Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 77 AL 3546/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 12 AL 42/03-14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid der Beklagten vom 7. April 1998 in der Form der Bescheide vom 12. Januar 1999, 25. April 2001 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 25. Februar 1999 und vom 10. September 2001 wird abgeändert.
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin bereits seit dem 1. März 1998 Arbeitslosengeld auf der Grundlage eines gerundeten Bemessungsentgelts von 1.170 DM wöchentlich zu zahlen.
3. Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten des Rechtsstreites zu erstatten.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Arbeitslosengeldes im Hinblick auf die Berücksichtigung von Einmalzahlungen.
Die 1940 geborene Klägerin arbeitete bis 28. Februar 1998 als Ausbilderin und erhielt von ihrem Arbeitgeber jährlich Weihnachtsgeld (z.B. im November 1997 in Höhe von 1.085 DM brutto).
Sie beantragte am 12. Februar 1998 Arbeitslosengeld und meldete sich zum 1. März 1998 bei der Beklagten arbeitslos. Sie reichte die Arbeitsbescheinigung vom 27. Februar 1998 ein, die Entgeltabrechnungszeiträume von März 1997 bis Februar 1998 umfasste. Die Beklagte bewilligte der Klägerin Arbeitslosengeld mit Bescheid vom 7. April 1998 ab 1. März 1998 auf der Grundlage eines gerundeten wöchentlichen Bemessungsentgelts von 1.070 DM (ungerundet: 1066,88 DM) mit einem wöchentlichen Zahlbetrag von 364,42 DM. Mit Änderungsbescheid vom 12. Januar 1999 korrigierte die Beklagte den Zahlbetrag im Hinblick auf die ab Januar 1999 geänderte Leistungsverordnung. Ab März 1999 betrug das Bemessungsentgelt 1080 DM.
Mit Schreiben vom 8. Februar 1999 legte die Klägerin Widerspruch gegen die Bescheide vom 7. April 1998 und 12. Januar 1999 ein, weil die Beklagte das ihr gezahlte Weihnachtsgeld nicht berücksichtigt habe. Auf den ablehnenden Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 1999, der sich nur mit dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 12. Januar 1999 befasste, erhob die Klägerin am 23. März 1999 Klage vor dem Sozialgericht Berlin zum Aktenzeichen S 54 AL 1273/99. Dieses Verfahren wurde auf Antrag der Beteiligten wegen der Vorlagen beim BVerfG zum Ruhen gebracht.
Seit 1. Oktober 2000 bezieht die Klägerin Altersrente. Sie beantragte mit Schreiben vom 12. Februar 2001 die Neuberechnung des Arbeitslosengeldes von März 1998 bis September 2000 im Hinblick auf die Berücksichtigung des 13. Monatsgehalts. Die Beklagte erließ unter dem 25. April 2001 Änderungsbescheide und bewilligte die Leistung für den Zeitraum ab 1. Januar 1999 auf der Grundlage eines Bemessungsentgelts von 1.170 DM, ab 1. März 1999 auf der Grundlage eines Bemessungsentgelts von 1.190 DM und ab 1. März 2000 auf der Grundlage eines Bemessungsentgelts von 1.210 DM.
Mit der Begründung, bei den Änderungsbescheiden fehle der 29. Februar 2000 und sie begehre Nachzahlung auch für den Zeitraum vom 1. März bis 31. Dezember 1998, legte die Klägerin mit Schreiben vom 15. Mai 2001 Widerspruch ein.
Durch die Änderungsbescheide vom 5. September 2001 korrigierte die Beklagte die Leistung für den 29. Februar 2000 und erklärte die Änderungsbescheide für endgültig. Im Übrigen wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 10. September 2001 zurück. Die Bescheide vom 5. September 2001 seien rechtmäßig. Durch den Widerspruch und die Klage sei nur der Bescheid vom 12. Januar 1999 für die Zeit ab 1. Januar 1999 und nur hinsichtlich der Höhe angegriffen. Die Berücksichtigung von Einmalzahlungen für 1998 sei wegen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts deshalb ausgeschlossen.
Mit ihrer zum hiesigen Aktenzeichen erhobenen Klage vom 7. Oktober 2001 verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Durch Beschluss vom 11. März 2002 wurde auf Antrag der Beteiligten das Klageverfahren zum Aktenzeichen S 54 AL 1273/99 zum hiesigen Verfahren verbunden.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
1. den Bescheid der Beklagten vom 7. April 1998 in der Form der Bescheide vom 12. Januar 1999, 25. April 2001 und 5. September 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2001 abzuändern,
2. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin bereits seit dem 1. März 1998 Arbeitslosengeld auf der Grundlage eines gerundeten Bemessungsentgelts von 1.170 DM wöchentlich zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erklärt.
Dem Gericht haben außer den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Schriftsätze und den Inhalt der Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Rechtsstreit für Zeiträume ab 1. Januar 1999 ist durch die Bescheide vom 5. September 2001 erledigt. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Klägerin insofern den Rechtsstreit fortsetzt. Dies hat die Kammer bei der Auslegung des Antrags der Klägerin und der danach im Tatbestand vorgenommenen Formulierung berücksichtigt. Sofern der Tenor den überholten Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 1999 erwähnt und die Bescheide vom 5. September 2001 nicht zu berücksichtigen scheint, handelt es sich um hiermit klargestellte Versehen.
Die Kammer konnte für den Leistungszeitraum vor Januar 1999 entscheiden, weil dieser Zeitraum nicht Gegenstand des Verfahrens vor der 54. Kammer war, da der Bescheid vom 7. April 1998 mangels Abschlusses des Vorverfahrens dort nicht zulässig anhängig wurde. Erst der Widerspruchsbescheid vom 10. September 2001 befasst sich mit dem entsprechenden Begehren der Klägerin, so dass ungeachtet der Verbindung der Verfahren die 77. Kammer zur Entscheidung berufen war.
Die Klägerin hat Anspruch auf Berücksichtigung der ihr geleisteten Einmalzahlungen bei der Ermittlung des Bemessungsentgelts für das Arbeitslosengeld bereits ab 1. März 1998 gemäß § 434c Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III), weil die Klägerin Anspruch auf Wiedereinsetzung in die Widerspruchsfrist nach § 41 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) hatte und dadurch der Bewilligungsbescheid vom 7. April 1998 nicht bestandskräftig war. Darüber hinaus konnte die Klägerin über § 44 Abs. 1 SGB X die rückwirkende Korrektur dieses Bescheides selbst im Falle seiner Bestandskraft verlangen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten war deshalb rechtswidrig und insoweit abzuändern.
Nach § 434c Abs. 1 Satz 1 SGB III ist die Vorschrift des § 134 Abs. 1 SGB III, soweit sich die Höhe eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld, der vor dem 1. Januar 2001 entstanden ist, nach § 134 Abs. 1 SGB III in der vor dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung richtete, mit der Maßgabe anzuwenden, dass sich das Bemessungsentgelt, das sich vor der Rundung ergibt, ab dem 1. Januar 1997 um 10 Prozent, höchstens bis zur jeweiligen Leistungsbemessungsgrenze, erhöht. Die Erhöhung gilt für Ansprüche, über die am 21. Juni 2000 bereits unanfechtbar entschieden war, erst vom 22. Juni 2000 an (Satz 2).
Der Bescheid der Beklagten vom 7. April 1998 war nicht unanfechtbar, weil die Klägerin unter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 Abs. 1 und 2 SGG am 8. Februar 1999 zulässig Widerspruch auch gegen den Bescheid vom April 1998 einlegen konnte. Nach § 67 Abs. 1 SGG ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Als eine solche Verfahrensfrist ist auch die Widerspruchsfrist von einem Monat nach § 84 SGG anzusehen. Nach § 67 Abs. 2 SGG ist der Antrag binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Ist die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt worden, kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (Sätze 3 und 4). Die versäumte Rechtshandlung war im Falle der Klägerin die Einlegung des Widerspruches am 8. Februar 1999. Zu diesem Zeitpunkt war die Jahresfrist nach § 67 Abs. 3 SGG noch nicht verstrichen.
Nach Auffassung der Kammer war wegen § 41 Abs. 3 SGB X die Klägerin ohne ihr Verschulden verhindert, den Widerspruch früher einzulegen. Nach dieser Vorschrift gilt die Versäumung einer Rechtsbehelfsfrist unwiderleglich als nicht verschuldet, wenn einem Verwaltungsakt die erforderliche Begründung fehlt oder die erforderliche Anhörung vor Erlass des Verwaltungsaktes unterblieben ist und dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsaktes versäumt wurde.
Nach § 35 Abs. 1 SGB X ist ein schriftlicher Verwaltungsakt schriftlich zu begründen und sind in der Begründung die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründung von Ermessensentscheidungen muss auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.
Im vorliegenden Falle hatte die Beklagte eine Ermessensentscheidung nach § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III zu treffen, weil spätestens seit März 1998 wegen einer Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG (SG Köln Beschluss vom 26. Januar 1998) die auch im Falle der Klägerin relevanten Vorschriften zur Bemessung der Leistungshöhe Gegenstand eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) waren. Darüber hatte die Beklagte mithin jedenfalls seit Ende März 1998 Kenntnis. Sie war deshalb spätestens für Leistungsentscheidungen ab April 1998 verpflichtet, das ihr nach § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III eingeräumte Ermessen, Bescheide mit gleichartiger Problematik nur vorläufig zu erteilen, auszuüben.
Die zur Ausübung dieses Ermessens erforderliche Anhörung nach § 24 Abs. 1 SGB X ist durch die Beklagte nicht erfolgt. Die Anhörung war hier deshalb erforderlich nach § 24 Abs. 1 SGB III, weil eine über einen erheblichen Zeitraum erfolgende lediglich vorläufige Bewilligung nach § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III einen Eingriff in die Rechte des Berechtigten im Sinne von § 24 Abs. 1 SGB X darstellen kann und darüber hinaus die Beklagte ggf. die für die Ermessensausübung relevanten Umstände in der Sphäre des Berechtigten zu erfragen hatte.
Darüber hinaus hat sie im Bescheid vom 7. April 1998 weder auf die Vorschrift des § 328 SGB III noch auf die durch sie vorgenommen Ermessenserwägungen hingewiesen. Es fehlte deshalb an der nach § 35 SGB X erforderlichen Begründung.
Ohne derartige Hinweise ist es dem im Arbeitsförderungsrecht nicht rechtskundigen Adressaten des Bescheides jedoch nicht möglich gewesen, den erteilten endgültigen Bewilligungsbescheid im Hinblick auf die Endgültigkeit der Regelung anzufechten, weil er den Grund als solchen und die für die Behörde maßgeblichen Ermessenserwägungen bei der Anwendung von § 328 Abs. 1 SGB III nicht kannte und ohne entsprechende Hinweise auch nicht kennen musste. Da von einem nicht rechtskundigen Adressaten eines Arbeitslosengeld-Bewilligungsbescheides nicht erwartet werden kann, dass er Kenntnis von Vorlagebeschlüssen durch die Sozialgerichte beim Bundesverfassungsgericht hat und die komplizierte Regelungsstruktur der §§ 330 Abs. 1 und 328 SGB III durchschaut und um die Möglichkeit vorläufiger Leistungsbewilligung bei Anhängigkeit entsprechender verfassungsgerichtlicher Verfahren weiß, ist er darauf angewiesen, dass durch die Behörde entsprechend ihrer gesetzlichen Verpflichtung nach § 35 SGB X auf die Anhängigkeit von entsprechenden Verfahren beim BVerfG hingewiesen und auf die entsprechenden Umstände für die Ermessensausübung nach § 328 Abs. 1 SGB III in der Begründung des Bescheides aufmerksam gemacht wird, wenn eine vorläufige Bescheiderteilung nicht erfolgt.
Unterbleibt eine entsprechende Begründung, wird die Versäumung der Widerspruchsfrist durch die fehlerhafte Begründung und unterbliebene Anhörung im Sinne von § 41 Abs. 3 Satz 1 ursächlich bedingt. Dies gilt auch im Falle der Klägerin. Nicht anders beurteilte sich die Sache, wenn die Behörde die Anwendung von § 328 SGB III überhaupt nicht erwogen, sondern übersehen haben sollte.
Die Beklagte hat bis zur Entscheidung der Kammer die fehlerhafte Begründung und die vor der Ermessensausübung erforderliche Anhörung nicht nachgeholt, so dass wegen Ablauf der Jahresfrist nach § 67 Abs. 3 SGG der nach § 41 Abs. 3 Satz 2 SGB X mögliche frühere Beginn der Antragsfrist für die Wiedereinsetzung nicht relevant wurde. Der im Februar 1999 durch die Klägerin eingelegte Widerspruch bewirkt deshalb die nach § 67 Abs. 2 Satz 4 SGG erforderliche Wiedereinsetzung von Amts wegen; es handelt sich insoweit nicht um eine Ermessensvorschrift.
Bestandskraft ist deshalb für den Bescheid vom 7. April 1998 durch Einlegung des Widerspruchs nicht eingetreten. Die Beklagte hatte somit nach § 434c Abs. 1 Satz 1 SGB III Einmalzahlungen pauschal für die Klägerin rückwirkend ab 1. März 1998 zu berücksichtigen. Bei Erhöhung des ungerundeten Bemessungsentgelts um 10 % ergab sich ein gerundetes wöchentliches Bemessungsentgelt von 1.170 DM.
Auch im Falle der Unanfechtbarkeit des Bescheides vom 7. April 1998 wäre die Beklagte nach § 44 Abs. 1 SGB X zur rückwirkenden Leistungserhöhung verpflichtet gewesen.
Dies würde sich allerdings nicht daraus ergeben, dass die Beklagte verfassungswidrig Einmalzahlungen für die Klägerin bei der Ermittlung der Leistungshöhe nicht berücksichtigt hat. Eine solche Lösung ist durch die § 44 SGB X als lex generalis verdrängenden Spezialvorschrift des Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetzes vom 21. Dezember 2000 (§ 434c Abs. 1 Satz 2 SGB III) und § 330 Abs. 1 SGB III ausgeschlossen (insoweit zutreffend: BSG Urt. v. 25.03.2003, B 7 AL 106/01 R).
Diese Spezialvorschriften verdrängen jedoch § 44 SGB X nicht hinsichtlich anderer die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides begründender Umstände. War ein Leistungsbescheid aus anderen Gründen als wegen der Anwendung einer mit dem Grundgesetz unvereinbaren Rechtsnorm (§ 330 Abs. 1 Var. 1 SGB III) oder wegen der Anwendung der Vorschrift der §§ 112 AFG oder 143 Abs. 1 SGB III in der Fassung vor 1. Januar 2001 (§ 434c Abs. 1 SGB III) rechtswidrig, verbleibt es bei der Anwendung von § 44 SGB X. Bei § 330 Abs. 1 ergibt sich dies unmittelbar aus dem Wortlaut und der gesetzlichen Regelungssystematik.
Bei § 434c Abs. 1 SGB III folgt dies aus dem Regelungszweck und der Beachtung von Art. 20 Abs. 3 letzter Teilsatz Grundgesetz (GG) und dem Rechtsstaatsgebot nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG in verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift. Ist etwa durch die Bundesanstalt für Arbeit die Leistungshöhe fehlerhaft zu niedrig ermittelt worden, weil etwa der Bemessungszeitraum fehlerhaft bestimmt wurde oder weil anderes berücksichtigungsfähiges Arbeitsentgelt, das nicht als Einmalzahlung zu bewerten ist, fehlerhaft nicht beachtet wurde oder weil schwerwiegende Verfahrensfehler gemacht wurden, die jeweils die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides begründeten, schließt § 434c Abs. 1 Satz 2 SGB III die vor den 22. Juni 2000 rückwirkende Überprüfung des Bescheides nicht aus. Ist der Bescheid danach auch für Zeiträume vor dem 22. Juni 2000 aufzuheben oder abzuändern und eine neue/höhere Leistungshöhe zu ermitteln, steht die zum 21. Juni 2000 bestehende Bestandskraft des fraglichen Bescheides im Sinne von § 77 SGG der Anwendung von § 434c Abs. 1 Satz 1 SGB III auch für Zeiträume vor dem 22. Juni 2000 nicht entgegen.
Anderenfalls hätte die Bundesanstalt unter Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 und Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG eine mit dem Grundgesetz unvereinbare Vorschrift anzuwenden, obwohl das BVerfG diese Unvereinbarkeit bereits mit seinem Urteil vom 24. Mai 2000 (1 BvL 1/98 u.a.) verbindlich festgestellt hat. Regelungszweck von § 434c Abs. 1 SGB III ist jedoch gerade die Umsetzung dieser Entscheidung (so auch BSG Urt. v. 25.03.2003, B 7 AL 106/01 R). In seiner Entscheidung hat das BVerfG tatsächlich nicht verfügt, dass für Bescheide, die bestandskräftig sind, jedoch wegen anderweitig begründeter Rechtswidrigkeit zu korrigieren sind, bei der Ermittlung der Leistungshöhe die mit dem Grundgesetz unvereinbaren Vorschriften anzuwenden sind. Ein derartiges Ansinnen wäre sowohl für die rechtsstaatlich arbeitende Verwaltung als auch für den betroffenen Versicherten eine verfassungsrechtliche Zumutung höchsten Grades. Es wäre auch nicht durch die rechtsstaatlichen Gedanken der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu begründen, die die verfassungsrechtliche Rechtfertigung für §§ 330 Abs. 1, 434c Abs. 1 Satz 2 SGB III und 77 SGG darstellen (Meyer-Ladewig: SGG, § 77 Rn. 4), weil ein Vertrauen irgendeiner Seite bei einer notwendigen rückwirkenden Korrektur nicht zu schützen wäre.
Es lässt sich unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten auch nicht vertreten, dass die wegen der anderweitigen Rechtswidrigkeit erforderliche Korrektur des Bescheides ausgeschlossen sein könnte, weil die verfassungsrechtlich gebotene Korrektur bzgl. der Berücksichtigung der Einmalzahlungen grundsätzlich und verfassungsrechtlich zulässig keine Rückwirkung haben soll, wenn der (doppelt rechtswidrige!) Bescheid bereits bestandskräftig war. Insoweit ist auch die Regelungssystematik des § 434c Abs. 1 SGB III zu beachten, die mit Satz 1 die Regel und mit Satz 2 die Ausnahme von der Regel der bis 1. Januar 1997 rückwirkenden Korrektur vorsieht. Auch diese Regelungssystematik beweist die dargelegten gesetzgeberischen Regelungszwecke.
Wird also § 434c Abs. 1 Satz 2 SGB III teleologisch, verfassungskonform einschränkend so ausgelegt, dass Satz 1 in Fällen der Bestandskraft nur solcher Bescheide, die lediglich wegen der Nichtberücksichtigung von Einmalzahlungen rechtswidrig waren, ab 22. Juni 2000 anzuwenden ist, verbleibt der Vorschrift auch ein erheblicher Anwendungsbereich, weil von der rechtsstaatlich arbeitenden Verwaltung grundsätzlich zu erwarten ist, dass sie nicht nur das verfassungswidrige (bis zur verbindlichen Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit) sondern auch und gerade das verfassungskonforme einfache Gesetzesrecht korrekt umsetzt. Es kann daher mitnichten davon die Rede sein, dass die Regelung des § 434c Abs. 1 Satz 2 SGB III konterkariert würde (so angedeutet in BSG Urt. v. 25.03.2003, B 7 AL 106/01 R, drittletzter Absatz), wenn die Behörde wegen anderweitiger Gesetzesverletzungen rechtswidrige Bescheide korrigieren muss und dabei verfassungskonformes und nicht verfassungswidriges Recht anzuwenden hätte.
Im vorliegenden Fall ergibt sich die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides neben der verfassungswidrig zu gering bestimmten Höhe des Arbeitslosengeldes auch daraus, dass er entgegen § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III endgültig durch die Beklagte erteilt wurde und keine Vorläufigkeitsbestimmung enthielt.
Die Leistungsbewilligung war gemäß § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III vorläufig zu erteilen. Die Bestimmung der Vorläufigkeit hätte mit dem Bescheid vom 7. April 1998 vorgenommen werden müssen. Zwar ist die Bestimmung der Vorläufigkeit nach § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III eine Ermessensentscheidung der Beklagten, jedoch sind hier keinerlei Gründe erkennbar, die gegen eine derartige Bestimmung sprechen, weshalb sich das Ermessen der Beklagten derart reduziert hat, dass nur noch die Bestimmung der Vorläufigkeit in Frage kam. (§ 42 SGB I war nicht anwendbar, weil nach der seinerzeit geltenden Gesetzeslage durch § 134 Abs. 1 Satz 3 SGB III in der Fassung bis 31.12.2000 nicht offen war, wie hoch der Leistungsanspruch zu sein hatte.) Sofern ein Ermessensausfall vorgelegen haben sollte, wäre der Bescheid allein deswegen rechtswidrig und deshalb aufzuheben gewesen.
Die Kammer folgt nicht dem Bundessozialgericht in dessen Urteil vom 25. März 2003 (Az.: B 7 AL 106/01 R), soweit das BSG es nicht für entscheidungserheblich hielt, ob die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, über ein (höheres) Arbeitslosengeld, das über das endgültig bewilligte Arbeitslosengeld hinausgegangen wäre, gemäß § 328 SGB III vorläufig zu entscheiden, weil es vorliegend bei der Regelung des § 434c Abs. 1 Satz 2 SGB III bliebe. Dies begründete das BSG damit, dass über die Bewilligung von Arbeitslosengeld unanfechtbar endgültig entschieden gewesen sei - also gerade nicht vorläufig - , weshalb eine Korrektur für die Zeit vor dem Wirksamwerden der Entscheidung des BVerfG nicht in Betracht komme. Insoweit hat das BSG gerade nicht berücksichtigt, dass § 434c Abs. 1 SGB III keinesfalls so ausgelegt werden kann, dass der Sozialverwaltung eine Überprüfung der Bescheide wegen anderweitig begründeter Rechtswidrigkeit verwehrt ist und dass bei einer solchen Überprüfung verfassungswidriges Recht anzuwenden wäre. Mit dieser Frage hat sich das BSG in der genannten Entscheidung auch nicht auseinander gesetzt.
Es sind jedoch zwei voneinander zu unterscheidende rechtliche Fragen, einerseits die Entscheidung über die Leistungshöhe nach § 134 Abs. 1 SGB III zu treffen und andererseits zu entscheiden, ob die Bewilligung endgültig oder vorläufig nach § 328 Abs. 1 SGB III erfolgen soll. Wird die Bewilligung unter schwerem Verstoß gegen § 328 SGB III endgültig erteilt, weil Ermessen nicht oder fehlerhaft ausgeübt wurde oder gar kein Ermessen vorhanden war, weil eine andere Lösung zwingend war, können §§ 330 Abs. 1 und 434c Abs. 1 Satz 2 SGB III die Korrektur dieser Fehlentscheidung über § 44 SGB X nicht verdrängen.
Reduziert sich das Ermessen der Beklagten bei der Anwendung des § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III auf die Anordnung der Vorläufigkeit des Bescheides und erlässt sie diesen dennoch endgültig, handelt es sich um einen gravierenden Rechtsverstoß, der eine rückwirkende Korrektur über § 44 SGB X gebietet.
Grundsätzlich dürfen und müssen Empfänger von Bescheiden darauf vertrauen, dass die durch die rechtsstaatlich arbeitende Verwaltung getroffenen Regelungen rechtmäßig sind. Ohne dieses Vertrauen kann der Rechtsstaat nicht funktionieren und wären mithin die wesentlichen Grundlagen unserer Gesellschaft in Frage gestellt. Bestehen jedoch erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die von der Verwaltung angewendeten Vorschriften würde es zu einer nicht hinnehmbaren Untergrabung des Rechtsstaates führen, wenn die Verwaltung in Kenntnis dieser erheblichen Bedenken massenhaft Bescheide erließe, die sich sämtlich später als verfassungswidrig und damit als rechtswidrig erweisen können. Besteht jedoch nach tatsächlicher Feststellung der Verfassungswidrigkeit nicht die Möglichkeit zur Korrektur der Verwaltungsentscheidungen, erwiese sich das Vertrauen in den Rechtsstaat als zerplatzte Seifenblase.
Um dies zu verhindern hat der Gesetzgeber entsprechende Vorkehrungen getroffen. Zwar hat er mit § 330 Abs. 1 SGB III grundsätzlich die Bestandskraft auch verfassungswidriger Bescheide vor einer Überprüfung nach § 44 SGB X geschützt. Er hat jedoch mit § 328 SGB III und der Begründungspflicht nach § 35 SGB X auch für Ermessensentscheidungen wie nach § 328 SGB III das erforderliche Korrektiv (auch im Sinne des Grundsatzes eines fairen Verfahrens) geschaffen und es mithin in die Hand des mündigen Staatsbürgers/Versicherten gelegt, bei entsprechenden verfassungsgerichtlichen Verfahren als Ausdruck erheblicher verfassungsrechtlicher Bedenken selbst über den Eintritt der Bindungswirkung nach § 77 SGG auch bei Rechtswidrigkeit der ihm gegenüber getroffenen Regelung zu entscheiden, wenn nicht eine vorläufige Regelung nach § 328 SGB III erfolgt. Insofern wird auch im Hinblick auch den Grundsatz des fairen Verfahrens gerade für rechtsunkundige Versicherte die Kenntnis der relevanten Umstände gewährleistet, damit diese angesichts ihrer verfahrenstechnischen und rechtskundlichen Unterlegenheit nicht übermäßig in ihren verfassungsmäßigen Rechten benachteiligt werden.
Der Beachtung der Vorschriften der §§ 328 SGB III und 35 SGB X kommt mithin in ihrem Zusammenwirken eine besondere Bedeutung zu, so dass der Verstoß dagegen selbst als schwere Rechtsverletzung zu bewerten und ggf. eine Korrektur über § 44 SGB X zwingend ist.
Die Vorlage einer Gesetzesvorschrift durch ein Gericht nach Art 100 Abs. 1 GG begründet stets die Pflicht zu einer Entscheidung unter Berücksichtigung von § 328 SGB III, weil bei einer solchen Vorlage von einem erheblichen Grad der verfassungsrechtlichen Bedenken ausgegangen werden muss.
Der Anwendungsbereich der Vorschrift des § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III war hier durch den Vorlagebeschluss vom 26. Januar 1998 eröffnet, in welchem das vorlegende SG Köln den Ausschluss der Berücksichtigung von Einmalzahlungen bei der Ermittlung des die Höhe der Arbeitslosengeldes bestimmenden Bemessungsentgelts durch die Vorschriften des AFG bzw. die gleichlautende Nachfolgevorschrift des SGB III für verfassungswidrig hielt und die Klärung dieser Frage dem BVerfG vorgelegt hatte. Die Entscheidung der Beklagten erfolgte erst nach Kenntnis des Vorlagebeschlusses (s.o.).
Da die Klägerin tatsächlich Einmalzahlungen (Weihnachtsgeld) bezogen hatte, die für die Leistungshöhe von der Beklagten auch nicht berücksichtigt worden waren, lag ein entsprechender Anwendungsfall auch bei der Klägerin vor.
Die Beklagte hätte die Vorläufigkeit nach § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III anordnen müssen, weil dafür die Gesichtspunkte der Verfahrensökonomie und im Falle der Klägerin keine Aspekte dagegen sprachen. Die durch § 328 Abs. 1 Satz 1 SGB III ermöglichte Ermessensentscheidung hatte sich dadurch auf eine einzige Lösung verdichtet (”Ermessensreduktion auf Null”).
§ 328 Abs. 1 und Abs. 2 SGB III gibt der Beklagten ein wirksames Instrumentarium in die Hand, die Belastung gerade ihrer Widerspruchsstellen mit durch eine Vielzahl von Berechtigten eingeleiteter Vorverfahren zu minimieren, die lediglich deshalb eingeleitet werden, um die Bestandskraft der Leistungsbescheide im Hinblick auf anhängige Verfassungsgerichtsverfahren zu verhindern. Dazu sind die Betroffenen wegen § 330 Abs. 1 SGB III gezwungen, wenn sie letztendlich eine rechtmäßige/verfassungskonforme Entscheidung durchsetzen wollen (s.o.).
Das durch § 328 SGB III bereitgestellte Verfahren erlaubt daneben effizientes Handeln insbesondere nach einer Entscheidung des BVerfG, weil wegen Abs. 2 der Vorschrift bei Bestätigung der überprüften Norm eine endgültige Entscheidung nur auf Antrag zu treffen ist. Nach der Praxis der Beklagten, nicht über § 328 SGB III vorzugehen und ggf. erst das Widerspruchsverfahren zum Ruhen zu bringen, ist jedoch jedes zum Ruhen gebrachte Widerspruchsverfahren wieder aufzunehmen und zu entscheiden. Gleiches gilt, wenn die Verfahren bereits bei den Sozialgerichten anhängig sind. Gerade wenn die Beklagte also dem Verfassungsgerichtsverfahren geringe Erfolgsaussichten beimisst, ist sie gehalten, die Vorläufigkeit nach § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III anzuordnen.
Nimmt die Beklagte dagegen hohe Erfolgsaussichten eines Verfassungsgerichtsverfahrens an, muss sie erst recht die Vorläufigkeit anordnen, damit mutmaßlich rechtswidrige, weil verfassungswidrige Bescheide nicht in Bestandskraft erwachsen können, auch wenn sie der Gesetzeslage im Zeitpunkt der Entscheidung entsprechen. Gerade eine solche rechtsstaatswidrige Situation der Bestandskraft einer Vielzahl nunmehr anerkannt-rechtswidriger Bescheide zu verhindern, hat der Gesetzgeber die Vorschrift des § 328 SGB III geschaffen und gleichzeitig mit einem effektiven Instrumentarium zum Verwaltungshandeln versehen. Bei den hier fraglichen Vorschriften war es im Hinblick auf die Entscheidung des BVerfG vom 11. Januar 1995 (BVerfGE 92, 53 = SozR 3-2200 § 385 Nr. 6) ziemlich sicher, dass die vom Gesetzgeber geschaffenen Regelungen den Vorgaben des BVerfG nicht entsprachen, auch wenn noch offen scheinen konnte, wie eine Korrektur auszusehen hatte. Bereits in der ersten Entscheidung hat das BVerfG den damaligen Rechtszustand (Nichtberücksichtigung von Einmalzahlungen bei der Bemessung des Arbeitslosengeld trotz Heranziehung zur Beitragsentrichtung in der Arbeitslosenversicherung) als verfassungswidrig angesehen, auch wenn dieses Recht innerhalb einer Übergangsfrist bis Dezember 1996 noch angewendet werden durfte.
Da also unabhängig von der Beurteilung der Erfolgsaussichten die Anordnung der Vorläufigkeit stets der endgültigen Entscheidung vorzuziehen ist, muss die Beklagte eine solche Prüfung im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens nicht vornehmen, wenn sie die verfahrenspraktischen Vorzüge adäquat in ihre Ermessensabwägung einstellt.
Durch die hier dargestellten Gesichtspunkte wird auch nicht das der Beklagten durch § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III eingeräumte Ermessen unangemessen eingeschränkt.
Zum Einen kann (und muss) die Beklagte eine Abwägung treffen, in welchem Umfange im Hinblick auf eine bestimmte verfassungsgerichtliche Prüfung mit einer Belastung der Widerspruchsstellen (und Gerichte) zu rechnen ist und deshalb der Aufwand für die Korrektur der Verfahren und z.B. der Textbausteine bei Bescheiderteilung größer wäre als die Abarbeitung nach herkömmlichen Vorgaben. Bei der großen Vielzahl der Bewilligungen von Arbeitslosengeld und der besonderen Bedeutung der Berücksichtigung der Einmalzahlung für die Betroffenen und dem Bekanntheitsgrad der früheren BVerfG-Entscheidung sowie der prompten Vorlage nach der Neuregelung durch die Sozialgerichte musste indes mit einer Vielzahl entsprechender Verfahren gerechnet werden.
Zum Anderen kommen regelmäßig Fallgestaltungen vor, die zwar die Anwendung der beim BVerfG zur Prüfung gestellten Norm verlangen, jedoch für den Betroffenen eine andere (höhere) Leistung nicht ermöglichen. Derartige Fallkonstellationen sind z.B. bei der Frage der Berücksichtigung von Einmalzahlungen bei der Höhe des Arbeitslosengeldes die Fälle, in denen das Bemessungsentgelt auch ohne Einmalzahlungen die Beitragsbemessungsgrenze erreicht hatte oder gar keine Einmalzahlungen tatsächlich geleistet wurden oder sich die Leistungshöhe nach einer fiktiven Bemessung gerichtet hatte. Keine dieser Fallgestaltungen lag jedoch bei der Klägerin vor.
Es kommt im vorliegenden Fall auch nicht darauf an, dass die Beklagte zunächst keine Kenntnis der Zahlung von Weihnachtsgeld hatte. Weil eben mit einer sehr großen Vielzahl von Fällen zu rechnen war, hätte die Beklagte, wenn sie ggf. nicht mit einer einheitlichen Vorläufigkeitsbestimmung für sämtliche Bewilligungen (wie dies etwa die Finanzbehörden in gleichartigen Konstellationen vornehmen) sondern unter Prüfung bestimmter Fallgruppen hätte arbeiten wollen, entsprechende Ermittlungen durchführen müssen. Der dadurch ausgelöste Ermittlungsaufwand hätte aber wohl eher für eine entsprechende allgemeine Vorläufigkeitsbestimmung gesprochen.
Es ist kein zulässiges Kriterium bei der Ermessensausübung nach § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III Kosten durch Bestandskraft der Bescheide zu senken, falls das BVerfG eine vorgelegte Vorschrift korrigiert.
Überdies ist auch zu berücksichtigen, dass für den Fall der von vornherein endgültigen Entscheidung die Ermessensgründe mitzuteilen sind, die gegen die Vorläufigkeit der Entscheidung gesprochen und zur endgültigen Entscheidung geführt haben. Dann kann immerhin der Berechtigte in Kenntnis dieser Gründe und dem Bewusstsein, das entsprechende verfassungsgerichtliche Verfahren laufen, prüfen, ob und inwieweit er den Bescheid bestandskräftig werden lässt (siehe oben). Unterbleibt die entsprechende Darstellung dieser Gründe entgegen § 35 SGB X ist allein deswegen der Bescheid rechtswidrig und besteht für die Beklagte die Gefahr einer späteren Überprüfung nach § 44 SGB X, der insoweit gerade nicht durch § 330 Abs. 1 SGB III leer laufen könnte, weil sich die Rechtswidrigkeit eben nicht nur aus der Entscheidung des BVerfG ergebe sondern aus dem Verstoß gegen einfaches Verfahrensrecht. Oder der Bescheid wird wegen fehlerhafter Begründung bis zur Nachholung derselben nicht bestandskräftig, so dass ggf. rückwirkend für eine nicht zu überschauende Anzahl von Verfahren zu bewilligen ist. Auch diese Gesichtspunkte dürften regelmäßig für eine vorläufige Bescheiderteilung sprechen.
Schließlich ist ein Ermessensgesichtspunkt, der gegen die Bestimmung der Vorläufigkeit sprechen kann, die gezielte Durchführung von weiteren Musterverfahren. Dies bot sich im Falle der Klägerin nicht an und ist auch von keiner Seite angedacht worden.
Weitere Ermessensgesichtspunkte sind nicht ersichtlich. Dazu hat die Beklagte trotz Aufforderung auch nicht vorgetragen. Die Bescheide enthalten unter Verstoß gegen § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X in dieser Hinsicht auch keinerlei Begründungen (s.o.).
Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass sie zunächst Zeit benötigte, das weitere Verfahren in derartigen Fällen durch einheitliche interne Regelungen vorzubereiten und entsprechende Entscheidungen zu treffen. Gerade für diese (kurze) Zeitspanne hätte sie nach allgemeinen Vorschriften die Bescheid vorläufig erteilen müssen, bis eine entsprechende Willensbildung bei ihr erfolgt war. Der Beklagten ist es eben gerade im Hinblick auf ihre Gesetzes- und Verfassungsbindung nach Art. 20 GG untersagt, sehenden Auges rechtswidrige Bescheide zu erteilen und das betrifft auch die verfahrensrechtliche Rechtswidrigkeit bezüglich § 328 SGB III.
Da sich eine Ermessensreduktion ergab, folgte daraus unmittelbar die Rechtswidrigkeit im Sinne von § 44 SGB X. Mit der Einleitung eines Verfahrens der sog. Zugunstenüberprüfung im Sinne von § 44 Abs. 1 SGB X konnte die Klägerin deshalb verlangen, die Vorläufigkeit des Bewilligungsbescheides rückwirkend anzuordnen. War jedoch der Bewilligungsbescheid mit Wirkung ab 1. März 1998 lediglich vorläufig zu erteilen, konnte Bestandskraft nach § 434c Abs. 1 Satz 2 SGB III nicht eintreten. Nach Inkrafttreten des Gesetzes musste deshalb die erhöhte Leistungsbewilligung auch für die Klägerin ab Beginn der Leistung erfolgen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Sie berücksichtigt den Erfolg der Rechtsverfolgung.
Die Berufung war für die Beklagte zuzulassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 144 SGG).
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin bereits seit dem 1. März 1998 Arbeitslosengeld auf der Grundlage eines gerundeten Bemessungsentgelts von 1.170 DM wöchentlich zu zahlen.
3. Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten des Rechtsstreites zu erstatten.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Arbeitslosengeldes im Hinblick auf die Berücksichtigung von Einmalzahlungen.
Die 1940 geborene Klägerin arbeitete bis 28. Februar 1998 als Ausbilderin und erhielt von ihrem Arbeitgeber jährlich Weihnachtsgeld (z.B. im November 1997 in Höhe von 1.085 DM brutto).
Sie beantragte am 12. Februar 1998 Arbeitslosengeld und meldete sich zum 1. März 1998 bei der Beklagten arbeitslos. Sie reichte die Arbeitsbescheinigung vom 27. Februar 1998 ein, die Entgeltabrechnungszeiträume von März 1997 bis Februar 1998 umfasste. Die Beklagte bewilligte der Klägerin Arbeitslosengeld mit Bescheid vom 7. April 1998 ab 1. März 1998 auf der Grundlage eines gerundeten wöchentlichen Bemessungsentgelts von 1.070 DM (ungerundet: 1066,88 DM) mit einem wöchentlichen Zahlbetrag von 364,42 DM. Mit Änderungsbescheid vom 12. Januar 1999 korrigierte die Beklagte den Zahlbetrag im Hinblick auf die ab Januar 1999 geänderte Leistungsverordnung. Ab März 1999 betrug das Bemessungsentgelt 1080 DM.
Mit Schreiben vom 8. Februar 1999 legte die Klägerin Widerspruch gegen die Bescheide vom 7. April 1998 und 12. Januar 1999 ein, weil die Beklagte das ihr gezahlte Weihnachtsgeld nicht berücksichtigt habe. Auf den ablehnenden Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 1999, der sich nur mit dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 12. Januar 1999 befasste, erhob die Klägerin am 23. März 1999 Klage vor dem Sozialgericht Berlin zum Aktenzeichen S 54 AL 1273/99. Dieses Verfahren wurde auf Antrag der Beteiligten wegen der Vorlagen beim BVerfG zum Ruhen gebracht.
Seit 1. Oktober 2000 bezieht die Klägerin Altersrente. Sie beantragte mit Schreiben vom 12. Februar 2001 die Neuberechnung des Arbeitslosengeldes von März 1998 bis September 2000 im Hinblick auf die Berücksichtigung des 13. Monatsgehalts. Die Beklagte erließ unter dem 25. April 2001 Änderungsbescheide und bewilligte die Leistung für den Zeitraum ab 1. Januar 1999 auf der Grundlage eines Bemessungsentgelts von 1.170 DM, ab 1. März 1999 auf der Grundlage eines Bemessungsentgelts von 1.190 DM und ab 1. März 2000 auf der Grundlage eines Bemessungsentgelts von 1.210 DM.
Mit der Begründung, bei den Änderungsbescheiden fehle der 29. Februar 2000 und sie begehre Nachzahlung auch für den Zeitraum vom 1. März bis 31. Dezember 1998, legte die Klägerin mit Schreiben vom 15. Mai 2001 Widerspruch ein.
Durch die Änderungsbescheide vom 5. September 2001 korrigierte die Beklagte die Leistung für den 29. Februar 2000 und erklärte die Änderungsbescheide für endgültig. Im Übrigen wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 10. September 2001 zurück. Die Bescheide vom 5. September 2001 seien rechtmäßig. Durch den Widerspruch und die Klage sei nur der Bescheid vom 12. Januar 1999 für die Zeit ab 1. Januar 1999 und nur hinsichtlich der Höhe angegriffen. Die Berücksichtigung von Einmalzahlungen für 1998 sei wegen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts deshalb ausgeschlossen.
Mit ihrer zum hiesigen Aktenzeichen erhobenen Klage vom 7. Oktober 2001 verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Durch Beschluss vom 11. März 2002 wurde auf Antrag der Beteiligten das Klageverfahren zum Aktenzeichen S 54 AL 1273/99 zum hiesigen Verfahren verbunden.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
1. den Bescheid der Beklagten vom 7. April 1998 in der Form der Bescheide vom 12. Januar 1999, 25. April 2001 und 5. September 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2001 abzuändern,
2. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin bereits seit dem 1. März 1998 Arbeitslosengeld auf der Grundlage eines gerundeten Bemessungsentgelts von 1.170 DM wöchentlich zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erklärt.
Dem Gericht haben außer den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Schriftsätze und den Inhalt der Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Rechtsstreit für Zeiträume ab 1. Januar 1999 ist durch die Bescheide vom 5. September 2001 erledigt. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Klägerin insofern den Rechtsstreit fortsetzt. Dies hat die Kammer bei der Auslegung des Antrags der Klägerin und der danach im Tatbestand vorgenommenen Formulierung berücksichtigt. Sofern der Tenor den überholten Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 1999 erwähnt und die Bescheide vom 5. September 2001 nicht zu berücksichtigen scheint, handelt es sich um hiermit klargestellte Versehen.
Die Kammer konnte für den Leistungszeitraum vor Januar 1999 entscheiden, weil dieser Zeitraum nicht Gegenstand des Verfahrens vor der 54. Kammer war, da der Bescheid vom 7. April 1998 mangels Abschlusses des Vorverfahrens dort nicht zulässig anhängig wurde. Erst der Widerspruchsbescheid vom 10. September 2001 befasst sich mit dem entsprechenden Begehren der Klägerin, so dass ungeachtet der Verbindung der Verfahren die 77. Kammer zur Entscheidung berufen war.
Die Klägerin hat Anspruch auf Berücksichtigung der ihr geleisteten Einmalzahlungen bei der Ermittlung des Bemessungsentgelts für das Arbeitslosengeld bereits ab 1. März 1998 gemäß § 434c Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III), weil die Klägerin Anspruch auf Wiedereinsetzung in die Widerspruchsfrist nach § 41 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) hatte und dadurch der Bewilligungsbescheid vom 7. April 1998 nicht bestandskräftig war. Darüber hinaus konnte die Klägerin über § 44 Abs. 1 SGB X die rückwirkende Korrektur dieses Bescheides selbst im Falle seiner Bestandskraft verlangen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten war deshalb rechtswidrig und insoweit abzuändern.
Nach § 434c Abs. 1 Satz 1 SGB III ist die Vorschrift des § 134 Abs. 1 SGB III, soweit sich die Höhe eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld, der vor dem 1. Januar 2001 entstanden ist, nach § 134 Abs. 1 SGB III in der vor dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung richtete, mit der Maßgabe anzuwenden, dass sich das Bemessungsentgelt, das sich vor der Rundung ergibt, ab dem 1. Januar 1997 um 10 Prozent, höchstens bis zur jeweiligen Leistungsbemessungsgrenze, erhöht. Die Erhöhung gilt für Ansprüche, über die am 21. Juni 2000 bereits unanfechtbar entschieden war, erst vom 22. Juni 2000 an (Satz 2).
Der Bescheid der Beklagten vom 7. April 1998 war nicht unanfechtbar, weil die Klägerin unter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 Abs. 1 und 2 SGG am 8. Februar 1999 zulässig Widerspruch auch gegen den Bescheid vom April 1998 einlegen konnte. Nach § 67 Abs. 1 SGG ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Als eine solche Verfahrensfrist ist auch die Widerspruchsfrist von einem Monat nach § 84 SGG anzusehen. Nach § 67 Abs. 2 SGG ist der Antrag binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Ist die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt worden, kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (Sätze 3 und 4). Die versäumte Rechtshandlung war im Falle der Klägerin die Einlegung des Widerspruches am 8. Februar 1999. Zu diesem Zeitpunkt war die Jahresfrist nach § 67 Abs. 3 SGG noch nicht verstrichen.
Nach Auffassung der Kammer war wegen § 41 Abs. 3 SGB X die Klägerin ohne ihr Verschulden verhindert, den Widerspruch früher einzulegen. Nach dieser Vorschrift gilt die Versäumung einer Rechtsbehelfsfrist unwiderleglich als nicht verschuldet, wenn einem Verwaltungsakt die erforderliche Begründung fehlt oder die erforderliche Anhörung vor Erlass des Verwaltungsaktes unterblieben ist und dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsaktes versäumt wurde.
Nach § 35 Abs. 1 SGB X ist ein schriftlicher Verwaltungsakt schriftlich zu begründen und sind in der Begründung die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründung von Ermessensentscheidungen muss auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.
Im vorliegenden Falle hatte die Beklagte eine Ermessensentscheidung nach § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III zu treffen, weil spätestens seit März 1998 wegen einer Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG (SG Köln Beschluss vom 26. Januar 1998) die auch im Falle der Klägerin relevanten Vorschriften zur Bemessung der Leistungshöhe Gegenstand eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) waren. Darüber hatte die Beklagte mithin jedenfalls seit Ende März 1998 Kenntnis. Sie war deshalb spätestens für Leistungsentscheidungen ab April 1998 verpflichtet, das ihr nach § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III eingeräumte Ermessen, Bescheide mit gleichartiger Problematik nur vorläufig zu erteilen, auszuüben.
Die zur Ausübung dieses Ermessens erforderliche Anhörung nach § 24 Abs. 1 SGB X ist durch die Beklagte nicht erfolgt. Die Anhörung war hier deshalb erforderlich nach § 24 Abs. 1 SGB III, weil eine über einen erheblichen Zeitraum erfolgende lediglich vorläufige Bewilligung nach § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III einen Eingriff in die Rechte des Berechtigten im Sinne von § 24 Abs. 1 SGB X darstellen kann und darüber hinaus die Beklagte ggf. die für die Ermessensausübung relevanten Umstände in der Sphäre des Berechtigten zu erfragen hatte.
Darüber hinaus hat sie im Bescheid vom 7. April 1998 weder auf die Vorschrift des § 328 SGB III noch auf die durch sie vorgenommen Ermessenserwägungen hingewiesen. Es fehlte deshalb an der nach § 35 SGB X erforderlichen Begründung.
Ohne derartige Hinweise ist es dem im Arbeitsförderungsrecht nicht rechtskundigen Adressaten des Bescheides jedoch nicht möglich gewesen, den erteilten endgültigen Bewilligungsbescheid im Hinblick auf die Endgültigkeit der Regelung anzufechten, weil er den Grund als solchen und die für die Behörde maßgeblichen Ermessenserwägungen bei der Anwendung von § 328 Abs. 1 SGB III nicht kannte und ohne entsprechende Hinweise auch nicht kennen musste. Da von einem nicht rechtskundigen Adressaten eines Arbeitslosengeld-Bewilligungsbescheides nicht erwartet werden kann, dass er Kenntnis von Vorlagebeschlüssen durch die Sozialgerichte beim Bundesverfassungsgericht hat und die komplizierte Regelungsstruktur der §§ 330 Abs. 1 und 328 SGB III durchschaut und um die Möglichkeit vorläufiger Leistungsbewilligung bei Anhängigkeit entsprechender verfassungsgerichtlicher Verfahren weiß, ist er darauf angewiesen, dass durch die Behörde entsprechend ihrer gesetzlichen Verpflichtung nach § 35 SGB X auf die Anhängigkeit von entsprechenden Verfahren beim BVerfG hingewiesen und auf die entsprechenden Umstände für die Ermessensausübung nach § 328 Abs. 1 SGB III in der Begründung des Bescheides aufmerksam gemacht wird, wenn eine vorläufige Bescheiderteilung nicht erfolgt.
Unterbleibt eine entsprechende Begründung, wird die Versäumung der Widerspruchsfrist durch die fehlerhafte Begründung und unterbliebene Anhörung im Sinne von § 41 Abs. 3 Satz 1 ursächlich bedingt. Dies gilt auch im Falle der Klägerin. Nicht anders beurteilte sich die Sache, wenn die Behörde die Anwendung von § 328 SGB III überhaupt nicht erwogen, sondern übersehen haben sollte.
Die Beklagte hat bis zur Entscheidung der Kammer die fehlerhafte Begründung und die vor der Ermessensausübung erforderliche Anhörung nicht nachgeholt, so dass wegen Ablauf der Jahresfrist nach § 67 Abs. 3 SGG der nach § 41 Abs. 3 Satz 2 SGB X mögliche frühere Beginn der Antragsfrist für die Wiedereinsetzung nicht relevant wurde. Der im Februar 1999 durch die Klägerin eingelegte Widerspruch bewirkt deshalb die nach § 67 Abs. 2 Satz 4 SGG erforderliche Wiedereinsetzung von Amts wegen; es handelt sich insoweit nicht um eine Ermessensvorschrift.
Bestandskraft ist deshalb für den Bescheid vom 7. April 1998 durch Einlegung des Widerspruchs nicht eingetreten. Die Beklagte hatte somit nach § 434c Abs. 1 Satz 1 SGB III Einmalzahlungen pauschal für die Klägerin rückwirkend ab 1. März 1998 zu berücksichtigen. Bei Erhöhung des ungerundeten Bemessungsentgelts um 10 % ergab sich ein gerundetes wöchentliches Bemessungsentgelt von 1.170 DM.
Auch im Falle der Unanfechtbarkeit des Bescheides vom 7. April 1998 wäre die Beklagte nach § 44 Abs. 1 SGB X zur rückwirkenden Leistungserhöhung verpflichtet gewesen.
Dies würde sich allerdings nicht daraus ergeben, dass die Beklagte verfassungswidrig Einmalzahlungen für die Klägerin bei der Ermittlung der Leistungshöhe nicht berücksichtigt hat. Eine solche Lösung ist durch die § 44 SGB X als lex generalis verdrängenden Spezialvorschrift des Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetzes vom 21. Dezember 2000 (§ 434c Abs. 1 Satz 2 SGB III) und § 330 Abs. 1 SGB III ausgeschlossen (insoweit zutreffend: BSG Urt. v. 25.03.2003, B 7 AL 106/01 R).
Diese Spezialvorschriften verdrängen jedoch § 44 SGB X nicht hinsichtlich anderer die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides begründender Umstände. War ein Leistungsbescheid aus anderen Gründen als wegen der Anwendung einer mit dem Grundgesetz unvereinbaren Rechtsnorm (§ 330 Abs. 1 Var. 1 SGB III) oder wegen der Anwendung der Vorschrift der §§ 112 AFG oder 143 Abs. 1 SGB III in der Fassung vor 1. Januar 2001 (§ 434c Abs. 1 SGB III) rechtswidrig, verbleibt es bei der Anwendung von § 44 SGB X. Bei § 330 Abs. 1 ergibt sich dies unmittelbar aus dem Wortlaut und der gesetzlichen Regelungssystematik.
Bei § 434c Abs. 1 SGB III folgt dies aus dem Regelungszweck und der Beachtung von Art. 20 Abs. 3 letzter Teilsatz Grundgesetz (GG) und dem Rechtsstaatsgebot nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG in verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift. Ist etwa durch die Bundesanstalt für Arbeit die Leistungshöhe fehlerhaft zu niedrig ermittelt worden, weil etwa der Bemessungszeitraum fehlerhaft bestimmt wurde oder weil anderes berücksichtigungsfähiges Arbeitsentgelt, das nicht als Einmalzahlung zu bewerten ist, fehlerhaft nicht beachtet wurde oder weil schwerwiegende Verfahrensfehler gemacht wurden, die jeweils die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides begründeten, schließt § 434c Abs. 1 Satz 2 SGB III die vor den 22. Juni 2000 rückwirkende Überprüfung des Bescheides nicht aus. Ist der Bescheid danach auch für Zeiträume vor dem 22. Juni 2000 aufzuheben oder abzuändern und eine neue/höhere Leistungshöhe zu ermitteln, steht die zum 21. Juni 2000 bestehende Bestandskraft des fraglichen Bescheides im Sinne von § 77 SGG der Anwendung von § 434c Abs. 1 Satz 1 SGB III auch für Zeiträume vor dem 22. Juni 2000 nicht entgegen.
Anderenfalls hätte die Bundesanstalt unter Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 und Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG eine mit dem Grundgesetz unvereinbare Vorschrift anzuwenden, obwohl das BVerfG diese Unvereinbarkeit bereits mit seinem Urteil vom 24. Mai 2000 (1 BvL 1/98 u.a.) verbindlich festgestellt hat. Regelungszweck von § 434c Abs. 1 SGB III ist jedoch gerade die Umsetzung dieser Entscheidung (so auch BSG Urt. v. 25.03.2003, B 7 AL 106/01 R). In seiner Entscheidung hat das BVerfG tatsächlich nicht verfügt, dass für Bescheide, die bestandskräftig sind, jedoch wegen anderweitig begründeter Rechtswidrigkeit zu korrigieren sind, bei der Ermittlung der Leistungshöhe die mit dem Grundgesetz unvereinbaren Vorschriften anzuwenden sind. Ein derartiges Ansinnen wäre sowohl für die rechtsstaatlich arbeitende Verwaltung als auch für den betroffenen Versicherten eine verfassungsrechtliche Zumutung höchsten Grades. Es wäre auch nicht durch die rechtsstaatlichen Gedanken der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu begründen, die die verfassungsrechtliche Rechtfertigung für §§ 330 Abs. 1, 434c Abs. 1 Satz 2 SGB III und 77 SGG darstellen (Meyer-Ladewig: SGG, § 77 Rn. 4), weil ein Vertrauen irgendeiner Seite bei einer notwendigen rückwirkenden Korrektur nicht zu schützen wäre.
Es lässt sich unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten auch nicht vertreten, dass die wegen der anderweitigen Rechtswidrigkeit erforderliche Korrektur des Bescheides ausgeschlossen sein könnte, weil die verfassungsrechtlich gebotene Korrektur bzgl. der Berücksichtigung der Einmalzahlungen grundsätzlich und verfassungsrechtlich zulässig keine Rückwirkung haben soll, wenn der (doppelt rechtswidrige!) Bescheid bereits bestandskräftig war. Insoweit ist auch die Regelungssystematik des § 434c Abs. 1 SGB III zu beachten, die mit Satz 1 die Regel und mit Satz 2 die Ausnahme von der Regel der bis 1. Januar 1997 rückwirkenden Korrektur vorsieht. Auch diese Regelungssystematik beweist die dargelegten gesetzgeberischen Regelungszwecke.
Wird also § 434c Abs. 1 Satz 2 SGB III teleologisch, verfassungskonform einschränkend so ausgelegt, dass Satz 1 in Fällen der Bestandskraft nur solcher Bescheide, die lediglich wegen der Nichtberücksichtigung von Einmalzahlungen rechtswidrig waren, ab 22. Juni 2000 anzuwenden ist, verbleibt der Vorschrift auch ein erheblicher Anwendungsbereich, weil von der rechtsstaatlich arbeitenden Verwaltung grundsätzlich zu erwarten ist, dass sie nicht nur das verfassungswidrige (bis zur verbindlichen Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit) sondern auch und gerade das verfassungskonforme einfache Gesetzesrecht korrekt umsetzt. Es kann daher mitnichten davon die Rede sein, dass die Regelung des § 434c Abs. 1 Satz 2 SGB III konterkariert würde (so angedeutet in BSG Urt. v. 25.03.2003, B 7 AL 106/01 R, drittletzter Absatz), wenn die Behörde wegen anderweitiger Gesetzesverletzungen rechtswidrige Bescheide korrigieren muss und dabei verfassungskonformes und nicht verfassungswidriges Recht anzuwenden hätte.
Im vorliegenden Fall ergibt sich die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides neben der verfassungswidrig zu gering bestimmten Höhe des Arbeitslosengeldes auch daraus, dass er entgegen § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III endgültig durch die Beklagte erteilt wurde und keine Vorläufigkeitsbestimmung enthielt.
Die Leistungsbewilligung war gemäß § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III vorläufig zu erteilen. Die Bestimmung der Vorläufigkeit hätte mit dem Bescheid vom 7. April 1998 vorgenommen werden müssen. Zwar ist die Bestimmung der Vorläufigkeit nach § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III eine Ermessensentscheidung der Beklagten, jedoch sind hier keinerlei Gründe erkennbar, die gegen eine derartige Bestimmung sprechen, weshalb sich das Ermessen der Beklagten derart reduziert hat, dass nur noch die Bestimmung der Vorläufigkeit in Frage kam. (§ 42 SGB I war nicht anwendbar, weil nach der seinerzeit geltenden Gesetzeslage durch § 134 Abs. 1 Satz 3 SGB III in der Fassung bis 31.12.2000 nicht offen war, wie hoch der Leistungsanspruch zu sein hatte.) Sofern ein Ermessensausfall vorgelegen haben sollte, wäre der Bescheid allein deswegen rechtswidrig und deshalb aufzuheben gewesen.
Die Kammer folgt nicht dem Bundessozialgericht in dessen Urteil vom 25. März 2003 (Az.: B 7 AL 106/01 R), soweit das BSG es nicht für entscheidungserheblich hielt, ob die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, über ein (höheres) Arbeitslosengeld, das über das endgültig bewilligte Arbeitslosengeld hinausgegangen wäre, gemäß § 328 SGB III vorläufig zu entscheiden, weil es vorliegend bei der Regelung des § 434c Abs. 1 Satz 2 SGB III bliebe. Dies begründete das BSG damit, dass über die Bewilligung von Arbeitslosengeld unanfechtbar endgültig entschieden gewesen sei - also gerade nicht vorläufig - , weshalb eine Korrektur für die Zeit vor dem Wirksamwerden der Entscheidung des BVerfG nicht in Betracht komme. Insoweit hat das BSG gerade nicht berücksichtigt, dass § 434c Abs. 1 SGB III keinesfalls so ausgelegt werden kann, dass der Sozialverwaltung eine Überprüfung der Bescheide wegen anderweitig begründeter Rechtswidrigkeit verwehrt ist und dass bei einer solchen Überprüfung verfassungswidriges Recht anzuwenden wäre. Mit dieser Frage hat sich das BSG in der genannten Entscheidung auch nicht auseinander gesetzt.
Es sind jedoch zwei voneinander zu unterscheidende rechtliche Fragen, einerseits die Entscheidung über die Leistungshöhe nach § 134 Abs. 1 SGB III zu treffen und andererseits zu entscheiden, ob die Bewilligung endgültig oder vorläufig nach § 328 Abs. 1 SGB III erfolgen soll. Wird die Bewilligung unter schwerem Verstoß gegen § 328 SGB III endgültig erteilt, weil Ermessen nicht oder fehlerhaft ausgeübt wurde oder gar kein Ermessen vorhanden war, weil eine andere Lösung zwingend war, können §§ 330 Abs. 1 und 434c Abs. 1 Satz 2 SGB III die Korrektur dieser Fehlentscheidung über § 44 SGB X nicht verdrängen.
Reduziert sich das Ermessen der Beklagten bei der Anwendung des § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III auf die Anordnung der Vorläufigkeit des Bescheides und erlässt sie diesen dennoch endgültig, handelt es sich um einen gravierenden Rechtsverstoß, der eine rückwirkende Korrektur über § 44 SGB X gebietet.
Grundsätzlich dürfen und müssen Empfänger von Bescheiden darauf vertrauen, dass die durch die rechtsstaatlich arbeitende Verwaltung getroffenen Regelungen rechtmäßig sind. Ohne dieses Vertrauen kann der Rechtsstaat nicht funktionieren und wären mithin die wesentlichen Grundlagen unserer Gesellschaft in Frage gestellt. Bestehen jedoch erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die von der Verwaltung angewendeten Vorschriften würde es zu einer nicht hinnehmbaren Untergrabung des Rechtsstaates führen, wenn die Verwaltung in Kenntnis dieser erheblichen Bedenken massenhaft Bescheide erließe, die sich sämtlich später als verfassungswidrig und damit als rechtswidrig erweisen können. Besteht jedoch nach tatsächlicher Feststellung der Verfassungswidrigkeit nicht die Möglichkeit zur Korrektur der Verwaltungsentscheidungen, erwiese sich das Vertrauen in den Rechtsstaat als zerplatzte Seifenblase.
Um dies zu verhindern hat der Gesetzgeber entsprechende Vorkehrungen getroffen. Zwar hat er mit § 330 Abs. 1 SGB III grundsätzlich die Bestandskraft auch verfassungswidriger Bescheide vor einer Überprüfung nach § 44 SGB X geschützt. Er hat jedoch mit § 328 SGB III und der Begründungspflicht nach § 35 SGB X auch für Ermessensentscheidungen wie nach § 328 SGB III das erforderliche Korrektiv (auch im Sinne des Grundsatzes eines fairen Verfahrens) geschaffen und es mithin in die Hand des mündigen Staatsbürgers/Versicherten gelegt, bei entsprechenden verfassungsgerichtlichen Verfahren als Ausdruck erheblicher verfassungsrechtlicher Bedenken selbst über den Eintritt der Bindungswirkung nach § 77 SGG auch bei Rechtswidrigkeit der ihm gegenüber getroffenen Regelung zu entscheiden, wenn nicht eine vorläufige Regelung nach § 328 SGB III erfolgt. Insofern wird auch im Hinblick auch den Grundsatz des fairen Verfahrens gerade für rechtsunkundige Versicherte die Kenntnis der relevanten Umstände gewährleistet, damit diese angesichts ihrer verfahrenstechnischen und rechtskundlichen Unterlegenheit nicht übermäßig in ihren verfassungsmäßigen Rechten benachteiligt werden.
Der Beachtung der Vorschriften der §§ 328 SGB III und 35 SGB X kommt mithin in ihrem Zusammenwirken eine besondere Bedeutung zu, so dass der Verstoß dagegen selbst als schwere Rechtsverletzung zu bewerten und ggf. eine Korrektur über § 44 SGB X zwingend ist.
Die Vorlage einer Gesetzesvorschrift durch ein Gericht nach Art 100 Abs. 1 GG begründet stets die Pflicht zu einer Entscheidung unter Berücksichtigung von § 328 SGB III, weil bei einer solchen Vorlage von einem erheblichen Grad der verfassungsrechtlichen Bedenken ausgegangen werden muss.
Der Anwendungsbereich der Vorschrift des § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III war hier durch den Vorlagebeschluss vom 26. Januar 1998 eröffnet, in welchem das vorlegende SG Köln den Ausschluss der Berücksichtigung von Einmalzahlungen bei der Ermittlung des die Höhe der Arbeitslosengeldes bestimmenden Bemessungsentgelts durch die Vorschriften des AFG bzw. die gleichlautende Nachfolgevorschrift des SGB III für verfassungswidrig hielt und die Klärung dieser Frage dem BVerfG vorgelegt hatte. Die Entscheidung der Beklagten erfolgte erst nach Kenntnis des Vorlagebeschlusses (s.o.).
Da die Klägerin tatsächlich Einmalzahlungen (Weihnachtsgeld) bezogen hatte, die für die Leistungshöhe von der Beklagten auch nicht berücksichtigt worden waren, lag ein entsprechender Anwendungsfall auch bei der Klägerin vor.
Die Beklagte hätte die Vorläufigkeit nach § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III anordnen müssen, weil dafür die Gesichtspunkte der Verfahrensökonomie und im Falle der Klägerin keine Aspekte dagegen sprachen. Die durch § 328 Abs. 1 Satz 1 SGB III ermöglichte Ermessensentscheidung hatte sich dadurch auf eine einzige Lösung verdichtet (”Ermessensreduktion auf Null”).
§ 328 Abs. 1 und Abs. 2 SGB III gibt der Beklagten ein wirksames Instrumentarium in die Hand, die Belastung gerade ihrer Widerspruchsstellen mit durch eine Vielzahl von Berechtigten eingeleiteter Vorverfahren zu minimieren, die lediglich deshalb eingeleitet werden, um die Bestandskraft der Leistungsbescheide im Hinblick auf anhängige Verfassungsgerichtsverfahren zu verhindern. Dazu sind die Betroffenen wegen § 330 Abs. 1 SGB III gezwungen, wenn sie letztendlich eine rechtmäßige/verfassungskonforme Entscheidung durchsetzen wollen (s.o.).
Das durch § 328 SGB III bereitgestellte Verfahren erlaubt daneben effizientes Handeln insbesondere nach einer Entscheidung des BVerfG, weil wegen Abs. 2 der Vorschrift bei Bestätigung der überprüften Norm eine endgültige Entscheidung nur auf Antrag zu treffen ist. Nach der Praxis der Beklagten, nicht über § 328 SGB III vorzugehen und ggf. erst das Widerspruchsverfahren zum Ruhen zu bringen, ist jedoch jedes zum Ruhen gebrachte Widerspruchsverfahren wieder aufzunehmen und zu entscheiden. Gleiches gilt, wenn die Verfahren bereits bei den Sozialgerichten anhängig sind. Gerade wenn die Beklagte also dem Verfassungsgerichtsverfahren geringe Erfolgsaussichten beimisst, ist sie gehalten, die Vorläufigkeit nach § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III anzuordnen.
Nimmt die Beklagte dagegen hohe Erfolgsaussichten eines Verfassungsgerichtsverfahrens an, muss sie erst recht die Vorläufigkeit anordnen, damit mutmaßlich rechtswidrige, weil verfassungswidrige Bescheide nicht in Bestandskraft erwachsen können, auch wenn sie der Gesetzeslage im Zeitpunkt der Entscheidung entsprechen. Gerade eine solche rechtsstaatswidrige Situation der Bestandskraft einer Vielzahl nunmehr anerkannt-rechtswidriger Bescheide zu verhindern, hat der Gesetzgeber die Vorschrift des § 328 SGB III geschaffen und gleichzeitig mit einem effektiven Instrumentarium zum Verwaltungshandeln versehen. Bei den hier fraglichen Vorschriften war es im Hinblick auf die Entscheidung des BVerfG vom 11. Januar 1995 (BVerfGE 92, 53 = SozR 3-2200 § 385 Nr. 6) ziemlich sicher, dass die vom Gesetzgeber geschaffenen Regelungen den Vorgaben des BVerfG nicht entsprachen, auch wenn noch offen scheinen konnte, wie eine Korrektur auszusehen hatte. Bereits in der ersten Entscheidung hat das BVerfG den damaligen Rechtszustand (Nichtberücksichtigung von Einmalzahlungen bei der Bemessung des Arbeitslosengeld trotz Heranziehung zur Beitragsentrichtung in der Arbeitslosenversicherung) als verfassungswidrig angesehen, auch wenn dieses Recht innerhalb einer Übergangsfrist bis Dezember 1996 noch angewendet werden durfte.
Da also unabhängig von der Beurteilung der Erfolgsaussichten die Anordnung der Vorläufigkeit stets der endgültigen Entscheidung vorzuziehen ist, muss die Beklagte eine solche Prüfung im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens nicht vornehmen, wenn sie die verfahrenspraktischen Vorzüge adäquat in ihre Ermessensabwägung einstellt.
Durch die hier dargestellten Gesichtspunkte wird auch nicht das der Beklagten durch § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III eingeräumte Ermessen unangemessen eingeschränkt.
Zum Einen kann (und muss) die Beklagte eine Abwägung treffen, in welchem Umfange im Hinblick auf eine bestimmte verfassungsgerichtliche Prüfung mit einer Belastung der Widerspruchsstellen (und Gerichte) zu rechnen ist und deshalb der Aufwand für die Korrektur der Verfahren und z.B. der Textbausteine bei Bescheiderteilung größer wäre als die Abarbeitung nach herkömmlichen Vorgaben. Bei der großen Vielzahl der Bewilligungen von Arbeitslosengeld und der besonderen Bedeutung der Berücksichtigung der Einmalzahlung für die Betroffenen und dem Bekanntheitsgrad der früheren BVerfG-Entscheidung sowie der prompten Vorlage nach der Neuregelung durch die Sozialgerichte musste indes mit einer Vielzahl entsprechender Verfahren gerechnet werden.
Zum Anderen kommen regelmäßig Fallgestaltungen vor, die zwar die Anwendung der beim BVerfG zur Prüfung gestellten Norm verlangen, jedoch für den Betroffenen eine andere (höhere) Leistung nicht ermöglichen. Derartige Fallkonstellationen sind z.B. bei der Frage der Berücksichtigung von Einmalzahlungen bei der Höhe des Arbeitslosengeldes die Fälle, in denen das Bemessungsentgelt auch ohne Einmalzahlungen die Beitragsbemessungsgrenze erreicht hatte oder gar keine Einmalzahlungen tatsächlich geleistet wurden oder sich die Leistungshöhe nach einer fiktiven Bemessung gerichtet hatte. Keine dieser Fallgestaltungen lag jedoch bei der Klägerin vor.
Es kommt im vorliegenden Fall auch nicht darauf an, dass die Beklagte zunächst keine Kenntnis der Zahlung von Weihnachtsgeld hatte. Weil eben mit einer sehr großen Vielzahl von Fällen zu rechnen war, hätte die Beklagte, wenn sie ggf. nicht mit einer einheitlichen Vorläufigkeitsbestimmung für sämtliche Bewilligungen (wie dies etwa die Finanzbehörden in gleichartigen Konstellationen vornehmen) sondern unter Prüfung bestimmter Fallgruppen hätte arbeiten wollen, entsprechende Ermittlungen durchführen müssen. Der dadurch ausgelöste Ermittlungsaufwand hätte aber wohl eher für eine entsprechende allgemeine Vorläufigkeitsbestimmung gesprochen.
Es ist kein zulässiges Kriterium bei der Ermessensausübung nach § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III Kosten durch Bestandskraft der Bescheide zu senken, falls das BVerfG eine vorgelegte Vorschrift korrigiert.
Überdies ist auch zu berücksichtigen, dass für den Fall der von vornherein endgültigen Entscheidung die Ermessensgründe mitzuteilen sind, die gegen die Vorläufigkeit der Entscheidung gesprochen und zur endgültigen Entscheidung geführt haben. Dann kann immerhin der Berechtigte in Kenntnis dieser Gründe und dem Bewusstsein, das entsprechende verfassungsgerichtliche Verfahren laufen, prüfen, ob und inwieweit er den Bescheid bestandskräftig werden lässt (siehe oben). Unterbleibt die entsprechende Darstellung dieser Gründe entgegen § 35 SGB X ist allein deswegen der Bescheid rechtswidrig und besteht für die Beklagte die Gefahr einer späteren Überprüfung nach § 44 SGB X, der insoweit gerade nicht durch § 330 Abs. 1 SGB III leer laufen könnte, weil sich die Rechtswidrigkeit eben nicht nur aus der Entscheidung des BVerfG ergebe sondern aus dem Verstoß gegen einfaches Verfahrensrecht. Oder der Bescheid wird wegen fehlerhafter Begründung bis zur Nachholung derselben nicht bestandskräftig, so dass ggf. rückwirkend für eine nicht zu überschauende Anzahl von Verfahren zu bewilligen ist. Auch diese Gesichtspunkte dürften regelmäßig für eine vorläufige Bescheiderteilung sprechen.
Schließlich ist ein Ermessensgesichtspunkt, der gegen die Bestimmung der Vorläufigkeit sprechen kann, die gezielte Durchführung von weiteren Musterverfahren. Dies bot sich im Falle der Klägerin nicht an und ist auch von keiner Seite angedacht worden.
Weitere Ermessensgesichtspunkte sind nicht ersichtlich. Dazu hat die Beklagte trotz Aufforderung auch nicht vorgetragen. Die Bescheide enthalten unter Verstoß gegen § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X in dieser Hinsicht auch keinerlei Begründungen (s.o.).
Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass sie zunächst Zeit benötigte, das weitere Verfahren in derartigen Fällen durch einheitliche interne Regelungen vorzubereiten und entsprechende Entscheidungen zu treffen. Gerade für diese (kurze) Zeitspanne hätte sie nach allgemeinen Vorschriften die Bescheid vorläufig erteilen müssen, bis eine entsprechende Willensbildung bei ihr erfolgt war. Der Beklagten ist es eben gerade im Hinblick auf ihre Gesetzes- und Verfassungsbindung nach Art. 20 GG untersagt, sehenden Auges rechtswidrige Bescheide zu erteilen und das betrifft auch die verfahrensrechtliche Rechtswidrigkeit bezüglich § 328 SGB III.
Da sich eine Ermessensreduktion ergab, folgte daraus unmittelbar die Rechtswidrigkeit im Sinne von § 44 SGB X. Mit der Einleitung eines Verfahrens der sog. Zugunstenüberprüfung im Sinne von § 44 Abs. 1 SGB X konnte die Klägerin deshalb verlangen, die Vorläufigkeit des Bewilligungsbescheides rückwirkend anzuordnen. War jedoch der Bewilligungsbescheid mit Wirkung ab 1. März 1998 lediglich vorläufig zu erteilen, konnte Bestandskraft nach § 434c Abs. 1 Satz 2 SGB III nicht eintreten. Nach Inkrafttreten des Gesetzes musste deshalb die erhöhte Leistungsbewilligung auch für die Klägerin ab Beginn der Leistung erfolgen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Sie berücksichtigt den Erfolg der Rechtsverfolgung.
Die Berufung war für die Beklagte zuzulassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 144 SGG).
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved