Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
137
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 137 AS 15874/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei der in § 28 Abs. 3 SGB II (persönlicher Schulbedarf) normierten Stichtagsregelung handelt es sich lediglich um einen Leistungszeitpunkt.
Der Bescheid vom 22. September 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2016 wird aufgehoben und der Beklagte dazu verpflichtet, dem Kläger Leistungen zur Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf für das Schuljahr 2016/2017 in Höhe von 70,00 EUR zu gewähren. Die Berufung wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf sog. persönlicher Schulbedarf (sog. "Schulstartpaket"). Der Kläger ist 2006 geboren. Er besucht die H.-Schule in Berlin. Hierbei handelt es sich um eine Förderschule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Die Eltern des Klägers leben getrennt und stehen beide – wie der Kläger selbst – im SGB II Leistungsbezug.
Am 3. Februar 2016 beantragte die Mutter des Klägers beim Beklagten für sich und den Kläger Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 11. Februar 2016 bewilligte der Beklagte dem Kläger und dessen Mutter vorläufig Leistungen nach dem SGB II. Grund der vorläufigen Bewilligung war, dass zu diesem Zeitpunkt für den Beklagten nicht hinreichend klar war, ob bzw. inwieweit der Kläger zusammen mit seinem Vater eine sog. temporäre Bedarfsgemeinschaft bildete. Im Rahmen der nichtöffentlichen Sitzung des Amtsgerichts Pankow/Weißensee vereinbarten die Eltern des Klägers am 10. Juni 2016 unter anderen, dass der Kindesvater berechtigt und verpflichtet ist, mit dem Kläger alle 14 Tage von Freitag bis Montag zusammen zu sein (für die Einzelheiten der Vereinbarung nimmt die Kammer auf den entsprechenden gerichtlichen Vermerk Bezug). Mit Schreiben vom 5. Juli 2016 beantragte der Verfahrensbevollmächtigte in seiner Eigenschaft als Betreuer u.a. für den Kläger das sog. Schulstartpaket i.S.v. § 28 Abs. 3 SGB II und zwar für den 1. August 2016. Am 19. Juli 2016 erließ der Beklagte einen Änderungsbescheid für den Zeitraum 1. August 2016 bis 31. August 2016. Hier bewilligte er dem Kläger weniger Leistungen aufgrund des entsprechenden Aufenthalts bei seinem Vater.
Am 1. August 2016 hielt sich der Kläger aufgrund der o.g. Vereinbarung bei seinem Vater auf.
Mit Bescheid vom 22. September 2016 versagte der Beklagte den am 7. Juli 2016 gestellten Antrag auf Leistungen für Bildung und Teilhabe (§ 28 Abs. 3 SGB II) mit folgender Begründung: Der Anspruch bestehe nicht, denn der Kläger habe sich am 1. August nicht bei seiner Mutter aufgehalten. Dies sei aber für den geltend gemachten Anspruch zwingend erforderlich. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte als unbegründet zurück und vertiefte hierbei seine bisherigen Ausführungen: Mit Blick auf die mit dem Kindesvater bestehende temporäre Bedarfsgemeinschaft bestünde jedenfalls daher für den Aufenthalt beim Vater kein Anspruch nach dem SGB II beim Beklagten. Der in der einschlägigen Rechtsgrundlage genannte Stichtag stelle ein anspruchsbegründendes Tatbestandsmerkmal dar (Stichtagsregelung). Vereinfacht gesagt: Wenn der Kläger nicht am 1. August 2016 bei seiner Mutter gewohnt hat, besteht auch kein Anspruch auf den persönlichen Schulbedarf nach § 28 Abs. 3 SGB II.
Hiergegen hat der Kläger – vertreten durch seine Mutter – mit Schriftsatz vom 11. November 2016 Klage erhoben und hierbei im Wesentlichen ausgeführt, dass die vom Beklagten rein formale Betrachtungsweise hier nicht maßgeblich sei. Entscheidend könne hier nur der jeweilige Lebensmittelpunkt des Klägers sein. Dieser liege unstreitig bei der Mutter des Klägers.
Der Kläger beantragt wörtlich:
1. Der Bescheid des Beklagten vom 22. September 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2016 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger Leistungen zur Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf für das Schuljahr 2016/2017 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
der Antrag wird abgewiesen.
Der Vorsitzende hat mit Schreiben vom 20. Dezember 2016 den Beklagten gebeten, ein Anerkenntnis zu prüfen und hierbei im Wesentlichen darauf hingewiesen, dass der Beklagte vorliegend wohl die hier streitige Stichtagsregelung missinterpretiere (für die Einzelheiten nimmt die Kammer auf den entsprechenden Hinweis Bezug). Hierauf hat der Beklagte mit Schreiben vom 5. Januar 2017 ein antragsgemäßes Anerkenntnis in Aussicht gestellt und bereits ein entsprechendes Kostengrundanerkenntnis abgegeben. Mit weiterem Schreiben vom 7. Februar 2017 hat der Beklagte nunmehr mitgeteilt, dass er doch nicht dazu bereit ist, die Klageforderung anzuerkennen und erklärt, dass er an seiner bisherigen Rechtsaufassung (wieder) festhalte. Der Kläger hat das abgegebene Kostengrundanerkenntnis angenommen und den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt die Kammer im Übrigen auf die zugrunde liegende Behelfs- und Streitakte entsprechend Bezug.
Entscheidungsgründe:
I. Das Gericht konnte nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.
II. Die Klage hat Erfolg. Sie ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage statthaft und zulässig. Ist die Klage nämlich – wie hier – auf den Erlass eines Verwaltungsakts gerichtet, den die Behörde mit dem angefochtenen Bescheid abgelehnt hat, so ist die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage statthaft (BSG, Urteil vom 05. September 2006 – B 2 U 8/05 R –, Rn. 21, juris). Darüber hinaus handelt es sich bei den Leistungen für Schulbedarfe (bzw. der entsprechenden Ablehnung) um einen eigenständigen abtrennbaren Streitgegenstand, der sich isoliert und unabhängig von den übrigen Grundsicherungsleistungen geltend machen lässt (BSG, Urteil vom 19. Juni 2012 – B 4 AS 162/11 R –, Rn. 12, juris).
Die Klage ist auch begründet.
1. Anspruchsgrundlage ist danach § 28 Abs. 3 S. 1 SGB II. Das Gericht legt dabei vorliegend die Fassung des Neuntes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht (Gesetz vom 26.7.2016 - Bundesgesetzblatt Teil I 2016 Nr. 37 29.07.2016 S. 1824) zugrunde, da dieses am 1. August 2016 in Kraft trat. Danach werden für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf bei Schülerinnen und Schülern 70 Euro zum 1. August und 30 Euro zum 1. Februar eines jeden Jahres berücksichtigt.
2. Diese Voraussetzungen liegen vor.
Streitig ist vorliegend alleine: Setzt die Vorschrift zwingend voraus, dass sich der Kläger am hier maßgeblichen Stichtag (1. August) bei seiner Mutter aufgehalten hat? Nach Auffassung der Kammer kann es hierauf nicht ankommen und zwar nach allen vier bekannten und üblichen Auslegungsmethoden, d.h. Wortlaut (a), Systematik, (b), Gesetzeshistorie (c) und Sinn und Zweck (d).
a. Unter dem Wortlaut bzw. Wortsinn versteht man die Bedeutung eines Ausdrucks oder einer Wortverbindung im allgemeinen Sprachgebrauch oder, falls ein solcher feststellbar ist, im besonderen Sprachgebrauch des jeweils Redenden. Gleichzeitig ist – wiederum – eine Deutung dann nicht mehr Auslegung, sondern Umdeutung, die nicht mehr im Bereich des Wortsinns liegt (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., 1991, S. 320, 322 mwN.).
Ausgehend hiervon spricht der Wortlaut gegen die vom Beklagten vorgenommene Rechtswendung.
Hierfür wäre nämlich nach Auffassung des Gerichts erforderlich, dass sich die Stichtagsregelung als anspruchsbegründendes Tatbestandsmerkmal liest. Unter Berücksichtigung des Sprachgebrauchs des SGB II kann hiervon jedoch nicht die Rede sein. Vielmehr wäre nach Auffassung der Kammer hier eine Formulierung wie "wenn " oder "soweit " erforderlich gewesen, wie etwa bei § 28 Abs. 4 ("soweit sie nicht von Dritten übernommen werden") oder bei § 28 Abs. 5 ("soweit diese geeignet und zusätzlich erforderlich ist"). Ebenso zeigt hier ein Blick in das Handbuch der Rechtsförmlichkeit, dessen Vorgaben grundsätzlich nach § 42 Abs. 4, der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) zu beachten sind, dass im Falle von kumulativen Tatbestandsvoraussetzungen dies entsprechend deutlich zu machen ist, wie etwa durch ein "und", ein "sowie" oder aber ein Komma (Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 3. Aufl., Teil B Allgemeine Empfehlungen für das Formulieren von Rechtsvorschriften Rn. 90).
Hieran fehlt es jedoch vorliegend.
Vielmehr heißt es hier "werden [ ] berücksichtigt" und zwar zu einem bestimmten Datum ("zum"). Daher kann hier der Wortsinn nur darin liegen, dass ein Kind, das die sonstigen Voraussetzungen i.S.d. § 28 Abs. 1 S. 2 SGB II erfüllt, für jeweils den 1. August und den 1. Februar einen entsprechenden Leistungsanspruch hat. Mit anderen Worten: Die Stichtagsregelung liest sich hier nicht als Tatbestandsvoraussetzung, sondern vielmehr als "Leistungszeitpunkt" (in diese Richtung auch: O. Loose in: Hohm, SGB II-Kommentar GK-SGB II 43, Dezember 2015, § 28 Rn 57).
b. Für diese am Wortsinn orientierte Auslegung spricht auch eine systematische Auslegung: Der Bedeutungszusammenhang des Gesetzes bestimmt zunächst einmal in der gleichen Weise das Verständnis einzelner Sätze und Worte, wie auch das Verständnis einer Textstelle durch deren Kontext mit bestimmt wird. Dabei lässt sich die Frage nach dem Bedeutungszusammenhang des Gesetzes weder völlig losgelöst von der nach dem möglichen Wortsinn, noch von anderen Auslegungskriterien beantworten (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., 1991, S. 324, 327).
Dies zugrunde gelegt, korrespondiert die oben vorgenommene Wortlautauslegung mit der vorliegenden.
So macht § 28 Abs. 3 S. 2 SGB II nach Auffassung der Kammer hier vor allem Folgendes deutlich: Die Vorschrift enthält eine Ausnahme in Satz 2 von der o.g. Stichtagsregelung für den Fall, dass ein Kind erst zu einem späteren Zeitpunkt eingeschult wird und insoweit zum Leistungszeitpunkt nicht die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 S. 2 SGB II erfüllt sind (kein Besuch einer allgemein- oder berufsbildenden Schule). Dies zeigt, dass es bei der Stichtagsregelung nur darum gehen kann, dass der Anspruchsteller zu den hier genannten Terminen auch die Schule besucht nicht jedoch an den konkreten Tag hilfebedürftig ist bzw. für diesen einen Tag gegenüber den zuständigen SGB II Leistungsträger einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes hatte. Daher ist auch sinnvollerweise die hier geregelte Ausnahme erforderlich, da es durchaus sein kann, dass ein Kind aus irgendeinem Grund erst später in die Schule kommt und trotzdem Geld für z.B. Stifte, Mappen oder Geodreiecke braucht. Da allerdings der Wortlaut hier nach Auffassung der Kammer hinsichtlich § 28 Abs. 1 S. 2 SGB II in diesem Punkt eindeutig ist, war hier – ganz im Sinne von Larenz – eine entsprechende Ausnahmevorschrift erforderlich.
Darüber hinaus spricht auch eine systematische Auslegung – bezogen auf das ganze SGB II – für die vom erkennenden Gericht vorgenommene Betrachtungsweise. Dies insbesondere deshalb, weil – anders als bei den anderen Bedarfen des § 28 – für die Berücksichtigung der Bedarfe für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf kein gesonderter Antrag erforderlich ist (§ 37 Abs. 1 S. 2 SGB II). Sie werden vielmehr vom allgemeinen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 37 Abs. 1 S 1) mit umfasst, da diese Bedarfe automatisch wiederkehrend anfallen (Eicher/Spellbrink/Luik SGB II § 28 Rn. 30, beck-online; Thommes in: Gagel, SGB II / SGB III, 64. Ergänzungslieferung Dezember 2016, § 28 Rn. 19). Insoweit sind die Leistungen auch pauschal zu zahlen und zwar für alle Schüler im Sinne von Abs. 1 Satz 2, die im Leistungsbezug stehen (Thommes in: Gagel, SGB II / SGB III, 64. Ergänzungslieferung Dezember 2016, § 28 Rn. 17, beck-online). Dies zeigt nach Sicht der Kammer, dass es hier nur um den entsprechenden Bewilligungszeitraum gehen kann und nicht – wie der Beklagte meint – um den jeweiligen Stichtag. Denn: Es handelt es sich hier um einen laufenden, nicht nur einmalig anfallenden Bedarf, der regelmäßig zum Schuljahresanfang, teilweise aber auch während des Schuljahres entsteht (Lenze in: Münder, Sozialgesetzbuch II, SGB II § 28 Rn. 15, beck-online).
c. Auch spricht eine sog. historische Auslegung für die hier vertretende Sichtweise. So lassen sich hierbei insbesondere die zutage liegenden Grundabsichten des Gesetzgebers und diejenigen Vorstellungen, die in den Beratungen der gesetzlichen Körperschaften oder ihrer zuständigen Ausschüsse zum Ausdruck gebracht und ohne Widerspruch geblieben sind: An ihnen hat sich die (historische) Auslegung zu orientieren (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., 1991, S. 329).
Dies zugrunde gelegt, muss der Kläger auch nach der historischen Auslegung Anspruch auf die in § 28 Abs. 3 SGB II geregelten Leistungen haben.
Der Gesetzgeber hat die hier streitige Regelung zunächst in § 24a SGB II im Rahmen des Familienleistungsgesetz vom 29. Dezember 2008 (BGBl. I 2008 S. 2955) eingeführt. Dabei ergibt sich aus den entsprechenden Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 16/10809, S. 16), dass Hintergrund der Regelung war, die schulische Förderung von Kinder zu stärken, die in Familien leben, die ihren "Lebensunterhalt aus eigenen Kräften nicht bestreiten" können. Dabei heißt es hier weiter, dass "Anknüpfungspunkt" hier das Schuljahr ist, d.h. der "jährliche Schuljahresbeginn." Dies zeigt das es dem historischen Gesetzgeber vor allem darum gegangen ist, dass Kinder die – wie hier – zusammen mit ihren Eltern in Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II beziehen, ausreichenden Mittel für "Malstifte, Malkästen, Hefte, Blöcke, Papier, Lineale, Buchhüllen, Zirkel, Taschenrechner, Geodreieck" bezüglich des jeweils anstehende Halbjahr haben sollen. Aus den weiteren Gesetzesmaterialien geht dabei hervor, dass die SPD Fraktion wie auch die geschlossene Opposition (FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die damalige Begrenzung bis zum Abschluss der 10. Klasse kritisiert haben, sich die CDU/CSU Fraktion in diesem Punkt allerdings (aufgrund rein fiskalischer Erwägungen) durchgesetzt hat (vgl. BT- Drucks. 16/11191, S. 4). Allerdings wird nach Auffassung der Kammer auch dadurch deutlich, dass der historische Gesetzgeber nur eine Begrenzung hinsichtlich der Jahrgangsstufen vornehmen wollte, nicht jedoch eine solche, wie sie dem Beklagten vorschwebt. Weiter ist zu beachten, dass nach der ursprünglichen Gesetzesfassung bereits dann ein Anspruch bestand, soweit "mindestens ein im Haushalt lebender Elternteil am 1. August des jeweiligen Jahres Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes" hat. Auch hierdurch zeigt sich, dass es dem Gesetzgeber vor allem darauf ankommt, ob die Eltern des jeweiligen Schülers Leistungen nach dem SGB II beziehen. Der Grund hierfür liegt wohl auf der Hand: So sollen nämlich nicht wegen zu wenig Geld für Schulmaterial die Bildungschancen eines Kindes, dass im einem SGB II Haushalt lebt nicht schlechter sein, als ein Kind, deren Eltern nicht auf diese Leistungen angewiesen sind.
Erst nach dem sog. Harz IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2010 (BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 09. Februar 2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09),- juris) erfolgte die Verortung in § 28 Abs. 3 SGB II. Aus den hierzu veröffentlichten Gesetzesmaterialien geht wiederum hervor, dass der Gesetzgeber hier gegenüber den bisherigen Regelungen eine Besserstellung erreichen wollte. Dies wohl insbesondere auch deshalb weil der 1. Senat in der zitierten Entscheidung klargestellt hatte, dass Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit 20 Abs. 1 GG die Möglichkeit von Kindern schützt, die Schule in einer Weise zu besuchen, die es ihnen später ermöglicht, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften zu bestreiten. So heißt es daher auch etwa hier, dass der Bedarf nach § 28 Abs. 3 "vielmehr selbst geeignet" sei, " die Bedürftigkeit auszulösen". Dadurch werde "vermieden, dass Schülerinnen und Schüler aus Haushalten im Bezug von Arbeitslosengeld II über mehr Mittel verfügen als Schülerinnen aus Haushalten im unteren Einkommenssegment" – so die amtliche Begründung (BT-Drucks. 17/3404 S. 105). Auch hier wird nach Auffassung der Kammer deutlich: Es geht um Kinder, die ihrem Lebensmittelpunkt in Haushalten haben, die auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen sind. Schließlich zeigt ein Blick in die neue Fassung, dass der Gesetzgeber das Ganze hier nicht einschränken wollte, sondern vielmehr – noch weiter – ausbauen. So sollen nunmehr sogar die Kinder einen entsprechenden Anspruch haben, die aufgrund ihrer Einreise in das Bundesgebiet erstmalig zu einem späteren Zeitpunkt eingeschult werden.
d. Schließlich spricht – ganz entscheidend – auch der Sinn und Zweck der Vorschrift für einen entsprechenden Anspruch. Teleologische Auslegung heißt Auslegung gemäß den erkennbaren Zwecken und dem Grundgedanken einer Regelung. Die einzelne Bestimmung ist im Rahmen ihres möglichen Wortsinns und in Übereinstimmung mit dem Bedeutungszusammenhang des Gesetzes in dem Sinne auszulegen, der den Zwecken der gesetzlichen Regelung und dem Rangverhältnis dieser Zwecke optimal entspricht (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., 1991, S. 332).
Auch hiernach entspricht der Zweck der Regelung der bereits oben vorgenommenen Auslegung.
So liegt nämlich der Sinn und Zweck dieser Regelung im Allgemeinen erkennbar zum einen darin, Kinder aus sozial schwachen Familien zu fördern, d.h. insbesondere deren sozialen Aufstieg – ganz im Sine der sog. sozialen Mobilität ("Durchlässigkeit des Bildungssystems"). Dabei sollen nämlich Kinder, deren Eltern Leistungen nach dem SGB II beziehen, nicht bereits deshalb in der Schule schlechter abschneiden, weil kein Geld für das nötige Schulmaterial vorhanden ist. Zum anderen geht es hier auch deutlich um die Entlastung der Familien, die im SGB II Bezug stehen (Voelzke in: Hauck/Noftz, SGB II – Kommentar, Erg.Lfg. 3/17, III/17, § 28 Rn. 52). Im Besonderen ist der Sinn und Zweck der Stichtagsregelung dabei nach Auffassung der Kammer nicht bestimmte Kinder von den hier streitgegenständlichen Leistungen auszuschließen (wie es der Beklagte annimmt) sondern die Leistungen dann genau zu bewilligen, wenn sie gebraucht werden – nämlich zum jeweiligen Schuljahres- bzw. des Halbjahresbeginns. Hintergrund der Stichtagsregelung ist dabei wohl eine Verwaltungsvereinfachung (Voelzke in: Hauck/Noftz, SGB II – Kommentar, Erg.Lfg. 3/17, III/17, § 28 Rn. 54), da bekanntlich die entsprechenden Termine immer ein bisschen abweichen.
Ebenso kann der Beklagte hier auch nicht mit Erfolg einwenden, dass mit Blick auf die temporäre Bedarfsgemeinschaft jedenfalls kein Anspruch ihm gegenüber bestünde. So ist es nämlich "nicht Aufgabe des SGB II, bis in jede Einzelheit für eine Verteilung der für das Existenzminimum der einzelnen Personen notwendigen Gelder zwischen allen Beteiligten zu sorgen. Der Gesetzgeber darf vielmehr typisierend davon ausgehen, dass Zuordnungsprobleme innerhalb familienhafter Beziehungen von den betroffenen Personen im Rahmen bestehender Bedarfsgemeinschaften gemeistert werden." (BSG, Urteil vom 07. November 2006 –, Rn. 29, juris). Aus diesem Grund macht es daher auch keinen Sinn, die ebenso existenzsichernden Leistungen i.S.v. § 28 Abs. 3 SGB II (BSG, Urteil vom 19. Juni 2012 –, Rn. 22, juris) hier zwischen den Bedarfsgemeinschaften in irgendeiner Weise zu verteilen oder aufzusplittern. Zweck der entsprechenden Regelung ist wohl eher, dass die Bedarfsgemeinschaft desjenigen Elternteils die Leistungen bekommt, bei der das anspruchsberechtigte Kind auch seinen Lebensmittelpunkt hat und daher insbesondere bei lebensnaher Betrachtungsweise auch etwa die notwendigen Geodreiecke und Stifte kauft.
III. Eine Kostenentscheidung war vorliegend nicht zu treffen. So hat der Beklagte nämlich schon ein entsprechendes Kostengrundanerkenntnis abgegeben, welches der Kläger auch angenommen und den Rechtstreit insoweit für erledigt erklärt hat.
III. Die Berufung war nicht zuzulassen. Vor allem ist die Sache nicht von grundsätzlicher Bedeutung i.S.v. Nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Insbesondere: Soweit ersichtlich existieren zu der hier vertretenden Auffassung keine abweichenden Rechtsansichten in der Rechtsprechung und der Literatur. Darüber hinaus entspricht die hier vorgenommene Auslegung auch allen vier bekannten Auslegungsmethoden, sodass die Kammer sich auch hier nicht etwa aufgrund von teleogischen Argumenten über den Wortlaut der hier streitigen Vorschrift hinwegsetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf sog. persönlicher Schulbedarf (sog. "Schulstartpaket"). Der Kläger ist 2006 geboren. Er besucht die H.-Schule in Berlin. Hierbei handelt es sich um eine Förderschule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Die Eltern des Klägers leben getrennt und stehen beide – wie der Kläger selbst – im SGB II Leistungsbezug.
Am 3. Februar 2016 beantragte die Mutter des Klägers beim Beklagten für sich und den Kläger Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 11. Februar 2016 bewilligte der Beklagte dem Kläger und dessen Mutter vorläufig Leistungen nach dem SGB II. Grund der vorläufigen Bewilligung war, dass zu diesem Zeitpunkt für den Beklagten nicht hinreichend klar war, ob bzw. inwieweit der Kläger zusammen mit seinem Vater eine sog. temporäre Bedarfsgemeinschaft bildete. Im Rahmen der nichtöffentlichen Sitzung des Amtsgerichts Pankow/Weißensee vereinbarten die Eltern des Klägers am 10. Juni 2016 unter anderen, dass der Kindesvater berechtigt und verpflichtet ist, mit dem Kläger alle 14 Tage von Freitag bis Montag zusammen zu sein (für die Einzelheiten der Vereinbarung nimmt die Kammer auf den entsprechenden gerichtlichen Vermerk Bezug). Mit Schreiben vom 5. Juli 2016 beantragte der Verfahrensbevollmächtigte in seiner Eigenschaft als Betreuer u.a. für den Kläger das sog. Schulstartpaket i.S.v. § 28 Abs. 3 SGB II und zwar für den 1. August 2016. Am 19. Juli 2016 erließ der Beklagte einen Änderungsbescheid für den Zeitraum 1. August 2016 bis 31. August 2016. Hier bewilligte er dem Kläger weniger Leistungen aufgrund des entsprechenden Aufenthalts bei seinem Vater.
Am 1. August 2016 hielt sich der Kläger aufgrund der o.g. Vereinbarung bei seinem Vater auf.
Mit Bescheid vom 22. September 2016 versagte der Beklagte den am 7. Juli 2016 gestellten Antrag auf Leistungen für Bildung und Teilhabe (§ 28 Abs. 3 SGB II) mit folgender Begründung: Der Anspruch bestehe nicht, denn der Kläger habe sich am 1. August nicht bei seiner Mutter aufgehalten. Dies sei aber für den geltend gemachten Anspruch zwingend erforderlich. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte als unbegründet zurück und vertiefte hierbei seine bisherigen Ausführungen: Mit Blick auf die mit dem Kindesvater bestehende temporäre Bedarfsgemeinschaft bestünde jedenfalls daher für den Aufenthalt beim Vater kein Anspruch nach dem SGB II beim Beklagten. Der in der einschlägigen Rechtsgrundlage genannte Stichtag stelle ein anspruchsbegründendes Tatbestandsmerkmal dar (Stichtagsregelung). Vereinfacht gesagt: Wenn der Kläger nicht am 1. August 2016 bei seiner Mutter gewohnt hat, besteht auch kein Anspruch auf den persönlichen Schulbedarf nach § 28 Abs. 3 SGB II.
Hiergegen hat der Kläger – vertreten durch seine Mutter – mit Schriftsatz vom 11. November 2016 Klage erhoben und hierbei im Wesentlichen ausgeführt, dass die vom Beklagten rein formale Betrachtungsweise hier nicht maßgeblich sei. Entscheidend könne hier nur der jeweilige Lebensmittelpunkt des Klägers sein. Dieser liege unstreitig bei der Mutter des Klägers.
Der Kläger beantragt wörtlich:
1. Der Bescheid des Beklagten vom 22. September 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2016 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger Leistungen zur Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf für das Schuljahr 2016/2017 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
der Antrag wird abgewiesen.
Der Vorsitzende hat mit Schreiben vom 20. Dezember 2016 den Beklagten gebeten, ein Anerkenntnis zu prüfen und hierbei im Wesentlichen darauf hingewiesen, dass der Beklagte vorliegend wohl die hier streitige Stichtagsregelung missinterpretiere (für die Einzelheiten nimmt die Kammer auf den entsprechenden Hinweis Bezug). Hierauf hat der Beklagte mit Schreiben vom 5. Januar 2017 ein antragsgemäßes Anerkenntnis in Aussicht gestellt und bereits ein entsprechendes Kostengrundanerkenntnis abgegeben. Mit weiterem Schreiben vom 7. Februar 2017 hat der Beklagte nunmehr mitgeteilt, dass er doch nicht dazu bereit ist, die Klageforderung anzuerkennen und erklärt, dass er an seiner bisherigen Rechtsaufassung (wieder) festhalte. Der Kläger hat das abgegebene Kostengrundanerkenntnis angenommen und den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt die Kammer im Übrigen auf die zugrunde liegende Behelfs- und Streitakte entsprechend Bezug.
Entscheidungsgründe:
I. Das Gericht konnte nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.
II. Die Klage hat Erfolg. Sie ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage statthaft und zulässig. Ist die Klage nämlich – wie hier – auf den Erlass eines Verwaltungsakts gerichtet, den die Behörde mit dem angefochtenen Bescheid abgelehnt hat, so ist die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage statthaft (BSG, Urteil vom 05. September 2006 – B 2 U 8/05 R –, Rn. 21, juris). Darüber hinaus handelt es sich bei den Leistungen für Schulbedarfe (bzw. der entsprechenden Ablehnung) um einen eigenständigen abtrennbaren Streitgegenstand, der sich isoliert und unabhängig von den übrigen Grundsicherungsleistungen geltend machen lässt (BSG, Urteil vom 19. Juni 2012 – B 4 AS 162/11 R –, Rn. 12, juris).
Die Klage ist auch begründet.
1. Anspruchsgrundlage ist danach § 28 Abs. 3 S. 1 SGB II. Das Gericht legt dabei vorliegend die Fassung des Neuntes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht (Gesetz vom 26.7.2016 - Bundesgesetzblatt Teil I 2016 Nr. 37 29.07.2016 S. 1824) zugrunde, da dieses am 1. August 2016 in Kraft trat. Danach werden für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf bei Schülerinnen und Schülern 70 Euro zum 1. August und 30 Euro zum 1. Februar eines jeden Jahres berücksichtigt.
2. Diese Voraussetzungen liegen vor.
Streitig ist vorliegend alleine: Setzt die Vorschrift zwingend voraus, dass sich der Kläger am hier maßgeblichen Stichtag (1. August) bei seiner Mutter aufgehalten hat? Nach Auffassung der Kammer kann es hierauf nicht ankommen und zwar nach allen vier bekannten und üblichen Auslegungsmethoden, d.h. Wortlaut (a), Systematik, (b), Gesetzeshistorie (c) und Sinn und Zweck (d).
a. Unter dem Wortlaut bzw. Wortsinn versteht man die Bedeutung eines Ausdrucks oder einer Wortverbindung im allgemeinen Sprachgebrauch oder, falls ein solcher feststellbar ist, im besonderen Sprachgebrauch des jeweils Redenden. Gleichzeitig ist – wiederum – eine Deutung dann nicht mehr Auslegung, sondern Umdeutung, die nicht mehr im Bereich des Wortsinns liegt (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., 1991, S. 320, 322 mwN.).
Ausgehend hiervon spricht der Wortlaut gegen die vom Beklagten vorgenommene Rechtswendung.
Hierfür wäre nämlich nach Auffassung des Gerichts erforderlich, dass sich die Stichtagsregelung als anspruchsbegründendes Tatbestandsmerkmal liest. Unter Berücksichtigung des Sprachgebrauchs des SGB II kann hiervon jedoch nicht die Rede sein. Vielmehr wäre nach Auffassung der Kammer hier eine Formulierung wie "wenn " oder "soweit " erforderlich gewesen, wie etwa bei § 28 Abs. 4 ("soweit sie nicht von Dritten übernommen werden") oder bei § 28 Abs. 5 ("soweit diese geeignet und zusätzlich erforderlich ist"). Ebenso zeigt hier ein Blick in das Handbuch der Rechtsförmlichkeit, dessen Vorgaben grundsätzlich nach § 42 Abs. 4, der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) zu beachten sind, dass im Falle von kumulativen Tatbestandsvoraussetzungen dies entsprechend deutlich zu machen ist, wie etwa durch ein "und", ein "sowie" oder aber ein Komma (Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 3. Aufl., Teil B Allgemeine Empfehlungen für das Formulieren von Rechtsvorschriften Rn. 90).
Hieran fehlt es jedoch vorliegend.
Vielmehr heißt es hier "werden [ ] berücksichtigt" und zwar zu einem bestimmten Datum ("zum"). Daher kann hier der Wortsinn nur darin liegen, dass ein Kind, das die sonstigen Voraussetzungen i.S.d. § 28 Abs. 1 S. 2 SGB II erfüllt, für jeweils den 1. August und den 1. Februar einen entsprechenden Leistungsanspruch hat. Mit anderen Worten: Die Stichtagsregelung liest sich hier nicht als Tatbestandsvoraussetzung, sondern vielmehr als "Leistungszeitpunkt" (in diese Richtung auch: O. Loose in: Hohm, SGB II-Kommentar GK-SGB II 43, Dezember 2015, § 28 Rn 57).
b. Für diese am Wortsinn orientierte Auslegung spricht auch eine systematische Auslegung: Der Bedeutungszusammenhang des Gesetzes bestimmt zunächst einmal in der gleichen Weise das Verständnis einzelner Sätze und Worte, wie auch das Verständnis einer Textstelle durch deren Kontext mit bestimmt wird. Dabei lässt sich die Frage nach dem Bedeutungszusammenhang des Gesetzes weder völlig losgelöst von der nach dem möglichen Wortsinn, noch von anderen Auslegungskriterien beantworten (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., 1991, S. 324, 327).
Dies zugrunde gelegt, korrespondiert die oben vorgenommene Wortlautauslegung mit der vorliegenden.
So macht § 28 Abs. 3 S. 2 SGB II nach Auffassung der Kammer hier vor allem Folgendes deutlich: Die Vorschrift enthält eine Ausnahme in Satz 2 von der o.g. Stichtagsregelung für den Fall, dass ein Kind erst zu einem späteren Zeitpunkt eingeschult wird und insoweit zum Leistungszeitpunkt nicht die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 S. 2 SGB II erfüllt sind (kein Besuch einer allgemein- oder berufsbildenden Schule). Dies zeigt, dass es bei der Stichtagsregelung nur darum gehen kann, dass der Anspruchsteller zu den hier genannten Terminen auch die Schule besucht nicht jedoch an den konkreten Tag hilfebedürftig ist bzw. für diesen einen Tag gegenüber den zuständigen SGB II Leistungsträger einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes hatte. Daher ist auch sinnvollerweise die hier geregelte Ausnahme erforderlich, da es durchaus sein kann, dass ein Kind aus irgendeinem Grund erst später in die Schule kommt und trotzdem Geld für z.B. Stifte, Mappen oder Geodreiecke braucht. Da allerdings der Wortlaut hier nach Auffassung der Kammer hinsichtlich § 28 Abs. 1 S. 2 SGB II in diesem Punkt eindeutig ist, war hier – ganz im Sinne von Larenz – eine entsprechende Ausnahmevorschrift erforderlich.
Darüber hinaus spricht auch eine systematische Auslegung – bezogen auf das ganze SGB II – für die vom erkennenden Gericht vorgenommene Betrachtungsweise. Dies insbesondere deshalb, weil – anders als bei den anderen Bedarfen des § 28 – für die Berücksichtigung der Bedarfe für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf kein gesonderter Antrag erforderlich ist (§ 37 Abs. 1 S. 2 SGB II). Sie werden vielmehr vom allgemeinen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 37 Abs. 1 S 1) mit umfasst, da diese Bedarfe automatisch wiederkehrend anfallen (Eicher/Spellbrink/Luik SGB II § 28 Rn. 30, beck-online; Thommes in: Gagel, SGB II / SGB III, 64. Ergänzungslieferung Dezember 2016, § 28 Rn. 19). Insoweit sind die Leistungen auch pauschal zu zahlen und zwar für alle Schüler im Sinne von Abs. 1 Satz 2, die im Leistungsbezug stehen (Thommes in: Gagel, SGB II / SGB III, 64. Ergänzungslieferung Dezember 2016, § 28 Rn. 17, beck-online). Dies zeigt nach Sicht der Kammer, dass es hier nur um den entsprechenden Bewilligungszeitraum gehen kann und nicht – wie der Beklagte meint – um den jeweiligen Stichtag. Denn: Es handelt es sich hier um einen laufenden, nicht nur einmalig anfallenden Bedarf, der regelmäßig zum Schuljahresanfang, teilweise aber auch während des Schuljahres entsteht (Lenze in: Münder, Sozialgesetzbuch II, SGB II § 28 Rn. 15, beck-online).
c. Auch spricht eine sog. historische Auslegung für die hier vertretende Sichtweise. So lassen sich hierbei insbesondere die zutage liegenden Grundabsichten des Gesetzgebers und diejenigen Vorstellungen, die in den Beratungen der gesetzlichen Körperschaften oder ihrer zuständigen Ausschüsse zum Ausdruck gebracht und ohne Widerspruch geblieben sind: An ihnen hat sich die (historische) Auslegung zu orientieren (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., 1991, S. 329).
Dies zugrunde gelegt, muss der Kläger auch nach der historischen Auslegung Anspruch auf die in § 28 Abs. 3 SGB II geregelten Leistungen haben.
Der Gesetzgeber hat die hier streitige Regelung zunächst in § 24a SGB II im Rahmen des Familienleistungsgesetz vom 29. Dezember 2008 (BGBl. I 2008 S. 2955) eingeführt. Dabei ergibt sich aus den entsprechenden Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 16/10809, S. 16), dass Hintergrund der Regelung war, die schulische Förderung von Kinder zu stärken, die in Familien leben, die ihren "Lebensunterhalt aus eigenen Kräften nicht bestreiten" können. Dabei heißt es hier weiter, dass "Anknüpfungspunkt" hier das Schuljahr ist, d.h. der "jährliche Schuljahresbeginn." Dies zeigt das es dem historischen Gesetzgeber vor allem darum gegangen ist, dass Kinder die – wie hier – zusammen mit ihren Eltern in Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II beziehen, ausreichenden Mittel für "Malstifte, Malkästen, Hefte, Blöcke, Papier, Lineale, Buchhüllen, Zirkel, Taschenrechner, Geodreieck" bezüglich des jeweils anstehende Halbjahr haben sollen. Aus den weiteren Gesetzesmaterialien geht dabei hervor, dass die SPD Fraktion wie auch die geschlossene Opposition (FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die damalige Begrenzung bis zum Abschluss der 10. Klasse kritisiert haben, sich die CDU/CSU Fraktion in diesem Punkt allerdings (aufgrund rein fiskalischer Erwägungen) durchgesetzt hat (vgl. BT- Drucks. 16/11191, S. 4). Allerdings wird nach Auffassung der Kammer auch dadurch deutlich, dass der historische Gesetzgeber nur eine Begrenzung hinsichtlich der Jahrgangsstufen vornehmen wollte, nicht jedoch eine solche, wie sie dem Beklagten vorschwebt. Weiter ist zu beachten, dass nach der ursprünglichen Gesetzesfassung bereits dann ein Anspruch bestand, soweit "mindestens ein im Haushalt lebender Elternteil am 1. August des jeweiligen Jahres Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes" hat. Auch hierdurch zeigt sich, dass es dem Gesetzgeber vor allem darauf ankommt, ob die Eltern des jeweiligen Schülers Leistungen nach dem SGB II beziehen. Der Grund hierfür liegt wohl auf der Hand: So sollen nämlich nicht wegen zu wenig Geld für Schulmaterial die Bildungschancen eines Kindes, dass im einem SGB II Haushalt lebt nicht schlechter sein, als ein Kind, deren Eltern nicht auf diese Leistungen angewiesen sind.
Erst nach dem sog. Harz IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2010 (BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 09. Februar 2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09),- juris) erfolgte die Verortung in § 28 Abs. 3 SGB II. Aus den hierzu veröffentlichten Gesetzesmaterialien geht wiederum hervor, dass der Gesetzgeber hier gegenüber den bisherigen Regelungen eine Besserstellung erreichen wollte. Dies wohl insbesondere auch deshalb weil der 1. Senat in der zitierten Entscheidung klargestellt hatte, dass Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit 20 Abs. 1 GG die Möglichkeit von Kindern schützt, die Schule in einer Weise zu besuchen, die es ihnen später ermöglicht, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften zu bestreiten. So heißt es daher auch etwa hier, dass der Bedarf nach § 28 Abs. 3 "vielmehr selbst geeignet" sei, " die Bedürftigkeit auszulösen". Dadurch werde "vermieden, dass Schülerinnen und Schüler aus Haushalten im Bezug von Arbeitslosengeld II über mehr Mittel verfügen als Schülerinnen aus Haushalten im unteren Einkommenssegment" – so die amtliche Begründung (BT-Drucks. 17/3404 S. 105). Auch hier wird nach Auffassung der Kammer deutlich: Es geht um Kinder, die ihrem Lebensmittelpunkt in Haushalten haben, die auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen sind. Schließlich zeigt ein Blick in die neue Fassung, dass der Gesetzgeber das Ganze hier nicht einschränken wollte, sondern vielmehr – noch weiter – ausbauen. So sollen nunmehr sogar die Kinder einen entsprechenden Anspruch haben, die aufgrund ihrer Einreise in das Bundesgebiet erstmalig zu einem späteren Zeitpunkt eingeschult werden.
d. Schließlich spricht – ganz entscheidend – auch der Sinn und Zweck der Vorschrift für einen entsprechenden Anspruch. Teleologische Auslegung heißt Auslegung gemäß den erkennbaren Zwecken und dem Grundgedanken einer Regelung. Die einzelne Bestimmung ist im Rahmen ihres möglichen Wortsinns und in Übereinstimmung mit dem Bedeutungszusammenhang des Gesetzes in dem Sinne auszulegen, der den Zwecken der gesetzlichen Regelung und dem Rangverhältnis dieser Zwecke optimal entspricht (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., 1991, S. 332).
Auch hiernach entspricht der Zweck der Regelung der bereits oben vorgenommenen Auslegung.
So liegt nämlich der Sinn und Zweck dieser Regelung im Allgemeinen erkennbar zum einen darin, Kinder aus sozial schwachen Familien zu fördern, d.h. insbesondere deren sozialen Aufstieg – ganz im Sine der sog. sozialen Mobilität ("Durchlässigkeit des Bildungssystems"). Dabei sollen nämlich Kinder, deren Eltern Leistungen nach dem SGB II beziehen, nicht bereits deshalb in der Schule schlechter abschneiden, weil kein Geld für das nötige Schulmaterial vorhanden ist. Zum anderen geht es hier auch deutlich um die Entlastung der Familien, die im SGB II Bezug stehen (Voelzke in: Hauck/Noftz, SGB II – Kommentar, Erg.Lfg. 3/17, III/17, § 28 Rn. 52). Im Besonderen ist der Sinn und Zweck der Stichtagsregelung dabei nach Auffassung der Kammer nicht bestimmte Kinder von den hier streitgegenständlichen Leistungen auszuschließen (wie es der Beklagte annimmt) sondern die Leistungen dann genau zu bewilligen, wenn sie gebraucht werden – nämlich zum jeweiligen Schuljahres- bzw. des Halbjahresbeginns. Hintergrund der Stichtagsregelung ist dabei wohl eine Verwaltungsvereinfachung (Voelzke in: Hauck/Noftz, SGB II – Kommentar, Erg.Lfg. 3/17, III/17, § 28 Rn. 54), da bekanntlich die entsprechenden Termine immer ein bisschen abweichen.
Ebenso kann der Beklagte hier auch nicht mit Erfolg einwenden, dass mit Blick auf die temporäre Bedarfsgemeinschaft jedenfalls kein Anspruch ihm gegenüber bestünde. So ist es nämlich "nicht Aufgabe des SGB II, bis in jede Einzelheit für eine Verteilung der für das Existenzminimum der einzelnen Personen notwendigen Gelder zwischen allen Beteiligten zu sorgen. Der Gesetzgeber darf vielmehr typisierend davon ausgehen, dass Zuordnungsprobleme innerhalb familienhafter Beziehungen von den betroffenen Personen im Rahmen bestehender Bedarfsgemeinschaften gemeistert werden." (BSG, Urteil vom 07. November 2006 –, Rn. 29, juris). Aus diesem Grund macht es daher auch keinen Sinn, die ebenso existenzsichernden Leistungen i.S.v. § 28 Abs. 3 SGB II (BSG, Urteil vom 19. Juni 2012 –, Rn. 22, juris) hier zwischen den Bedarfsgemeinschaften in irgendeiner Weise zu verteilen oder aufzusplittern. Zweck der entsprechenden Regelung ist wohl eher, dass die Bedarfsgemeinschaft desjenigen Elternteils die Leistungen bekommt, bei der das anspruchsberechtigte Kind auch seinen Lebensmittelpunkt hat und daher insbesondere bei lebensnaher Betrachtungsweise auch etwa die notwendigen Geodreiecke und Stifte kauft.
III. Eine Kostenentscheidung war vorliegend nicht zu treffen. So hat der Beklagte nämlich schon ein entsprechendes Kostengrundanerkenntnis abgegeben, welches der Kläger auch angenommen und den Rechtstreit insoweit für erledigt erklärt hat.
III. Die Berufung war nicht zuzulassen. Vor allem ist die Sache nicht von grundsätzlicher Bedeutung i.S.v. Nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Insbesondere: Soweit ersichtlich existieren zu der hier vertretenden Auffassung keine abweichenden Rechtsansichten in der Rechtsprechung und der Literatur. Darüber hinaus entspricht die hier vorgenommene Auslegung auch allen vier bekannten Auslegungsmethoden, sodass die Kammer sich auch hier nicht etwa aufgrund von teleogischen Argumenten über den Wortlaut der hier streitigen Vorschrift hinwegsetzt.
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