S 13 KR 337/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 337/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 27.08.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.10.2015 verurteilt, der Klägerin vom 08.08. 2015 bis 26.04.2016 Krankengeld zu gewähren. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt die Beklagte.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf Krankengeld über den 07.08.2015 hat.

Die am 00.00.0000 geborene Klägerin war zuletzt bis 09.06.2015 als Servicekraft beschäftigt; an diesem Tag endete die versicherungspflichtige Beschäftigung wegen einer betriebsbedingten Kündigung. Bereits am 16.05.2015 war die Klägerin arbeitsunfähig wegen eines Hirninfarktes. Sie befand sich deshalb in stationärer Krankenhausbehandlung vom 16.05. bis 28.05.2015. Im Anschluss daran nahm sie zu Lasten der Beklagten vom 28.05. bis 05.07.2015 an einer Anschlussheilbehandlung in der Odeborn-Klinik in Bad Berleburg teil. Übergangslos erhielt sie sodann vom 06.07. bis 07.08.2015 Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu Lasten der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Rheinland. Der (ehemalige) Arbeitgeber der Klägerin zahlte Entgelt weiter bis 09.06.2016; die Beklagte zahlte Krankengeld ab 10.06.2016; vom 06.07. bis 07.08.2015 erhielt die Klägerin Übergangsgeld von der DRV Rheinland.

Ausweislich des Entlassungsberichts der Odeborn-Klinik vom 06.08.2015 wurde die Klägerin dort als weiter arbeitsunfähig entlassen. Es heißt in dem Entlassungsbericht unter der Überschrift: "Sozialmedizinische Epikrise" u.a.: "Frau I. wird zunächst arbeitsunfähig entlassen. Mittelfristig besteht eine positive Erwerbsprognose, es ist von weiterer Rückbildung der Symptomatik auszugehen. Daher wird sie ihre letzte berufliche Tätigkeit als Servicekraft in der Gastronomie nicht mehr ausüben können. Frau I. ist optimistisch, wieder am Erwerbsleben teilnehmen zu können."

Nach ihrer Entlassung aus der Reha-Klinik am Freitag, 07.08.2015, stellte sich die Klägerin am Montag, 10.08.2015, und danach wieder am Mittwoch, 19.08.2015 bei ihrer Hausärztin vor. Erst am Freitag, 21.08.2015 bescheinigte die Ärztin unter Angabe der Untersuchungstermine vom 10.08. und 19.08.2015 weitere Arbeitsunfähigkeit der Klägerin bis 30.09.2015.

Durch Bescheid vom 27.08.2015 stellte die Beklagte das Ende des Krankengeldanspruchs und der beitragsfreien Mitgliedschaft zum 07.08.2015 fest. Sie wies daraufhin, dass die Klägerin am 07.08.2015 aus der Klinik entlassen worden ist, und behauptete: "Bis zu diesem Tag wurde Ihre Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Ihre weitere Arbeitsunfähigkeit wurde jedoch erst am 21. August 2015 festgestellt." Die Beklagte meinte, vor Ablauf der ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit sei eine rechtzeitige Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit festzustellen; die Klägerin habe sich spätestens am sechsten Werktag, der dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit folge, die weitere Arbeitsunfähigkeit ärztlich feststellen lassen müssen, wobei Samstage nicht als Werktage gelten würden.

Dagegen erhob die Klägerin am 02.09.2015 Widerspruch, den die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 13.10.2015 zurückwies.

Dagegen hat die Klägerin am 04.11.2015 Klage erhoben. Sie trägt vor, ihr Sohn habe sie am 07.08.2015 aus der Reha-Klinik abgeholt; am 10.08.2015 habe sie sich zur Aktualisierung der AU zu ihrer Hausärztin begeben. Bei ihre Vorstellungen bei der Ärztin am 10. und 19.08.2015 habe sie noch keinen Auszahlschein für Krankengeld gehabt; als dieser dann in der Folgewoche angekommen sei, habe ihr Mann diesen am 21.08.2015 in der Praxis der Hausärztin vorgelegt, wo er dann ausgefüllt worden sei. Ihr Mann sei anschließend direkt zur Knappschaft B. gefahren und habe die Bescheinigung dort eingereicht.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.08.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.10.2015 zu verurteilen, ihr ab 08.08.2015 Krankengeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie verbleibt auch im Hinblick auf die vom Gericht eingeholten Auskünfte der Hausärztin bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Auffassung. Sie meint, selbst wenn seinerzeit ein Auszahlschein für Krankengeld noch nicht vorgelegen habe, hätte die Hausärztin die weitere AU auch auf dem dafür vorgesehenen Muster 1a bestätigen können, wie dies in der Folgezeit auch mehrfach so geschehen sei. Die Beklagte meint, wenn die Hausärztin zwar am 10.08.2015 weitere AU der Klägerin (im Sinne einer medizinisch-fachlichen Würdigung des Gesundheitszustandes) festgestellt habe, dies jedoch erst am 19.08. bzw. am 21.08.2015 zur Papier gebracht habe, spreche dies für ihrer Auffassung, dass die AU nicht lückenlos attestiert worden sei.

Die Klägerin und die Beklagte haben weitere über den 30.09.2015 hinaus ausgestellt AU-Bescheinigungen der Hausärzte der Klägerin vorgelegt, darunter eine AU-Bescheinigung des Vertretungsarztes Dr. P. vom 29.12.2015, in der weitere AU bis "29.12.2016" bescheinigt worden ist. Ausweislich dieser AU-Bescheinigungen wurde vertragsärztlich weitere AU der Klägerin festgestellt &61485; am 30.09.2015 bis 31.10.2015, &61485; am 30.10.2015 bis 30.11.2015, &61485; am 30.11.2015 bis 31.12.2015, &61485; am 29.12.2015 bis "29.12.16" (von Dr. P.), &61485; am 01.02.2016 bis 01.03.2016, &61485; am 29,02.2016 bis 03.04.2016, &61485; am 29.03.2016 bis 26.04.2016, &61485; am 28.04.2016 bis 31.05.2016, &61485; am 30.05.2016 bis 30.06.2016, &61485; am 29.06.2016 bis 02.08.2016, &61485; am 02.08.2016 bis 30.08.2016.

Das Gericht hat zu den Umständen der Vorstellung der Klägerin in der Praxis ihrer Hausärztin, den Daten, der Untersuchung und der Feststellung sowie Bescheinigung von AU Auskünfte eingeholt von Dr. L ... Diese hat am 17.03.2016 mitgeteilt, sie habe die Klägerin am 10.08. und 19.08.2015 gesehen und Arbeitsunfähigkeit festgestellt; den sog. Auszahlungsschein habe sie am 21.08.2015 ausgestellt, weil er dann erst vorgelegt worden sei (soweit die Hausärztin bei den mitgeteilten Daten jeweils statt 2015 die Jahreszahl "2016" verwandt hat, handelt es sich um einen offensichtlichen Schreibefehler). Die Hausärztin hat ihrer Auskunft einen Ausdruck ihrer Patientenkartei beigefügt; daraus ergibt sich, dass die Klägerin u.a. am 10.08. und 19.08.2015 in der Praxis war und dort untersucht worden ist; für den 21.08.2015 findet sich lediglich der Eintrag "AZ-Schein".

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und im tenorierten Umfang auch begründet.

Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide der Beklagten beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da sie rechtswidrig sind. Die Klägerin hat über den 07.08.2015 hinaus Anspruch auf Krankengeld, und zwar bis einschließlich 26.04.2016.

Versicherte haben gemäß § 44 Abs. 1 SGB V Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung behandelt werden. Der Anspruch der Klägerin auf Krankengeld war aufgrund der in Folge des Hirninfarkts am 16.05.2015 eingetretenen AU und der an diesem Tag begonnenen Krankenhausbehandlung gem. § 46 Satz 1 Nr. 1 SGB V am 16.05.2015 entstanden. Während der Zeit der Entgeltfortzahlung bis 09.06.2015 und des Bezugs von Übergangsgeld durch die DRV Rheinland vom 06.07. bis 07.08.2015 ruhte der Krankengeldanspruch gem. § 49 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 3 SGB V. Auch wenn das die Krankenversicherungspflicht gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V begründende Beschäftigungsverhältnis am 09.06.2015 geendet hatte, bestand die versicherungspflichtige Mitgliedschaft der Klägerin fort, solange ihr Anspruch auf Krankengeld bestand (§ 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V).

Grundsätzlich setzt der weitere Anspruch auf Krankengeld die vorherige ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit voraus. Einzelheiten zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit sind in den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung (Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien) sowie im Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) geregelt. Gemäß § 31 Satz 1 BMV-Ä darf die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und ihrer voraussichtlichen Dauer sowie die Ausstellung der Bescheinigung nur aufgrund einer ärztlichen Untersuchung erfolgen (vgl. auch § 5 Abs. 1 der Arbeitsunfähigkeitsrichtlinien). Die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit für Krankengeld-Bezieher ist gemäß § 6 Abs. 1 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien auf der "Bescheinigung für die Krankengeldzahlung" (sog. Auszahlschein) zu attestieren. Dementsprechend wird das Krankengeld jeweils aufgrund der vom Vertragsarzt ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bzw. dem Auszahlschein für Krankengeld entsprechend der voraussichtlichen Arbeitsunfähigkeit abschnittsweise gezahlt. Nach der Rechtsprechung des BSG ist in der Auszahlung bzw. Gewährung von Krankengeld regelmäßig die Entscheidung der Krankenkasse zu sehen, dass dem Versicherten ein Krankengeldanspruch für die laufende Zeit der vom Vertragsarzt bestätigten Arbeitsunfähigkeit zusteht und somit ein entsprechender Verwaltungsakt über die zeitlich befristete Bewilligung von Krankengeld vorliegt (BSG, Urteil vom 22.03.2005 – B 1 KR 22/04 RSozR 4-2500 § 44 Nr. 6; BSG, Urteil vom 26.11.1991 – 1/3 RK 25/90SozR 3-2500 § 48 Nr. 1). Damit wird mit der Krankengeldbewilligung jeweils auch über das vorläufige Ende der Krankengeld-Bezugszeit entschieden. Legt der Versicherte keinen weiteren Auszahlschein vor, endet der Anspruch auf Krankengeld mit Ablauf des zuletzt bescheinigten Arbeitsunfähigkeitszeitraumes; eines Entziehungsbescheides nach § 48 SGB X bedarf es nicht (BSG a.a.O.).

Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist das Entstehen des Anspruchs auf Krankengeld wegen ärztlich festgestellter Arbeitsunfähigkeit ausgehend von dem Tag der tatsächlichen ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit zu beurteilen. Dies folgt aus § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V; diese Vorschrift ist auch für den Umfang des Versicherungsschutzes maßgeblich. Sie ist keine bloße Zahlungsvorschrift, sondern regelt das Entstehen des Anspruchs auf Krankengeld (BSG, Urteil vom 26.06.2007 – B 1 KR 37/06 R); dies gilt auch, wenn es sich um eine Folgebescheinigung aufgrund derselben Krankheit handelt (Joussen in Becker/Kingreen, SGB V, 2. Aufl. 2010, § 46 Rdnr. 4 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG). Gemäß § 46 Satz 2 SGB V (in der hier maßgeblichen ab 23.07.2015 geltenden Fassung) bleibt der Anspruch auf Krankengeld jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit festgestellt wird, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolgt; Samstage gelten insoweit nicht als Werktage.

Entgegen der von der Beklagten im Bescheid vom 27.08.2015 aufgestellten Behauptung war die AU der Klägerin, als sie am 07.08.2015 aus der Reha-Klinik entlassen wurde, nicht nur "bis zu diesem Tag" bescheinigt. Im Gegenteil: Ausweislich des Reha-Entlassungsberichtes vom 06.08.2015 wurde die Klägerin dort als weiter arbeitsunfähig entlassen. In dem Bericht stellten die Reha-Ärzte ausdrücklich fest: "Frau I ... wird zunächst arbeitsunfähig entlassen. Mittelfristig besteht eine positive Erwerbsprognose, es ist von weiterer Rückbildung der Symptomatik auszugehen. Daher wird sie ihre letzte berufliche Tätigkeit als Servicekraft in der Gastronomie nicht mehr ausüben können. Frau I. ist optimistisch, wieder am Erwerbsleben teilnehmen zu können." Dass die über den 07.08.2015 fortbestehende AU nicht auf dem dafür vorgesehenen Vordruck bescheinigt wurde, ist unschädlich. Die ärztliche AU-Feststellung und deren Bescheinigung stellen zwar grundlegende materielle Voraussetzungen des Leistungsanspruchs (aus § 44 Abs. 1 1. Alt. SGB V) dar. Im Hinblick darauf, dass die gesetzliche Krankenversicherung als staatliche Pflichtversicherung mit Beitragszwang ausgestaltet ist, sind aber auch bei der Auslegung des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V die aus dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) bzw. aus dem (grundrechtlichen) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgenden Maßgaben zu beachten. Überzogene formale Anforderungen dürfen an die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung daher nicht gestellt werden, erst Recht nicht, wenn dies dazu führen kann, dass sich der Versicherungsstatus des (Pflicht-)Versicherten ändert und er mit der Zahlung der (Pflicht-)Beiträge erworbene Leistungsansprüche, wie den Anspruch auf Krankengeld als Entgeltersatzleistung zur sozialen Absicherung im Krankheitsfall, verliert. Arbeitsunfähigkeit kann daher durch jeden Arzt, auch etwa durch einen Krankenhausarzt und auch durch einen Arzt des MDK oder einen Arzt einer Reha-Klinik festgestellt werden. Anlass und Zweck der ärztlichen Äußerung zur Arbeits(un)fähigkeit sind unerheblich. Auch auf die Verwendung des (für Vertragsärzte) in den Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien vorgeschriebenen Vordrucks kommt es nicht an. Unschädlich ist schließlich, wenn – was allgemeiner Übung entspricht – unmittelbar Arbeitsunfähigkeit festgestellt wird, obwohl es sich hierbei um einen Rechtsbegriff handelt, sofern die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit die Schlussfolgerung aus einer persönlichen ärztlichen Untersuchung ist. Ob einer ärztlichen Erklärung, einer Bescheinigung oder auch einer gutachterlichen Äußerung, der Erklärungswert und der (notwendige) Inhalt einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zukommt, muss im Zweifel durch Auslegung nach Maßgabe der in §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) niedergelegten Auslegungsgrundsätze festgestellt werden (so: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.05.2016 – L 5 KR 1063/15). Wenn die Reha-Ärzte im vor dem Entlassungstag unterschriebenen Reha-Entlassungsbericht die Klägerin als weiter arbeitsunfähig entlassen und ausdrücklich erklären, trotz mittelfristig bestehender positiver Erwerbsprognose werde sie ihre letzte berufliche Tätigkeit als Servicekraft nicht mehr ausüben können, folgt daraus nichts anderes als die Feststellung von AU der Klägerin über den 07.08.2015 hinaus. Denn da die Klägerin bei Beginn der AU versicherungspflichtig als Servicekraft gearbeitet hat, war diese Tätigkeit auch nach dem 07.08.2015 der Maßstab für die Beurteilung ihrer AU.

Selbst wenn man aber die im Reha-Entlassungsbericht attestierte AU – entgegen den dortigen Feststellungen der Reha-Ärzte – nur auf die Zeit bis 07.08.2015 begrenzen würde, hätte die Klägerin gleichwohl das Erfordernis lückenloser Feststellung der AU über dieses Datum hinaus bis 26.04.2016 erfüllt.

Das Gesetz und die AU-Richtlinien unterscheiden zwischen der ärztlichen Feststellung und der Bescheinigung (Attestierung) der AU. Während die Feststellung der AU auf die ärztliche Untersuchung abstellt und darauf gründet (vgl. § 31 Satz 1 BMV-Ä) und § 4 Abs. 1 AU-Richtlinien), ist die Attestierung der AU auf der dafür vorgesehenen AU-Bescheinigung der sich aus der ärztlichen Feststellung der AU ergebende formale Akt. Für die Aufrechterhaltung des KG-Anspruchs maßgeblich ist, dass die ärztliche Feststellungen der AU und damit die dazu notwendigen ärztlichen Untersuchungen lückenlos im Sinne von § 46 Satz 2 SGB V (und dieser Vorschrift folgend § 5 Abs. 3 Satz 5 der AU-Richtlinien) sind.

Im Fall der Klägerin wäre es – wenn man die Feststellungen im Reha-Entlassungsbericht nicht als Feststellung weiterer AU über den 07.08.2015 genügen ließe – nach dem 07.08.2015 (Freitag), bis zu dem unzweifelhaft AU bescheinigt war, erforderlich gewesen, dass die ärztliche Feststellung der weiteren AU spätestens am nächsten Werktag im Sinne von § 46 Satz 2 SGB V, das heißt am Montag, 10.08.2015 hätte erfolgen müssen, um den Anspruch auf Krankengeld (und damit das Fortbestehen der Mitgliedschaft aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung) aufrecht zu erhalten. Dies war der Fall. Denn an diesem Tag war die Klägerin ausweislich der vorgelegten Patientenkartei bei ihrer Hausärztin, die sie untersucht und – wie die Ärztin auf Nachfrage des Gerichts ausdrücklich erklärt hat – weitere AU festgestellt hat. Dasselbe war am 19.08.2015 der Fall; zu diesem Datum war sie wieder einbestellt worden, hat die Ärztin sie untersucht und weitere AU festgestellt. Allein der Umstand, dass an diesen beiden Tagen die tatsächlich aufgrund jeweils ärztlicher Untersuchung erfolgte ärztliche Feststellung der AU nicht attestiert worden ist, steht dem weiteren Krankengeldanspruch nicht entgegen. Weder das Gesetz noch die AU-Richtlinien fordern eine lückenlose Attestierung der AU nach den Vorgaben des § 46 Satz 2 SGB V. Die Klägerin und die Hausärztin haben übereinstimmend und glaubhaft dargelegt, dass an den beiden Tagen (10.08. und 19.08.2015) kein damals noch gebräuchlicher Auszahlschein für Krankengeld ("Bescheinigung für die Krankengeldzahlung, Muster 17") vorhanden war und die Klägerin diesen erst bei der Beklagten anfordern musste. Als dieser dann am 21.08.2015 bei ihr einging, hat ihr Ehemann den Vordruck unverzüglich – noch am selben Tag – bei der Hausärztin zwecks Attestierung der am 10.08. und 19.08.2015 festgestellten AU (bis 30.09.2015) und danach – ebenfalls noch am selben Tag – bei der Beklagten vorgelegt. Damit hat sie den Nachweis lückenloser Feststellung ihrer AU über den 07.08.2015 erbracht.

Es ist gerade im vorliegenden Fall und im Hinblick auf die geschilderten Umstände für die Kammer weder nachvollziehbar noch verständlich, warum die Beklagte auf der formalen Bescheinigung der (neben der ärztlichen Feststellung der AU) spätestens am 10.08.2015 beharrt. Gerade in dem hier maßgeblichen Zeitraum – zwei Wochen nach der Gesetzesänderung in § 46 SGB V – bestanden erhebliche Unsicherheit und Klärungsbedarf bei Ärzten, Krankenkassen und Versicherten Vgl. instruktiv das Rundschreiben RS 2015/236 des GKV-Spitzenverbandes vom 01.06.2015 betreffend "Neue Muster für die Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit" nebst Anlagen).

Der Anspruch der Klägerin auf Krankengeld über den 07.08.2015 hinaus besteht jedoch nur bis 26.04.2016 (einem Dienstag). Denn nur bis zu diesem Datum ist ihre AU lückenlos festgestellt worden. Soweit der (Vertretungs-)Arzt Dr. Oppitz am 29.12.2015 weitere AU bis "29.12.16" bescheinigt hat, handelt es bei der Monatsangabe um einen offensichtlichen Schreibfehler; gemeint war nach Überzeugung der Kammer ersichtlich der 29.01.2016 (Freitag). Indem sich die Klägerin danach am 01.02.2016 (Montag) wieder zum Arzt begab und dieser weitere AU bescheinigte, ist dem Erfordernis des lückenlosen Nachweises der Feststellung von AU zu diesem Zeitpunkt und weiter bis 26.04.2016 genügt. Um aber sodann ihren Anspruch (und damit ihre Mitgliedschaft mit Anspruch auf Krankengeld) über den 26.04.2016, bis zu dem lückenlos AU festgestellt worden ist, zu erhalten, hätte sich die Klägerin (vgl. § 46 Satz 2 SGB V) spätestens am folgenden Werktag, dem 27.04.2016 (Mittwoch), zum Arzt begeben müssen, um ihre weitere AU feststellen zu lassen. Sie tat dies jedoch erst am 28.04.2016 (Donnerstag). Daraus ergibt sich weder ein neuer noch ein weiterer Anspruch auf Krankengeld, da der bis 26.04.2016 bestehende Krankengeldanspruch mit Ablauf dieses Tages geendet hatte und am 28.04.2016 ebenso wenig wie am 29.04.2016 eine Versicherung/Mitgliedschaft mit Anspruch auf Krankengeld mehr bestand. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der die Kammer folgt, ist das Entstehen des Anspruchs auf Krankengeld wegen ärztlich festgestellter Arbeitsunfähigkeit ausgehend von dem Tag der tatsächlichen ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit zu beurteilen. Dies folgt aus § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V, der regelt, dass der Anspruch auf Krankengeld von dem Tag an entsteht, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt. Er ist für den Umfang des Versicherungsschutzes maßgeblich. Diese Vorschrift ist keine bloße Zahlungsvorschrift, sondern regelt das Entstehen des Anspruchs auf Krankengeld (BSG, Urteil vom 26.06.2007 – B 1 KR 37/06 R); dies gilt auch, wenn es sich um eine Folgebescheinigung aufgrund derselben Krankheit handelt (Joussen in Becker/Kingreen, SGB V, 2. Aufl. 2010, § 46 Rdnr. 4 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG). Für die Aufrechterhaltung des Krankengeldanspruchs ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Arbeitsunfähigkeit vor Ablauf des Bewilligungsabschnitts erneut ärztlich festgestellt wird (zuletzt: BSG, Urteil vom 10.05.2012 – B 1 KR 19/11 R).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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