S 14 KR 115/20

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 14 KR 115/20
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 18.06.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.02.2020 verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 11.04.2019 bis 20.09.2019 Krankengeld unter Zugrundelegung eines maßgeblichen Regelentgeltes in Höhe von kalendertäglich 140,85 EUR zu gewähren. Der Beklagten werden Missbrauchskosten i.H.v. 300 EUR auferlegt. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt höhere Krankengeldzahlungen in der Zeit vom 11.04.2019 bis 20.09.2019.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger war bis September 2020 als Einzelunternehmer selbstständig erwerbstätig und hatte einen geringfügig Beschäftigten angestellt. Im streitgegenständlichen Zeitraum war er bei der Beklagten freiwillig gesetzlich krankenversichert. Andere Einkünfte als aus dem Gewerbebetrieb hatte der Kläger in den Jahren 2016 bis 2019 nicht.

Nachdem der zu diesem Zeitpunkt aktuellste Steuerbescheid für das Jahr 2016 Negativeinkünfte aus dem Gewerbebetrieb auswies erhob die Beklagte ab dem 01.01.2019 Beiträge vorläufig nach der Mindestbemessungsgrenze (Bescheid vom 15.12.2018).

In der Zeit vom 28.02.2019 bis 20.09.2019 erkrankte der Kläger arbeitsunfähig. Die Arbeitsunfähigkeit wurde lückenlos ärztlich festgestellt und die Feststellung jeweils binnen einer Woche der Beklagten angezeigt.

Mit Bescheid vom 25.04.2019 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Zahlung von Krankengeld vom 26.03.2019 ab. Leider könne kein Krankengeld gezahlt werden, da der Kläger keinerlei Einkünfte aus der selbstständigen Tätigkeit erziele und somit keinen Verdienstausfall habe.

Daraufhin übersandte der Kläger den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2017 vom 06.02.2019 in dem ein Einkommen aus Gewerbebetrieb i.H.v. 32.130 EUR festgestellt wurde.

Mit Bescheid vom 18.06.2019 bewilligte die Beklagte dem Kläger daraufhin für die Zeit ab 11.04.2019 Krankengeld unter Zugrundelegung eines Regelentgeltes nach der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage in Höhe von kalendertäglich 24,23 EUR brutto.

Am 10.07.2019 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 18.06.2019 ein. Einerseits werde mitgeteilt, dass sich die Beitragsgrundlage aus der Mindesteinnahmegrenze berechne, andererseits würden nunmehr Beiträge auf Grundlage des Einkommensteuerbescheides aus 2017 gefordert.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.02.2020 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Das Bundessozialgericht habe in einem Urteil aus dem Dezember 2006 (B 1 KR 11/06 R) ausgeführt, dass für die Berechnung des Krankengeldes bei freiwillig versicherten hauptberuflich Selbstständigen nach § 47 Abs. 4 S. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) im Sinne einer widerlegbaren Vermutung ein Regelentgelt zugrunde zu legen sei, dass dem Betrag entspreche, aus dem zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit Beiträge entrichtet worden seien. Hiervon könne nur ausnahmsweise abgewichen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass dieser Betrag erkennbar nicht der wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entspreche, weil sein tatsächliches Arbeitseinkommen wesentlich geringer gewesen sei. Nach dem Vortrag des Klägers habe dieser jedoch für das Jahr 2017 ein höheres Einkommen erzielt. Der vom BSG dargelegte Ausnahmefall eines evident niedrigeren Einkommens vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit sei somit nicht gegeben.

Hiergegen hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten am 25.03.2020 Klage erhoben. Zunächst hat der Kläger begehrt, der Krankengeldberechnung für den streitigen Zeitraum sein Arbeitseinkommen aus dem Jahr 2017 zugrunde zu legen, zuletzt das höhere aus dem Jahr 2018.

Er ist der Ansicht, die Grundsätze der BSG-Rechtsprechung zur Ausnahme vom Wortlaut des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V seien auch zugunsten des Versicherten anzuwenden.

Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18.06.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.02.2020 zu verurteilen, dem Kläger Krankengeld für den Zeitraum vom 11.04.2019 bis 20.09.2019 unter Zugrundelegung eines maßgeblichen Regelentgeltes in Höhe von 4.225,58 EUR nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Der Vertreter der Beklagten beantragt, die Klage abzuweisen.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung behauptet der Vertreter der Beklagten, in allen Fällen, in denen das BSG nicht den letzten zur Zeit des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit vorliegenden Steuerbescheid für die Ermittlung des Regelentgeltes bei Selbstständigen zugrunde gelegt habe, habe der Versicherte noch über gar keinen Steuerbescheid zu Einkünften aus seiner selbständigen Tätigkeit verfügt. Es könne im Übrigen lediglich die Auffassung der Beklagten wiedergegeben werden, dass der Berechnung des Krankengeldes das Arbeitseinkommen zugrunde zu legen sei, dass zuletzt der Beitragsbemessung zugrunde gelegt worden sei.

Die Beklagte beruft sich insofern schriftlich im Kern auf den Wortlaut des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V und formuliert die Ansicht, hiervon könne zwar auch zugunsten des Klägers abgewichen werden. Das Regelentgelt finde nur seine Begrenzung in dem Betrag, der zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsermittlung herangezogen worden sei.

Der Kläger hat einen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2018 vom 05.05.2020 vorgelegt, aus dem Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 50.707 EUR hervorgehen. Die Beklagte hat auf dessen Grundlage (ausgehend von einem monatlichen Einkommen i.H.v. 4.225,58 EUR) die Beiträge für das Jahr 2018 endgültig festgesetzt (Bescheid vom 15.06.2020).

Die Kammer hat im Rahmen des Verfahrens der Beklagten mehrere schriftliche Hinweise erteilt. Die mündliche Verhandlung hat die Kammer unterbrochen, um dem Vertreter der Beklagten Gelegenheit zu geben, konkret das Urteil des BSG vom 06.11.2008 - B1 KR 28/07 R nochmals zu lesen und hiernach auf die Möglichkeit der Auerlegung von Missbrauchskosten hingewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten in Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

A. Die Erhöhung des mit der Klage begehrten Krankengeldes im Laufe des Verfahrens stellt keine Klageänderung dar und ist insofern gem. § 99 Abs. 3 Nr. 2 Alt. Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne weiteres zulässig.

B. Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthafte (§ 54 Abs. 4 SGG) und auch im Übrigen zulässige Klage ist begründet.

I. Nach § 47 Abs. 1 S. 1 SGB V beträgt das Krankengeld 70 vom Hundert des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt. Das "erzielte regelmäßige Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen" in diesem Sinne wird in § 47 Abs. 1 S. 1 SGB V in einem Klammerzusatz als "Regelentgelt" bezeichnet. Gemäß § 47 Abs. 1 S. 5 SGB V wird das Regelentgelt nach den Absätzen 2, 4 und 6 des § 47 SGB V berechnet und gemäß Abs. 1 S. 6 für Kalendertage gezahlt. Für Versicherte, die - wie der Kläger - nicht Arbeitnehmer sind, gilt nach § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung aus Arbeitseinkommen maßgebend war.

II. Zwar lag der (vorläufigen) Beitragsbemessung zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit des Klägers nach § 240 Abs. 4 S. 1 SGB V der neunzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße für das Jahr 2019 zugrunde, jedoch ist dieses fiktive Mindesteinkommen nicht für die Berechnung des Krankengeldes maßgeblich. Das Krankengeld richtet sich vielmehr nach dem tatsächlich erzielten Arbeitseinkommen des Klägers im Jahre 2018, so dass sich ein kalendertägliches Regelentgelt in Höhe von 140,85 EUR brutto ergibt, von dem ausgehend die Beklagte das Krankengeld des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum nach Maßgabe der Bestimmungen des § 47 Abs. 1 S. 2-4 SGB V zu berechnen und (abzüglich der bereits gewähren Leistungen in Höhe von kalendertäglich 24,23 EUR brutto) zu gewähren hat.

1. Das Bundessozialgericht hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die Anordnung des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V als widerlegbare Vermutung zu verstehen ist.

Soweit § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V seinem Wortlaut nach demgegenüber erkennbar fingiert ("gilt") (vgl. insoweit SG Reutlingen, Urteil vom 24. Juni 2010 – S 14 KR 3892/09 –, Rn. 23, juris), dass der kalendertägliche Regelentgeltbetrag dem zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung maßgebenden Arbeitseinkommen entspricht, liegt dieser Rechtsprechung letztlich eine teleologische Reduktion zugrunde (nicht zur "einschränkenden Auslegung" abgrenzend: BSG, Urteil vom 30. März 2004 – B 1 KR 32/02 R –, BSGE 92, 260-267, SozR 4-2500 § 47 Nr 1, Rn. 14; BSG, Urteil vom 07. Dezember 2004 – B 1 KR 17/04 R –, Rn. 15, 17 juris). Eine entsprechende Restriktion der Norm ist dort geboten, wo der Sinn und Zweck der einzuschränken gesetzlichen Anordnung selbst sie erfordert oder sie durch den insoweit vorrangigen Zweck einer anderen Norm, der andernfalls nicht erreicht würde, durch die Natur der Sache oder durch eine für eine bestimmte Fallgruppe vorrangiges, dem Gesetz immanentes Prinzip geboten wird und ein vorrangiges Interesse an Rechtssicherheit nicht die strikte Einhaltung der Wortlautgrenze verlangt (vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl., 1995, Seite 210 ff.).

Das Vorliegen dieser Voraussetzungen bildet sich in den Begründungen des BSG zum Verständnis des § 47 Abs. 2 S. 2 SGB V ab, so dass dieser Rechtsprechung mit der Vorstellung des Gesetzgebers (vgl. BT-Drs. 18/11205, S. 72) zu folgen ist. Zugleich verdeutlichen die Begründungen des BSG – ungeachtet der Tatsache, dass das BSG dies bereits zweifach ausdrücklich in obiter dicta erklärt hat (BSG, Urteil vom 06. November 2008 – B 1 KR 28/07 R –, SozR 4-2500 § 47 Nr 10, Rn. 22; BSG, Beschluss vom 22. Februar 2017 – B 3 KR 47/16 B –, Rn. 13, juris; ferner: Krauskopf, in: Krauskopf/Knittel, 106. EL März 2020, SGB V, § 47, Rn. 39f.; Nebendahl, in: Spickhoff/Nebendahl, Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, SGB V, § 47, Rn. 37) – dass die Widerlegung der teleologisch auf eine widerlegbare Vermutung reduzierten Fiktion nicht allein zu Lasten des Versicherten möglich ist, wie die Beklagte in ihrer angefochtenen Entscheidung annimmt. Der Beklagten ist allein einzuräumen, dass vom BSG bislang kein Fall zu entscheiden war, indem die Grundsätze der eigenen Rechtsprechung zu einem Klageerfolg eines Versicherten führen konnten.

2. a) Erstmals hat das BSG mit Urteil aus dem März 2004 entschieden, dass die Anordnung des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V als normative Festlegung (Fiktion) eines der Krankengeldberechnung zugrunde zu legenden Regelentgeltes der Teleologie der Vorschriften zum Krankengeld im Sinne eines Entgeltersatzes (Entgeltersatzfunktion) zuwiderlaufe (BSG, Urteil vom 30. März 2004 – B 1 KR 32/02 R –, BSGE 92, 260-267, SozR 4-2500 § 47 Nr 1). Soweit seinerzeit die Wörter "aus Arbeitseinkommen" in § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V noch nicht enthalten waren (eingeführt im Anschluss an diese Rechtsprechung "klarstellend: BR-Drs. 676/04, S. 48) folge aus dem Gesetzeszweck, dass das Regelentgelt einerseits allein nach dem Arbeitseinkommen, nicht aber aus anderen der Beitragsbemessung zugrunde liegenden Einnahmen zu bestimmen sei, andererseits, dass kein fiktives Arbeitseinkommen zugrunde gelegt werden dürfe. Insofern komme eine Bestimmung des Regelentgeltes bei einer Beitragsberechnung nach der Mindestbemessungsgrundlage nicht in Betracht, wenn tatsächlich Arbeitseinkommen unterhalb dieser erzielt worden sei. Die Entgeltersatzfunktion präge die Regelungen zum Krankengeld soweit in § 47 Abs. 1 S. 2 SGB V das Regelentgelt für Arbeitnehmer auf 90 vom Hundert des Nettoarbeitsentgeltes begrenzt werde, § 47 Abs. 3 SGB V die den Krankenkassen für Sonderfälle eingeräumte Gestaltungsfreiheit hinsichtlich der Zahlung und Berechnung des Krankengeldes mit der ausdrücklichen Auflage verbinde, die Erfüllung der Entgeltersatzfunktion des Krankengeldes sicherzustellen und § 44 Abs. 1 S. 2 SGB V diejenigen Versichertengruppen pauschal vom Anspruch auf Krankengeld ausschließe, die mangels einer entgeltlichen Tätigkeit im Falle der Arbeitsunfähigkeit regelmäßig kein Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen einbüßten (a.a.O. Rn.13). Im systematischen Zusammenhang zu § 47 Abs. 1 S. 1 SGB V erschließe sich das Verständnis des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V. § 47 Abs. 1 S. 1 SGB V stecke den Rahmen ab, der bei allen in § 47 SGB V getroffenen Regelungen vorrangig zu beachten sei. Nur in dieser Weise bleibe der Sinn und Zweck der Krankengeldleistung gewahrt, dem arbeitsunfähigen Versicherten einen Ausgleich für den durch die Arbeitsunfähigkeit entfallenden Verdienst zu bieten (a.a.O. Rn. 14). Hieran hat das BSG mit Urteil aus dem Dezember 2004 festgehalten (BSG, Urteil vom 07. Dezember 2004 – B 1 KR 17/04 R –, juris).

b) Auch die seitens der Beklagten im Rahmen der Begründung des Widerspruchsbescheides allein in Bezug genommenen Entscheidung des BSG aus dem Dezember 2006 (BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 – B 1 KR 11/06 R –, BSGE 98, 43-48, SozR 4-2500 § 47 Nr 7) trägt die Auffassung nicht, von der Regelung des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V könne allein zulasten des Versicherten abgewichen werden. Weder nahm das BSG eine ausdrückliche Differenzierung dieser Art vor, noch ergibt sich aus dieser Entscheidung ein rechtsdogmatischer Anknüpfungspunkt hierfür.

Mit der Entscheidung hat das BSG die im Urteil vom 30.03.2004 enthaltenen Rechtssätze "klargestellt" (a.a.O.) und die Reichweite und Grundsätze der praktischen Handhabung der Restriktion in der Korrespondenz des der Beitragsbemessung zu Beginn der Arbeitsunfähigkeit zugrunde zu legenden Arbeitseinkommens präzisiert. Für die Berechnung des Krankengeldes sei bei freiwillig versicherten hauptberuflich Selbstständigen nach § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V im Sinne einer widerlegbaren Vermutung ein Regelentgelt zugrundezulegen, das dem Betrag entspreche, aus dem zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit freiwillige Beiträge entrichtet worden seien. Hiervon könne ausnahmsweise nur dann abgewichen und die Vermutung widerlegt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass dieser Betrag erkennbar nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entspreche, weil sein tatsächliches Arbeitseinkommen wesentlich geringer gewesen sei (a.a.O., Rn. 9). Dabei ist der letzte Satzteil – nach der weiteren Urteilsbegründung ersichtlich - der konkreten Fallgestaltung geschuldet, in der die Krankenkasse als Revisionsführerin, bei Verbeitragung des Versicherten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit im Jahr 2001 nach der Beitragsbemessungsgrenze, Krankengeld allein nach einem aus der Mindestbeitragsbemessungsgrenze abgeleiteten Regelentgelt zahlen wollte (a.a.O., Rn. 2). Zur Begründung hatte die Krankenkasse angeführt, ein höheres Einkommen habe der Kläger bei zwischenzeitlicher Vorlage des Einkommenssteuerjahresbescheides für das Jahr 1999 nicht nachgewiesen. Das BSG führte weiter aus, nur in dem – in den entsprechenden Rechtsstreit nicht erkannten – für die Widerlegung der Vermutung erforderlichen Fall einer evidenten Diskrepanz zwischen tatsächlichem Einkommen und der Beitragsbemessungsgrundlage komme die Ermittlung des tatsächlichen Arbeitseinkommens in Betracht, dass dann der Krankengeldberechnung zugrunde zu legen sei. In diesen strikten Anforderungen an den Anlass auf eine Überprüfbarkeit der Widerlegung des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V im Sinne einer Vermutung werde einerseits dessen Wortlaut, andererseits den Erfordernissen der Verwaltungspraktikabilität entsprochen. Weiterhin betonte der Erste Senat im Anschluss an die Rechtsprechung aus dem März 2004 indes die Entgeltersatzfunktion, die er offenkundig weiterhin als Anlass erkannte eine Restriktion vorzunehmen (a.a.O., Rn. 12).

c) Unterlag das BSG mit einem die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurückweisenden Beschluss aus dem Juli 2008 (BSG, Beschluss vom 28. Juli 2008 – B 1 KR 44/08 B –, Rn. 8, juris; zitiert von: Bohlken in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 47 SGB V (Stand: 15.06.2020), Rn. 96; Joussen, in: Becker/Kingreen, 7. Aufl. 2020, SGB V, § 47, Rn. 8; Legde, in: LPK-SGB V, 5. Aufl. 2016, SGB V, § 47, Rn. 18; kasuistisch: Schifferdecker, in: KassKomm, 109. EL Mai 2020, SGB V, § 47, Rn. 79; Tischler, in: BeckOK SozR, 57. Ed. Juni 2020, SGB V, § 47, Rn. 28) – ohne die konkrete Fallgestaltung zu vergegenwärtigen und die dogmatischen Grundlagen der Urteilsbegründung zu betrachten - noch demselben Fehlverständnis seines Urteils aus dem Dezember 2006 wie die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid, hat es mit darauf folgenden Urteilen aus dem November 2008 (insbesondere BSG, Urteil vom 06. November 2008 – B 1 KR 28/07 R –, SozR 4-2500 § 47 Nr 10; ferner BSG, Urteil vom 06. November 2008 – B 1 KR 8/08 R –, juris) eindeutige Aussagen i. S. d. hier vorliegenden Klagebegehrens gemacht. Die Sachverhaltskonstellation zum Verfahren B 1 KR 28/07 R entsprach der vorliegenden lediglich insoweit nicht, als der dortige Kläger im Kalenderjahr vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit letztlich tatsächlich weniger Einkommen erzielte als der Krankengeldberechnung zugrunde gelegt.

Im durch das BSG entschiedenen Fall (B 1 KR 28/07 R) war Arbeitsunfähigkeit des Klägers im Jahr 2005 eingetreten. Zu diesem Zeitpunkt hatte die beklagte Krankenkasse gegen dem Kläger auf Grundlage des bis dato aktuellsten Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2003 lediglich Mindestbeiträge festgesetzt. Die im Steuerbescheid für das Jahr 2003 ausgewiesenen Einkünfte legte sie der Berechnung des Krankengeldes zugrunde (BSG; a.a.O., Rn. 2, 3). Mit der Behauptung, dass Arbeitseinkommen sei im Jahr 2004 höher gewesen als im Jahr 2003 verlangte der Kläger die Zahlung höheren Krankengeldes (BSG a.a.O., Rn. 4). In Anknüpfung an die bereits aufgezeigte, vorangegangene Rechtsprechung stellte das BSG zunächst klar, dass gerade bei der Zahlung von Mindestbeiträgen regelmäßig Anlass bestehe, dass Arbeitseinkommen für das der Arbeitsunfähigkeit vorangegangene Kalenderjahr konkret zu ermitteln. Die – nach der vorangegangenen Rechtsprechung des BSG – widerlegbare Vermutung nach § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V erfasse nicht notwendig nur den Fall, der der Entscheidung aus dem Dezember 2006 (BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 – B 1 KR 11/06 R –, BSGE 98, 43-48, SozR 4-2500 § 47 Nr 7, vgl. dazu oben) zugrunde gelegen habe (in dem Höchstbeiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze gezahlt worden waren). Gerade bei der Zahlung von Mindestbeiträgen werde regelmäßig Anlass bestehen, vom tatsächlichen Arbeitseinkommen auszugehen, weil dessen Nachweis der Grund für die Zahlung der Mindestbeiträge sei. Wegen der Entgeltersatzfunktion sei die Höhe des Krankengeldes dann auf den Ersatz des tatsächlich entfallenden, nach der Differenzmethode zu berechnenden Arbeitsentgeltes oder Arbeitseinkommens begrenzt (BSG, a.a.O., Rn. 13, 14; ebenso: BSG, Urteil vom 06. November 2008 – B 1 KR 8/08 R –, Rn. 13, 14, juris). Liege der Beitragsbemessung das Mindesteinkommen zugrunde, bestünden nämlich regelmäßig konkrete Anhaltspunkte dafür, dass dieser Betrag, aus dem zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit Beiträge entrichtet worden seien, nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entspreche, weil sein tatsächliches Arbeitseinkommen wesentlich geringer gewesen sei. Dass der Beitragsbemessung zugrunde gelegte und das vor der Arbeitsunfähigkeit erzielte Arbeitseinkommen falle in diesen Fällen regelmäßig auseinander. Denn dem Mindestbetrag liege in der Regel ein fiktives Mindesteinkommen zugrunde, das gerade nicht die tatsächliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwillig Versicherten genau erfasse. Seien die Beiträge vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nach dem Mindesteinkommen erhoben worden, müsse das vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erzielte Arbeitseinkommen konkret ermittelt werden. Dabei seien Bedenken hinsichtlich des Ermittlungsaufwandes zurückzuweisen (BSG, a.a.O., Rn. 15, 16; ebenso: BSG, Urteil vom 06. November 2008 – B 1 KR 8/08 R –, Rn. 15, 16, 21 juris). Für die Ermittlung des Regelentgeltes sei auf das der Arbeitsunfähigkeit vorangegangene Kalenderjahr abzustellen. Denn das für die Ermittlung des Regelentgeltes maßgebliche Arbeitseinkommen werde in § 15 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) definiert als der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbstständigen Tätigkeit. Angeknüpft werde demnach an das Einkommensteuerrecht, nach dem das Kalenderjahr der maßgebliche Veranlagungszeitraum sei. Dies habe zur Folge, dass der nach diesen Vorschriften ermittelte Gewinn aus selbständiger Tätigkeit vor Schluss eines Kalenderjahres nicht feststehe (BSG, a.a.O., Rn. 17; ebenso: BSG, Urteil vom 06. November 2008 – B 1 KR 8/08 R –, Rn. 14, juris; auch schon: Urteil vom 14. Dezember 2006 – B 1 KR 11/06 R –, BSGE 98, 43-48, SozR 4-2500 § 47 Nr 7, Rn. 13-15; ferner: BSG, Beschluss vom 10. Mai 2010 – B 1 KR 144/09 B –, Rn. 8, juris).

Der Kläger sei jedoch nicht dadurch beschwert, dass die Beklagte der Berechnung des Krankengeldes das im Jahre 2003 tatsächlich erzielte Einkommen zugrunde gelegt habe, nicht aber das Einkommen des Jahres 2004, da dieses im konkreten Fall geringer gewesen sei (ebenso: BSG, Urteil vom 06. November 2008 – B 1 KR 8/08 R –, Rn. 20, juris). Als obiter dictum führt der Erste Senat aber ausdrücklich aus:

"Allerdings hätte das im Jahr 2004 erzielte Arbeitseinkommen für die Krankengeld – Berechnung verwendet werden müssen, wenn der Kläger – trotz andauernder Zahlung von Beiträgen nach dem fiktiven Mindesteinkommen – ein gegenüber 2003 höheres Arbeitseinkommen vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit – nicht notwendig durch ein Steuerbescheid, aber etwa durch hinreichend aussagekräftige Unternehmensunterlagen – nachgewiesen hätte." (BSG, Urteil vom 06. November 2008 – B 1 KR 28/07 R –, SozR 4-2500 § 47 Nr 10, Rn. 22).

d) Nachdem der Erste Senat BSG mit Beschluss aus dem Juli 2009 (BSG, Beschluss vom 24. Juli 2009 – B 1 KR 85/08 B –, Rn. 12, juris) und Urteil aus dem März 2013 (BSG, Urteil vom 12. März 2013 – B 1 KR 4/12 R –, SozR 4-2500 § 47 Nr 14, Rn. 24; Anmerkung von Meyerhoff, jurisPR-SozR 6/2014 Anm. 3) nochmals sein Verständnis des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V als wiederlegbare Vermutung bekräftigte, hat der Dritte Senat zuletzt mit Beschluss vom 22.02.2017 – wiederum im Rahmen eines obiter dictum – im Sinne des hiesigen Klagebegehrens ausgeführt:

"Das Begehren des Klägers ( ) berücksichtigt nicht das dem Gesetz zugrunde liegende Entgeltersatzprinzip, das – bei entsprechend hohem Arbeitseinkommen – im Einzelfall auch ein Krankengeld oberhalb des sich aus dem der Beitragsberechnung zugrunde liegenden Arbeitseinkommen ergebenden Krankengeld ermöglicht." (BSG, Beschluss vom 22. Februar 2017 – B 3 KR 47/16 B –, Rn. 13, juris)

3. a) Hinzuweisen ist darauf, dass die Ausführungen des BSG in den Urteilen aus dem Dezember 2006 (vgl. 2. b) und insbesondere November 2008 (vgl. 2. c) im Bewusstsein (vgl. BSG, Urteil vom 06. November 2008 – B 1 KR 8/08 R –, Rn. 18, juris) erfolgten, dass der für das Beitragsrecht zuständige Zwölfte Senat auf Grundlage der zu dieser Zeit gültigen Fassung des § 240 Abs. 4 S. 2, 3 SGB V die Auffassung vertrat, dass die Beiträge der freiwillig Versicherten (in der Regel) sofort endgültig festzusetzen waren und die tatsächlich erzielten Einnahmen bei den hauptberuflich Selbstständigen in der Regel nur zeitversetzt berücksichtigt werden könnten. Es könnten deshalb nur die Einnahmen eines bereits vergangenen Zeitraums i. S. von § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V a. F. nachgewiesen werden, die dann als laufende Einnahmen solange bei der Beitragsfestsetzung berücksichtigt würden, bis ein neuer Einkommensnachweis vorliege. Die damit lediglich zeitversetzt erfolgende Berücksichtigung der tatsächlichen Einnahmen der hauptberuflich Selbstständigen sei nicht zu beanstanden. Auf einen längeren Zeitraum gesehen werde die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zutreffend berücksichtigt, denn es erfolge ein Ausgleich der wechselnden Einnahmen, indem sowohl die nachgewiesene Erhöhung der Einnahmen als auch deren nachgewiesene Verringerung für die zukünftige Beitragsfestsetzung jeweils bis zum Nachweis einer Änderung berücksichtigt werde (BSG, Urteil vom 22. März 2006 – B 12 KR 14/05 R –, BSGE 96, 119-126, SozR 4-2500 § 240 Nr 5, Rn. 16; präzisiert späterhin mit Urteil vom 02. September 2009 (B 12 KR 21/08 R –, BSGE 104, 153-160, SozR 4-2500 § 240 Nr 12, Rn. 15 ff.).

Dies konnte im Ergebnis im Einzelfall zu einer fehlenden finalen Kongruenz von der Verbeitragung und der Berechnung des Krankengeldes zugrunde gelegtem Arbeitseinkommen führen, weil der Zwölfte Senat mit der Anordnung des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V im Spannungsverhältnis der Ansicht war, soweit der Erste Senat für das Leistungsrecht des Krankengeldes (BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 – B 1 KR 11/06 R –, BSGE 98, 43-48, SozR 4-2500 § 47 Nr 7, Rn. 11 ff.) einerseits nach den Vorgaben des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V entschieden habe, dass das für die Leistungsbemessung maßgebliche Regelentgelt bei freiwillig versicherten Selbstständigen grundsätzlich und in aller Regel der zuletzt maßgeblichen Beitragsbemessungsgrundlage entspreche, deren Höhe "verwaltungspraktikabel" durch den Steuerbescheid nachgewiesen werde, andererseits Ausnahmefälle, bei denen es konkrete Anhaltspunkte dafür gebe, dass der zuletzt der Beitragsbemessung zugrunde liegende Betrag erkennbar nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entspreche, und insofern die Heranziehung weiterer Beweismittel in Erwägung ziehe, betreffe dies nur das Leistungsrecht der Krankenversicherung und nicht deren eigenständiges Beitragsrecht (BSG Urteil vom 02. September 2009 (B 12 KR 21/08 R –, BSGE 104, 153-160, SozR 4-2500 § 240 Nr 12, Rn. 18).

Der hierdurch entstehende Zielkonflikt des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V zwischen Entgeltersatzprinzip einerseits und Kongruenz der Arbeitseinkommensermittlung in den Bereichen des Leistungs- und des Beitragsrechts andererseits bestand bei der Schaffung des § 47 Abs. 2 S. 2 SGB V nicht. In ihrer wesentlichen Struktur ist die Vorschrift aus den bis zum 31.12.1988 geltenden Regelungen der Reichsversicherungsordnung (RVO) hervorgegangen. Bereits diese hatten die Krankengeldhöhe an die Beitragsbemessung geknüpft. Indes hatte das BSG zu jener Zeit - bis zu den soeben aufgezeigten Entscheidungen des Zwölften Senates - auch für das Beitragsrecht eine zeitnahe Ermittlung des Arbeitseinkommens für freiwillig gesetzlich versicherte Selbstständige für möglich und erforderlich gehalten und in diesem Zusammenhang auch von einem Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater aufgestellte Gewinn- und Verlustrechnungen oder Bilanzen zur Nachweisführung ausreichen lassen statt den letzten Einkommenssteuerbescheid – ggfs. erheblich zeitversetzt – für allein maßgeblich zu erachten. Dem entsprach die verbreitete Praxis der Krankenkassen (BSG, Urteil vom 09. Februar 1993 – 12 RK 69/92 –, SozR 3-2500 § 240 Nr 14, Rn. 19; BSG, Urteil vom 27. November 1984 – 12 RK 70/82 –, BSGE 57, 240-247, SozR 2200 § 180 Nr 20, Rn. 15, 36- zum Krankengeld – ausdrücklich aufgegeben von: BSG, Urteil vom 02. September 2009 – B 12 KR 21/08 R –, BSGE 104, 153-160, SozR 4-2500 § 240 Nr 12, Rn. 17).

Abgesehen vom Wegfall des Begriffes des Grundlohnes und der Ersetzung von "Regellohn" durch "Regelentgelt" hat der heutige § 47 Abs. 1, 4 SGB V die Bestimmungen der RVO übernommen. Die Definition des Regellohns in der RVO hob auf die "wegen Arbeitsunfähigkeit entgangenen" Einkünfte ab, während § 47 Abs. 1 S. 1 SGB V die "erzielten" (Abs. 1) (Arbeits)einkünfte zugrunde legt, ohne dass dadurch eine Rechtsänderung beabsichtigt gewesen wäre (vgl. BT-Drs. 11/2237, S. 18) (ausführlich: BSG, Urteil vom 30. März 2004 – B 1 KR 32/02 R –, BSGE 92, 260-267, SozR 4-2500 § 47 Nr 1, Rn. 18-20). Insofern belegt die Auslegung des Begriffes des Grundlohns durch die ältere Rechtsprechung des BSG eine enge Bindung an die tatsächlichen Einkommensverhältnisse und den korrespondierenden Willen des Gesetzgebers, nicht eine Fiktion des Einkommens im Sinne des Wortlautes des § 47 Abs. 2 S. 2 SGB V ("gilt") zu verabsolutieren, sondern die Entgeltersatzfunktion in einer der damaligen Praxis (auch) im Beitragsrecht entsprechenden zeitnahen, der Beitragsfestsetzung kongruenten und insofern einfachen Ermittlung des Regelentgeltes zu erreichen (vgl. BT-Drucks 8/338 S. 60; BSG, Urteil vom 27. November 1984 – 12 RK 70/82 –, BSGE 57, 240-247, SozR 2200 § 180 Nr 20, Rn. 13, 14; zum Fortdauern dieses Ziels: BT-Drs. 18/11205, S. 72). Dem trägt die aufgezeigte Rechtsprechung des BSG durch die teleologische Reduktion unter Beachtung der Entwicklungen im Beitragsrecht in einer restriktiven Handhabung des Anlasses zur Ermittlung des Arbeitseinkommens abseits des der Verbeitragung zugrunde gelegten letzten Einkommenssteuerbescheides ausgleichend Rechnung.

b) Soweit seit der Änderung des § 240 SGB V mit dem Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (BGBl 2017 I, S 778) zum Jahr 2018 die Beiträge freiwillig gesetzlich versicherter Selbstständiger zunächst vorläufig auf Grundlage des letzten Einkommenssteuerbescheides und nach Vorlage des für das jeweilige Kalenderjahr erlassenen Einkommenssteuerbescheides endgültig festzusetzen sind (§ 240 Abs. 4a S. 1, 3 SGB V), muss die Widerlegbarkeit der zur Vermutung reduzierten Anordnung des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V entgegen der Ansicht der Beklagten erst Recht – sowohl zu Gunsten wie zu Ungunsten des Versicherten - gelten. Denn der Wortlaut des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V kann seither noch weniger Auskunft i. S. seiner dargelegten Teleologie gaben. Er weiß nicht, ob mit dem für die Beitragsbemessung zuletzt maßgebenden Arbeitseinkommen jenes adressiert ist, dass der vorläufigen Beitragsfestsetzung entspricht oder jenes, nach der die Beitragsfestsetzung für das vorangegangene Kalenderjahr endgültig zu erfolgen hat, da er von der späteren Einführung des § 240 Abs. 4a SGB V keine Kenntnis hat.

Der Gesetzgeber hat anlässlich der Begründung zur Änderung des § 240 SGB V zum Jahr 2018 aber in der Sache ausdrücklich die ausgleichende Rechtsprechung des BSG adaptiert, soweit er ausführt, dass Regelentgelt, das zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Krankengeldberechnung maßgeblich gewesen sei, sei unabhängig von den Beitragsnachberechnungen nach dem neuen § 240 Abs. 4a S. 3 SGB V endgültig festzustellen. Dabei werde berücksichtigt, dass der Versicherte typischerweise zur Sicherung seines Lebensunterhaltes auf das Krankengeld angewiesen sei und die Bewilligung zeitnah zum Ausfall des zu ersetzenden Einkommens erfolgen müsse. Dem werde Rechnung getragen, wenn als Regelentgelt im Sinne einer widerlegbaren Vermutung auf die zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit maßgeblich gewesene Beitragsbemessungsgrundlage und damit auf diejenigen Verhältnisse im aktuellen Versicherungsverhältnis abgestellt werde, die anhand einfach festzustellender Tatsachen rasch und verwaltungspraktikabel ermittelt werden könnten. Dies trage der Funktion des Krankengeldes Rechnung, den Entgeltersatz bei vorübergehendem Verlust der Arbeitsunfähigkeit sicherzustellen (BT-Drs. 18/11205, S. 72).

Die Beklagte setzt sich somit nicht nur in offenen Widerspruch zur Rechtsprechung des BSG, sondern missachtet den aktualisierten Willen des Gesetzgebers, wenn sie die Teleologie des Entgeltersatzes – jedenfalls zugunsten der Versicherten - unter dem Gesichtspunkt der Verwaltungspraktikabilität vollständig ausblendet und jedwede Ermittlungsarbeit von sich weist, weil eine zeitnahe Feststellung der verbindlichen Leistungshöhe des Krankengeldes weiterhin kaum möglich sein werde.

Die Änderung des § 240 SGB V zum Januar 2018 gäbe allenfalls Anlass, die Anforderungen an die Hinweise des Auseinanderfallens von nunmehr lediglich vorläufig der Beitragsfestsetzung zu Grunde gelegtem Einkommen und tatsächlich vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erzieltem Arbeitseinkommen zu senken. Denn soweit nunmehr – abweichend von der Rechtsprechung des Zwölften Senates seit März 2006 nicht mehr endgültig und ggfs. erheblich zeitversetzt der Verbeitragung das Einkommen gemäß des aktuellsten Steuerbescheides zugrunde zu legen ist, ist es gar verfassungsrechtlich geboten bei der Ermittlung des Krankengeldes nicht i. S. e. verabsolutierten Fiktion des Regelentgeltes i. S. d. lediglich vorläufigen Beitragsfestsetzung bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit konträr zu verfahren.

So hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aufgezeigt, dass ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG)) vorliege, wenn für Äquivalenzabweichungen zwischen der Bemessung kurzfristiger Lohnersatzleistungen wie dem Krankengeld und den entrichteten Beiträgen innerhalb einer Versicherungsgruppe mit gleicher Beitragsleistung ein hinreichend sachlicher Grund nicht ersichtlich sei. Durch die Berechnung der laufenden Lohnersatzleistungen dürfe nicht die wirtschaftliche Situation des Versicherten verzerrt werden. Der Gesetzgeber sei nicht berechtigt, bei kurzfristigen Lohnersatzleistungen beitragspflichtige Entgeltbestandteile außer Acht zu lassen, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit über einen längeren Zeitraum betrachtet beeinflussten. Denn auch die sogenannten kurzfristigen Leistungen würden für Zeiträume gezahlt, die etwa im Falle des Krankengeldes eineinhalb Jahre umfassten (BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 1995 – 1 BvR 892/88 –, BVerfGE 92, 53-74, Rn. 51, 56 ff.).

Entsprechendes träte indes ein, richtete man die Bemessung des Krankengeldes eines freiwillig gesetzlich versicherten Selbstständigen an dem aktuellsten Einkommensteuerbescheid aus, der der lediglich vorläufigen Beitragsfestsetzung bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit (Versicherungsfall) zugrunde liegt. Denn es hinge letztlich von der jeweiligen, bei einzelnen freiwillig selbstständig versicherten Mitgliedern erheblich variierenden Dauer des Verfahrens zur Festsetzung der Einkommenssteuer ab, ob das dem Krankengeld zugrunde gelegte Arbeitseinkommen auch nur annäherungsweise dem Einkommen vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entspräche, während auf der Beitragsseite final in der gesamten Versichertengruppe einheitlich das tatsächliche Arbeitseinkommen herangezogen wird – sich der entsprechende Zeitversatz der Steuerfestsetzungsverfahrens nicht (mehr) gleichermaßen endgültig auf Krankengeld- und Beitragshöhe auswirken kann. Eine hinreichende Rechtfertigung für diese (bewussten, vgl. BT- Drs 18/11205, S. 72) Äquivalenzabweichungen vermag der der Umstand, dass das Krankengeld bei Eintritt des Versicherungsfalles sofort benötigt wird lediglich i. S. d. dargelegten Handhabung des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V als widerlegbare Vermutung zu begründen. Denn es ist zu berücksichtigen, dass die Entgeltersatzfunktion des Krankengeldes selbst dann nicht aufgehoben erschiene, wenn der Gesetzgeber eine Parallelität mit der Beitragsfestsetzung seit Januar 2018 herstellte.

4. Unter Zugrundelegung des Dargelegten ist – entsprechend der insbesondere mit Urteil des BSG vom 06. November 2008 – B 1 KR 28/07 R (–, SozR 4-2500 § 47 Nr 10) aufgezeigten Verfahrensweise – das kalendertägliche Regelentgelt für den Krankengeldanspruch im streitgegenständlichen Zeitraum im Jahr 2019 aus dem Arbeitseinkommen des Klägers im Jahr 2018 abzuleiten. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass das vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit im Jahr 2019 auf Grundlage des Einkommenssteuerbescheides für das Jahr 2016 vorläufig für die Beitragsfestsetzung herangezogene Arbeitseinkommen nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Klägers bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entsprach ergaben sich – wie regelmäßig – daraus, dass den Beiträgen das Mindesteinkommen zugrunde lag. Eine Ausnahme hierzu lag schon deshalb nicht vor, weil der Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2016 Verluste auswies und eben kein (annähernd) dem Mindest- (für das Jahr 2018) entsprechendes Arbeitseinkommen. Hiernach war die Beklagte aufgerufen von Amts wegen das tatsächliche Jahresarbeitseinkommen des Klägers zu ermitteln, wie es zwischenzeitlich durch den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2018 in Höhe von 50.707 EUR (= 4225,58 EUR, vgl. Klageantrag = 140,85, vgl. Urteilstenor) ausgewiesen ist. Hiervon ausgehend hat die Beklagte Krankengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu berechnen und dem Kläger (unter Abzug des bereits geleisteten) zu gewähren. Es ist bezeichnend, dass die Beklagte zunächst einen Krankengeldanspruch vollständig abgelehnt hat, ohne zu ermitteln, ob die tatsächlichen Einnahmen zumindest die Mindestgrenze erreicht hatten.

C.

I. Die Kammer hält es für angemessen, der Beklagten sog. Missbrauchskosten in Höhe von 300 EUR aufzuerlegen.

1. Gemäß § 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht im Urteil oder, wenn das Verfahren anders beendet wird, durch Beschluss einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder –verteidigung dargelegt worden und der auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreites hingewiesen worden ist. Dem Beteiligten steht gleich sein Vertreter oder Bevollmächtigte (S. 2). Als verursachter Kostenbetrag gilt dabei mindestens der Betrag nach § 184 Abs. 2 SGG für die jeweilige Instanz (S. 3.); im erstinstanzlichen sozialgerichtlichen Verfahren insofern 150 EUR.

In der bis zum 01.01.2002 geltenden Fassung des § 192 SGG gab es bereits die Möglichkeit, einem Beteiligten diejenigen Kosten aufzuerlegen, die dieser, dessen Vertreter oder Bevollmächtigter durch Mutwillen, Verschleppung oder Irreführung dem Gericht oder einem Beteiligten verursacht hatte. Nach der Rechtsprechung war hierfür jedoch die Feststellung erforderlich, dass der Beteiligte, sein Vertreter oder Bevollmächtigter gegen seine bessere Einsicht handelte (BSG, Beschluss vom 19. Juni 1961 – 3 RK 67/60 –, SozR Nr 4 zu § 192 SGG, Rn. 2 m.w.Nachw.). Dies bereitete nicht selten Schwierigkeiten, so dass die Wirkung des § 192 SGG a.F. sehr begrenzt war (Wendt in: Rohwer-Kahlmann, SGG,4. Aufl. 2007, § 192 Rn. 1).

Bei der Neufassung des § 192 SGG zum 02.01.2002 hat sich der Gesetzgeber, der das sozialgerichtliche Verfahren straffen und beschleunigen wollte, daraufhin ausdrücklich auch an § 34 BVerfGG orientiert (BT-Drs. 14/6335, S. 33). Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Missbräuchlichkeit nach § 34 Abs. 2 BVerfGG kann insofern zur Auslegung des § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG herangezogen werden. Danach ist eine subjektive Komponente (Verschulden, Einsichtsfähigkeit) nicht erforderlich (Zuck in: Lechner/Zuck, BVerfGG, 7. Aufl. 2015, § 34 Rn. 6; Berendes, SGb 2002, 315, 318). (Straßfeld in: Jansen, SGG, 4. Aufl. 2012, § 192 Rn. 8, Ziff. 2.4; Berendes, SGb 2002, 315, 318; a.A. Winker, Die Missbrauchsgebühr im Prozessrecht 2011, S. 220). Bei der Beurteilung der objektiven Missbräuchlichkeit ist auf die objektivierte Einsichtsfähigkeit eines vernünftigen Verfahrensbeteiligten in der Rolle des Betroffenen abzustellen (Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 31. März 2005 – L 2 U 124/04 –, Rn. 40, juris; Thüringer Landessozialgericht, Urteil vom 18. September 2003 – L 2 RA 379/03 –, Rn. 21, juris; Stotz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 192 SGG, Rn. 38). Ist der Beteiligte demnach professionell vertreten, ist insofern (§ 192 Abs. 1 S. 2) auf die objektive Einsichtsfähigkeit einer rechtskundigen Person abzustellen; für sie gelten erhöhte Anforderungen (vgl. Thüringer Landessozialgericht, Urteil vom 18. September 2003 – L 2 RA 379/03 –, Rn. 21, juris).

Soweit dem entgegengehalten wird, § 192 SGG sei eine Schadensersatzregelung und die individuelle Verpflichtung zum Schadenersatz setzte nach rechtsstaatlichen Grundsätzen die Feststellung subjektiven Verschuldens voraus (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05. Mai 2010 – L 7 AS 193/10 B –, Rn. 10, juris), ist dem zunächst - neben der dargelegten Teleologie und Gesetzeshistorie - mit Blick auf Wortlaut und Systematik entgegenzuhalten, dass § 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG im Gegensatz zur Nr. 1 nicht an ein Verschulden anknüpft. Zudem wird beim Tatbestandsmerkmal der Missbräuchlichkeit nicht insgesamt auf ein vorwerfbares subjektives Verhalten verzichtet. Das vorwerfbare subjektive Verhalten liegt aber nicht darin, missbräuchlich einen Prozess zu führen, denn sonst hätte bereits die missbräuchliche Klageerhebung/Klageverteidigung für die Auferlegung von Missbrauchskosten ausgereicht. Notwendig ist vielmehr im Rahmen des § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG zusätzlich, dass der Betroffene den Prozess trotz der Darlegung der Missbräuchlichkeit durch den Vorsitzenden fortführt. Insofern ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass der konkret Betroffene nach seinem subjektiven Vermögen in der Lage ist, die ihm dargelegte (objektive) Missbräuchlichkeit nachzuvollziehen und sich dennoch für eine Fortsetzung des Prozesses entscheidet. Erst die Prozessfortführung, die als subjektive Entscheidung des missbräuchlich Handelnden das erforderliche subjektive Element enthält, führt zur Möglichkeit der Auferlegung von Missbrauchskosten (Stotz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 192 SGG, Rn. 39).

Eine Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung in diesem Sinne kann unter anderem vorliegen, wenn der Rechtsstreit trotz offensichtlicher Aussichtslosigkeit weitergeführt wird (vgl. BT-Drs. 14/6335, S. 33 ("Unterfall der Missbräuchlichkeit"); Schmidt, in: Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 192, Rn. 9). Indes genügt die Aussichtslosigkeit allein nicht, es müssen vielmehr besondere Umstände der Qualität hinzutreten, dass die Rechtsverfolgung/ -verteidigung von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden muss (BVerfG, Kammerbeschluss vom 06. November 1995 – 2 BvR 1806/95 –, Rn. 8, juris; BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. Dezember 1994 – 2 BvR 2718/93 –, Rn. 3, juris, zu § 34 Abs. 2 BVerfGG; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 16. Juni 2004 – L 12 AL 59/03 –, Rn. 23, juris; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.11.2014 - L 20 AY 7/1 -, Rn. 32, openJur 2014, 24667).

2. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nach Auffassung der Kammer erfüllt. Dabei ist zunächst festzustellen, dass zur vorliegenden Fallkonstellation bereits seit November 2008 unmissverständliche höchstrichterliche Ausführungen vorliegen, die sich auf korrespondierende rechtsdogmatische Erwägungen stützen und in jüngerer Zeit durch das BSG in ihrer Aktualität bestätigt worden sind.

Bereits den schriftlichen Reaktionen der Beklagten zu den Hinweisen der Kammer auf diese - von der Beklagten bei deren angefochtenen Entscheidung offenkundig übersehenen - höchstrichterlichen Rechtsprechung ist zu entnehmen, dass die Beklagte bei der Kenntnisnahme dieser Rechtsprechung die Beibehaltung ihrer Auffassung vor die Erfassung und Würdigung der BSG-Rechtsprechung gesetzt hat. Anders ist es nicht zu erklären, dass die Beklagte auf die zitierte unmissverständliche Äußerung des Ersten Senates vom 22.02.2017 hingewiesen einen Konflikt mit der eigenen Auffassung bei Lichte betrachtet letztlich damit zurückgewiesen hat, dass es sich um ein obiter dictum handelte (vgl. Schriftsatz vom 30.07.2020, S. 2). Den Hinweis auf die Ausführungen des BSG im Urteil vom 06.11.2008 hat die Beklagte schon schriftlich gänzlich ignoriert und schlicht mit dem Hinweis auf ihre in den rechtlichen Grundlagen nicht erläuterte Auffassung gekontert, eine Abweichung von dem zuletzt der vorläufigen Beitragsfestsetzung zu Grunde gelegten Einkommen sei nicht nur zulasten des Versicherten möglich. Eine Abweichung könne auch zugunsten des Klägers erfolgen, das Regelentgelt finde nur seine Begrenzung in dem Betrag, der zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung herangezogen worden sei (Schriftsatz vom 12.10.2020). Diese offenkundig in sich widersprüchliche Auffassung konnte auch der – von der Kammer grds. sehr geschätzte – Sitzungsvertreter der Beklagten nicht erläutern. Er musste sich vielmehr darauf beschränken mitzuteilen, dass dies nun einmal die Auffassung der Beklagten sei. Soweit er ferner offenkundig fälschlicherweise behauptet hat, den Entscheidungen des BSG habe jeweils eine Sachverhaltskonstellation zugrunde gelegen, in der noch überhaupt kein Steuerbescheid mit Feststellungen zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit vorgelegen habe, wird die ungenügende Befassung der Beklagten mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung überdeutlich. In der Folge hat der Vorsitzende die maßgeblichen Passagen aus dem Urteil des BSG vom 06.11.2008 nochmals vorgelesen und die Verhandlung unterbrochen, um dem Sitzungsvertreter Gelegenheit zu geben, das entsprechende Urteil zu lesen. Die Beklagte hat durch ihren rechtskundigen Vertreter jedoch auch hiernach schlicht keinen Kommentar zu der Entscheidung abgeben wollen und insofern die Erörterung der Rechtslage im Rahmen der mündlichen Verhandlung (vgl. § 112 Abs. 2 S. 2 SGG) ad absurdum geführt. Dies hat der Kammervorsitzende zum Anlass genommen, dem Vertreter der Beklagten den für die Verhängung der Missbrauchskosten erforderlichen Hinweis zu erteilen.

3. Die Auferlegung von 300 EUR ist der Höhe nach äußerst zurückhaltend. Zu den entstehenden Kosten zählen die Kosten für die Tätigkeit des Kammervorsitzenden (Abfassung und Korrektur des Urteils) und des nichtrichterlichen Personals, die allgemeinen Gerichtshaltungskosten sowie die Kosten für die Zustellung der Entscheidung an die Beteiligten (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28. Juni 2016 – L 18 KN 89/15 –, Rn. 24, juris). Liegen die Kosten - wie hier - tatsächlich wesentlich höher als der Mindestbetrag kann das Gericht die Kosten in entsprechender Anwendung des § 202 SGG i.V.m. § 287 Zivilprozessordnung (ZPO) schätzen (vgl. Schmidt, in Meier minus Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 192, Rn. 14 m.w.N.). Die Kammer greift im Rahmen ihrer Schätzung auf die nachvollziehbare Darlegung von Bischofs (SGb 2020, S. 8, 13 ff.) zurück, nach denen annäherungsweise ein Stundensatz von 150 EUR nicht zu hoch gegriffen ist (für 300 EUR pro Stunde: SG Aachen, Urteil vom 06. November 2018 – S 11 BK 3/18 –, Rn. 10, juris m.w.N. unter der Auferlegung von 600 EUR; SG Heilbronn, Urteil vom 23. Juni 2016 – S 15 AS 133/16 –, Rn. 30, juris, mit der Auferlegung von 1000 EUR; für die zweite Instanz: Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28. Juni 2016 – L 18 KN 89/15 –, Rn. 24, juris: rund 400 EUR/Stunde). Da der Hinweis auf die Rechtsmissbräuchlichkeit der Verteidigung gegen die Klage und das Inbetrachtkommen der Auferlegung von Missbrauchskosten zum Ende der mündlichen Verhandlungen erfolgt ist, ist im Wesentlichen die Zeit für die Urteilsberatung, die mündliche Begründung sowie die spätere Absetzung der Urteilsgründe, einschließlich der hierfür anfallenden Schreibarbeiten, das Korrekturlesen, das Versenden usw. zugrunde zu legen (vgl. Bischofs, a.a.O., S. 14f.). Der tatsächliche Aufwand übersteigt im vorliegenden Fall zwei Stunden deutlich.

II. Die Entscheidung der Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach aufzuerlegen beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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