S 18 RA 560/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 18 RA 560/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Es wird festgestellt, dass für die Entscheidung über das rentenrechtlich maßgebende Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen und dessen Begrenzung nach §§ 7, 8 Absatz 1, 2, 3, 5 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz die Zuständigkeit der Beklagten besteht. 2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 3. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Feststellung von Daten nach §§ 7, 8 AAÜG für die Rentenberechnung.

Der 1932 geborene Kläger ist ohne einen erlernten Beruf in das DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS) am 1. Oktober 1967 im Dienstgrad eines Feldwebels eingetreten. Er absolvierte während seiner Dienstzeit beim MfS eine interne Ausbildung als Berufskraftfahrer und war bis zuletzt als Kraftfahrer tätig. Sein letzter Dienstgrad war der eines Leutnants. Eine militärische Offiziersausbildung absolvierte der Kläger nicht. Er wurde zum 15. März 1990 aus dem MfS/AfNS entlassen und erhielt zunächst eine Übergangsrente aus dem Sonderversorgungssystem des MfS (Bescheid vom 17. Mai 1990). Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 8. Dezember 1993 eine Zugehörigkeit des Klägers zum Sonderversorgungssystem nach Anlage 2 Nr. 4 des Anspruchs und Anwartschafts-überführungsgesetzes (AAÜG) für den Zeitraum vom 1. Oktober 1967 bis 15. März 1990 fest. Darüber hinaus stellte sie die maßgeblichen Entgelte in der Anlage 1 des Bescheides fest. Wegen der weiteren Einzelheiten des Bescheides wird auf die Verwaltungsakte Bezug genommen. Der Bescheid wurde bestandskräftig. Mit Schreiben vom 19. Februar 1996 beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheides. Das Überprüfungsverfahren wurde durch die Beklagte zum Ruhen gebracht. Sie erließ unter dem 15. Oktober 1999 den Änderungsbescheid, mit welchem sie mit Wirkung ab 28. April 1999 den Bescheid vom 8. Dezember 1993 dahingehend abgeänderte, das Entgelte nunmehr bis zur Höhe des Durchschnittseinkommens im Beitrittsgebiet berücksichtigt würden. Das danach maßgebliche Entgelt ergebe sich aus Anlage 1, die Bestandteil des Bescheides sei. Wegen der Einzelheiten dieses Bescheides wird auf die Verwaltungsakte Bezug genommen. Am 6. Dezember 1999 legte der Kläger gegen den Änderungsbescheid Widerspruch ein. Er wurde durch Widerspruchsbescheid vom 15. Januar 2002 durch die Beklagte zurückgewiesen, weil die Entscheidung der Beklagten den gesetzlichen Regelungen des 2. AAÜG Änderungsgesetz entspreche. Dies gelte auch, soweit der Kläger eine rückwirkende Korrektur für Zeiträume vor Mai 1999 verlange, weil Art. 11 des Gesetzes dies ausschließe.

Mit seiner Klage vom 21. Januar 2002 verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Nachdem in der mündlichen Verhandlung der Vertreter der Beigeladenen eine auch vor Mai 1999 rückwirkende Anwendung der Werte der Anlage 6 zum AAÜG neue Fassung zusagte, verlangt der Kläger nicht mehr für Zeiträume vor Mai 1999 eine Korrektur der Entgeltfeststellungen seitens der Beklagten.

Der Kläger beantragt nunmehr,

1. festzustellen, dass für die Entscheidung über das rentenrechtlich maßgebende Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen und dessen Begrenzung nach §§ 7, 8 Absatz 1, 2, 3, 5 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) die Zuständigkeit der Beklagten besteht, 2. den Bescheid der Beklagten vom 15. Oktober 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2002 abzuändern, 3. die Beklagte zu verpflichten, mit Wirkung vom 1. Juli 2001 die bescheinigten Jahresbruttoarbeitsentgelte bei der Feststellung der berücksichtigungsfähigen Entgelte nach dem AAÜG nur auf 80 vom Hundert, höchstens auf die Werte der Anlage 3 zum AAÜG zu begrenzen, 4. hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, mit Wirkung vom 1. Juli 2001 die bescheinigten Jahresbruttoarbeitsentgelte bei der Feststellung der berücksichtigungsfähigen Entgelte nach dem AAÜG nur auf 80 vom Hundert, höchstens auf 150 vom Hundert der jeweiligen Werte der Anlage 5 zum AAÜG mit der Maßgabe zu begrenzen, dass die für die Zeit der Zugehörigkeit zum Sonderversorgungssystem des MfS/AfNS insgesamt zu berücksichtigenden Entgelte nach AAÜG 128 vom Hundert der jeweiligen Werte der Anlage 5 zum AAÜG entsprechen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat erklärt, dass mit dem Bescheid vom 8. Dezember 1993 in der Form des Bescheides vom 15. Oktober 1999 keine Regelung bzgl. der Kürzung der Entgelte getroffen worden sei. Im Übrigen habe der Bescheid weiterhin, insbesondere hinsichtlich der Regelungen der Zugehörigkeit zum Sonderversorgungssystem Bestand.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Dem Gericht haben neben den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Schriftsätze und die Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, soweit sie sich gegen den Bescheid vom 8. Dezember 1993 in der Form des Bescheides vom 15. Oktober 1999 richtet. Dafür hat der Kläger Klagebefugnis, weil er gegenüber der Beklagten rügen kann, durch die von der Beklagten mittels mehreren feststellenden Verwaltungsakten in seinen Rechten dadurch verletzt zu sein, als die Feststellungen die Anwendung von Begrenzungsregelungen nach § 7 AAÜG umsetzten. Mit dem Bescheid vom 8. Dezember 1993 hat die Beklagte mit mehreren Verwaltungsakten (für jeden festgestellten Teilzeitraum jeweils ein feststellender Verwaltungsakt) dem Kläger und dem Rentenversicherungsträger, der Beigeladenen, die Anwendung von Begrenzungen der berücksichtigungsfähigen, rentenrechtlich relevanten Arbeitsentgelte mitgeteilt. Es handelt sich hinsichtlich der Feststellungen dieser Begrenzungen auch um Verwaltungsakte, weil nach § 8 Absatz 3 AAÜG galt: ”Der Versorgungsträger hat dem Berechtigten den Inhalt der Mitteilung nach Absatz 2 durch Bescheid bekanntzugeben. Die Vorschriften des Dritten Abschnitts des Ersten Kapitels des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch sind anzuwenden.” § 8 Absatz 2 AAÜG lautet: ”Der Versorgungsträger hat dem für die Feststellung der Leistungen zuständigen Träger der Rentenversicherung das tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen oder die Daten mitzuteilen, die sich nach Anwendung von §§ 6 Absatz 2 und 3 sowie 7 ergeben.” Die Beklagte hat entgegen dieser gesetzlichen Vorgabe mit dem Bescheid vom 8. Dezember 1993 auch keine Handlung vorgenommen die sich bei Auslegung nicht als Verwaltungsakt im Sinne von § 31 SGB X erweisen würde. Für die Frage der Auslegung von Äußerungen der Beklagten im Hinblick auf die Frage, inwieweit sich diese Äußerungen als Verwaltungsakt darstellen, ist nicht auf einen mit der Sach- und Rechtslage vertrauten Adressaten abzustellen (so aber BSG, Urteil vom 20. Dezember 2001, Az.: B 4 RA 6/01 R). Eine solche Ansicht widerspricht der zutreffenden, ganz herrschenden Rechtsprechung sämtlicher oberster Bundesgerichte, weil der rechtskundige Adressat nur dann Maßstab der Auslegung nach Treu und Glauben sein kann, soweit der jeweilige Adressat nach seiner Stellung und beruflichen und sonstigen Entwicklung bei Betrachtung einer gleichartigen Vergleichsgruppe als rechtskundig bzgl. der einschlägigen Rechtsfragen zu bewerten ist. ”Ob die Erklärung einer Behörde als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist, richtet sich danach, wie der Empfänger diese Erklärung bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalles zu deuten hatte.” (BSG Urt. vom 29.10.92, 10 RKg 4/92 m.w.N. für die ständige BSG-Rechtsprechung und den Verweis auf die Rspr. des BVerwG und des BGH in SozR 3-1300 § 50 Nr. 13) Diese Auslegung berücksichtigt zutreffend, dass an Erklärungen im Rechtsverkehr regelmäßig durch das Gesetz Rechtsfolgen geknüpft sind, die vom Bürger als Adressat des Rechts beherrscht werden sollen. Aus dem Rechtsstaatsgebot mit seinen wichtigen Aspekten der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit sowie dem Anspruch auf Rechtsgewährleistung folgt daher, dass der Adressat der Erklärung die durch diese Erklärung geschaffene Situation beherrschen soll. Die erforderliche Auslegung der empfangenen Erklärung soll unter regelmäßigen Umständen nicht mit dem der Masse der Adressaten nicht zur Verfügung stehenden Instrumentarium des Juristen erfolgen müssen. Ohne dieses Instrumentarium würde die Masse der Adressaten, die rechtlichen Laien, die Situation nach Empfang einer Erklärung jedoch nicht beherrschen, weil sie in einer Vielzahl der Fälle zu ihnen so nicht möglichen Auslegungsergebnissen und somit ihnen nicht zugänglichen Erklärungsinhalten kommen müssten. Die Anknüpfung an einen ”objektiven Adressaten” einer Erklärung, der regelmäßig nicht über juristisches Sonderwissen verfügt, erscheint deshalb systemgerecht, ebenso die Berücksichtigung von Sonderwissen, wenn es beim Adressaten vorhanden ist. Der Empfänger auch einer Behördenerklärung ist nach den Umständen des Einzelfalles jedoch regelmäßig nicht rechtskundig/mit der Rechtslage (schon gar nicht mit der gegen den Wortlaut des Gesetzes erst Dezember 2001 erfolgten Auslegung durch den 4. Senat des BSG) vertraut. Der 4. BSG-Senat hat seine zitierte Entscheidung trotz der Abweichung von der bisherigen ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung aller obersten Bundesgerichte getroffen und dabei gegen § 41 Abs. 2 SGG, ggf. sogar gegen § 2 RsprEinhG verstoßen. Auch unter dem Gesichtspunkt der einheitlichen Rechtsanwendung kann daher insofern dem Urteil des 4. Senats vom 20.12.2001 keinesfalls gefolgt werden. Der Kläger verfügt nicht über eine juristische Ausbildung – er ist angelernter Berufskraftfahrer – und hat auch sonst nicht entsprechende verwaltungsrechtliche Kenntnisse erlangt, die ihn in die Lage versetzen würden, die Äußerungen der Beklagten unter besonderem juristischen Blickwinkel zu würdigen. Ein juristisches Sonderwissen ist bei ihm deshalb nicht anzunehmen, weshalb Auslegungsmaßstab auch in seinem Fall der objektive, nicht rechtskundige Adressat ist. Aus der Sicht eines solchen Adressaten stellen sich die Feststellungen des Bescheides vom 8. Dezember 1993 als Verwaltungsakte dar. Dies ergibt sich aus der Form (Kennzeichnung als ”Bescheid” und einer Rechtsbehelfsbelehrung) der festgestellten Entgeltdaten, der Kennzeichnung der ”Entgelte nach AAÜG” und dem ausdrücklichen Hinweis auf Höchstwerte, ”die sich aus der Anwendung von § 7 in Verbindung mit Anlage 6 AAÜG” ergeben würden. Darüber hinaus ergibt sich aus dem hier angefochtenen Änderungsbescheid vom 15. Oktober 1999, der ausschließlich die festgestellten Höchstwerte der berücksichtigungsfähigen Entgelte korrigierte, dass es sich um bindende Feststellungen handeln sollte, für die ein entsprechender Erklärungs- und Regelungswille seinerzeit und noch bei Erlass des jüngsten Bescheides vorhanden war. Eine Auslegung, dass es sich dabei um bloße unverbindliche Mitteilungen gehandelt haben könnte, hält die Kammer jedenfalls seit Erlass des Bescheides vom 15. Oktober 1999 für völlig ausgeschlossen. Aus der Sicht eines objektiven Adressaten stellen sich mithin die getroffenen Feststellungen als Regelungen im Einzelfall durch hoheitliche Entscheidung dar. Da die feststellenden Regelungen durch die Beklagte vorgenommen wurden, richtet sich die Klage auch gegen die richtige Behörde und kann der Kläger geltend machen gerade durch Entscheidungen der Beklagten beschwert zu sein. Er hat ein Feststellungsinteresse gemäß § 55 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Nach dem bezeichneten Urteil des 4. BSG-Senats wäre wohl die Beklagte nicht mehr für die Feststellungen der Begrenzungen nach §§ 7, 8 Abs. 1, 2, 3, 5 AAÜG zuständig, sondern die Beigeladene. Jedoch folgt die Instanzgerichtsrechtsprechung dieser Rechtsprechung des BSG nicht einheitlich (vgl. Entscheidungen der 9. und 18. Kammern des SG Berlin) und die Beklagte hat ihre Bescheide bislang auch noch nicht aufgehoben, so dass ein Feststellungsinteresse angenommen werden muss, weil zu klären ist, inwieweit eine Bindungswirkung der Beigeladenen durch den wirksamen, noch nicht aufgehobenen Bescheid der Beklagten besteht. Auch die Erklärung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung hat die Regelungen nicht aufgehoben. Sie hat lediglich erklärt, dass hinsichtlich der Entgeltkürzungen eine Regelung nicht getroffen worden sei. Diese Erklärung widerspricht den tatsächlichen Umständen und lässt selbst einen Regelungswillen nicht erkennen. Sie ist daher als Rechtsansicht zu bewerten und durch die hier vorgenommene Auslegung widerlegt. Immerhin stützt sie das Feststellungsinteresse des Klägers, weil deutlich wird, dass die Beklagte ihre Zuständigkeit für die Entscheidung über die Entgeltkürzungen nach §§ 7, 8 AAÜG nunmehr ablehnt.

Die angefochtenen Feststellungen waren von der Beklagten zu treffen. Sie ist dafür nach §§ 7, 8 Abs. 1, 2, 3, 5 AAÜG ausschließlich zuständig. Nach Auffassung der Kammer hat der Versorgungsträger die Begrenzung der Entgelte nach den § 7 AAÜG, sofern die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen, vorzunehmen und dem Berechtigten die begrenzten Entgelte durch Bescheid bekanntzugeben (s.o. § 8 Abs. 2 und 3 AAÜG). Die Kammer folgt nicht dem Urteil des BSG vom 20. Dezember 2001 (s.o.), mit dem es entschieden hatte, dass der Versorgungsträger lediglich die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung der Beitragsbemessungsgrenzen festzustellen hat, nicht aber dem Rentenversicherungsträger die für die Entscheidung über den ”Rentenanspruch” maßgeblichen Beitragsbemessungsgrenzen oder die Höhe der als versichert geltenden Arbeitsverdienste vorzuschreiben hat. Diese Rechtsprechung des vierten Senats des BSG überschreitet nach Auffassung der Kammer die Grenzen der Befugnisse der Gerichte zur Anwendung der Gesetze, weil sie mit dem Wortlaut und der Systematik der Regelungen des 2. AAÜG-ÄndG und dessen Regelungsgeschichte nicht in Übereinstimmung zu bringen ist.

Die Regelungen des § 8 Abs. 2, 3 und 5 AAÜG besagen, dass die Entgelte, die dem Rentenversicherungsträger vom Versorgungsträger mitzuteilen sind, diejenigen sind, die sich nach Anwendung von § 6 Abs. 2 und 3 bzw. § 7 AAÜG ergeben, d. h.- gegebenenfalls - nach Begrenzung. Diese Entgelte, also ebenfalls nach Begrenzung, sind dem Berechtigten durch Bescheid bekanntzugeben (§ 8 Abs. 3 AAÜG). An diese, durch Bescheid bekanntgegebenen Entgelte, ist der Rentenversicherungsträger gemäß § 8 Abs. 5 AAÜG gebunden. Der Gesetzgeber hat eine hinsichtlich der Formulierung klare und eindeutige Regelung geschaffen, die eine lückenfüllende systematische Auslegung/erst recht Analogie ausschließt. Die Grenzen der grammatischen Auslegung sind trotz gewisser systematischer Vorzüge der genannten Rechtsprechung überschritten. Es lässt sich semantisch nicht miteinander vereinbaren, wenn der Versorgungsträger die Daten festzustellen hat, ”die sich nach Anwendung der Vorschriften der §§ 6 Abs. 2 und 3 sowie 7 ergeben” bzw. die lediglich in tatsächlicher Hinsicht Voraussetzung der Anwendung niedrigerer Beitragsbemessungsgrenzen sind (so BSG a.a.O.). Eine derartige Reduktion des Regelungsgehaltes entgegen den Wortlaut der Vorschrift (mithin eine Überschreitung der Grenze der Auslegung im Sinne einer Rechtsnormergänzung zur Schließung einer sog. ”verdeckten Regelungslücke” – vgl. Achterberg: Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl. § 17 Rn. 53 f.) ist nicht erforderlich oder möglich.

Dass der Gesetzgeber von einer Zuständigkeit des Versorgungsträgers für die Begrenzung ausging, ergibt sich auch aus den mit dem 2. AAÜG-ÄndG vorgenommenen Änderungen des § 8 Abs. 2 AAÜG und den Materialien zu diesem Gesetz. In § 8 Abs. 2 wurde das Wort ”sowie” durch das Wort ”oder” und die Angabe ”§§ 6 und 7” durch die Angabe ”§§ 6 Abs. 2 und 3 sowie 7” ersetzt. Die Ersetzung des Wortes ”sowie” durch das Wort ”oder” zeigt, dass der Versorgungsträger nach dem Willen des Gesetzgebers auch tatsächlich die Begrenzung vornehmen sollte, denn es würde keinen Sinn ergeben, wenn er in Begrenzungsfällen neben den anderen Daten auch die begrenzten Entgelte an den Rentenversicherungsträger melden sollte, obwohl er die Begrenzung gar nicht vorzunehmen hätte. (vgl. Urt. SG Berlin vom 12. November 2002, Az.: S 9 RA 2089/02)

Auch die zweite Änderung in § 8 Abs. 2 AAÜG, nämlich die Ersetzung von ”§§ 6 und 7” durch ”§§ 6 Abs. 2 und 3 sowie 7” zeigt, dass der Gesetzgeber von einer Zuständigkeit des Versorgungsträgers für die Vornahme der Begrenzung ausgegangen ist. In den Materialien (Drucksache 14/5640 Deutscher Bundestag) findet sich hierzu die Anmerkung, dass dies eine ”Klarstellung aufgrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts über die Bedeutung der Entgeltmitteilung für die Anwendung der Beitragsbemessungsgrenze” sei. Daraus, dass der Gesetzgeber § 6 Abs. 1 AAÜG, also die Begrenzung der Entgelte auf die allgemeine Beitragsbemessungsgrenze, herausgenommen hat, ergibt sich, dass er entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (hier insbesondere Urteil vom 18. Juli 1996, Az. 4 RA 7/95) davon ausgeht, dass diese Begrenzung (erst) durch den Rentenbescheid vorzunehmen ist. Im Umkehrschluss ergibt sich aber daraus, dass § 6 Abs. 2 und 3 sowie § 7 in § 8 Abs. 2 AAÜG belassen wurden, dass der Versorgungsträger nach dem Willen des Gesetzgebers die besonderen Begrenzungen auf Grund dieser Vorschriften vornehmen soll. Anderenfalls hätte der Gesetzgeber auch diese Vorschriften aus § 8 Absatz 2 AAÜG entfernen bzw. klarstellen müssen, dass insoweit nur die Feststellung über das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen durch Bescheid festgelegt wird. (vgl. SG Berlin a.a.O.) Dem Ergebnis, dass der Versorgungsträger die besondere Begrenzung vornimmt, steht auch nicht entgegen, dass das Bundessozialgericht evtl. bereits mit der genannten Entscheidung vom 18. Juli 1996 davon ausgegangen ist, dass der Versorgungsträger auch für die besonderen Begrenzungen nicht zuständig ist bzw. nur für die Feststellung der tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung dieser Begrenzungen. Darauf deuten insbesondere die Ausführungen unter II 1 b (Umdruck Seite 7) hin, wonach vom Versorgungsträger die Entscheidung darüber vorgemerkt werden soll, ob der Betroffene die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 2, 3 und 5 oder des § 7 AAÜG erfüllt. Der Gesetzgeber ist dem BSG, wie sich - wie oben erläutert - aus den Änderungen in § 8 Absatz 2 AAÜG ergibt, nur insoweit gefolgt, als er nun eine Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers für die Begrenzung nach § 6 Abs. 1 AAÜG annimmt, nicht aber eine Zuständigkeit für die Vornahme der besonderen Begrenzungen nach § 6 Abs. 2 und 3 und § 7 AAÜG. (SG Berlin a.a.O.)

Ein weiterer Hinweis darauf, dass nach dem Willen des Gesetzgebers der Versorgungsträger die besonderen Begrenzungen vorzunehmen hat, ist die Inkrafttretensregelung in Artikel 13 des 2. AAÜG-ÄndG, die nur dann folgerichtig ist, wenn man von einer entsprechenden Zuständigkeit ausgeht. Artikel 13 Absatz 1 Zweites AAÜG-ÄndG lautet: ”Dieses Gesetz tritt mit Wirkung vom 1. Mai 1999 in Kraft, soweit in den folgenden Absätzen nichts Abweichendes bestimmt ist.” Artikel 13 Abs. 7 Zweites AAÜG-ÄndG lautet: ”Mit Wirkung vom 1. Juli 1993 treten § 6 Abs. 2 und 3 sowie Anlage 4 und 5 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes in der Fassung des AAÜG-Änderungsgesetzes vom 11. November 1996 (BGBl. I S. 1674) für Personen in Kraft, für die am 28. April 1999 ein Überführungsbescheid eines Versorgungsträgers noch nicht bindend war; Absatz 8 bleibt unberührt. ( ...)” Artikel 13 Absatz 8 Zweites AAÜG-ÄndG lautet: ”Mit Wirkung vom 1. Januar 1992 treten Artikel 1 Nr. 3, 12 und Artikel 3 und 4 für Personen in Kraft, für die am 28. April 1999 ein Überführungsbescheid eines Versorgungsträgers noch nicht bindend war. ( ...)” Die Tatsache, dass der Gesetzgeber hinsichtlich der Rückwirkung auf die Überführungsbescheide des Versorgungsträgers abstellt macht deutlich, dass er sie für die maßgebenden Bescheide bzgl. der Begrenzung hält. Anderenfalls hätte er auf den Rentenbescheid abstellen müssen. Zumindest jedenfalls wird damit deutlich, dass der Gesetzgeber bisher die Zuständigkeit für die Feststellung der Entgeltbegrenzungen bei Versorgungsträger gesehen hat und davon ausgeht, dass diese Feststellungen weiterhin Wirkung entfalten können. Eine Auslegung der Vorschriften des Artikel 13 Abs. 7 und 8 Zweites AAÜG-ÄndG dahingehend, dass mit ”Überführungsbescheid” der Rentenbescheid gemeint sein könnte, ist nicht möglich. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber die Bezeichnung ”Überführungsbescheid des Versorgungsträgers” gewählt hat macht deutlich, dass er den (Feststellungs-)Bescheid des Versorgungsträgers meint. Die Rechtsprechung des BSG vom 18. Mai 2003 stützt sich nicht auf Wortlaut sondern Zwecke der Übergangsvorschriften und nimmt notwendige teleologische Korrekturen der Übergangsvorschriften vor, wobei das BSG zutreffend an den Willen des Gesetzgebers anknüpft, die Entscheidungen des BVerfG vom 28. April 1999 vollständig umzusetzen. Diese Rechtsprechung ändert jedoch nichts daran, dass auch bei fehlender Bestandskraft des Bescheides des Versorgungsträgers eine rückwirkende Korrektur zwingend ist.

Auch waren die den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts jeweils zu Grunde liegenden Ausgangsbescheide solche der Sonder- bzw. Zusatzversorgungsträger, so dass sich auch aus diesen Urteilen kein Hinweis darauf ergibt, dass der Versorgungsträger die Begrenzung nicht festzustellen hat. Der erklärte Wille des Gesetzgebers, die Entscheidungen des BVerfG umzusetzen, spricht vielmehr auch für die Annahme, dass er weiterhin wie bisher die Zuständigkeit des Versorgungsträgers für die Feststellung der Begrenzungen sieht.

Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber nur deshalb auf den Überführungsbescheid abgestellt hat, weil in der Vergangenheit die Versorgungsträger sich tatsächlich für die Begrenzung zuständig gesehen haben und auch entsprechende Bescheide erteilt haben und auch in Literatur und Rechtsprechung nahezu einhellig davon ausgegangen wurde, dass Gegenstand des Bescheides des Versorgungsträgers die verbindliche Feststellung der Entgeltbegrenzungen nach § 6 Abs. 2 und 3 und § 7 AAÜG ist (vgl. zum Beispiel Kreikebohm, Sozialgesetzbuch VI, § 8 AAÜG, Rn. 13 und 14; Kommentar zum Recht der Gesetzlichen Rentenversicherung, herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, § 8 Art. 3 RÜG (AAÜG), Rn. 9 - Stand 1. Januar 1997-; Landessozialgericht (LSG) Berlin, Urteil vom 24. Januar 2002, Az. L 8 RA 246/95 W 99; LSG Berlin, Urteil vom 22. April 2002, Az.: L 16 RA 29/94 W 99 ). Hätte der Gesetzgeber (bei von ihm angenommener Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers für die Begrenzung) dieser (dann falschen) oben genannten jahrelangen Praxis der Versorgungsträger Rechnung tragen wollen, hätte er durch eine andere Korrektur des Gesetzes reagiert.

Dass dem Rentenversicherungsträger die Aufgabe der Anwendung der Beitragsbemessungsgrenzen sonst auch obliegt, spricht nicht gegen die Möglichkeit einer Regelung, wie sie hier vom Gesetzgeber vorgenommen wurde. Da es sich hier um Begrenzungen der berücksichtigungsfähigen Entgelte handelt (das Gesetz spricht nicht von Beitragsbemessungsgrenzen) ist der Rentenversicherungsträger bei der Berücksichtigung der Entgelte für den jeweiligen Entgeltzeitraum nicht gehindert, auch andere Beitragsbemessungsgrenzen zu berücksichtigen, was ggf. zu einer Begrenzung weiterer berücksichtigungsfähiger Entgelte oder auch zu einer weiteren Begrenzung der Entgelte im Versorgungssystem (etwa bei einer parallel bestehenden weiteren versicherungspflichtigen Beschäftigung) führen kann. Entscheidend nach dem Willen des Gesetzgebers ist insofern lediglich, dass der Rentenversicherungsträger durch die Entscheidung des Versorgungsträgers bindend gehindert wird, höhere Entgelte aus dem Versorgungssystem als die vom Versorgungsträger festgestellten zu berücksichtigen.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung anderer/höherer Entgelte durch die Beklagte. Zwischen den Beteiligten ist zutreffend unstreitig, dass die Beklagte die gesetzlichen Vorschriften korrekt umgesetzt und nicht von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist.

Für den Kläger führen die Vorschriften der §§ 7, 8 AAÜG nicht zu verfassungswidrigen Ergebnissen, auch wenn die Kammer erhebliche Bedenken gegen die Verfassungskonformität der Regelungen hat (vgl. Beschluss der Kammer vom heutigen Tag zu S 18 RA 7460/01). Das BVerfG hat in seiner Entscheidung vom 28. April 1999 (BVerfGE 100, 138) nach Ansicht der Kammer zutreffend festgestellt, dass der Gesetzgeber mit § 7 AAÜG den zulässigen Zweck verfolgt, überhöhte Arbeitsverdienste nicht rentenwirksam werden zu lassen. Es hat zutreffend weiter dem Gesetzgeber bestätigt, dass er bei den Angehörigen des MfS in pauschalierender und typisierender Weise Entgeltüberhöhungen annehmen und ausschließen dürfe. Dem BVerfG folgend hat der Gesetzgeber durch § 7 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Anlage 6 AAÜG den kalenderjährlichen allgemeinen Durchschnittsverdienst der Werktätigen der DDR als pauschalen Entgeltbetrag als Maßstab für die möglichen Kürzungen herangezogen. Durch diese Regelung wird der Kläger nicht in unzulässiger Weise verfassungsrechtlich beeinträchtigt. Er hat eine Qualifikation lediglich als Angelernter erworben. Im MfS war er ebenfalls nur angelernt als Kraftfahrer tätig. Wenn in pauschalierender Weise für ihn nunmehr der allgemeine Durchschnittsverdienst der Rentenberechnung zugrunde gelegt wird, ist dies jedenfalls wegen einer behaupteten Benachteiligung des Klägers nicht zu beanstanden – eher umgekehrt. So haben Facharbeiter (!) im Bereich des Staatsapparates und der gesellschaftlichen Organisationen und Parteien der DDR regelmäßig Einkünfte in der Nähe des allgemeinen Durchschnittsverdienstes bezogen. Dies ergibt sich aus der Hochrechnung der jährlichen Werte der Tabelle 20 Qualifikationsgruppe 4 Anlage 14 SGB VI, wonach in den Jahren 1950 bis 1985 der Durchschnitt bei 97,05 % des allgemeinen Durchschnittsverdienstes liegt, für die Beschäftigungszeiträume des Klägers beim MfS 1967 bis 1990 sogar für Facharbeiter deutlich darunter (Höchstsatz: 101,2% im Jahr 1971 und Tiefstsatz: 85,2 im Jahr 1984). Da eine deutliche Entgeltüberhöhung im Falle des Klägers schon daraus resultiert, dass er ohne jeglichen Berufsabschluss oder entsprechende militärische Ausbildung und mit einer einfachen Kraftfahrerfunktion einen Offiziersdienstgrad erlangte, lässt sich weder feststellen, dass auch in seinem Falle eine Kürzung unzulässig hätte sein können und hinsichtlich seines Qualifizierungsniveaus bei Anwendung der Werte der Anlage 6 AAÜG zu unangemessenen, verfassungsrechtlich bedenklichen Ergebnissen führen würde. Eher wäre noch zu erörtern, inwieweit dem Kläger durch die geltende Regelung Entgeltanteile belassen werden, die als überhöht zu bewerten sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz. Sie berücksichtigt die Erfolglosigkeit der Rechtsverfolgung.

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