S 23 U 67/18

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Halle (Saale) (SAN)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
23
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 23 U 67/18
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Nimmt ein Mitglied eines eingetragenen Vereins, der gemeinnützig tätig ist, dessen Zweck in der Pflege des Chorgesangs besteht, der keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgt und der als Chor regelmäßig öffentliche Auftritte veranstaltet, ehrenamtlich, unentgeltlich an einer Choraufführung teil, ist es gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4 SGB VII in Verbindung mit § 34 Abs. 2 der Satzung des für den Verein zuständigen Trägers der Unfallversicherung pflichtversichert, sofern nicht bereits eine gesetzliche Pflichtversicherung nach § 2 SGB VII oder eine freiwillige Versicherung besteht.


§ 3 SGB VII
(1) Die Satzung kann bestimmen, daß und unter welchen Voraussetzungen sich die Versicherung erstreckt auf

4. ehrenamtlich Tätige und bürgerschaftlich Engagierte



§ 34 Versicherung kraft Satzung

(2) Unfallversicherungsschutz besteht für ehrenamtlich Tätige und bürgerschaftlich Engagierte, soweit diese nicht schon nach § 2 SGB VII gesetzlich oder freiwillig versichert sind. Die Tätigkeit muss unentgeltlich ausgeübt werden, dem Gemeinwohl dienen und für eine Organisation erfolgen, die ohne Gewinnerzielungsabsicht Aufgaben ausführt, welche im öffentlichen Interesse liegen oder gemeinnützige bzw. mildtätige Zwecke fördern (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 SGB VII).
1. Der Bescheid der Beklagten vom 1. März 2018 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 20. Juni 2018 wird aufgehoben und es wird festgestellt, dass der Unfall am 3. Dezember 2016 ein Arbeitsunfall ist.

2. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung eines Unfalls vom 3. Dezember 2016 als Arbeitsunfall.

Die 1965 geborene Klägerin ist Mitglied des ... e.V. und tritt mit dem ... in der Öffent-lichkeit auf.

Am 3. Dezember 2016 erlitt die Klägerin auf dem Weg von ihrer Wohnung in ... zu ei-nem Auftritt des ... in der Kirche des ... einen Verkehrsunfall, bei dem sie sich eine Humerusfraktur, eine Kieferhöhlenfraktur, eine Fraktur des 6. und des 7. Halswirbels, eine Brustwirbelfraktur T4 und eine Rippenserienfraktur zuzog.

Am 23. November 2017 zeigte die Klägerin den Unfall der Beklagten an und berief sich auf deren Zuständigkeit nach § 34 der Satzung der Beklagten (nachfolgend Satzung). Die Beklagte leitete den Antrag unter dem 1. Dezember 2017 an die VBG weiter. Die VBG nahm die Ermittlungen auf.

Unter dem 3. Januar 2018 teilte die Vorsitzende des ... e.V. mit, das ... habe ihnen le-diglich die Räumlichkeiten der Kirche in ... für den Auftritt zur Verfügung gestellt. Es habe sich nicht um einen Auftritt im Auftrag der ... Kirchengemeinde oder des ... ge-handelt. Unter dem 16. Januar 2018 teilte der Pfarrer des ... mit, der Auftritt sei in ge-genseitigem Einvernehmen erfolgt. Die Kirchengemeinde habe ihre Räumlichkeiten dem zur Verfügung gestellt. Eine spezielle Vereinbarung dazu habe es nicht gegeben.

Die Beklagte erhielt die Vereinssatzung des ... e.V. vom 10. Oktober 2016 (nachfolgend Vereinssatzung) die auszugsweise wie folgt lautet:

§ 3 Zweck und Steuerbegünstigung

1. Der Verein verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige/mildtätige/kirchliche Zwecke im Sinne des Abschnitts "steuerbegünstigte Zwecke" der Abgabenordnung. Zweck des Vereins ist die Pflege des Chorgesangs: a. Durch regelmäßige Proben bereitet sich die Chorgruppe für Konzerte und andere musikalische Veranstaltungen vor. Sie stellen sich dabei auch in den Dienst der Öffentlichkeit. b. Der Verein ist selbstlos tätig; er verfolgt nicht in 1. Linie eigenwirtschaftliche Zwecke. c. Mittel des Vereins dürfen nur für die satzungsmäßigen Zwecke ver-wendet werden. Die Mitglieder erhalten keine Zuwendungen aus den Mitteln des Vereins. Es darf keine Person durch Ausgaben, die dem Zweck des Vereins fremd sind, oder durch unverhältnismäßig hohe Vergütungen begünstigt werden.

Mit Bescheid vom 25. Januar 2018 lehnte es die VBG ab, Leistungen aus Anlass des Unfalles vom 3. Dezember 2016 zu gewähren, weil die Klägerin im Unfallzeitpunkt nicht bei ihr versichert gewesen sei.

Mit Bescheid vom 1. März 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2018 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Unfalls vom 3. Dezember 2016 als Arbeitsunfall ab.

Mit der am 3. Juli 2018 vor dem Sozialgericht Halle erhobenen Klage verfolgt die Kläge-rin die Anerkennung des Unfalls vom 3. Dezember 2016 als Arbeitsunfall weiter. Die Klägerin trägt vor, sie sei im Zeitpunkt des Unfalls nach § 34 Abs. 2 der Satzung bei Beklagten versichert gewesen. Von dieser Vorschrift würden Aufgaben umfasst, die im öffentlichen Interesse lägen oder gemeinnützige bzw. mildtätige Zwecke förderten. Ne-ben ehrenamtlich Tätigen seien auch bürgerschaftlich Engagierte geschützt. Auch der Sinn und Zweck der Satzungsregelung spreche für einen Versicherungsschutz. Ent-scheidend sei nicht nur, dass die Organisation an sich gemeinnützig, sondern auch die konkrete Tätigkeit gemeinnützig sei bzw. mildtätigen Zwecken diene.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 1. März 2018 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 20. Juni 2018 aufzuheben und festzustellen, dass der Unfall vom 3. Dezember 2016 ein Arbeitsunfall ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich im Wesentlichen auf ihre Ausführungen in ihrem Wider-spruchsbescheid.

Die Klägerin hat die Niederschrift über eine Aussprache zwischen dem Pfarrer ... und der Eltern der Klägerin als Vorsorgeberechtigte vom 30. Oktober 2018 vorgelegt. Hier-nach habe der Pfarrer ausdrücklich betont, dass der ... Frauenchor von der Kirchen-gemeinde zu dem Konzert mündlich eingeladen worden sei.

Die Beklagte hat einen Auszug aus der Niederschrift der 4. Sitzung der Vertreterver-sammlung vom 20. November 2007 vorgelegt.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung der Kammer. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Betei-ligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwie-sen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 1. März 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2018 ist rechtswidrig und be-schwert die Klägerin im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin hat einen Anspruch auf Anerkennung des Unfalls vom 3. Dezember 2016 als Arbeitsun-fall.

Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich (auf eine Arbeitsschicht) begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII). Das bedeutet, dass die Verrichtung, die der Versicherte zur Zeit des Unfalls ausübt, der ver-sicherten Tätigkeit zuzurechnen sein muss, dass diese Verrichtung zu dem von außen auf den Körper wirkenden Ereignis geführt hat und dass dieses Unfallereignis einen Gesundheits(erst)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht haben muss (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes [BSG], vgl. nur Urteil vom 30. Januar 2007 – B 2 U 23/05 R – juris).

Die versicherte Tätigkeit, das Unfallereignis und der Gesundheitserstschaden müssen im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen sein. Dies bedeutet, dass das erkennende Gericht zu der vollen Überzeugung hinsichtlich dieser behaupteten anspruchsbegrün-denden Tatsache gelangen muss. Erforderlich ist, dass die Kammer die Tatsache mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, also in einem so hohen Grade für wahr-scheinlich hält, dass keine vernünftigen Zweifel mehr bestehen.

Die Klägerin hat am 3. Dezember 2016 einen Verkehrsunfall erlitten, bei dem sie sich eine Humerusfraktur, eine Kieferhöhlenfraktur, eine Fraktur des 6. und des 7. Halswir-bels, eine Brustwirbelfraktur T4 und eine Rippenserienfraktur zugezogen hat. Das Un-fallereignis und der Gesundheitserstschaden sind vollbeweislich gesichert.

Die Klägerin hat im Zeitpunkt des Verkehrsunfalles eine in der gesetzlichen Unfallversi-cherung versicherte Tätigkeit ausgeübt. Zu den in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Tätigkeiten zählt gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden un-mittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Auf einem solchen Weg hat sich die Klägerin befunden. Ziel ihrer Fahrt war die Kirche in ... , in der die Klägerin mit dem ... e.V. auftreten wollte. Der Weg, den die Klägerin im Zeitpunkt des Verkehrsunfalls zurückgelegt hat, war auch der unmittelbare Weg von ihrem Wohnort zur Kirche.

Die Klägerin wäre auch, hätte sie am Chorauftritt des ... e.V. teilgenommen, bei der Beklagten unfallversichert. Die Versicherteneigenschaft ergibt sich aus § 34 Abs. 2 der im Zeitpunkt des Unfalls geltenden Satzung der Beklagten.

Nach § 34 Abs. 2 der Satzung besteht Unfallversicherungsschutz für ehrenamtlich Täti-ge und bürgerschaftlich Engagierte, soweit diese nicht schon nach § 2 SGB VII gesetz-lich oder freiwillig versichert sind. Die Tätigkeit muss unentgeltlich ausgeübt werden, dem Gemeinwohl dienen und für eine Organisation erfolgen, die ohne Gewinnerzie-lungsabsicht Aufgaben ausführt, welche im öffentlichen Interesse liegen oder gemein-nützige bzw. mildtätige Zwecke fördern (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 SGB VII).

Mit der satzungsmäßigen Erweiterung des Versicherungsschutzes ist die Beklagte der Ermächtigung des § 3 Abs. 1 Nr. 4 SGB VII gefolgt. Hiernach kann die Satzung be-stimmen, dass und unter welchen Voraussetzungen sich die Versicherung erstreckt auf ehrenamtlich Tätige und bürgerschaftlich Engagierte. Dabei ist die Beklagte auch be-rechtigt festzulegen, unter welchen Voraussetzungen ehrenamtlich Tätige und bürger-schaftliche Engagierte bei ihr versichert sind. Soweit sie den Kreis mit § 34 Abs. 2 der Satzung nicht auf alle "ehrenamtlich Tätigen" und "bürgerschaftlich Engagierte" er-streckt hat, steht dem § 3 Abs. 1 Nr. 4 SGB VII nicht entgegen.

Der Auftritt des Frauenchores am 3. Dezember 2016 erfolgte für den ... e.V ... Der ... ist ein eingetragener Verein, besteht gemäß § 56 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) aus mindestens sieben Mitgliedern und stellt daher eine Organisation im Sinne des § 34 Abs. 2 Satz 2 der Satzung dar.

Der ... e.V. verfolgt mindestens auch gemeinnützige Zwecke im Sinne des § 34 Abs. 2 Satz 2 der Satzung. Was unter gemeinnützigen Zwecken zu verstehen ist, ist der Sat-zung der Beklagten nicht zu entnehmen. Auch im SGB VII findet sich keine Definition der gemeinnützigen Zwecke. Es kann daher auf die Abgabenordnung (AO) zurückge-griffen werden, die in § 52 Gemeinnützige Zwecke näher bestimmt.

Gemeinnützige Zwecke verfolgt eine Körperschaft nach § 52 Abs. 1 Satz der AO, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sitt-lichem Gebiet selbstlos zu fördern. Nach § 52 Abs. 1 Satz 2 AO ist eine Förderung der Allgemeinheit nicht gegeben, wenn der Kreis der Personen, dem die Förderung zugute-kommt, fest abgeschlossen ist, zum Beispiel Zugehörigkeit zu einer Familie oder zur Belegschaft eines Unternehmens, oder infolge seiner Abgrenzung, insbesondere nach räumlichen oder beruflichen Merkmalen, dauernd nur klein sein kann. Nach § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AO sind unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 als Förde-rung der Allgemeinheit anzuerkennen: die Förderung von Kunst und Kultur.

Der ... e.V. verfolgt im Sinne der Abgabenordnung gemeinnützige Zwecke. So ist dies nicht nur in § 3 Nr. 1 Satz 1 der Vereinssatzung des ... e.V. vom 10. Oktober 2016 ge-regelt, sondern ergibt sich auch aus dem Zusammenhang der Bestimmungen der Ver-einssatzung. So ist Verein nach § 3 Nr. 1 Satz 2 Buchstabe b der Vereinssatzung selbstlos tätig und dient der Pflege des Chorgesangs und damit der Förderung der Allgemeinheit im Sinne der Förderung von Kunst und Kultur (§ 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AO). Der Kreis der Personen, dem die Förderung zugutekommt, ist nicht fest abgeschlossen. Vielmehr stellt sich der Verein laut § 3 Nr. 1 Satz 2 a Satz 2 Vereinssatzung in den Dienst der Öffentlichkeit.

Der ... e.V. verfolgt auch keine Gewinnerzielungsabsicht. Dies ergibt sich aus § 3 Nr. 1 Satz 2 Buchstabe b der Satzung, wonach nicht in 1. Linie eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt werden. Dies schließt zwar grundsätzlich nicht aus, dass der Verein Gewinn macht, steht aber nicht im Vordergrund des Vereinszwecks.

Damit liegen bei dem ... e.V. die Voraussetzungen einer Organisation im Sinne des § 34 Abs. 2 Satz 2 der Satzung vor.

Die Tätigkeit der Klägerin wäre, hätte sie an der Aufführung des Frauenchores in der Kirche ... teilgenommen, ehrenamtlich und unentgeltlich erfolgt. Dabei setzt bereits der Begriff "ehrenamtlich" die Unentgeltlichkeit voraus (BSG Urteil vom 18. Dezember 1974 – 2/8 RU 34/73 – juris RdNr. 29). Soweit das Bundessozialgericht zudem die Aus-übung eines "Amtes" für eine ehrenamtliche Tätigkeit verlangt hat (siehe BSG, Urteil vom 27. Juni 1991 – 2 RU 26/90 – juris RdNr. 22), ist dieser Begriff im Zusammenhang mit § 3 Abs. 1 Nr. 4 SGB VII und § 34 Abs. 2 der Satzung sehr weit auszulegen. Es muss sich insbesondere nicht um ein öffentliches Amt handeln. So sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 Buchstabe d SGB VII ehrenamtlich Tätige in der Landwirtschaft pflichtversichert. Dabei handelt es sich um Personen, die dem Ziel nach der Erhaltung, Unterstützung und Entwicklung der Landwirtschaft im weitesten dienen (Rolfs, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Auflage § 2 SGB VII RdNr. 10). So sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 12 SGB VII ehrenamtlich Tätige in Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen und Zivilschutz pflichtversichert. Versichert sind neben den unmittelbar zur Hilfe eingesetzten Personen alle ansonsten im Unternehmen unentgeltlich Tätigen, soweit Sachnähe zu diesem Unternehmenszweck besteht, einschließlich der Ausbildung. Erforderlich ist nicht die Mitgliedschaft; ein einmaliger Einsatz reicht (Holtstraeter in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 6. Auflage RdNr. 36). Entsprechendes gilt auch für ehrenamtlich Tätige im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 10 a und b SGB VII. Als "Amt" ist mithin jede freiwillige oder pflichtgemäße Übernahme eines verantwortlich wahrzunehmenden eigenen Pflichtenkreises anzusehen, wobei sich diese nicht auf das Außenverhältnis zur Allgemeinheit beziehen muss.

Soweit hiernach schon einfachste Hilfstätigkeiten ehrenamtliche Tätigkeit erfasst sind, auch nur einmalige, gelegentliche oder auf wenige Stunden beschränkte (Lilienfeld in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, 106. EL September 2019 RdNr. 48), ist ein Chorauftritt, soweit dieser dem Zweck des Vereins dient, eine ehrenamtliche Tätig-keit. Die Ausübung eines Vorstandsamtes wird hingegen nicht gefordert.

Zweck des Vereins ist die Pflege des Chorgesangs im Dienst der Öffentlichkeit (§ 3 Nr. 1 Satz 2 a der Vereinssatzung). Hierzu gehört auch der Auftritt als Chor in der Öffent-lichkeit, hier der Kirche. Jede einzelne Chorsängerin, die sich dem Verein verpflichtet fühlt und an dem Auftritt teilnimmt, ist während dieses Auftritts ehrenamtlich tätig.

Der Auftritt des Frauenchores am 3. Dezember 2016 in der Kirche ... hat auch im Sinne des § 34 Abs. 2 der Satzung dem Gemeinwohl gedient. Was dem Wohl der Allgemein-heit dient, ist weder in der Satzung der Beklagten geregelt, noch in dem SGB VII. Eine ehrenamtliche Tätigkeit für eine gemeinnützige Organisation in der Öffentlichkeit kann bereits für sich dem Dienst für die Allgemeinheit zugeordnet werden. Die Beklagte selbst hat in der Beschlussvorlage an die Vertreterversammlung zur 4. Sitzung am 20. November 2007 zur Begründung der Änderung des § 34 Abs. 2 der Satzung den Begriff des "Gemeinwohls" definiert. Die Beklagte hat hierzu ausgeführt:

"Die Beschränkung auf Organisationen, die ohne Gewinnerzielungsabsicht tätig sind und im öffentlichen Interesse liegende Aufgaben oder gemeinnützige bzw. mildtätige Zwecke fördern, konkretisiert das Kriterium der gemeinwohlorientierten Tätigkeit."

Eine Tätigkeit dient hiernach dem Gemeinwohl, wenn sie für eine Organisation erbracht wird, die ohne Gewinnerzielungsabsicht, im öffentlichen Interesse liegende Aufgaben oder gemeinnützige bzw. mildtätige Zwecke fördert. Wie bereits ausgeführt ist der ... e.V. eine entsprechende Organisation, wie sie von der Beklagten in der Beschlussvorla-ge beschrieben wird.

Die Klägerin wäre bei der Teilnahme an dem Auftritt des Frauenchores am 3. Dezember 2016 nicht nach § 2 SGB VII gesetzlich oder freiwillig anderweitig versichert gewesen. Als ehrenamtlich Tätige scheidet eine Versicherungspflicht als Beschäftigte (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII) oder Wie-Beschäftigte (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII) bereits aus. Insbesondere liegen auch nicht die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 10 SGB VII vor. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 Buchstabe a SGB VII sind Personen, die für Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts oder deren Verbände oder Arbeits-gemeinschaften, für die in den Nummern 2 und 8 genannten Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in be-sonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von Gebietskörperschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen, gesetzlich in der Unfallversicherung versichert. Der ... e. V. ist kein Verband des öffentlichen Rechts. Als privatrechtliche Organisation war er auch nicht im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung von Gebietskörperschaften ehrenamtlich tätig.

Nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 Buchstabe b SGB VII sind Personen für öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften und deren Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisati-onen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftli-cher Genehmigung von öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen, pflichtver-sichert. Der ... e.V. ist nicht für eine Religionsgemeinschaft öffentlich-rechtlich tätig geworden. Die Kirche hat ihre Räumlichkeiten für den Auftritt zur Verfügung gestellt, ohne dass es sich um eine Tätigkeit für die Religionsgemeinschaft gehandelt hat, auch nicht im Auftrag. Dies hat die Vorsitzende des ... e.V. der Beklagten unter dem 3. Januar 2018 mitgeteilt. Eine Vereinbarung zwischen dem ... e.V. und dem Pfarramt hat es nach dem Schreiben des Pfarrers ... vom 16. Januar 2018 nicht gegeben.

Die Klägerin kann sich aus diesen Gründen auf den Versicherungsschutz des § 34 der Satzung berufen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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