ist am 20.01.2004 eingetreten. Ein früheres Insolvenzereignis liegt nicht vor.

Es kann offenbleiben, ob zum Zeitpunkt des Abtransports der Schreibtische im Juli 2001 eine vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit (§ 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III) vorlag, denn es fehlte zum damaligen Zeitpunkt jedenfalls am weiteren Erfordernis, wonach zum Zeitpunkt der Betriebsstillegung ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommen darf. Für diese offensichtliche Masselosigkeit gibt es keine Indizien, vielmehr spricht dagegen, dass der Kläger im Folgenden ein arbeitsgerichtliches Verfahren (das mit dem Urteil vom 21.08.2002 endete) gegen den Arbeitgeber angestrengt und noch im Mai 2003 den Versuch einer Vollstreckung aus diesem Urteil unternommen hat.

Soweit der Kläger aus dem im Insolvenzeröffnungsverfahren vor dem AG Düsseldorf erstatteten Gutachten des Rechtsanwalts B die Feststellung ableiten will, sein ehemaliger Arbeitgeber habe die Betriebstätigkeit erst im Juli 2003 beendet, überinterpretiert er das Gutachten. Der Beweisbeschluss des AG vom 15.09.2003 enthält keine Beweisfrage, die auf die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit iSd § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III abstellt. Dementsprechend findet sich im Gutachten keine eindeutige Aussage zum Zeitpunkt der Betriebsstillegung. Die Erwähnung des Zeitpunkts Juli 2003 an der vom Kläger zitierten Stelle des Gutachtens hat ihren Grund darin, dass in diesem Monat der Insolvenzantrag gestellt worden ist. An der vom Kläger zitierten Stelle heißt es wörtlich, "dass sich im Eigentum der Schuldnerin nur Büromaterial befand, das bei Insolvenzantragstellung nicht mehr vorhanden war".

Kein Insolvenzereignis iSd § 434 j Abs. 12 Nr. 5 SGB III ist die (hier am 29.07.2003 erfolgte) Stellung des Insolvenzantrags. Der Verweis des Klägers auf die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 80/987 EWG vom 20.10.1980 geht deswegen fehl, weil diese Vorschrift durch die Richtlinie 2002/74 EG vom 23.09.2002 (Amtsblatt der EU L 270/10) mit Wirkung vom 08.10.2002 geändert worden ist und nun keine insbesondere zeitlichen Vorgaben mehr enthält, sondern dies dem nationalen Recht überlässt. Unter Geltung der Richtlinie 2002/74 EG steht § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III dem Gemeinschaftsrecht daher nicht mehr entgegen (Schmidt, aaO, Rn 43). Sämtliche der vom Kläger angeführten Urteile sind noch zum alten Recht ergangen und führen daher zu keinem anderen Ergebnis.

Die Einführung der Beitragsbemessungsgrenze als Leistungsbemessungsgrenze in § 185 Abs. 1 SGB III verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 GG. Gesetzliche Stichtagsregelungen gehören zum unentbehrlichen Instrumenarium der Gesetzgebung; sie sind mit der Verfassung vereinbar, wenn sie sich am gegebenen Sachverhalt orientieren und die Interessenlage der Beteiligten angemessen erfassen, wobei zeitlich abgestufte Regelungen geboten sein können (BVerfGE 49, 260, 275; 71, 364, 397). Eine solche zeitlich abgestufte Regelung liegt hier in Gestalt der Übergangsvorschrift in § 434 j Abs. 12 Nr. 5 SGB III vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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