S 37 AS 4301/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
37
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 37 AS 4301/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 16. Februar 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 2005 verurteilt, der Klägerin ab 14. Februar 2005 Alg II ohne Abzug von Gebühren für die Scheckauszahlung zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte hat ¼ der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist der Beginn der Leistungsbewilligung, der Abzug einer Energiepauschale von 30,- EUR wegen der Unterbringung in einem Wohnheim sowie der Abzug einer Gebühr für die Scheckauszahlung des Alg II.

Ausweislich der Leistungsakte hatte die Klägerin am 15. Februar 2005 Alg II beantragt. Da sie wegen einer Zwangsräumung am 10. Februar 2005 obdachlos war, erfolgte mit einer Kostenübernahme des Beklagten die Unterbringung in einem Wohnheim.

Gegen den Bewilligungsbescheid vom 16. Februar 2005, mit dem der Klägerin bezüglich des Zeitraumes Januar bis Mai 2005 Alg II in Höhe des Regelsatzes abzüglich einer Pauschale für die Kostenübernahme der Wohnheimunterbringung gewährt worden war, erhob die Klägerin Widerspruch. Sie machte geltend, bereits am 14. Februar 2005 wirksam Alg II beantragt zu haben. Der Beklagte habe durch Schließung des JobCenters um 13.00 Uhr und einer verweigerten Entgegennahme ihres Antrags die fehlende, förmliche Antragstellung zu vertreten. Hinsichtlich der 30,- EUR-Pauschale bemängelt die Klägerin eine genaue Berechnung.

Da ihr mangels eines bestehenden Bankkontos Bar- und Scheckauszahlungen geleistet werden, für letztere wird eine Aufwandspauschale von 5,- EUR pro Scheckauszahlung einbe- halten, machte die Klägerin außerdem noch geltend, aufgrund einer hohen Verschuldung mit Zwangsräumung und Kontenpfändung sei ihr die Unterhaltung eines Kontos nicht möglich.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 3. Mai 2005 als unbegründet zurück; eine frühere Antragstellung sei nicht erfasst, es fehle der Nachweis, dass die Klägerin außerstande ist, ein Konto einzurichten und schließlich handele es sich bei der Ab- zugspauschale für Wohnraumunterbringung um eine in der Sozialhilfe sei Jahren gehandhabte Berechnungsgröße.

Am 6. Juni 2005 hat die Klägerin beim Sozialgericht Berlin Klage erhoben, mit dem sie ihre Einwände aus dem Widerspruchsverfahren weiterverfolgt. Ergänzend trägt sie vor, dass wegen der unzumutbaren Verhältnisse in dem Wohnheim eine Benutzung der dortigen Ge- meinschaftsküche praktisch unmöglich sei. Jedenfalls deshalb sei der Abzug von 30,-EUR pauschal unzulässig.

Die Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 16. Februar 2005 in der Fassung des Widerspruchsbe- scheides vom 3. Mai 2005 zu verurteilen, der Klägerin ab 14. Februar 2005 Alg II ohne Abzug der Wohnkostenpauschale und den Gebührenabzug für die Scheckaus- zahlung zu gewähren.

Die Vertreterin des Beklagten beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die beigezogene Leistungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist hinsichtlich des Leistungsbeginns und des Abzugs für die Scheckaus-zahlung begründet. Im Übrigen war sie dagegen abzuweisen.

Im Einzelnen:

Nach § 37 SGB II wird Alg II ab Antragstellung gewährt. Die Antragstellung ist anders als im Arbeitslosenversicherungsrecht des SGB III zur Begründung eines Auszahlungsanspruchs weder an eine persönliche Arbeitslosmeldung gebunden noch an ein sonstiges Formerforder-nis. Der Antrag kann also auch mündlich, telefonisch oder mit formlosem Schreiben gestellt werden.

Die Klägerin hat in ihrer Klagebegründungsschrift vom 5. Juli 2005 sehr detailliert eine Situation beschrieben, wie sie dem Gericht aus vielen anderen Verfahren gleichlautend mitge- teilt wurde (Schließung des Amtes für den allgemeinen Publikumsverkehr um 13.00 Uhr, Ein-lasssperre durch Sicherheitspersonal). Zwar ist eine Behörde berechtigt, im Interesse einer zügigen Abwicklung gestaffelte Öffnungszeiten für bestimmte Personengruppen festzulegen, bedenklich ist jedoch die von der Klägerin glaubhaft geschilderte Verfahrensweise, einem Wunsch auf Antragsabgabe mit amtlicher Bestätigung nicht zu entsprechen. Dem Betroffenen, insbesondere wenn er aus der Arbeitslosenhilfe kommt, wie die Klägerin, muss sich daher nicht die Überlegung aufdrängen, dass der Einwurf eines Schreibens in den Briefkasten der Behörde genügt. Überdies ist das Absicherungsbedürfnis vieler Bürger verständlich, mit einem Eingangsstempel die Gewähr einer datumsfesten Antragstellung zu haben. Berechtigte Interessen der Behörde, ein solches "Abstempeln" übergebener Unterlagen zu verweigern, sind der Kammer nicht ersichtlich.

Wenn man also nicht bereits die für die Kammer sehr glaubhaft geschilderte Vorsprache am 14. Februar 2005 nach Ende der Öffnungszeit für den allgemeinen Publikumsverkehr als aus- reichende Antragstellung im Sinne einer Anmeldung des Hilfebedarfs ausreichen lässt, kommt der Klägerin jedenfalls die Rückwirkung des § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II zugute. Denn der Beklagte muss sich dann daran festhalten lassen, dass er für die Klägerin zu der unge-wöhnlichen und daher nicht planbaren Zeit von 13.00 Uhr bereits geschlossen hatte.

Die Klägerin hat somit Anspruch auf Alg II ab 14. Februar 2005.

Die Klage hat auch hinsichtlich der beanstandeten in Rechnung Stellung der Kosten für die Schecküberweisung Erfolg. Denn die Klägerin hat aufgrund der aus dem Gesamtzusammen-hang, insbesondere der Zwangsräumung ersichtlichen Umständen ausreichend nachgewiesen, dass ihr die Einrichtung des Kontos bei einem Geldinstitut ohne eigenes Verschulden nicht möglich ist. Der Begriff des Verschuldens in § 42 Satz 3 SGB II bezieht sich nicht auf die Ursache der Verschuldung, sondern den Umstand der Kontoeinrichtung bzw. Nichteinrich-tung. Es ist also zu prüfen, ob der Hilfebedürftige trotz seiner finanziell prekären Situation (Schufa-Eintrag, Pfändung, Privatinsolvenz etc.) die Möglichkeit hat, ein Konto zu führen. Davon ist derzeit nicht ohne weiteres auszugehen. Zwar hatte der zentrale Kreditausschuss der Spitzenverbände der Banken und Sparkassen bereits 1995 empfohlen, jedem Bürger zumindest ein Konto auf Guthabenbasis, also ohne Überziehungskredit zugänglich zu machen, viele Kreditinstitute halten sich jedoch nicht an diese Empfehlung. Es kann einem Leistungsempfänger nicht zugemutet werden, einen - immer noch unsicheren – Rechtsanspruch auf Einrichtung eines Guthabenkontos per Gericht durchzusetzen. Erst jüngst musste ein Bürger die Bremer Stadtsparkasse (erfolgreich) auf Einrichtung eines Guthaben-kontos verklagen. Das Urteil des Landgerichts Bremen ist noch nicht rechtskräftig (Az.: 2-O-408/05).

Unzumutbaren Kostenbelastungen ist die Behörde dadurch nicht ausgesetzt. Denn sie hat die Möglichkeit, durch Barauszahlungen eine für sie kostengünstigere Variante der Auszahlung an kontolose Leistungsempfänger einzurichten. Überdies hat die Klägerin glaubhaft vorge- tragen, ihr sei die Möglichkeit der Einrichtung eines Guthabenkontos gar nicht bekannt gewesen.

Unbegründet ist die Klage hinsichtlich der Abzugspauschale bei Wohnheimunterbringung. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob es zulässig ist, einen Berechnungswert aus dem Bundessozialhilfegesetz auf das SGB II zu übertragen, da mit der Pauschale von 30,- EUR jedenfalls keine unrechtmäßige Leistungseinschränkung verbunden ist. Denn im Gegensatz zu einem regulären Mieter hat der Bewohner eines Wohnheims weder für Haushaltsenergiekosten aufzukommen noch entstehen ihm die übliche Aufwendungen zur Instandhaltung der
wohnung und des Mobiliars. Da jedoch Aufwandsbeträge im Regelsatz sowohl für die Haushaltsenergie als auch kleine Instandhaltungsreparaturen eingearbeitet sind (jeweils in Höhe von ca. 8 % bzw. 27,- EUR pro Aufwandsposition) wird mit dem Abzug der Pauschale von insgesamt 30,- EUR keinesfalls in Aufwandsbeträge eingegriffen, die auch der Klägerin wie jedem regulären Leistungsempfänger entstehen.

Ob und in welchem Umfang die Klägerin aufgrund der konkreten Wohnverhältnisse daran gehindert ist, die ihr als Bewohnerin zustehenden Einrichtungen zu nutzen, konnte offen bleiben. Für die Bedarfsberechnung ist maßgebend, dass der Beklagte mit Übernahme der Unterkunftskosten Leistungen gewährt, die die oben genannten Aufwandsbeträge im Regel-satz umfassen.

Im Übrigen ist der Klägerin entgegen zu halten, dass die geforderte genaue Abrechnung nur möglich wäre, wenn die Klägerin den konkreten Nachweis führte, in welchem Umfang sie aufgrund von nicht abwendbaren Störungen der Wohnsituation Aufwendungen zur Ab- wicklung ihres Bedarfs (Kochen, Waschen etc.) anderweitig tätigen müsste.

Sollte die Klägerin weiterhin in dem Wohnheim bleiben, bleibt es ihr vorbehalten, die geschilderten Zustände genau zu dokumentieren und der Wohnheimleitung vorzutragen, um dort eine Abhilfe zu erreichen.

Die dem Ergebnis der Hauptsache entsprechende Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Streitgegenstand ist der Zeitraum Januar bis Mai 2005. Der Berufungsstreitwert von mindestens 500,- EUR wird somit nicht erreicht. Gründe für die Zulassung der Berufung liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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