S 17 KR 558/15

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Halle (Saale) (SAN)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 17 KR 558/15
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 14. April 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 2015 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 26. März 2015 bis 17. Mai 2015 Krankengeld zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger 50 % der notwendigen außergericht-lichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Umstritten ist ein Anspruch des Klägers auf Zahlung von Krankengeld.

Der am ... 1975 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzliche krankenversichert. Laut Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung (AU-B) vom 5. Februar 2015 (bis 20. Februar 2015) war der Kläger arbeitsunfähig wegen einer Hernia inguinalis, einseitig oder ohne Seitenangabe, ohne Einklemmung und ohne Gangrän, nicht als Rezidivhernie bezeichnet (K40.90 G R). Es folgten weitere AU-B vom 24. Februar 2015 (AU bis 28.Februar 2015), 2. März 2015 (AU bis 13. März 2015) und 13. März 2015 (AU bis 25. März 2015). Der Kläger bezog seinerzeit Arbeitslosengeld. Der Bezug endete am 18. März 2015. Seit dem 19. März 2015 bezog der Kläger Krankengeld. Das kalendertäglich an den Kläger ausgezahlte Krankengeld betrug 19,81 EUR. Für den 25. März 2015 war eine OP zur Versorgung des Leistenbruchs vorgesehen. Laut schriftlicher Mitteilung des Facharztes für Chirurgie und spezielle Unfallchirurgie Dr. med ... vom 3. Juli 2018, die das Gericht im vorliegenden Klageverfahren einholte, wurde die OP verschoben. Sie wurde am 1. April 2015 durchgeführt Ein medizinischer Grund habe dafür nach der Krankenakte nicht vorgelegen. In einem Schreiben an die Beklagte bescheinigte die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dipl.-Med ..., dass bezüglich des die Arbeitsunfähigkeit begründenden Leistenbruchs für den 25. März 2015 eine Operation durch den Chirurgen Dr ... vorgesehen sei. Die Arbeitsunfähigkeit bestehe voraussichtlich nach der Operation fort; der Zeitpunkt des Wiedereintritts der Arbeitsfähigkeit sei fraglich. Das Schreiben ging der Beklagten am 20. März 2015 per Telefax zu. Am 2. April 2015 bescheinigte Dr ... im Rahmen eines Auszahlungsscheins die voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis zum 24. April 2015. In der Folgezeit bescheinigte Dr ... am 17. April 2015 (bis 30. April 2015) am 30. April 2015 (bis 17. Mai 2015), die am 18. Mai 2015 (bis 24. Mai 2015, am 26. Mai 2015 (bis 3. Juni 2015), am 3. Juni 2015 (bis 12. Juni 2015), am 12. Juni 2015 (bis 30. Juni 2015) und am 1. Juli 2015 (bis 15. Juli 2015) weitere Arbeitsunfähigkeit des Klägers.

Bereits mit Bescheid vom 14. April 2015 lehnte die Beklagte die Zahlung von Kranken-geld ab dem 26. März 2015 ab. Dagegen legte der Kläger am 21. April 2015 Wider-spruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. Oktober 2015 zurück-wies.

Dagegen wiederum richtet sich die am 13. November 2015 erhobene Klage. Der Kläger hält den Bescheid der Beklagten vom 14. April 2015 für rechtswidrig. Zur Begründung hat er angeführt: er sei seit dem 5. Februar 2015 dauerhaft und durchgängig arbeitsunfähig gewesen. Dies sei durch Dr ... auch bescheinigt worden. Der für den 25. März 2015 geplante OP Termin hätte verschoben werden müssen, weil der Kläger nicht narkosefähig gewesen sei. Auf Nachfrage in der Praxis am 25. März 2015 bezüglich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei ihm mitgeteilt worden, dass diese dann am 2. April 2015 ausgestellt werde, was kein Problem wäre. Dem habe der Kläger vertraut, hätte anderenfalls auf der Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bestanden. Entgegen den Annahmen der Beklagten habe eine Pflichtversicherung als Bezieher von Leistungen nach dem SGB II nicht bestanden.

Der Kläger beantragt zu erkennen: Unter Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 14. April 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 2015 wird die Beklagte verurteilt, dem Kläger über den 25. März 2015 hinaus Krankengeld zu gewähren.

Der Beklagte beantragt zu erkennen: Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte hält ihre Bescheide für rechtmäßig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Betei-ligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwie-sen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) ist teilweise begründet.

Gegenstand (§ 95 SGG) der Klage ist der Bescheid der Beklagten vom 14. April 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 2015.

Der prozessuale Anspruch (Streitgegenstand) ist auf Gewährung von Krankengeld vom 25. März bis 15. Juli 2015 gerichtet.

Der Kläger hat Anspruch auf Krankengeld für die Zeit vom 26. März bis 17. Mai 2015. Über den Zeitraum hinaus besteht der Anspruch nicht.

Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Krankengeld ist § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V (in der bis zum 22. Juli 2015 geltenden Fassung: a.F.). Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn - was hier allein einschlägig ist - Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Ob und in welchem Umfang Versicherte Krankengeld beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestandes für das Krankengeld vorliegt. Nach § 46 Satz 1 SGB V (in der bis zum 22. Juli 2015 geltenden Fassung: a.F.) entsteht der Anspruch auf Krankengeld - abweichend von dem hier nicht vorliegenden Fall der Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationsein-richtung "von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der AU folgt" (§ 46 S 1 Nr 2 SGB V a.F.); maßgebend für den Krankengeld-Beginn ist dabei nicht der "wirkliche" oder der "ärztlich attestierte" Beginn der AU, sondern der Folgetag nach der ärztlichen Feststellung (vgl. BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 22/15 R –, juris, Rn. 15).

Es obliegt dem Versicherten, zur Vermeidung einer Unterbrechung von Krankengeld-Ansprüchen (und zum Erhalt eines durchgehenden umfassenden Krankenversiche-rungsschutzes Pflichtversicherter) für eine Folge-AU-Bescheinigung spätestens am letzten Tag der zuvor bescheinigten AU Sorge zu tragen. Sinn und Zweck all dessen ist es - wie schon in der Entstehungsgeschichte der Normen zum Ausdruck kommt -, beim Krankengeld Missbrauch und praktische Schwierigkeiten zu vermeiden, zu denen die nachträgliche Behauptung der AU und deren rückwirkende Bescheinigung beitragen könnten (vgl. BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 22/15 R –, juris, Rn. 20). Bis zum 17. Mai 2015 lag eine im Sinne des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V lückenlose Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit des Klägers vor. Das Schreiben der Fachärztin für Allgemeinmedizin ... vom 25 März 2015 stellt eine ausreichende AU-Bescheinigung dar, die unmittelbar an die bis zum 25. März 2015 geltende Arbeitsunfä-higkeitsbescheinigung vom 13. März 2015 anschloss. Zwar wurde die OP nicht wie ge-plant am 25. März 2015 durchgeführt. Angesichts der bis dahin bescheinigten Arbeits-unfähigkeit wegen des nicht operierten Leistenbruchs musste die Beklagte davon aus-gehen, dass die Arbeitsunfähigkeit ohne die Operation erst recht auf unbestimmte Zeit fortbesteht. Wenn schon nach durchgeführter Operation der Zeitpunkt des Wiederein-tritts der Arbeitsfähigkeit fraglich war, ist ohne weiteres davon auszugehen, dass dies erst recht gilt, solange die Operation nicht durchgeführt wird. Demgemäß schloss dann auch die weitere Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit durch Dr ...vom 2. April 2015 lückenlos an die Bescheinigung vom 25. März 2015 an, weil in letzterer ein bestimmter Zeitraum nicht angegeben war. Diesem Verständnis von der lückenlosen Bescheinigung einer Arbeitsunfähigkeit entspricht auch der Ratio des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V (a.F.) (vgl. BSG aaO.). Aufgrund der nachfolgenden Bescheinigungen durch Dr ... vom 17. April 2015 und 30. April 2015 bestand im Ergebnis eine lückenlose Bescheinigung der Arbeit Unfähigkeit bis einschließlich 17. Mai 2015. Neuer

Diese Kette lückenloser Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ist hingegen seit dem 18. Mai 2015 unterbrochen. Wegen der Bescheinigung vom 18. Mai 2015 ist die Arbeitsun-fähigkeit erst wieder mit Wirkung ab dem 19. Mai 2015 bescheinigt.

Mit dem Ende des Arbeitslosengeldbezuges endete zugleich die Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V. Die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung blieb lediglich gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V während des Bezuges von Krankengeld bis zum 17. Mai 2015 erhalten. Wegen der am 18. Mai 2015 entstandenen Lücke bei der Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit endete am 17. Mai 2015 auch die die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung mit einem Anspruch auf Krankengeld.

Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Krankengeld ab dem 19. Mai 2015 im Rahmen nachgehenden Versicherungsschutzes nach § 19 Abs. 2 SGB V liegen nicht vor. Endet die Mitgliedschaft versicherungspflichtige, besteht gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB V Anspruch auf Leistungen längstens für einen Monat nach dem Ende der Mit-gliedschaft, solange keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird. Ausgehend davon, dass der Kläger nach dem 25. März 2015 kein ALG II bezogen hatte, war er jedenfalls seit dem 18. Mai 2015 im Rahmen der Auffangversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ge-setzlich pflichtversichert bis zum erneuten Bezug von Arbeitslosengeld ab dem 16. Juli 2015. Aus der Versicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V folgt jedoch kein Anspruch auf Krankengeld (§ 44 Abs. 2 Nr. 1 SGB V) Gemäß § 5 Abs. 8a Satz 4 SGB V gilt der Anspruch auf Leistungen nach § 19 Abs. 2 SGB V nicht als Absicherung im Krankheits-fall im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V. § 5 Abs. 8a Satz 4 SGB V bezweckt, grund-sätzlich den Vorrang der Auffangversicherung (§ 5 Abs 1 Nr 13 SGB V) gegenüber ei-nem nachwirkenden Leistungsanspruch nach § 19 Abs 2 SGB V festzulegen. Maßgeb-lich ist der zu erwartende Ablauf bei vorausschauender Betrachtung. Dies entspricht den allgemeinen Grundsätzen bei der Feststellung der Versicherungspflicht (vgl. BSG, Urteil vom 10. Mai 2012 – B 1 KR 19/11 R –, juris, Rn. 33). Ein nachwirkender Anspruch nach dem Ende der Mitgliedschaft verdrängt dagegen ausnahmsweise die Auf-fangversicherung, wenn bei prognostischer Betrachtung davon auszugehen ist, dass die betroffenen Versicherten spätestens nach Ablauf eines Monats nach dem Ende ihrer bisherigen Mitgliedschaft eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall erlangen werden (vgl. BSG, Urteil vom 10. Mai 2012 – B 1 KR 19/11 R –, juris, Rn. 34).

Prognostisch gesehen war angesichts der fortdauernden Arbeitsunfähigkeit nicht ab-sehbar, dass der Kläger ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis aufnehmen würde. Sofern die Beklagten in den Gründen ihres Widerspruchsbescheides von ALG II Bezug ausging, ist dies im Ergebnis ohne Bedeutung, denn es ist nicht er-sichtlich, ob der Kläger jedenfalls spätestens am 17. Juni 2015 Anspruch auf ALG II gehabt hätte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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