S 19 SO 40/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
19
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 19 SO 40/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 SO 209/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 30.03.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2016 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Beigeladenen Sozialhilfe in Form von Eingliederungshilfe durch stationäre Unterbringung zu gewähren. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird endgültig auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin betreibt die Feststellung, dass der Beklagte als Sozialhilfeträger dem Beigeladenen sozialhilferechtliche Eingliederungshilfe zu erbringen hat.

Der am 00.00.0000 geborene Beigeladene hatte vom Lebensgefährten seiner Mutter häusliche Gewalt erfahren. Er leidet u.a. an kombinierten umschriebenen Entwicklungsstörungen, anderen Kontaktanlässen mit Bezug auf die Erziehung und anderen Kontaktanlässen mit Bezug auf den engeren Familienkreis. Nachdem seine Verwahrlosung im Haushalt der Mutter und ihres Lebensgefährten festgestellt worden war, zogen er und seine Mutter nach C. um, wo seine Einschulung mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich Sprache und Lernen erfolgte. Im Jahr 2013 zogen er und seine Mutter zurück nach B., wo sie in einer betreuten Mutter-Kind-Wohneinheit lebten. Der Beigeladene besuchte seit dem 20.01.2014 die Schule am S. (B.), eine städtische Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen. Unter dem 21.07.2014 stellte die Mutter des Beigeladenen einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung in Form einer stationären Unterbringung durch die Klägerin. Hintergrund war, dass sie mit der Erziehung des Beigeladenen überfordert war und eine erneute Gefährdung des Kindeswohls drohte. Unter dem 26.08.2014 stellte sie darüber hinaus bei dem Beklagten einen Antrag auf stationäre Unterbringung. Der Beklagte wertete Berichte des C. – Klinik für Kinder- und Jugendmedizin – vom 05.03.2014 und vom 23.06.2014 aus und zog einen Bericht der M.-Klinik C. – Kinderneurologisches Zentrum – vom 12.08.2014 bei. Nachdem der Medizinisch-psychosoziale Fachdienst (MPD) des Beklagten unter dem 29.09.2014 zu dem Ergebnis gelangt war, eine eindeutige Zuordnung des Beigeladenen zum Personenkreis von jungen Menschen mit einer wesentlichen geistigen Behinderung sei nicht möglich, bewilligte die Klägerin ab dem 09.10.2014 Jugendhilfe-Leistungen in Form der Unterbringung des Beigeladenen im katholischen Kinderheim T. in E. Seit dem 21.10.2014 besucht der Beigeladene die C2-Schule in E., eine Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen. Unter dem 15.10.2014 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, sie erbringe als unzuständiger Träger Jugendhilfeleistungen und begehrte Kostenerstattung für bereits geleistete Hilfen sowie die Gewährung von sozialhilferechtlicher Eingliederungshilfe für den Beigeladenen. Der Beklagte zog ein schulärztliches Gutachten vom 19.03.2013 bei und wertete einen Bericht des katholischen Kinderheims T. (in E.) vom 14.01.2015 sowie einen Bericht der Dipl-Psychologin L. vom 20.01.2015 aus. Nach erneuter Stellungnahme des MPD vom 16.03.2015 lehnte der Beklagte den Antrag auf Fallübernahme mit Bescheid vom 30.03.2015 ab. Zur Begründung führte er aus, bei dem Beigeladenen drohe eine seelische Behinderung. Zwar liege auch eine Lernbehinderung vor; angesichts der Entwicklungsfortschritte des Beigeladenen sei indessen nicht von einer wesentlichen geistigen Behinderung auszugehen. Die Klägerin legte am 11.05.2015 Widerspruch ein und führte aus, bei dem Beigeladenen liege auch eine wesentliche geistige Behinderung vor, welche weiterhin eine stationäre Unterbringung erforderlich mache. Mit Bescheid vom 18.06.2015 gewährte die Klägerin dem Beigeladenen ab dem 17.06.2015 Hilfe zur Erziehung in Form einer (stationären) Unterbringung im heilpädagogischen Kinderhaus M1 in X. Mit Widerspruchsbescheid vom 17.02.2016 (der Klägerin zugestellt am 26.02.2015) wies der Beklagte den Widerspruch unter Vertiefung seiner bisherigen Ausführungen zurück. Ergänzend führte er aus, es bestehe auch deshalb kein Anspruch der Klägerin auf Übernahme des Hilfefalles, weil die laufende Kosten tatsächlich getragen würden.

Hiergegen richtet sich die am 24.03.2016 erhobene Klage.

Die Klägerin sieht sich in ihrem Begehren durch einen Bescheid des Schulamtes B. vom 13.06.2013 bestätigt, mit dem ein Bedarf des Beigeladenen an sonderpädagogischer Unterstützung mit dem Schwerpunkt Lernen festgestellt worden war. Sie verweist ferner auf einen Bescheid des Schulamtes S1 vom 06.04.2016, mit dem mittlerweile auch eine Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung festgestellt wurde.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des Bescheides vom 30.03.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2016 festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Beigeladenen Sozialhilfe in Form der Eingliederungshilfe durch stationäre Unterbringung zu gewähren,

hilfsweise,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 30.03.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2016 zu verpflichten, dem Beigeladenen sozialhilferechtliche Eingliederungshilfe zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hält an seiner bisherigen Auffassung fest und führt ergänzend aus, es fehle an einer Beschwer des Beigeladenen. Für diesen sei es, da eine Unterbringung weiterhin erfolge, ohne Belang, welcher Träger die Kosten hierfür übernehmen müsse.

Der Beigeladene stellt keinen eigenen Antrag.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakten der Klägerin und des Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt bei der Entscheidung vorgelegen hat.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit übereinstimmend einverstanden erklärt haben, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§§ 54 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt., 55 Abs. 1 Nr. 2 SGG) statthaft und zulässig. Es fehlt nicht etwa deshalb an einem Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin, weil der Beigeladene weiterhin Leistungen von ihr erhält. Denn die Vorschrift des § 97 Satz 1 Sozialgesetzbuch Achtes Buch – Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) setzt schon ihrem Wortlaut nach voraus, dass der Träger der Jugendhilfe erstattungsberechtigt ist, also als nachrangiger Träger Leistungen erbracht hat bzw. laufend noch erbringt. Auch der Sinn und Zweck der Vorschrift, der u.a. darin besteht, die eigene Leistungspflicht zu beenden (zur gleichsam spiegelbildlichen Vorschrift des § 95 SGB XII etwa Armbruster, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 95 SGB Rdnr. 27) spricht hierfür. § 97 Satz 1 SGB VIII verleiht dem erstattungsberechtigten Träger somit gerade dann ein subjektives Recht, die Feststellung zu betreiben, wenn er noch Leistungen an den Hilfebedürftigen erbringt. Auch ein Feststellungsinteresse im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 2 SGG ist gegeben. Die gerichtliche Feststellung mit Wirkung für die Zukunft reicht weiter als die bloße Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs für vergangene Zeiträume. Auch muss sich die Klägerin nicht auf ihr Recht verweisen lassen, den Antrag des Beigeladenen nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe für behinderte Menschen (SGB IX) an den Beklagten weiterzuleiten. Denn die Möglichkeit der bindenden (§ 14 Abs. 2 Satz 1 bis 3 SGB IX) Weiterleitung verdrängt nicht ein Vorgehen nach § 97 Satz 1 SGB VIII, da beide Möglichkeiten nebeneinander stehen.

Ein bei einem Vorgehen nach § 97 Satz 1 SGB VIII obligatorisches Vorverfahren (siehe hierzu nur BSG, Urteil vom 15.02.2000 – B 11 AL 73/99 R = juris; Schneider, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 97 Rdnr. 26) wurde durchgeführt.

Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf gerichtliche Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Beigeladenen Sozialhilfe in Form von Eingliederungshilfe durch stationäre Unterbringung zu gewähren.

Grundlage für den Anspruch der Klägerin ist § 97 Satz 1 SGB VIII. Nach dieser Vorschrift kann der erstattungsberechtigte Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Feststellung einer Sozialleistung betreiben sowie Rechtsmittel einlegen.

Die Voraussetzungen des § 97 Satz 1 SGB VIII liegen vor.

Bei der Klägerin handelt es sich um einen erstattungsberechtigten Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Ein Erstattungsanspruch gegen den Beklagten folgt aus § 104 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Die Voraussetzungen der einen Erstattungsanspruch begründenden Norm des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X liegen vor.

Die Klägerin hat dem Beigeladenen Sozialleistungen (§ 11 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeine Vorschriften [SGB I]) erbracht, zuletzt in Form von Hilfe zur Erziehung (Heimerziehung) nach § 27 SGB VIII i.V.m. § 34 SGB VIII. Sie war ferner nachrangig zur Erbringung von Leistungen an den Beigeladenen verpflichtet. Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger nach § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Diese tatbestandlichen Anforderungen sind erfüllt. Eine vorrangige Leistungspflicht des Beklagten als Sozialhilfeträger ergibt sich aus § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII. Danach gehen abweichend von § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII Leistungen nach § 27a Absatz 1 in Verbindung mit § 34 Absatz 6 des Zwölften Buches und Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach dem SGB VIII vor.

Der Beigeladene war bis zuletzt noch nicht 27 Jahre alt und damit entsprechend der Legaldefinition in § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII ein "junger Mensch" im Sinne von § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII.

Der Vorrang von Sozialhilfeleistungen in Form von Eingliederungshilfe gegenüber Leistungen der Jugendhilfe setzt voraus, dass eine wesentliche körperliche oder geistige Behinderung vorliegt, sowohl ein Anspruch auf Jugendhilfe als auch ein Anspruch auf Eingliederungshilfe nach dem SGB XII gegeben ist und beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind (BVerwG, Urteil vom 19.10.2011 – 5 C 6/11 = juris; BSG, Urteil vom 24.03.2009 – B 8 SO 29/07 R = juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28.01.2013 – L 20 SO 170/11 = juris, Rdnr. 59). Hierbei kommt es weder auf eine Differenzierung danach an, ob der Schwerpunkt des Hilfebedarfs im Bereich der (sozialhilferechtlichen) Eingliederungshilfe liegt (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.02.2011 – L 20 SO 110/08 = juris, Rdnr. 59; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.10.2012 – L 12 SO 621/10 = juris, Rdnr. 36), noch ist entscheidend, ob der Hilfebedarf ausschließlich durch die geistige bzw. seelische Behinderung bedingt ist, oder ob andere Umstände – wie erzieherische Defizite im Elternhaus – für den Umfang des Hilfebedarfs mitursächlich sind. Der Bedarfsdeckungsgrundsatz lässt es nicht zu, den konkreten Hilfebedarf in einzelne Komponenten aufzuspalten und die bei isolierter Betrachtung hierfür hypothetisch erforderlichen Hilfeleistungen (im Sinne eines erzieherischen oder behinderungsbedingten Bedarfs) voneinander abzugrenzen LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28.01.2013 – L 20 SO 170/11 = juris, Rdnr. 56).

Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII vor. Der Beigeladene hatte einen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung in Form von Heimerzeihung nach § 27 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB VIII i.V.m. § 34 Satz 1 SGB VIII, was von den Beteiligten nicht in Zweifel gezogen wird. Der Beigeladene hatte indessen auch einen Anspruch auf sozialhilferechtliche Eingliederungshilfe nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe (SGB XII). Danach erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Bei dem Beigeladenen lag eine wesentliche geistige Behinderung und eine wesentliche Einschränkung seiner Teilhabefähigkeit vor. Nach dem Bericht des C1 – Klinik für Kinder- und Jugendmedizin – vom 23.06.2014 litt er an einer leichten Intelligenzminderung im Sinne einer geistigen Behinderung (ICD- 10: F 70.0). Im Rahmen der dort erfolgten testpsychologischen Untersuchung ergab sich ein Gesamt-IQ-Wert von 66. Bei einem solchen Wert ist auch ohne Hinzutreten weiterer Umstände von einer zwar leichten, aber wesentlichen geistigen Behinderung auszugehen (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28.01.2013 – L 20 SO 170/11 = juris, Rdnr. 53; Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 53 Rdnr. 25). Aus dieser wesentlichen geistigen Behinderung des Beigeladenen folgt auch eine wesentliche Einschränkung seiner Teilhabefähigkeit. Die Kammer entnimmt dies dem Bericht des C1 – Klinik für Kinder- und Jugendmedizin – vom 23.06.2014, dem Bericht der M-Klinik in C – Kinderneurologisches Zentrum – vom 12.08.2014, dem undatierten Bericht der Schule am S. über die Lernentwicklung und den Leistungsstand im ersten Schulbesuchsjahr sowie dem Pädagogischen Bericht des Kinderheims T. vom 14.01.2015. Danach zeigt der Beigeladene im Vergleich zur Altersgruppe eine weit unterdurchschnittliche kognitive Begabung. Er begann in der Schule, sich rasch abzulenken, den Kopf auf den Tisch zu legen, mit den Händen zu wischen und mit den Füßen zu strampeln. Seine Anstrengungsbereitschaft, Konzentration und Ausdauer waren äußerst gering. Er war ferner nicht in der Lage, den Arbeitsanweisungen der Lehrerin nachzukommen und lenkte die Mitschüler in seiner näheren Umgebung ab. In der Mutter-Kind-Einrichtung kam es zu fremd- und selbstgefährdendem Verhalten in Form von aggressivem Verhalten und Wutausbrüchen mit nahezu täglichen Eskalationen in den Abendsituationen. Vom Kinderheim T. wurden seine kognitiven Fähigkeiten weit unterdurchschnittlich und nicht altersadäquat eingeschätzt, seine Auffassungsgabe war erheblich verlangsamt. So konnte er des öfteren Zusammenhänge im Verhalten anderer Personen ihm gegenüber nicht erkennen. Schließlich hat die Diplom-Psychologin L. in ihrem Bericht vom 20.01.2015 auf "manifeste soziale Schwierigkeiten" hingewiesen.

Soweit der Beklagte ausführt, angesichts der Entwicklungsfortschritte des Beigeladenen sei nicht von einer wesentlichen geistigen Behinderung auszugehen, vermag sich die Kammer dem nicht anzuschließen. Denn sowohl in den Stellungnahmen der Schulen als auch in den Stellungnahmen des T. Kinderheimes werden trotz Fortschritten des Beigeladenen in einzelnen Bereichen gravierende Einschränkungen seiner Fähigkeit zur Teilhabe beschrieben. Die Kammer sieht sich in ihrem Eindruck durch den aktuellen Bescheid des Schulamtes Rhein-Sieg vom 06.04.2016 bestätigt, mit dem mittlerweile auch eine Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung festgestellt wurde.

Auch war (zuletzt) auch eine stationäre Unterbringung des Beigeladenen erforderlich. Die Kammer entnimmt dies dem Pädagogischen Bericht des Kinderheims T. vom 14.01.2015. Dort wurde die Möglichkeit befürwortet, den Beigeladenen in einer Erziehungsstelle unterzubringen, in der er im familiären Kontext betreut und begleitet werden kann. Auch die Diplom-Psychologin L. hat sich im Rahmen ihres Berichtes vom 20.01.2015 für die Unterbringung in einer Erziehungsstelle ausgesprochen.

Der Beklagte war schließlich auch für Leistungen der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe in Form stationären Unterbringung im streitgegenständlichen Zeitraum sachlich und örtlich zuständig. Die sachliche Zuständigkeit des Beklagten ergibt sich aus § 97 Abs. 1 und 2 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 2 Abs. 1 a) des Landesausführungsgesetzes zum SGB XII für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16.12.2004 (GV. NRW. Seiten 816 ff.) i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 a) der Ausführungsverordnung zum SGB XII des Landes Nordrhein-Westfalen vom 16.12.2004 (GV. NRW. Seiten 816 ff.).

Die örtliche Zuständigkeit des Beklagten folgt aus § 98 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB XII. Nach § 98 Abs. 2 SGB XII ist für die stationäre Leistung der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich der Leistungsberechtigte den gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung hat oder in zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hatte. Im vorliegenden Fall hatte der Beigeladene seinen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I) vor der Aufnahme in der ersten Einrichtung in Aachen. Der Beklagte ist somit auch örtlich für die stationäre Eingliederungshilfe zuständig.

Schließlich liegen auch die übrigen Voraussetzungen des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X vor. Ein Fall des § 103 SGB X ist nicht gegeben und der Beigeladene hatte gegen den Beklagten – wie dargelegt – einen Anspruch auf sozialhilferechtliche Eingliederungshilfe.

Liegen die Voraussetzungen des § 97 Satz 1 SGB VIII vor, so "kann" der erstattungsberechtigte Jugendhilfeträger die Feststellung betreiben. Die Kammer sieht hierin lediglich die Umschreibung der Berechtigung zur Antragstellung (also ein sog. Kompetenz-Kann, allgemein etwa BSG, Urteil vom 26.09.1991 – 4/1 RA 33/90 = juris; BSG, Urteil vom 09.03.2016 – B 14 AS 20/15 R = juris) und kein Ermessen (a.A. für die spiegelbildliche Vorschrift des § 95 SGB XII Armbruster, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 95 SGB Rdnr. 53). Denn dem feststellungsberechtigten Jugendhilfeträger wird keinerlei Befugnis eingeräumt, was jedoch Voraussetzung für die Annahme eines Ermessens im technischen Sinne ist. Folglich hat die Klägerin mit ihrer Entscheidung, eine Feststellung zu betreiben, den in § 97 Satz 1 SGB VII auf Rechtsfolgenseite umschriebenen Anforderungen genüge getan.

Ist die Klägerin somit bereits mit ihrem Hauptantrag durchgedrungen, war über ihren Hilfsantrag nicht mehr zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Die Kammer hat den Auffangstreitwert zu Grunde gelegt, weil der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte liefert. Insbesondere begehrt die Klägerin nicht die Erstattung für einen bestimmten Leistungszeitraum, an dem sich die Festsetzung orientieren könnte.
Rechtskraft
Aus
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