Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Halle (Saale) (SAN)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 5 AS 2203/18
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Soweit sich die schulische Bildung mit einer im Einzelfall für die Schüler bzw. deren Eltern verbindlichen bzw. zwingenden - also auf Vorgabe der Gesamtkonferenz (§§ 27, 28 SchulG LSA) - Nutzung von Notebooks technisch fortentwickelt, stellen sich diese Notebooks oder Tablets bei entsprechender technischer Ausstattung im Hinblick auf den verfolgten Bildungszweck letztlich als mit Schulbüchern vergleichbar und damit als erforderliches Lernmittel dar. Wenn zur Deckung dieses Bedarfs nicht auf den Regelbedarf und die damit verbundene Ansparkonzeption verwiesen werden kann, werden solche Sondersituation zur Bedarfsdeckung bei verfassungskonformer Auslegung dem Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II zugeordnet.
Der Bescheid vom 11. Juni 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2018 wird aufgehoben und der Beklagte verurteilt, dem Kläger angefallene Kosten für die Anschaffung des Tablets "Surftab Twin 10.1 (2017)" in Höhe von 210 EUR zu gewähren.
Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Die Berufung wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Kostenübernahme für ein im Schulunterricht zu verwendendes Tablet des Klägers im Rahmen von Leistungen nach dem SGB II.
Der am ... 2005 geborene Kläger steht gemeinsam mit seinen Eltern und drei Geschwistern im fortlaufenden Leistungsbezug bei dem Beklagten und besuchte im streitigen Zeitraum als Schüler die Integrierte Gesamtschule (IGS) ... in ... Mit dem Schreiben vom 17. April 2018 teilte die Schulleitung den Eltern des Klägers mit, dass die 54. Gesamtkonferenz zur Erfüllung des Lehrplans Mathematik die Einführung eines jahrgangseinheitlichen programmierbaren Taschenrechners oder eines jahrgangseinheitlichen Netbooks ab Klasse 8 beschlossen habe. Die Beschaffung sei gemäß § 43 SchulG LSA Sache der Eltern. Für den Jahrgang des Antragstellers beträfe dies das Gerät "Surftab Twin 10.1 (2017)". Der Schulförderverein " ..." unterbreitete den Eltern das Angebot der zentralen Beschaffung der Tablets einschließlich eines Virenschutzprogrammes und der Durchführung von Reparaturen und der ggf. erforder-lichen Bereitstellung eines Ersatzgerätes zum Preis von 210 Euro. In einem Informationsschreiben vom 23. April 2018 teilte der Schulförderverein mit, dass Eltern, die keine Leistungen nach dem SGB II, SGB XII oder AsylbLG bezögen, einen Antrag auf Ratenzahlung stellen könnten.
Am 16. Mai 2018 beantragte der Kläger die Übernahme der Kosten für das Tablet als Leistungen für Bildung und Teilhabe beim Beklagten. Mit Bescheid vom 11. Juni 2018 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab. Es handele sich nicht einen Bedarf für Bildung und Teilhabe. Den dagegen am 11. Juli 2018 erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 2018 zurück. Eine Übernahme käme auch nach § 21 Abs. 6 SGB II nicht in Betracht, weil mit dem Tablet kein laufender und atypischer Bedarf gedeckt werden solle.
Dagegen hat der Kläger am 8. August 2018 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Halle erhoben. Er trägt vor, dass er das Tablet zur Integration in den laufenden Schulbetrieb anschaffen müsse, er zu dieser Anschaffung gezwungen und diese aus eigenen finanziellen Mitteln nicht tragbar sei. Die am 1. August 2018 zum Schulanfang gewährten Leistungen zur Bildung und Teilhabe in Höhe von 70 Euro seien nicht ausreichend, um die Anschaffungen für die Schule zu decken. Mit diesem Geld seien Bücher, Schreibutensilien und sonstige Arbeitsmaterialien anzuschaffen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 11. Juni 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2018 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger angefallene Kosten für die Anschaffung des Tablets "Surftab Twin 10.1 (2017)" in Höhe von 210 EUR zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verteidigt die angefochtene Verwaltungsentscheidung.
Am 21. September 2018 hat der Kläger um einstweiligen Rechtsschutz hinsichtlich der Gewährung eines Darlehens nachgesucht (S 27 AS 2550/18 ER). Mit dem Beschluss vom 15. Oktober 2018 im Verfahren S 27 AS 2550/18 ER wurde der Beklagte zur Gewährung eines Darlehens in Höhe von 210 EUR verpflichtet.
Am 29. Oktober 2018 überwiesen die Eltern des Klägers den Betrag von 210 EUR zum Kauf des Tablets an den Schulförderverein.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht entscheidet im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).
Die Klage hat Erfolg.
Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 11. Juni 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten i.S.v. § 54 SGG. Der Kläger hat einen Anspruch auf die endgültige Gewährung der ihm bereits darlehensweise erbrachten Kosten für das Schultablet in Höhe von 210 EUR.
Rechtlicher Anknüpfungspunkt für den geltend gemachten Bedarf des im betroffenen Zeit-raum nach dem SGB II leistungsberechtigten Klägers ist § 21 Abs. 6 SGB II. Gemäß § 21 Abs. 6 SGB II wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist gemäß § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Bei den Kosten für Schulbücher, die Schüler mangels Lernmittelfreiheit selbst kaufen müssen, gilt, dass diese durch das Jobcenter als Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II zu übernehmen sind und diese Rechtsgrundlage in dieser Sondersituation unmittelbare Anwendung findet, ohne dass es einer Analogie bedarf (BSG, Urteil vom 8. Mai 2019 - B 14 AS 13/18 R -). Der Bedarf für Schulbücher ist bei verfassungskonformer Auslegung ein existenznotwendiger Bedarf und als solcher auch unabweisbar, weil er seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht, wenn keine Lernmittelfreiheit besteht. Dieser Bedarf ist zudem bei verfassungskonformer Auslegung prognostisch typischerweise ein laufender, nicht nur einmaliger Bedarf. Für die Anerkennung als "laufender, nicht nur ein-maliger besonderer Bedarf" ist nicht maßgeblich, ob der Bedarf erstmals geltend gemacht wird, und auch nicht, ob er retrospektiv nur einmal geltend gemacht worden ist, sondern ob der geltend gemachte Mehrbedarf prognostisch typischerweise nicht nur ein einmaliger Bedarf ist (BSG, a.a.O.). Die konkrete Einzelfallgestaltung nimmt dem Bedarf nicht seine Ge-stalt, die er prognostisch typischerweise hat und die für die Einordnung als laufender Bedarf maßgeblich ist (Behrend in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 21 Rn. 90, Stand 2. März 2020). Dies trifft auf den Bedarf für Schulbücher zu, die bei fehlender Lernmittelfreiheit typischerweise nicht nur überhaupt einmalig und auch nicht nur einmalig in einem Schuljahr anzuschaffen sind, sondern prognostisch laufend während des Schulbesuchs und je nach dessen Verlauf (BSG, a.a.O.). Soweit die Anschaffung von für den Unterricht erforderlichen Lernmitteln aus privaten Mitteln zu erfolgen hat, ist die Bedarfslage - in verfassungskonformer Auslegung des Gesetzes - im Wege der Anwendung des § 21 Abs. 6 SGB II zu decken (vgl. Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 28 Rn. 112, Stand 24. Juni 2020). Hierbei macht es nach Auffassung der Kammer bei lebensnaher Betrachtung und der zu-nehmenden bzw. zunehmend gebotenen Digitalisierung schulischen Unterrichts keinen Unterschied (mehr), ob die Vermittlung und Festigung des Lernstoffs noch wie in der Vergangenheit (ausschließlich) mittels Schulbücher, oder - wie hier - daneben auch mit jahrgangseinheitlichen Netbooks erfolgt. Soweit sich die schulische Bildung mit einer im Einzelfall für die Schüler bzw. deren Eltern verbindlichen bzw. zwingenden - also auf Vorgabe der Gesamtkonferenz (§§ 27, 28 SchulG LSA) - Nutzung von Notebooks technisch fortentwickelt, stellen sich diese Notebooks oder Tablets bei entsprechender technischer Ausstattung im Hinblick auf den verfolgten Bildungszweck letztlich als mit Schulbüchern vergleichbar und damit als erforderliches Lernmittel dar. Dies bestätigt sich auch durch die vermehrte Verknüp-fung schulischer Aufgaben mit entsprechenden Lernplattformen (z.B. moodle, sofatutor, simpleclub), deren Nutzung durch entsprechende internetfähige Notebooks ermöglicht wird und die zunehmend ein nicht nur nebensächlicher Bestandteil schulischer Wissensvermittlung sein werden. Soweit zur Deckung dieses Bedarfs nicht auf den Regelbedarf und die damit verbundene Ansparkonzeption verwiesen werden kann, werden solche Sondersituation zur Bedarfsdeckung bei verfassungskonformer Auslegung dem Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II zugeordnet (so für "klassische" Schulbücher BSG, a.a.O).
Gemessen daran handelt es sich vorliegend um einen entsprechenden Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II. Denn das Tablet war vom Kläger trotz des Entlastungsgebots von den Kosten der Lernmittel (§ 72 SchulG LSA) wegen der Vorgabe der Gesamtkonferenz der Schule vom 17. April 2018 zwingend und mithin unabweisbar zu beschaffen. Es stellt mithin ein notwendiges und bei prognostischer Betrachtungsweise nicht nur einmalig den Bedarf bestimmendes Lernmittel dar, welches von der Schule nicht gestellt worden und vom Grundsicherungsträger zu übernehmen ist. Die Nutzung des Tablets als Mittel der schulischen Wissensvermittlung ist zudem zeitgemäß, zumal künftig viele Schüler auf Tablets für den Schulunterricht angewiesen sein werden, wenn diese die klassischen Lehrbücher nach und nach ersetzen werden.
Ohne dass es vorliegend entscheidungstragend darauf ankäme: Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung und der ab März 2020 wegen der Corona-Pandemie flächendecken-den Schulschließungen bzw. der auch für das Schuljahr 2020/21 zu erwartenden und strukturell bedingten Einschränkungen beim Präsenzunterricht dürfte sich die Entscheidung der Schule zur verpflichtenden Anschaffung des Tablets und der damit verbundenen Möglichkeit der Nutzung dieses Tablets beim eigenständigen Lernen durch den Schüler auch rückbli-ckend als richtig erwiesen haben.
Auf die Regelung in § 28 Abs. 3 SGB II und die darin vorgesehene und mit einem Pauschal-betrag zu erfüllende Schulbedarfsausstattung ist hingegen nicht abzustellen, weil die Kosten für die Anschaffung von Schulbüchern von dieser Regelung nach der Gesetzesbegründung nicht erfasst werden (vgl. dazu BT-Drs. 17/3404, Seite 104). Entsprechendes gilt für die Kos-ten des vorliegend begehrten Schultablets.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Berufung war vorliegend nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von
von § 144 SGG nicht vorliegen.
Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Die Berufung wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Kostenübernahme für ein im Schulunterricht zu verwendendes Tablet des Klägers im Rahmen von Leistungen nach dem SGB II.
Der am ... 2005 geborene Kläger steht gemeinsam mit seinen Eltern und drei Geschwistern im fortlaufenden Leistungsbezug bei dem Beklagten und besuchte im streitigen Zeitraum als Schüler die Integrierte Gesamtschule (IGS) ... in ... Mit dem Schreiben vom 17. April 2018 teilte die Schulleitung den Eltern des Klägers mit, dass die 54. Gesamtkonferenz zur Erfüllung des Lehrplans Mathematik die Einführung eines jahrgangseinheitlichen programmierbaren Taschenrechners oder eines jahrgangseinheitlichen Netbooks ab Klasse 8 beschlossen habe. Die Beschaffung sei gemäß § 43 SchulG LSA Sache der Eltern. Für den Jahrgang des Antragstellers beträfe dies das Gerät "Surftab Twin 10.1 (2017)". Der Schulförderverein " ..." unterbreitete den Eltern das Angebot der zentralen Beschaffung der Tablets einschließlich eines Virenschutzprogrammes und der Durchführung von Reparaturen und der ggf. erforder-lichen Bereitstellung eines Ersatzgerätes zum Preis von 210 Euro. In einem Informationsschreiben vom 23. April 2018 teilte der Schulförderverein mit, dass Eltern, die keine Leistungen nach dem SGB II, SGB XII oder AsylbLG bezögen, einen Antrag auf Ratenzahlung stellen könnten.
Am 16. Mai 2018 beantragte der Kläger die Übernahme der Kosten für das Tablet als Leistungen für Bildung und Teilhabe beim Beklagten. Mit Bescheid vom 11. Juni 2018 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab. Es handele sich nicht einen Bedarf für Bildung und Teilhabe. Den dagegen am 11. Juli 2018 erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 2018 zurück. Eine Übernahme käme auch nach § 21 Abs. 6 SGB II nicht in Betracht, weil mit dem Tablet kein laufender und atypischer Bedarf gedeckt werden solle.
Dagegen hat der Kläger am 8. August 2018 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Halle erhoben. Er trägt vor, dass er das Tablet zur Integration in den laufenden Schulbetrieb anschaffen müsse, er zu dieser Anschaffung gezwungen und diese aus eigenen finanziellen Mitteln nicht tragbar sei. Die am 1. August 2018 zum Schulanfang gewährten Leistungen zur Bildung und Teilhabe in Höhe von 70 Euro seien nicht ausreichend, um die Anschaffungen für die Schule zu decken. Mit diesem Geld seien Bücher, Schreibutensilien und sonstige Arbeitsmaterialien anzuschaffen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 11. Juni 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2018 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger angefallene Kosten für die Anschaffung des Tablets "Surftab Twin 10.1 (2017)" in Höhe von 210 EUR zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verteidigt die angefochtene Verwaltungsentscheidung.
Am 21. September 2018 hat der Kläger um einstweiligen Rechtsschutz hinsichtlich der Gewährung eines Darlehens nachgesucht (S 27 AS 2550/18 ER). Mit dem Beschluss vom 15. Oktober 2018 im Verfahren S 27 AS 2550/18 ER wurde der Beklagte zur Gewährung eines Darlehens in Höhe von 210 EUR verpflichtet.
Am 29. Oktober 2018 überwiesen die Eltern des Klägers den Betrag von 210 EUR zum Kauf des Tablets an den Schulförderverein.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht entscheidet im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).
Die Klage hat Erfolg.
Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 11. Juni 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten i.S.v. § 54 SGG. Der Kläger hat einen Anspruch auf die endgültige Gewährung der ihm bereits darlehensweise erbrachten Kosten für das Schultablet in Höhe von 210 EUR.
Rechtlicher Anknüpfungspunkt für den geltend gemachten Bedarf des im betroffenen Zeit-raum nach dem SGB II leistungsberechtigten Klägers ist § 21 Abs. 6 SGB II. Gemäß § 21 Abs. 6 SGB II wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist gemäß § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Bei den Kosten für Schulbücher, die Schüler mangels Lernmittelfreiheit selbst kaufen müssen, gilt, dass diese durch das Jobcenter als Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II zu übernehmen sind und diese Rechtsgrundlage in dieser Sondersituation unmittelbare Anwendung findet, ohne dass es einer Analogie bedarf (BSG, Urteil vom 8. Mai 2019 - B 14 AS 13/18 R -). Der Bedarf für Schulbücher ist bei verfassungskonformer Auslegung ein existenznotwendiger Bedarf und als solcher auch unabweisbar, weil er seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht, wenn keine Lernmittelfreiheit besteht. Dieser Bedarf ist zudem bei verfassungskonformer Auslegung prognostisch typischerweise ein laufender, nicht nur einmaliger Bedarf. Für die Anerkennung als "laufender, nicht nur ein-maliger besonderer Bedarf" ist nicht maßgeblich, ob der Bedarf erstmals geltend gemacht wird, und auch nicht, ob er retrospektiv nur einmal geltend gemacht worden ist, sondern ob der geltend gemachte Mehrbedarf prognostisch typischerweise nicht nur ein einmaliger Bedarf ist (BSG, a.a.O.). Die konkrete Einzelfallgestaltung nimmt dem Bedarf nicht seine Ge-stalt, die er prognostisch typischerweise hat und die für die Einordnung als laufender Bedarf maßgeblich ist (Behrend in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 21 Rn. 90, Stand 2. März 2020). Dies trifft auf den Bedarf für Schulbücher zu, die bei fehlender Lernmittelfreiheit typischerweise nicht nur überhaupt einmalig und auch nicht nur einmalig in einem Schuljahr anzuschaffen sind, sondern prognostisch laufend während des Schulbesuchs und je nach dessen Verlauf (BSG, a.a.O.). Soweit die Anschaffung von für den Unterricht erforderlichen Lernmitteln aus privaten Mitteln zu erfolgen hat, ist die Bedarfslage - in verfassungskonformer Auslegung des Gesetzes - im Wege der Anwendung des § 21 Abs. 6 SGB II zu decken (vgl. Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 28 Rn. 112, Stand 24. Juni 2020). Hierbei macht es nach Auffassung der Kammer bei lebensnaher Betrachtung und der zu-nehmenden bzw. zunehmend gebotenen Digitalisierung schulischen Unterrichts keinen Unterschied (mehr), ob die Vermittlung und Festigung des Lernstoffs noch wie in der Vergangenheit (ausschließlich) mittels Schulbücher, oder - wie hier - daneben auch mit jahrgangseinheitlichen Netbooks erfolgt. Soweit sich die schulische Bildung mit einer im Einzelfall für die Schüler bzw. deren Eltern verbindlichen bzw. zwingenden - also auf Vorgabe der Gesamtkonferenz (§§ 27, 28 SchulG LSA) - Nutzung von Notebooks technisch fortentwickelt, stellen sich diese Notebooks oder Tablets bei entsprechender technischer Ausstattung im Hinblick auf den verfolgten Bildungszweck letztlich als mit Schulbüchern vergleichbar und damit als erforderliches Lernmittel dar. Dies bestätigt sich auch durch die vermehrte Verknüp-fung schulischer Aufgaben mit entsprechenden Lernplattformen (z.B. moodle, sofatutor, simpleclub), deren Nutzung durch entsprechende internetfähige Notebooks ermöglicht wird und die zunehmend ein nicht nur nebensächlicher Bestandteil schulischer Wissensvermittlung sein werden. Soweit zur Deckung dieses Bedarfs nicht auf den Regelbedarf und die damit verbundene Ansparkonzeption verwiesen werden kann, werden solche Sondersituation zur Bedarfsdeckung bei verfassungskonformer Auslegung dem Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II zugeordnet (so für "klassische" Schulbücher BSG, a.a.O).
Gemessen daran handelt es sich vorliegend um einen entsprechenden Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II. Denn das Tablet war vom Kläger trotz des Entlastungsgebots von den Kosten der Lernmittel (§ 72 SchulG LSA) wegen der Vorgabe der Gesamtkonferenz der Schule vom 17. April 2018 zwingend und mithin unabweisbar zu beschaffen. Es stellt mithin ein notwendiges und bei prognostischer Betrachtungsweise nicht nur einmalig den Bedarf bestimmendes Lernmittel dar, welches von der Schule nicht gestellt worden und vom Grundsicherungsträger zu übernehmen ist. Die Nutzung des Tablets als Mittel der schulischen Wissensvermittlung ist zudem zeitgemäß, zumal künftig viele Schüler auf Tablets für den Schulunterricht angewiesen sein werden, wenn diese die klassischen Lehrbücher nach und nach ersetzen werden.
Ohne dass es vorliegend entscheidungstragend darauf ankäme: Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung und der ab März 2020 wegen der Corona-Pandemie flächendecken-den Schulschließungen bzw. der auch für das Schuljahr 2020/21 zu erwartenden und strukturell bedingten Einschränkungen beim Präsenzunterricht dürfte sich die Entscheidung der Schule zur verpflichtenden Anschaffung des Tablets und der damit verbundenen Möglichkeit der Nutzung dieses Tablets beim eigenständigen Lernen durch den Schüler auch rückbli-ckend als richtig erwiesen haben.
Auf die Regelung in § 28 Abs. 3 SGB II und die darin vorgesehene und mit einem Pauschal-betrag zu erfüllende Schulbedarfsausstattung ist hingegen nicht abzustellen, weil die Kosten für die Anschaffung von Schulbüchern von dieser Regelung nach der Gesetzesbegründung nicht erfasst werden (vgl. dazu BT-Drs. 17/3404, Seite 104). Entsprechendes gilt für die Kos-ten des vorliegend begehrten Schultablets.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Berufung war vorliegend nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von
von § 144 SGG nicht vorliegen.
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