Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
81
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 81 KR 1876/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 4. Mai 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. August 2010 verurteilt, die vom Kläger für die Zeit vom 1. April 2007 bis 31. März 2009 geschuldeten Beiträge auf den jeweiligen Monatsbeitrag neu festzusetzen, den freiwillige Mitglieder nach § 240 Abs. 4 a SGB V zu zahlen haben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger 2/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die rückwirkende Festsetzung von Beiträgen für den Zeitraum von April 2007 bis Dezember 2009. Der Kläger ist von Beruf Diplom-Ingenieur und arbeitet seit 1990 freiberuflich als Ingenieur im Bereich Architektur sowie als Bausachverständiger. Bis Februar 2001 war er freiwilliges Mitglied der Beklagten. In der Zeit von März 2001 bis März 2007 war er nicht kranken- und pflegeversichert. Aufgrund der geringen Einnahmen aus der beruflichen Tätigkeit hatte er sich entschieden, dass Krankheits- und Pflegerisiko selbst zu tragen Er hat zu keiner Zeit Angestellte beschäftigt noch selbst ein Angebot zur Aufnahme einer Beschäftigung in einem abhängigen Arbeitsverhältnis erhalten. Seit Jahren arbeitet er in Bürogemeinschaft mit zwei ebenfalls selbständigen Architekten. Im April 2009 erkundigte sich der Kläger bei der Techniker Krankenkasse nach der Möglichkeit der Wiederaufnahme einer Krankenversicherung und wurde von dieser an die vorherige Krankenkasse, die Beklagte, verwiesen. Am 30. April 2009 meldete sich der Kläger bei der Beklagten telefonisch und erhielt infolge des Telefongesprächs von der Beklagten Unterlagen zur Anzeige der Pflichtversicherung übersandt. Der Kläger entschied sich, die Krankenversicherung erst ab Januar 2010 zu beginnen und übersandte die Anzeigepflichtversicherung erst am 29. Dezember 2009 an die Beklagte. Hintergrund seiner Entscheidung war die erst ab Januar 2010 verbesserte Auftragslage. Mit Bescheid vom 20. April 2010 setzte die Beklagte vorläufig Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab 1. April 2007 fest und informierte den Kläger über die gesetzlich bestehende Versicherungspflicht seit April 2007. Mit Bescheid vom 4. Mai 2010 setzte die Beklagte nach Prüfung der Einkommensverhältnisse des Klägers die Beiträge ab April 2007 endgültig in Höhe der Mindestbeitragsbemessungsgrenze fest. Gegen die endgültige Beitragsfestsetzungen, der keine Rechtsmittelbelehrung beigefügt war, erhob der Kläger am 7. Oktober 2010 Widerspruch. Ferner beantragte er mit Schreiben vom 20. Dezember 2010 die Stundung und Ermäßigung der geforderten Beiträge. Mit Bescheid vom 27. Juni 2011 lehnte die Beklagte den Erlass bzw. die Ermäßigung der geforderten Beiträge ab, gewährte jedoch eine Stundung der Beitragszahlung. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. August 2011 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass gemäß § 186 Abs. 11 SGB V die Mitgliedschaft der nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V Versicherten mit dem ersten Tag ohne anderweitige Absicherungen im Krankheitsfall beginne, für den Kläger am 1. April 2007. Anhaltspunkte für ein unverschuldet Unterlassen der Anzeige zu Pflichtversicherung lägen nicht vor, der Kläger habe sich bewusst aus wirtschaftlichen Gründen dafür entschieden, keine Krankenversicherung ab zu schließen, eine unbillige Härte liege nicht vor. Daher käme eine Ermäßigung der Beitragsnachzahlung nicht in Betracht. § 21a der Satzung der Beklagten in der Fassung vom 1. Januar 2009 sowie inhaltsgleich § 39 der Satzung in der Fassung vom 29. Juni 2009 sowie in den nachfolgenden Fassungen bestimmt für die Erhebung von nachzuzahlenden Beiträgen: Zeigt das Mitglied aus Gründen, die es nicht zu vertreten hat, das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V nach den in § 186 Abs. 11 Satz 1, 2 oder 3 SGB V genannten Zeitpunkten an, sind die nachzuzahlenden Beträge auf Antrag 1. unter den Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SGB IV zu stunden, 2. unter den in Satz 2 und 3 genannten Voraussetzungen für die Zeit bis zum Ende des Monats, der der Anzeige über das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht vorangeht, auf den Betrag zu ermäßigen, der von freiwilligen Mitgliedern nach § 240 Abs. 4a SGB V zu zahlen ist, 3. unter den Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 SGB IV niederzuschlagen oder zu erlassen. Eine Ermäßigung der Beiträge setzt voraus, dass der Nacherhebungszeitraum mehr als 3 Monate umfasst und das Mitglied erklärt, während dieses Zeitraums Leistungen für sich und seine nach § 10 SGB V mitversicherten Familienangehörigen nicht in Anspruch genommen zu haben und dass eine Kostenübernahme oder Kostenerstattung von bereits in Anspruch genommenen Leistungen verzichtet. Eine Ermäßigung der Beiträge scheidet aus, wenn zum Zeitpunkt des Eintritts der Versicherungspflicht ein Beitrittsrecht zur freiwilligen Krankenversicherung bestand, dieses jedoch nicht ausgeübt wurde." Mit der am 19. September 2011 vor dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt vor, keine Kenntnis von der Versicherungspflicht gehabt und Arztbesuche auf ein Minimum reduziert zu haben. Entstandende Kosten habe er selbst getragen. Gelegentlich habe er sich wegen zu geringer Einnahmen hierfür Geld von seinen Eltern leihen müssen, diesen aus Scham jedoch die fehlende Krankenversicherung verschwiegen. Er sei irrig davon ausgegangen, dass es zur Begründung der Krankenversicherungspflicht eines gesonderten Antrages bedurft hätte. Auch nach den Telefonaten mit der Techniker Krankenkasse und der Beklagten habe er keine Kenntnis davon gehabt, dass seit April 2007 eine gesetzliche Versicherungspflicht besteht. Er ist der Ansicht, dass er Anspruch auf Erlass bzgl. Ermäßigung der Beitragsnachforderung zumindest für die Zeit von April 2007 bis Mai 2009 habe. Der Kläger erklärte, keine Leistungen der Kranken- oder Pflegeversicherung in Anspruch genommen zu haben und auf eine Kostenübernahme oder Erstattung zu verzichten.
Er beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 4. Mai 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2011 aufzuheben, soweit er den Zeitraum vom 1. April 2007 bis 31. Dezember 2009 betrifft, und die Beklagte zu verurteilen, die Nachzahlung der Versicherungsbeiträge für den Zeitraum vom 1. April 2007 bis 31. Dezember 2009 niederzuschlagen, hilfsweise zu ermäßigen. Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Sie ist der Ansicht, dass sich aus der formellen Publizität des Gesetzes ergebe, dass der Kläger die Einführung einer Versicherungspflicht zu April 2007 habe wissen müssen. Jedenfalls habe er seit dem Telefongespräch mit der Beklagten am 30. April 2009 hiervon Kenntnis. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und die von der Beklagten übersandten Verwaltungsakten verwiesen, die der Kammer bei der Entscheidung vorlagen und Gegenstand der Beratung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 S. 1. SGG zulässig, und teilweise begründet. Der Bescheid vom 4. Mai 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2011 ist teilweise rechtswidrig und verletzt den Kläger insoweit in seinen Rechten. Der Kläger ist aufgrund seit 1. April 2007 bestehenden Versicherungspflicht zur Beitragszahlung verpflichtet (dazu 1.). Er hat keinen Anspruch auf Niederschlagung der Beitragsforderung (dazu 2.). Die Beiträge sind jedoch für die Zeit vom 1. April 2007 bis 31. März 2009 zu ermäßigen, da der Kläger in diesem Zeitraum unverschuldet keine Kenntnis von der Versicherungspflicht hatte (dazu 3.). 1. Der Kläger ist nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V, § 20 Abs. 1 Nr. 12 SGB XI seit dem 1. April 2007 versicherungspflichtig in der Kranken- und Pflegeversicherung. Die Versicherungspflicht ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz, auf eine etwaig fehlende Kenntnis oder einen entgegenstehenden Willen kommt es nicht an. Der Kläger schuldet aufgrund der Versicherungspflicht Beiträge für jeden Tag der Mitgliedschaft. Zu Recht haben daher die Beklagte und Beigeladene Beiträge rückwirkend ab dem 1. April 2007 erhoben, § 223 Abs. 1 SGB V, § 186 Abs. 11 S. 3 SGB V; §§ 54 Abs. 2, 49 SGB XI. Denn die Mitgliedschaft bei der Beklagten und der Beigeladenen begann am ersten Tag der Versicherungspflicht, da zu diesem Zeitpunkt kein anderweitiger Absicherungsschutz des Klägers bestand. 2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Niederschlagung der Beiträge. Nach § 186 Abs. 11 S. 4 SGB V, § 49 Abs. 1 S. 3 SGB XI gilt: Zeigt der Versicherte aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht verspätet an, hat die Krankenkasse in ihrer Satzung vorzusehen, dass der für die Zeit seit dem Eintritt der Versicherungspflicht nachzuzahlende Beitrag angemessen ermäßigt, gestundet oder von seiner Erhebung abgesehen werden kann. Nach § 21a der Satzung der Beklagten in der Fassung am 1. Januar 2009 sowie - inhaltsgleich - gemäß § 39 der Satzung der Beklagten in der Fassung ab 29. Juni 2009 und nachfolgend sind die nachzuzahlende Beiträge auf Antrag niederzuschlagen, wenn die Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 SGB IV vorliegen. Nach § 76 SGB IV sind Beiträge niederzuschlagen, wenn feststeht, dass die Einziehung keinen Erfolg haben wird oder wenn die Kosten der Einziehung außer Verhältnis zur Höhe des Anspruchs stehen (Nr. 2) oder wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre (Nr. 3). Diese Voraussetzungen liegen nach Überzeugung der Kammer nicht vor. Die Kläger erzielt durch seine freiberufliche Tätigkeit Einkünfte, so dass die Einziehung Erfolg haben wird und stehen die mit der Einziehung verbundenen Kosten wegen der Höhe der Nachforderung nicht außer Verhältnis zur Höhe des Anspruchs. Anhaltspunkte dafür, dass die Einziehung nach Lage des Falles unbillig wäre, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Dem Kläger ist die Abtragung der Schulden aus der Nachversicherung - wenn auch in Raten - möglich und stellt die Belastung mit der Nachforderung keine unbillige Härte dar. Der Hauptantrag des Klägers war daher abzuweisen.
3. Der Hilfsantrag hat jedoch teilweise Erfolg. Der Kläger hat Anspruch auf Ermäßigung der Beiträge für den Zeitraum von April 2007 bis einschließlich März 2009. Denn er hat die Nichtanzeige der Versicherungspflicht für die Zeit von April 2007 bis zu den Telefonaten im April 2009 nicht zu vertreten. Im Übrigen hat der Hilfsantrag keinen Erfolg. a. Nach § 186 Abs. 11 S. 4 SGB V sowie § 49 Abs. 1 S. 3 SGB XI regeln Satzungsbestimmungen der Krankenkasse die weiteren Voraussetzungen der Beitragsermäßigung für Nachzahlungsbeiträge, hier § 21a der Satzung (a.F.) bzw. § 39 der Satzung (n.F.). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Vorliegend hat der Kläger das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht der Beklagten erst im Dezember 2009 – und damit verspätet nach Beginn der Versicherungspflicht nach § 186 Abs. 11 S. 3 SGB V, § 49 Abs. 1 S. 3 SGB XI – angezeigt. Ferner machen die Beklagte und die Beigeladene Nachzahlungen für den Zeitraum vom 1. April 2007 bis 31. Dezember 2009 geltend und damit für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten. Der Kläger hat im hiesigen Verfahren erklärt, keine Leistungen der Kranken- oder Pflegeversicherung in Anspruch genommen zu haben und auf eine Kostenübernahme oder Erstattung zu verzichten. Schließlich bestand kein Beitrittsrecht zu einer freiwilligen Versicherung gemäß § 3 Abs. 2 der Satzung iVm. § 9 SGB V, § 26 SGB XI. Denn die Voraussetzungen eines Beitritts zu einer freiwilligen Versicherung lagen nicht vor, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Entscheidend für den Anspruch auf Ermäßigung der Beitragsschuld war daher im vorliegenden Verfahren, ob der Kläger die verspätete Anzeige des Vorliegens der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nicht zu vertreten hat (§ 186 Abs. 11 S. 4 SGB V). Davon geht die Kammer für den Zeitraum bis März 2009 aus. Wie das Vertretenmüssen bzw. Verschulden im Sinne von § 186 Abs. 11 SGB V zu verstehen ist, ist weitgehend ungeklärt. Die Beklagte vertritt hierzu eine sehr restriktive Ansicht, nach der bereits die Unkenntnis der gesetzlichen Neuregelung in § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V vom Versicherten zu vertreten sei. Der Kläger ist hingegen der Ansicht, dass erst die tatsächliche Kenntnis vom Bestehen der Versicherungspflicht unabhängig von einer Anhaltspunkt ein Vertretenmüssen sein könne. Beidem folgt die Kammer nicht. Nach der Bestimmung in § 276 BGB, auf welche die Kammer mangels konkreterer gesetzlicher Angaben im Sozialgesetzbuch zurückgreift, hat der Schuldner – hier der Versicherte als Beitragsschuldner – Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses zu entnehmen ist. Danach hat der Beitragsschuldner zunächst neben dem vorsätzlichen Handeln grobe und leichte Fahrlässigkeit zu vertreten. Nach § 276 Abs. 2 BGB handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Ob eine strengere oder mildere Haftung anzunehmen ist, ist anhand der gegenseitigen Pflichten im Versicherungsverhältnis zu bestimmen. Nach Überzeugung der Kammer kannte der Kläger die Versicherungspflicht nicht und handelte nicht vorsätzlich. Aus der in der mündlichen Verhandlung aus der Vernehmung des Klägers gewonnenen Überzeugung geht die Kammer davon aus, dass der Kläger die Einführung der Versicherungspflicht tatsächlich nicht bemerkte. Er hätte das Bestehen der Versicherungspflicht jedoch spätestens im April 2009 erkennen können und müssen. Insoweit handelte er sorgfaltswidrig und damit fahrlässig. Zu klären war für diese Beurteilung, welcher Fahrlässigkeitsmaßstab sich aus dem Kranken- und Pflegeversicherungsrecht ergibt. Nach Ansicht der Kammer genügt für das Vertretenmüssen iSd. § 186 Abs. 11 S. 4 SGB V bereits leichte Fahrlässigkeit, so auch LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 18. September 2009, L 5 KR 15909 B. Denn die gesetzliche Versicherungspflicht korrespondiert unabhängig von der Beitragszahlung mit einem umfassenden Leistungsanspruch des (unerkannt) Versicherten. Die Versichertengemeinschaft hat daher ein besonderes Interesse an einer risikogerechten Beitragszahlung. Daher sind an das Vertretenmüssen in Bezug auf Mitwirkungshandlungen des Versicherten hohe Anforderungen zu stellen. Jedoch sind bei der Bestimmung von Sorgfaltspflicht einerseits und leicht fahrlässigem Pflichtverstoß andererseits Einschränkungen geboten. Nach Überzeugung der Kammer ist es im Kranken- und Pflegeversicherungsrecht für den Versicherten nicht bereits sorgfaltswidrig, die Neueinführung einer gesetzlichen Versicherungspflicht zum 1. April 2007 nicht zu (er)kennen, so auch LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 18. September 2009, L 5 KR 15909 B. Denn es besteht keine Pflicht der (ggf. unerkannt) Versicherten, allgemeine Gesetzesänderungen im Versicherungsrecht zu verfolgen. Dass sich der Kläger aufgrund der schlechten Ertragslage für eine Nichtversicherung entschied, spricht nach Ansicht der Kammer gerade dafür, dass er Neuerungen im Versicherungsrecht nicht beachtete, da es ihn in seinen Angelegenheiten vermeintlich nicht betraf. Das LSG Rheinland-Pfalz führt im Beschluss vom 18. September 2009 aus: "Für eine "unverschuldete" iSd § 186 Abs 11 Satz 4 SGB V - bzw "nicht zu vertretende" ( ...) Unterlassung der Anzeige der Pflichtversicherung nach § 5 Abs 1 Nr. 13 SGB V genügt einfache Fahrlässigkeit. In Rechtsprechung und Schrifttum nicht eindeutig geklärt ist jedoch, welche Maßstäbe hieran anzulegen sind. In der Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 26.3.2007 (GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100 Seite 159) heißt es hierzu: "Durch Satz 4 der Neuregelung soll vermieden werden, dass diese Nachzahlungspflicht bei unverschuldet verspäteter Anzeige zu unbilligen Härten für die Betroffenen führt. Eine Ermäßigung oder Nichterhebung der nachzuentrichtenden Beiträge wird insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Betroffenen in der Zwischenzeit keine Leistungen oder nur Leistungen in geringem Umfang in Anspruch genommen haben." Ob, wie das SG meint, wegen des Grundsatzes der formellen Publizität von Gesetzen ( ) bereits die bloße Unkenntnis der Meldepflicht generell - jedenfalls wenn die Krankenkasse ihre Beratungspflicht nicht verletzt hat ( ) - ein Verschulden des Versicherungspflichtigen begründet, ist zweifelhaft. Eine dergestalt eingeschränkte Anwendung des § 186 Abs 11 Satz 4 SGB V würde der Vorschrift weitgehend ihren Anwendungsbereich nehmen." Dem folgt die Kammer nach eigener Prüfung. Die Kammer folgt der Beklagten auch nicht in der Ansicht, dass der Kläger fahrlässig handelte, weil er sich bewusst für eine eigenverantwortliche Übernahme des Krankheitsrisikos entschied. Denn diese Entscheidung stand den selbständig und freiberuflich Tätigen bis März 2007 zur Auswahl, sie war übliches Geschäftmodell gerade der Geringverdienenden – und daher Anlass für die Einführung der allgemeinen Versicherungspflicht. Die Beibehaltung der bis März 2007 zulässigen Gestaltungsmöglichkeit in der nachfolgenden Zeit ist für sich allein nicht sorgfaltswidrig. Denn Anknüpfungspunkt für einen Sorgfaltsverstoß im Sinne des § 186 Abs. 11 SGB V ist die fahrlässige Unkenntnis des Versicherungspflicht und die daraus folgende Nichtanzeige der Versicherungspflicht, nicht das vermeidliche Nicht-versichert-Bleiben. Sorgfaltswidrig und damit fahrlässig handelt nach Überzeugung der Kammer daher (nur), wer trotz eines tatsächlichen Anlasses oder Umstandes das Bestehen der eigenen Versicherungspflicht nicht überdenkt und dadurch die gebotene Anzeige der Versicherungspflicht nicht vornimmt. Nach Überzeugung der Kammer handelte der Kläger zumindest leicht fahrlässig, als er sich im April 2009 zunächst bei der Techniker Krankenkasse und sodann bei der Beklagten nach der Aufnahme in die Krankenversicherung erkundigte und sich nicht aus Anlass der Telefonate nach der Versicherungspflicht erkundigte oder aus den gegebenen Auskünften nicht die zutreffenden Schlüsse zog. Die Telefonate hatten nach Mitteilung des Klägers konkret die Wiederaufnahme der Versicherung und Beitragszahlung zum Gegenstand, die Beklagte übersandte ihm daraufhin Antragsunterlagen. Wenn der Kläger sodann irrtümlich annahm, dass die Versicherungspflicht zusätzlich von einer Antragstellung abhänge, unterlag er einem vermeidbaren Rechtsirrtum. Er hätte sich bei der Beklagten nach den Voraussetzungen und dem Beginn der Versicherungspflicht erkundigen können und müssen. Der Kläger verfügte als Diplom-Ingenieur über die intellektuellen Fähigkeiten, auch bei nur bruchstückhaften Informationen auf den Klärungsbedarf zu schließen. Anhaltspunkte für eine unrichtige Beratung durch die Techniker Krankenkasse oder die Beklagte liegen nicht vor und wurden vom Kläger auch nicht vorgetragen. Er hätte mit der Anzeige der Versicherungspflicht nicht bis Dezember 2009 warten dürfen. Frühere Anhaltspunkte oder Umstände für einen Sorgfaltsverstoß des Klägers sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Kläger ging nach seiner glaubhaften Darstellung auch nach März 2007 davon aus, dass keine Versicherungspflicht bestehe und dass er nicht versichert sein müsse. Er beschäftigte weder Angestellte noch erhielt er Angebote, als Angestellter zu arbeiten. Gelegentliche Arztbesuche erfolgten in der Annahme der Eigenversicherung. Mit seinen Eltern sprach er – wie er glaubhaft darlegte – bei finanziellen Engpässen und Darlehensbitten aus Scham nicht über die fehlende Versicherung. Weitere Ermittlungen, insbesondere ein Ausforschen des beruflichen oder familiären Umfeldes des Klägers nach möglichen Anhaltspunkten oder Umständen für einen Sorgfaltsverstoß, waren nicht geboten. b. Aufgrund des fehlenden Vertretensmüssens der Nichtanzeige hat der Kläger Anspruch auf Ermäßigung der Beitragsschuld nach den Satzungsbestimmungen der Beklagten. Danach sind die nachzuzahlende Beiträge für die Zeit bis zum Ende des Monats, der der Anzeige über das vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht vorangeht, auf den Betrag zu ermäßigen, der von freiwilligen Mitgliedern nach § 240 Abs. 4a SGB V zu zahlen ist. Die Kammer hat keine Zweifel an der Ermächtigungskonformität der Satzungsregelung. Die Regelung ist jedoch einschränkend dahingehend auszulegen, dass die Ermäßigung nur bis zum Monat vor Eintreten des Vertretenmüssens zu gewähren ist. Somit sind die Beiträge vom Zeitpunkt der Entstehung der Beitragsschuld am 1. April 2007 bis zum Monat vor dem Sorgfaltspflichtverstoß im April 2009, somit bis einschließlich 31. März 2009 zu ermäßigen. Eine darüber hinausgehende Ermäßigung war aufgrund der konkreten und rechtmäßigen Satzungsbestimmung nicht möglich. Aufgrund des Vertretenmüssens der Nichtanzeige der Versicherungspflicht ab April 2009 bestand auch kein Anspruch auf Ermäßigung der Beiträge ab April 2009. Insoweit ist der angegriffene Bescheid rechtmäßig. 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Sie berücksichtigt das Verhältnis zwischen Unterliegen und Obsiegen des Klägers bzw. der Beklagten.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger 2/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die rückwirkende Festsetzung von Beiträgen für den Zeitraum von April 2007 bis Dezember 2009. Der Kläger ist von Beruf Diplom-Ingenieur und arbeitet seit 1990 freiberuflich als Ingenieur im Bereich Architektur sowie als Bausachverständiger. Bis Februar 2001 war er freiwilliges Mitglied der Beklagten. In der Zeit von März 2001 bis März 2007 war er nicht kranken- und pflegeversichert. Aufgrund der geringen Einnahmen aus der beruflichen Tätigkeit hatte er sich entschieden, dass Krankheits- und Pflegerisiko selbst zu tragen Er hat zu keiner Zeit Angestellte beschäftigt noch selbst ein Angebot zur Aufnahme einer Beschäftigung in einem abhängigen Arbeitsverhältnis erhalten. Seit Jahren arbeitet er in Bürogemeinschaft mit zwei ebenfalls selbständigen Architekten. Im April 2009 erkundigte sich der Kläger bei der Techniker Krankenkasse nach der Möglichkeit der Wiederaufnahme einer Krankenversicherung und wurde von dieser an die vorherige Krankenkasse, die Beklagte, verwiesen. Am 30. April 2009 meldete sich der Kläger bei der Beklagten telefonisch und erhielt infolge des Telefongesprächs von der Beklagten Unterlagen zur Anzeige der Pflichtversicherung übersandt. Der Kläger entschied sich, die Krankenversicherung erst ab Januar 2010 zu beginnen und übersandte die Anzeigepflichtversicherung erst am 29. Dezember 2009 an die Beklagte. Hintergrund seiner Entscheidung war die erst ab Januar 2010 verbesserte Auftragslage. Mit Bescheid vom 20. April 2010 setzte die Beklagte vorläufig Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab 1. April 2007 fest und informierte den Kläger über die gesetzlich bestehende Versicherungspflicht seit April 2007. Mit Bescheid vom 4. Mai 2010 setzte die Beklagte nach Prüfung der Einkommensverhältnisse des Klägers die Beiträge ab April 2007 endgültig in Höhe der Mindestbeitragsbemessungsgrenze fest. Gegen die endgültige Beitragsfestsetzungen, der keine Rechtsmittelbelehrung beigefügt war, erhob der Kläger am 7. Oktober 2010 Widerspruch. Ferner beantragte er mit Schreiben vom 20. Dezember 2010 die Stundung und Ermäßigung der geforderten Beiträge. Mit Bescheid vom 27. Juni 2011 lehnte die Beklagte den Erlass bzw. die Ermäßigung der geforderten Beiträge ab, gewährte jedoch eine Stundung der Beitragszahlung. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. August 2011 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass gemäß § 186 Abs. 11 SGB V die Mitgliedschaft der nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V Versicherten mit dem ersten Tag ohne anderweitige Absicherungen im Krankheitsfall beginne, für den Kläger am 1. April 2007. Anhaltspunkte für ein unverschuldet Unterlassen der Anzeige zu Pflichtversicherung lägen nicht vor, der Kläger habe sich bewusst aus wirtschaftlichen Gründen dafür entschieden, keine Krankenversicherung ab zu schließen, eine unbillige Härte liege nicht vor. Daher käme eine Ermäßigung der Beitragsnachzahlung nicht in Betracht. § 21a der Satzung der Beklagten in der Fassung vom 1. Januar 2009 sowie inhaltsgleich § 39 der Satzung in der Fassung vom 29. Juni 2009 sowie in den nachfolgenden Fassungen bestimmt für die Erhebung von nachzuzahlenden Beiträgen: Zeigt das Mitglied aus Gründen, die es nicht zu vertreten hat, das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V nach den in § 186 Abs. 11 Satz 1, 2 oder 3 SGB V genannten Zeitpunkten an, sind die nachzuzahlenden Beträge auf Antrag 1. unter den Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SGB IV zu stunden, 2. unter den in Satz 2 und 3 genannten Voraussetzungen für die Zeit bis zum Ende des Monats, der der Anzeige über das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht vorangeht, auf den Betrag zu ermäßigen, der von freiwilligen Mitgliedern nach § 240 Abs. 4a SGB V zu zahlen ist, 3. unter den Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 SGB IV niederzuschlagen oder zu erlassen. Eine Ermäßigung der Beiträge setzt voraus, dass der Nacherhebungszeitraum mehr als 3 Monate umfasst und das Mitglied erklärt, während dieses Zeitraums Leistungen für sich und seine nach § 10 SGB V mitversicherten Familienangehörigen nicht in Anspruch genommen zu haben und dass eine Kostenübernahme oder Kostenerstattung von bereits in Anspruch genommenen Leistungen verzichtet. Eine Ermäßigung der Beiträge scheidet aus, wenn zum Zeitpunkt des Eintritts der Versicherungspflicht ein Beitrittsrecht zur freiwilligen Krankenversicherung bestand, dieses jedoch nicht ausgeübt wurde." Mit der am 19. September 2011 vor dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt vor, keine Kenntnis von der Versicherungspflicht gehabt und Arztbesuche auf ein Minimum reduziert zu haben. Entstandende Kosten habe er selbst getragen. Gelegentlich habe er sich wegen zu geringer Einnahmen hierfür Geld von seinen Eltern leihen müssen, diesen aus Scham jedoch die fehlende Krankenversicherung verschwiegen. Er sei irrig davon ausgegangen, dass es zur Begründung der Krankenversicherungspflicht eines gesonderten Antrages bedurft hätte. Auch nach den Telefonaten mit der Techniker Krankenkasse und der Beklagten habe er keine Kenntnis davon gehabt, dass seit April 2007 eine gesetzliche Versicherungspflicht besteht. Er ist der Ansicht, dass er Anspruch auf Erlass bzgl. Ermäßigung der Beitragsnachforderung zumindest für die Zeit von April 2007 bis Mai 2009 habe. Der Kläger erklärte, keine Leistungen der Kranken- oder Pflegeversicherung in Anspruch genommen zu haben und auf eine Kostenübernahme oder Erstattung zu verzichten.
Er beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 4. Mai 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2011 aufzuheben, soweit er den Zeitraum vom 1. April 2007 bis 31. Dezember 2009 betrifft, und die Beklagte zu verurteilen, die Nachzahlung der Versicherungsbeiträge für den Zeitraum vom 1. April 2007 bis 31. Dezember 2009 niederzuschlagen, hilfsweise zu ermäßigen. Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Sie ist der Ansicht, dass sich aus der formellen Publizität des Gesetzes ergebe, dass der Kläger die Einführung einer Versicherungspflicht zu April 2007 habe wissen müssen. Jedenfalls habe er seit dem Telefongespräch mit der Beklagten am 30. April 2009 hiervon Kenntnis. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und die von der Beklagten übersandten Verwaltungsakten verwiesen, die der Kammer bei der Entscheidung vorlagen und Gegenstand der Beratung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 S. 1. SGG zulässig, und teilweise begründet. Der Bescheid vom 4. Mai 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2011 ist teilweise rechtswidrig und verletzt den Kläger insoweit in seinen Rechten. Der Kläger ist aufgrund seit 1. April 2007 bestehenden Versicherungspflicht zur Beitragszahlung verpflichtet (dazu 1.). Er hat keinen Anspruch auf Niederschlagung der Beitragsforderung (dazu 2.). Die Beiträge sind jedoch für die Zeit vom 1. April 2007 bis 31. März 2009 zu ermäßigen, da der Kläger in diesem Zeitraum unverschuldet keine Kenntnis von der Versicherungspflicht hatte (dazu 3.). 1. Der Kläger ist nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V, § 20 Abs. 1 Nr. 12 SGB XI seit dem 1. April 2007 versicherungspflichtig in der Kranken- und Pflegeversicherung. Die Versicherungspflicht ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz, auf eine etwaig fehlende Kenntnis oder einen entgegenstehenden Willen kommt es nicht an. Der Kläger schuldet aufgrund der Versicherungspflicht Beiträge für jeden Tag der Mitgliedschaft. Zu Recht haben daher die Beklagte und Beigeladene Beiträge rückwirkend ab dem 1. April 2007 erhoben, § 223 Abs. 1 SGB V, § 186 Abs. 11 S. 3 SGB V; §§ 54 Abs. 2, 49 SGB XI. Denn die Mitgliedschaft bei der Beklagten und der Beigeladenen begann am ersten Tag der Versicherungspflicht, da zu diesem Zeitpunkt kein anderweitiger Absicherungsschutz des Klägers bestand. 2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Niederschlagung der Beiträge. Nach § 186 Abs. 11 S. 4 SGB V, § 49 Abs. 1 S. 3 SGB XI gilt: Zeigt der Versicherte aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht verspätet an, hat die Krankenkasse in ihrer Satzung vorzusehen, dass der für die Zeit seit dem Eintritt der Versicherungspflicht nachzuzahlende Beitrag angemessen ermäßigt, gestundet oder von seiner Erhebung abgesehen werden kann. Nach § 21a der Satzung der Beklagten in der Fassung am 1. Januar 2009 sowie - inhaltsgleich - gemäß § 39 der Satzung der Beklagten in der Fassung ab 29. Juni 2009 und nachfolgend sind die nachzuzahlende Beiträge auf Antrag niederzuschlagen, wenn die Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 SGB IV vorliegen. Nach § 76 SGB IV sind Beiträge niederzuschlagen, wenn feststeht, dass die Einziehung keinen Erfolg haben wird oder wenn die Kosten der Einziehung außer Verhältnis zur Höhe des Anspruchs stehen (Nr. 2) oder wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre (Nr. 3). Diese Voraussetzungen liegen nach Überzeugung der Kammer nicht vor. Die Kläger erzielt durch seine freiberufliche Tätigkeit Einkünfte, so dass die Einziehung Erfolg haben wird und stehen die mit der Einziehung verbundenen Kosten wegen der Höhe der Nachforderung nicht außer Verhältnis zur Höhe des Anspruchs. Anhaltspunkte dafür, dass die Einziehung nach Lage des Falles unbillig wäre, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Dem Kläger ist die Abtragung der Schulden aus der Nachversicherung - wenn auch in Raten - möglich und stellt die Belastung mit der Nachforderung keine unbillige Härte dar. Der Hauptantrag des Klägers war daher abzuweisen.
3. Der Hilfsantrag hat jedoch teilweise Erfolg. Der Kläger hat Anspruch auf Ermäßigung der Beiträge für den Zeitraum von April 2007 bis einschließlich März 2009. Denn er hat die Nichtanzeige der Versicherungspflicht für die Zeit von April 2007 bis zu den Telefonaten im April 2009 nicht zu vertreten. Im Übrigen hat der Hilfsantrag keinen Erfolg. a. Nach § 186 Abs. 11 S. 4 SGB V sowie § 49 Abs. 1 S. 3 SGB XI regeln Satzungsbestimmungen der Krankenkasse die weiteren Voraussetzungen der Beitragsermäßigung für Nachzahlungsbeiträge, hier § 21a der Satzung (a.F.) bzw. § 39 der Satzung (n.F.). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Vorliegend hat der Kläger das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht der Beklagten erst im Dezember 2009 – und damit verspätet nach Beginn der Versicherungspflicht nach § 186 Abs. 11 S. 3 SGB V, § 49 Abs. 1 S. 3 SGB XI – angezeigt. Ferner machen die Beklagte und die Beigeladene Nachzahlungen für den Zeitraum vom 1. April 2007 bis 31. Dezember 2009 geltend und damit für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten. Der Kläger hat im hiesigen Verfahren erklärt, keine Leistungen der Kranken- oder Pflegeversicherung in Anspruch genommen zu haben und auf eine Kostenübernahme oder Erstattung zu verzichten. Schließlich bestand kein Beitrittsrecht zu einer freiwilligen Versicherung gemäß § 3 Abs. 2 der Satzung iVm. § 9 SGB V, § 26 SGB XI. Denn die Voraussetzungen eines Beitritts zu einer freiwilligen Versicherung lagen nicht vor, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Entscheidend für den Anspruch auf Ermäßigung der Beitragsschuld war daher im vorliegenden Verfahren, ob der Kläger die verspätete Anzeige des Vorliegens der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nicht zu vertreten hat (§ 186 Abs. 11 S. 4 SGB V). Davon geht die Kammer für den Zeitraum bis März 2009 aus. Wie das Vertretenmüssen bzw. Verschulden im Sinne von § 186 Abs. 11 SGB V zu verstehen ist, ist weitgehend ungeklärt. Die Beklagte vertritt hierzu eine sehr restriktive Ansicht, nach der bereits die Unkenntnis der gesetzlichen Neuregelung in § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V vom Versicherten zu vertreten sei. Der Kläger ist hingegen der Ansicht, dass erst die tatsächliche Kenntnis vom Bestehen der Versicherungspflicht unabhängig von einer Anhaltspunkt ein Vertretenmüssen sein könne. Beidem folgt die Kammer nicht. Nach der Bestimmung in § 276 BGB, auf welche die Kammer mangels konkreterer gesetzlicher Angaben im Sozialgesetzbuch zurückgreift, hat der Schuldner – hier der Versicherte als Beitragsschuldner – Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses zu entnehmen ist. Danach hat der Beitragsschuldner zunächst neben dem vorsätzlichen Handeln grobe und leichte Fahrlässigkeit zu vertreten. Nach § 276 Abs. 2 BGB handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Ob eine strengere oder mildere Haftung anzunehmen ist, ist anhand der gegenseitigen Pflichten im Versicherungsverhältnis zu bestimmen. Nach Überzeugung der Kammer kannte der Kläger die Versicherungspflicht nicht und handelte nicht vorsätzlich. Aus der in der mündlichen Verhandlung aus der Vernehmung des Klägers gewonnenen Überzeugung geht die Kammer davon aus, dass der Kläger die Einführung der Versicherungspflicht tatsächlich nicht bemerkte. Er hätte das Bestehen der Versicherungspflicht jedoch spätestens im April 2009 erkennen können und müssen. Insoweit handelte er sorgfaltswidrig und damit fahrlässig. Zu klären war für diese Beurteilung, welcher Fahrlässigkeitsmaßstab sich aus dem Kranken- und Pflegeversicherungsrecht ergibt. Nach Ansicht der Kammer genügt für das Vertretenmüssen iSd. § 186 Abs. 11 S. 4 SGB V bereits leichte Fahrlässigkeit, so auch LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 18. September 2009, L 5 KR 15909 B. Denn die gesetzliche Versicherungspflicht korrespondiert unabhängig von der Beitragszahlung mit einem umfassenden Leistungsanspruch des (unerkannt) Versicherten. Die Versichertengemeinschaft hat daher ein besonderes Interesse an einer risikogerechten Beitragszahlung. Daher sind an das Vertretenmüssen in Bezug auf Mitwirkungshandlungen des Versicherten hohe Anforderungen zu stellen. Jedoch sind bei der Bestimmung von Sorgfaltspflicht einerseits und leicht fahrlässigem Pflichtverstoß andererseits Einschränkungen geboten. Nach Überzeugung der Kammer ist es im Kranken- und Pflegeversicherungsrecht für den Versicherten nicht bereits sorgfaltswidrig, die Neueinführung einer gesetzlichen Versicherungspflicht zum 1. April 2007 nicht zu (er)kennen, so auch LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 18. September 2009, L 5 KR 15909 B. Denn es besteht keine Pflicht der (ggf. unerkannt) Versicherten, allgemeine Gesetzesänderungen im Versicherungsrecht zu verfolgen. Dass sich der Kläger aufgrund der schlechten Ertragslage für eine Nichtversicherung entschied, spricht nach Ansicht der Kammer gerade dafür, dass er Neuerungen im Versicherungsrecht nicht beachtete, da es ihn in seinen Angelegenheiten vermeintlich nicht betraf. Das LSG Rheinland-Pfalz führt im Beschluss vom 18. September 2009 aus: "Für eine "unverschuldete" iSd § 186 Abs 11 Satz 4 SGB V - bzw "nicht zu vertretende" ( ...) Unterlassung der Anzeige der Pflichtversicherung nach § 5 Abs 1 Nr. 13 SGB V genügt einfache Fahrlässigkeit. In Rechtsprechung und Schrifttum nicht eindeutig geklärt ist jedoch, welche Maßstäbe hieran anzulegen sind. In der Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 26.3.2007 (GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100 Seite 159) heißt es hierzu: "Durch Satz 4 der Neuregelung soll vermieden werden, dass diese Nachzahlungspflicht bei unverschuldet verspäteter Anzeige zu unbilligen Härten für die Betroffenen führt. Eine Ermäßigung oder Nichterhebung der nachzuentrichtenden Beiträge wird insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Betroffenen in der Zwischenzeit keine Leistungen oder nur Leistungen in geringem Umfang in Anspruch genommen haben." Ob, wie das SG meint, wegen des Grundsatzes der formellen Publizität von Gesetzen ( ) bereits die bloße Unkenntnis der Meldepflicht generell - jedenfalls wenn die Krankenkasse ihre Beratungspflicht nicht verletzt hat ( ) - ein Verschulden des Versicherungspflichtigen begründet, ist zweifelhaft. Eine dergestalt eingeschränkte Anwendung des § 186 Abs 11 Satz 4 SGB V würde der Vorschrift weitgehend ihren Anwendungsbereich nehmen." Dem folgt die Kammer nach eigener Prüfung. Die Kammer folgt der Beklagten auch nicht in der Ansicht, dass der Kläger fahrlässig handelte, weil er sich bewusst für eine eigenverantwortliche Übernahme des Krankheitsrisikos entschied. Denn diese Entscheidung stand den selbständig und freiberuflich Tätigen bis März 2007 zur Auswahl, sie war übliches Geschäftmodell gerade der Geringverdienenden – und daher Anlass für die Einführung der allgemeinen Versicherungspflicht. Die Beibehaltung der bis März 2007 zulässigen Gestaltungsmöglichkeit in der nachfolgenden Zeit ist für sich allein nicht sorgfaltswidrig. Denn Anknüpfungspunkt für einen Sorgfaltsverstoß im Sinne des § 186 Abs. 11 SGB V ist die fahrlässige Unkenntnis des Versicherungspflicht und die daraus folgende Nichtanzeige der Versicherungspflicht, nicht das vermeidliche Nicht-versichert-Bleiben. Sorgfaltswidrig und damit fahrlässig handelt nach Überzeugung der Kammer daher (nur), wer trotz eines tatsächlichen Anlasses oder Umstandes das Bestehen der eigenen Versicherungspflicht nicht überdenkt und dadurch die gebotene Anzeige der Versicherungspflicht nicht vornimmt. Nach Überzeugung der Kammer handelte der Kläger zumindest leicht fahrlässig, als er sich im April 2009 zunächst bei der Techniker Krankenkasse und sodann bei der Beklagten nach der Aufnahme in die Krankenversicherung erkundigte und sich nicht aus Anlass der Telefonate nach der Versicherungspflicht erkundigte oder aus den gegebenen Auskünften nicht die zutreffenden Schlüsse zog. Die Telefonate hatten nach Mitteilung des Klägers konkret die Wiederaufnahme der Versicherung und Beitragszahlung zum Gegenstand, die Beklagte übersandte ihm daraufhin Antragsunterlagen. Wenn der Kläger sodann irrtümlich annahm, dass die Versicherungspflicht zusätzlich von einer Antragstellung abhänge, unterlag er einem vermeidbaren Rechtsirrtum. Er hätte sich bei der Beklagten nach den Voraussetzungen und dem Beginn der Versicherungspflicht erkundigen können und müssen. Der Kläger verfügte als Diplom-Ingenieur über die intellektuellen Fähigkeiten, auch bei nur bruchstückhaften Informationen auf den Klärungsbedarf zu schließen. Anhaltspunkte für eine unrichtige Beratung durch die Techniker Krankenkasse oder die Beklagte liegen nicht vor und wurden vom Kläger auch nicht vorgetragen. Er hätte mit der Anzeige der Versicherungspflicht nicht bis Dezember 2009 warten dürfen. Frühere Anhaltspunkte oder Umstände für einen Sorgfaltsverstoß des Klägers sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Kläger ging nach seiner glaubhaften Darstellung auch nach März 2007 davon aus, dass keine Versicherungspflicht bestehe und dass er nicht versichert sein müsse. Er beschäftigte weder Angestellte noch erhielt er Angebote, als Angestellter zu arbeiten. Gelegentliche Arztbesuche erfolgten in der Annahme der Eigenversicherung. Mit seinen Eltern sprach er – wie er glaubhaft darlegte – bei finanziellen Engpässen und Darlehensbitten aus Scham nicht über die fehlende Versicherung. Weitere Ermittlungen, insbesondere ein Ausforschen des beruflichen oder familiären Umfeldes des Klägers nach möglichen Anhaltspunkten oder Umständen für einen Sorgfaltsverstoß, waren nicht geboten. b. Aufgrund des fehlenden Vertretensmüssens der Nichtanzeige hat der Kläger Anspruch auf Ermäßigung der Beitragsschuld nach den Satzungsbestimmungen der Beklagten. Danach sind die nachzuzahlende Beiträge für die Zeit bis zum Ende des Monats, der der Anzeige über das vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht vorangeht, auf den Betrag zu ermäßigen, der von freiwilligen Mitgliedern nach § 240 Abs. 4a SGB V zu zahlen ist. Die Kammer hat keine Zweifel an der Ermächtigungskonformität der Satzungsregelung. Die Regelung ist jedoch einschränkend dahingehend auszulegen, dass die Ermäßigung nur bis zum Monat vor Eintreten des Vertretenmüssens zu gewähren ist. Somit sind die Beiträge vom Zeitpunkt der Entstehung der Beitragsschuld am 1. April 2007 bis zum Monat vor dem Sorgfaltspflichtverstoß im April 2009, somit bis einschließlich 31. März 2009 zu ermäßigen. Eine darüber hinausgehende Ermäßigung war aufgrund der konkreten und rechtmäßigen Satzungsbestimmung nicht möglich. Aufgrund des Vertretenmüssens der Nichtanzeige der Versicherungspflicht ab April 2009 bestand auch kein Anspruch auf Ermäßigung der Beiträge ab April 2009. Insoweit ist der angegriffene Bescheid rechtmäßig. 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Sie berücksichtigt das Verhältnis zwischen Unterliegen und Obsiegen des Klägers bzw. der Beklagten.
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