S 8 AS 25/07 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 AS 25/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 B 85/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, für die Antragstellerin für die Zeit vom 01.03.2007 bis zum 31.08.2007 Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes und Leistungen für Unterkunft und Heizung als Darlehen nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Die Antragsgegnerin hat die Kosten der Antragstellerin zu erstatten.

Gründe:

Die am 00.00.1978 geborene Antragstellerin ist polnische Staatsangehörige. Sie ist Mutter einer am 00.00.2005 geborenen Tochter. Der Vater lebt zurzeit in Polen. Die Antragstellerin studiert seit dem 01.09.2002 an der Hochschule O. mit dem angestrebten Abschluss Diplom-Fachhochschule Oecotrophologie. Regelstudienzeit für dieses Studienfach beträgt 8 Semester. Mit Bescheid vom 29.10.2002 lehnte das Amt für Ausbildungsförderung beim Studentenwerk E. den Antrag auf Gewährung von Ausbildungsförderung nach dem BAföG ab. Die Antragsgegnerin bewilligte der Antragstellerin in Kenntnis der Tatsache, dass diese Studentin ist, Arbeitslosengeld II zuletzt mit Bescheid vom 11.08.2006 für die Zeit vom 01.09.2006 bis zum 28.02.2007. Eine Weiterzahlung der Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes sowie von Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit ab 01.03.2007 verweigerte die Antragsgegnerin der Antragstellerin gegenüber bislang mündlich, weil diese als Studentin keinen Anspruch auf diese Leistungen habe. Die Antragsgegnerin bewilligte allerdings ab 01.03.2007 Leistungen für die Tochter in Höhe von 152,95 EUR monatlich sowie für die Antragstellerin Mehrbedarf wegen Alleinerziehung in Höhe von 124,00 EUR monatlich.

Mit dem bei Gericht am 26.03.2007 eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt die Antragstellerin:

"Anzuordnen, das die Antragsgegnerin bis zur Entscheidung in der Hauptsache Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem zweiten Buch Sozialgesetzbuch an die Antragstellerin und ihr minderjähriges Kind H. in Höhe von 1.1290,90 EUR monatlich ab dem 05.03.2007 zahlt.".

Die Antragsgegnerin stellt sich dem Antrag entgegen und meint, gemäß § 7 Abs. 5 SGB II sei die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen über die bewilligten Leistungen hinaus ausgeschlossen.

Die Antragstellerin hat auf Anforderung durch das Gericht einen "Statusbogen" der Hochschule O. über den Studienverlauf der Antragstellerin vorgelegt.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Erforderlich sind das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs im Sinne eines zu sichernden Rechts und eines Anordnungsgrundes im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit der Entscheidung. Dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutz verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht, NJW 1997, 479; NJW 2003, 1236). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung mit der Maßgabe geboten, dass die Leistungen nicht als Zuschuss, sondern als Darlehen zu bewilligen sind. Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II. Grundsätzlich haben gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. In besonderen Härtefällen können gemäß § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen geleistet werden.

Vorliegend ist ein besonderer Härtefall anzunehmen. Allerdings weist die Antragsgegnerin zurecht darauf hin, dass allein die Tatsache, dass demjenigen, der sich in einer abstrakt förderungsfähigen Ausbildung befindet, der aber konkret aufgrund eines Leistungsausschlusses nicht gefördert wird, und der hilfebedürftig i. S. v. § 9 SGB II ist, Leistungen zum Lebensunterhalt nicht zur Verfügung gestellt werden, eine Härte nicht zu begründen vermag. Denn dies ist die regelmäßige Folge der gesetzlichen Regelung. Ein besonderer Härtefall muss über die mit dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II verbundenen Folgen, im Regelfall die Ausbildung nicht oder nur eingeschränkt fortsetzen zu können, deutlich hinausgehen (Hessisches LSG, Beschluss vom 07.11.2006 - L 7 AS 200/06 ER, L 7 B 223/06 AS -). Indes ist im vorliegenden Fall ein besonderer Härtefall anzunehmen. Ein Härtefall kann insbesondere dann gegeben sein, wenn der wesentliche Teil der Ausbildung bereits absolviert ist und der bevorstehende Abschluss (unverschuldet) an Mittellosigkeit zu scheitern droht (Hessisches LSG a. a. O.; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.03.2007 - L 7 AS 925/07 ER-B). Die Antragstellerin hat im einstweiligen Rechtsschutzverfahren glaubhaft gemacht (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO), dass ihre Ausbildung weit fortgeschritten ist. Die Antragstellerin befindet sich nach dem Statusbogen im 9. Fachsemester bei einer Regelstudienzeit von 8 Semestern, die nach dem nachvollziehbaren Vorbringen der Antragstellerin aufgrund der Schwangerschaft und der Geburt des Kindes verlängert wurde. Aus dem "Statusbogen" ist ersichtlich, dass die Antragstellerin sowohl in der zweiten Jahreshälfte 2006 als auch bereits im Februar 2007 an Prüfungen teilgenommen hat. Die in einem Telefongespräch mit dem Vorsitzenden von der Antragsgegnerin aufgestellte Vermutung, die Antragstellerin sei als Studentin lediglich eingeschrieben und studiere nicht ordentlich, ist damit im Sinne der Glaubhaftmachung widerlegt. Die Finanzierung der bisherigen Ausbildung ist durch die Antragsgegnerin durch die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen seit dem 01.01.2005 erfolgt. Zwar mag diese Leistung im Hinblick auf § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II rechtswidrig gewesen sein, da zu Beginn des Jahres 2005 die Ausbildung noch nicht so weit fortgeschritten war, dass die Abbruch eine besondere Härte gewesen wäre. Indes muss sich die Antragsgegnerin im Rahmen der Prüfung des Tatbestandsmerkmals "besondere Härte" an der "Förderung" der bisherigen Ausbildung festhalten lassen. Die Antragstellerin hat - wie sich aus dem "Statusbogen" ergibt - seit Beginn der Zahlung von Arbeitslosengeld II zahlreiche Studienleistungen erbracht. Würde sie nunmehr gezwungen, die Ausbildung aufgrund der Verweigerung der Zahlung der notwendigen Leistungen zum Lebensunterhalt durch die Antragsgegnerin gezwungen, das Studium abzubrechen, wären die bisher gezeigten Studienleistungen hinfällig. Die Antragsgegnerin wäre damit für die Verschwendung von Lebenszeit und Studienleistungen unmittelbar verantwortlich. Dieser Gesichtspunkt ist ohne weiteres geeignet, eine besondere Härte i. S. d. § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II zu begründen. Dem kann die Antragsgegnerin auch nicht mit dem schlichten Argument: "Es gibt keinen aus Unrecht abzuleitenden Anspruch" (Schriftsatz vom 29.03.2007) begegnen. Vielmehr hat die Antragsgegnerin vorliegend einen Vertrauenstatbestand gesetzt, an dem sie sich nunmehr festhalten lassen muss. Die Interessenlage ist insoweit vergleichbar mit einer rechtswidrig bewilligten Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. Auch in einem solchen Fall durfte es dem Leistungsträger regelmäßig verwehrt sein, für den Fall einer erkannten Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung diese mit Wirkung für die Zukunft abzubrechen.

§ 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II ermöglicht lediglich die Verpflichtung der Antragsgegnerin zu Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes als Darlehen. Der weitergehende Antrag der Antragstellerin war damit abzulehnen. Der vom Gericht festgelegte Leistungszeitraum orientiert sich an § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II. Sollten in der Zwischenzeit wesentliche Änderungen eintreten, ist die Antragsgegnerin berechtigt, auf diese § 48 SGB X zu reagieren. In entsprechender Anwendung von § 130 Abs. 1 SGG hat das Gericht sich auf eine Entscheidung dem Grunde nach beschränkt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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