S 179 AS 3988/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
179
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 179 AS 3988/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Fahrtkosten zur ambulanten Behandlung eines behinderten Kindes stellen einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II dar, wenn die Benutzung eines Pkw und die Begleitung durch ein Elternteil notwendig ist.

In pauschalierter Betrachtungsweise sind ab der ersten Fahrt entsprechend § 5 Abs. 1 Bundesreisekostengesetz (BRKG) 20 Cent je gefahrenen Kilometer anzusetzen (Anschluss an BSG, Urteil vom 04. Juni 2014 – B 14 AS 30/13 R).
Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 1. Februar 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. März 2016 sowie des Bescheides vom 15. Juli 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. August 2016 verurteilt, der Klägerin für die Zeiträume von März bis August 2016 sowie September 2016 bis Februar 2017 einen Mehrbedarf i. H. v. 96,00 EUR je Bewilligungszeitraum zu bewilligen.

Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Übernahme von Fahrtkosten zur Reittherapie als Mehrbedarf.

Die im Dezember 2005 geborene Klägerin wird durch ihre allein sorgeberechtigte Mutter vertreten. Die Klägerin und ihre Mutter bilden eine Bedarfsgemeinschaft und beziehen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Beklagten.

Die Klägerin ist entwicklungsbehindert im Sinne von § 53 Abs.1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Sie ist nicht hortfähig und erhält einen Einzeltransport zur Schule, da sie aufgrund ihrer Behinderung auf veränderte Umstände mit Angst- und Panikattacken reagiert. Wegen der Entwicklungsstörung befindet sich die Klägerin in ärztlicher Behandlung.

Die Klägerin nahm und nimmt an einer ärztlich verordneten Reittherapie zur Verbesserung ihrer motorischen Fähigkeiten teil. Die Kosten der privaten Reittherapie trägt die private Krankenversicherung, die Fahrtkosten zur Therapie werden von der Krankenversicherung jedoch nicht übernommen. Zur Reittherapie fährt die Mutter die Klägerin mit eigenem PKW. Hierfür müssen sie eine Fahrtstrecke von 15 km je Fahrt von B. bis nach F. im Land Brandenburg zurücklegen.

Nach Bestätigungen durch die Reittherapeutin Dr. S. hat die Klägerin im Streitzeitraum folgende Anzahl von Therapieterminen wahrgenommen: im März 2016 zweimal, im April 2016 dreimal, im Mai 2016 einmal, im Juni 2016 zweimal, im Juli 2016 viermal, im August 2016 viermal, im September 2016 viermal, im Oktober 2016 fand kein Therapietermin statt, im November 2016 zweimal, im Dezember 2016 zweimal, im Januar 2015 fünfmal und im Februar 2017 zweimal. Wegen der Einzelheiten der Nachweise wird auf die Gerichtsakten verwiesen.

Mit Bescheid vom 1. Februar 2016 bewilligte der Beklagte der Klägerin und ihrer Mutter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum von März bis August 2016 ohne einen Mehrbedarf für die Kosten der Fahrt zur Reittherapie zu berücksichtigen. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos, mit Widerspruchsbescheid vom 8. März 2016 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung verwies er auf frühere Widerspruchsentscheidungen, wonach der Regelbedarf nach dem SGB II pauschal gewährt werde und hieraus die Kosten für die Fahrten zur Reittherapie zu bestreiten seien. Ein Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 SGB II lägen nicht vor.

Hiergegen hat die Klägerin am 15. März 2016 Klage erhoben. Sie vertritt die Ansicht, dass eine atypische Bedarfslage vorliege und aus dem Regelsatz die Fahrtkosten für die Reittherapie nicht bestritten werden könnten. Die Klägerin sei aufgrund ihrer Behinderung nicht in der Lage mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Der Reiterhof, auf dem die Therapie stattfinde, liege im Land Brandenburg. Die Klägerin sei gesundheitlich nicht in der Lage, die Wegstrecke mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen, denn sie wäre je Fahrt nahezu eine Stunde unterwegs und müsste zweimal umsteigen. Einsparmöglichkeiten seien nicht gegeben. Der Mehrbedarf sei erheblich, da nicht allein die reinen Benzinkosten, sondern auch die Kosten für den Unterhalt des Fahrzeuges - zumindest teilweise - zu berücksichtigen seien.

Mit Bescheid vom 15. Juli 2016 hat der Beklagte der Klägerin und ihrer Mutter Leistungen für den Zeitraum von September 2016 bis Februar 2017 bewilligt, ohne einen Mehrbedarf für Fahrtkosten zu berücksichtigen. Auf den Widerspruch der Klägerin hat der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. August 2016 den Widerspruch zurückgewiesen. Den Widerspruchsbescheid hat der Beklagte am selben Tag abgesandt. Am 8. und 26. September 2016 hat sich die Mutter der Klägerin beim Beklagten telefonisch nach dem Stand der Bearbeitung erkundigt und auf Nachfrage mitgeteilt, dass sie keinen Widerspruchbescheid erhalten habe. Mit Schreiben vom 17. Oktober 2016 hat der Beklagte den Widerspruchsbescheid erneut an die Mutter der Klägerin versandt, der am 20. Oktober 2016 zugegangen ist.

Am 15. November 2016 hat die Klägerin gegen diese Bewilligungsentscheidung unter Wiederholung des bisherigen Vorbringens Klage erhoben, die zum Aktenzeichen S 147 AS 16052/16 registriert worden ist. Mit Beschluss vom 7. Juni 2017 hat das Gericht nach Anhörung der Beteiligten die Streitsachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 1. Februar 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. März 2016 sowie den Bescheid vom 15. Juli 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. August 2016 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum März 2016 bis Februar 2017 in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen in den Widerspruchsbescheiden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und die vom Beklagten in Kopie übersandte Leistungsakte verwiesen, die der Kammer bei der Entscheidung vorlagen und Gegenstand der Beratung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 S. 1 und Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und begründet. Der Bescheid vom 1. Februar 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. März 2016 sowie der Bescheid vom 15. Juli 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. August 2016 sind rechtswidrig, soweit kein Mehrbedarf für Fahrtkosten zur Reittherapie bewilligt wurde, und verletzen die Klägerin insoweit in ihren Rechten.

Die Klägerin hat Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 SGB II in Höhe von 6,00 Euro je Therapietermin.

1. Die zunächst zum Aktenzeichen S 149 AS 16052/16 erhobene Klage wurde fristgerecht eingereicht, die einmonatige Klagefrist nach § 87 Abs. 1 SGG wurde nicht versäumt.

Nach Überzeugung der Kammer hat die Klägerin den Widerspruchsbescheid vom 22. August 2016 erst am 20. Oktober 2016 erhalten. Der Widerspruchsbescheid wurde am 22. August 2016 gefertigt und ausweislich des Abvermerks auch abgesandt. Ein Zugangsnachweis existiert nicht.

Nach § 37 Abs. 2 SGB II gilt: Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, gilt am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. [ ...] Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.

Den Zeitpunkt des Zugangs des abgesandten Widerspruchsbescheides kann der Beklagte nicht belegen. Für den Beweis des Zugangs genügt der Abvermerk auf der Abschrift des Widerspruchsbescheids als bloßes Indiz nicht.

Die Klägerin hat angegeben, dass ihre Mutter den Widerspruchsbescheid erst im Oktober erhalten habe. Dies hat sie nicht nur pauschal behauptet, sondern substantiiert vorgetragen, dass sie sich nach der Bearbeitung des Widerspruchs erkundigt habe, da kein Widerspruchsbescheid zugegangen sei. Der Vortrag wird gestützt durch die Vermerke im Datensystem des Beklagten vom 8. und 26. September 2016, nach welchen sich die Mutter der Klägerin mehrfach nach der Widerspruchsbearbeitung erkundigt hat. Ersichtlich war ihr nicht klar, dass und welche Widerspruchseingänge bestätigt und bearbeitet worden waren.

Der Zugang der weiteren Ausfertigung des Widerspruchbescheides am 20. Oktober 2016 ist unstreitig. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde der Widerspruchsbescheid bekannt gegeben. Mit Erhebung der Klage am 15. November 2016 wurde die Klagefrist gewahrt.

2. Anspruchsgrundlage für den Mehrbedarf ist § 21 Abs. 6 SGB II. Danach wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

Ob es sich bei Fahrtkosten um einen besonderen unabweisbaren Bedarf handelt oder ob dieser vom Regelsatz umfasst ist und keinen besonderen Bedarf darstellen kann, wird nicht einheitlich beurteilt (bejahend: Fahrkosten zur Ausübung des Umgangsrechts, Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 18. November 2014 – B 4 AS 4/14 R; Fahrtkosten zur ambulanten Behandlung, wenn am Wohnort keine adäquaten Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, Bayerisches Landessozialgericht [LSG], Beschluss vom 09. März 2017 – L 7 AS 167/17 B ER; Fahrtkosten zur ambulanten Behandlung, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15. Februar 2016 – L 7 AS 1681/15 B; ablehnend: wenn die Fahrtkosten zu Ärzten den im Regelbedarf für Verkehr enthaltenen Anteil nicht deutlich übersteigen LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. Dezember 2017 – L 7 AS 3405/17; Fahrten zu ambulanten Behandlungen, Sächsisches LSG, Beschluss vom 25. September 2013 – L 7 AS 83/12 NZB, juris).

Jedenfalls ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob die Voraussetzungen vorliegen. Dies ist nach Überzeugung der Kammer vorliegend der Fall.

Nach Auffassung der Kammer stellen die Fahrkosten ungeachtet des Umstandes, dass im Regelbedarf ein Anteil für Fahrkosten enthalten ist, einen besonderen Bedarf des Einzelfalls (vgl. BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 4 AS 4/14 R) dar. Sie begründen eine atypische Bedarfslage, da die Fahrkosten für die ambulante Therapie in der vorliegenden Häufigkeit und Dauer wesentlich über das hinausgehen, was für "normale" Empfänger von Grundsicherungsleistungen gilt. Denn in die Betrachtung sind zusätzlich die Fahrtkosten des täglichen Bedarfs und die Fahrtkosten zu den weiteren Behandlungen der minderjährigen Klägerin, die zwingende Benutzung des Pkw und die zwingende Begleitung der minderjährigen Tochter durch die Mutter einzustellen.

Die Fahrtkosten zur Reittherapie der Klägerin stellen einen laufenden, nicht nur einmaligen Bedarf dar. Die Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 17/1465 S. 9) halten einen regelmäßig wiederkehrenden Bedarf für erforderlich und stellen für die Regelmäßigkeit auf den Bewilligungszeitraum ab. Im Streitzeitraum ist der Bedarf – mit Ausnahme des Monats Oktober 2016 – monatlich aufgetreten. Darüber hinaus ist er auch in den Bewilligungszeiträumen davor und im gesamten folgenden Bewilligungszeitraum angefallen.

Es handelt sich ferner um einen unabweisbaren Bedarf. Nach der Legaldefinition in § 21 Abs. 6 SGB II ist der Mehrbedarf unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Hilfebedürftigen gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

Nach dem Wortsinn muss es sich zunächst in zeitlicher Hinsicht um einen unaufschiebbaren Bedarf handeln. Die Therapie der Klägerin war unaufschiebbar, da die Entwicklungsverzögerung aktuell behandelt werden musste, um in der kindlichen Entwicklung Fortschritte zu fördern.

Der Bedarf wird nicht durch Zuwendungen Dritter gedeckt. Fahrkosten zu ambulanten Behandlungen werden von den gesetzlichen Krankenkassen gemäß § 60 Abs. 1 S. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nur (nach vorheriger Genehmigung) in besonderen Ausnahmefällen übernommen, die in § 8 nebst Anlage 2 der Krankentransport-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesaussschusses näher geregelt sind (insbesondere Kosten für Fahrten zu Dialysebehandlungen oder zu onkologischen Strahlen- oder Chemotherapien). In allen anderen (Regel-)Fällen werden Kosten für Fahrten zu ambulanten Behandlungen der Eigenverantwortung der Versicherten übertragen (Bockholdt, Gesundheitsspezifische Bedarfe von gesetzlich krankenversicherten Leistungsempfängern nach dem SGB II, NZS 2016, 881, 888). Auch im Leistungsumfang der privaten Krankenversicherung der Klägerin sind Fahrtkosten zur ambulanten Behandlung nicht enthalten.

Nach der glaubhaften Darstellung der Klägerin bestehen keine Einsparmöglichkeiten. Nach Überzeugung der Kammer ist es der entwicklungsbehinderten Klägerin nicht zuzumuten, die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen, um zur Reittherapie zu gelangen. Darüber hinaus bestehen Zweifel, ob die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel tatsächlich günstiger wäre. Es ist zudem nicht ersichtlich, wie die behinderte Klägerin durch Umschichtungen im Regelbedarf Einsparungen erreicht werden können. Vielmehr geht die Kammer davon aus, dass die Klägerin bereits durch ihre Behinderung gelegentlich Mehrkosten ausgesetzt ist, so dass keine Einsparpotentiale verbleiben.

Der Bedarf der Klägerin für Fahrtkosten für die Reittherapie weicht seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf ab und unterfällt insofern nicht der speziellen Bagatellgrenze, die in § 21 Abs. 6 SGB II durch das Tatbestandsmerkmal "erheblich" festgelegt worden ist. Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der in vollem Umfang überprüfbar ist. Erheblich ist nach der Systematik der Norm ein atypischer Bedarf dann, wenn er von einem durchschnittlichen Bedarf in nicht nur unbedeutendem wirtschaftlichen Umfang abweicht (vgl. BSG, Urteil vom 04. Juni 2014 – B 14 AS 30/13 R; BSG Urteil vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 21/06 R, Nr. 28, juris). Anknüpfungspunkt ist die Frage, ob das menschenwürdige Existenzminimum durch die Mehraufwendungen nicht mehr gewährleistet ist (vgl. BT-Drucks 17/1465, S 8). Eine erhebliche Abweichung vom durchschnittlichen Bedarf ist vorliegend sowohl hinsichtlich der Regelleistung von damals 270 Euro (im Jahr 2016) bzw. 291 EUR (im Jahr 2017) insgesamt und des in der damaligen Regelleistung enthaltenen Betrags für Fahrtkosten zu bejahen.

Die Klägerin musste – aus gesundheitlichen und tatsächlichen Gründen zwingend mit dem Pkw – zur Reittherapie einen Weg von 15 km je Fahrt zurücklegen. Hierfür sind für Hin- und Rückfahrt zwar nur "reine" Benzinkosten von 3,07 EUR bzw. 3,23 EUR entstanden (durchschnittlicher Preis je Liter 1,281 EUR/l im Jahr 2016, 1,347 EUR/l im Jahr 2017 [Quelle www.adac.de] x 8 l/100km Verbrauch x 30 km Fahrtstrecke). Die angefallenen Kosten beschränken sich jedoch nicht auf den reinen Kraftstoffverbrauch. Der Mehrbedarf muss auch die Fahrzeugkosten mit in den Blick nehmen. Hierfür sind nicht die anteiligen Anschaffungs- oder Unterhaltskosten zugrunde zu legen, da das Fahrtzeug auch sonst zum privaten Gebrauch genutzt werden kann und vorliegend genutzt wurde. Vielmehr sind in pauschalierter Betrachtungsweise entsprechend § 5 Abs. 1 Bundesreisekostengesetz (BRKG) 20 Cent je gefahrenen Kilometer anzusetzen, was vorliegend einem Betrag von 6,00 EUR je Hin- und Rückfahrt entspricht. Diese Regelung nach dem BRKG ist zwar eine gegriffene Größe, die nicht die tatsächlichen Unterhalts- und Betriebskosten in vollem Umfang widerspiegelt, die unter dem Blickwinkel der Sicherung des Existenzminimums jedoch keinesfalls zu hoch gegriffen ist (BSG, Urteil vom 04. Juni 2014 – B 14 AS 30/13 R, Rn. 28). Denn vorliegend werden neben den Kraftstoffkosten lediglich weitere Aufwendungen für Anschaffung und Unterhalt von 2,93 EUR (für 2016) bzw. 2,77 EUR (für 2017) berücksichtigt. Andererseits erscheint dieser Betrag zur Kostendeckung ausreichend.

Eine Anknüpfung an § 6 Abs. 1 Nr. 3 b Arbeitslosengeld II-Verordnung (Alg II-V), wonach nur die Entfernungskilometer, also die einfache Strecke, maßgeblich sind, verbietet sich in Fällen wie dem vorliegenden. Die Alg II-V hat schon vom Ansatz her eine andere Zielrichtung, sie ist nicht maßgebend für den Bedarf, sondern regelt als Anreiz für die Aufnahme einer Beschäftigung lediglich, welche Beträge bei dem Leistungsberechtigten belassen und nicht bei der Leistungsberechnung berücksichtigt werden. Dass bei einem tatsächlich zu deckenden Bedarf neben der Alg II-V auch das BRKG herangezogen werden kann, hat das BSG bereits in anderem Zusammenhang entschieden (BSG, Urteil vom 04. Juni 2014 – B 14 AS 30/13 R – Rn. 29, juris; BSG Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 27/12 R - SozR 4-4225 § 6 Nr. 2 - "Spesen").

Für die Fahrt zu den Reittherapieterminen entstanden im Streitzeitraum Kosten von monatlich 6,00 EUR bis 30,00 EUR (0,2 EUR/km x 2 x 15 km). Gleichwohl sind diese Kosten im Sinne von § 21 Abs. 6 SGB II erheblich. Die Kammer hat geprüft, ob ggf. ein Anteil der im Regelbedarf enthaltenen Anteile anzurechnen ist, hat dies jedoch nach sorgfältiger Prüfung verneint (im Fall der Klägerin bei nur einer Fahrt im Monat hat das SG Berlin, Urteil vom 16. Februar 2017, S 43 AS 40549/13 keine erhebliche Abweichung vom Durchschnitt erkannt).

Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Ermittlung der Regelbedarf nach § 28 SGB XII in der Fassung vom 24. März 2011 (Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz – RBEG; BGBl I, S. 453) betrug der Anteil für "Verkehr" bei Kindern vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres (hochgerechnet für das Jahr 2016) 15,72 EUR, nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 RBEG in der Fassung vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I, S. 3159) monatlich 26,49 EUR. In dieser Position sind die Ausgaben für Pkw nicht berücksichtigt (vgl. BSG, Urteil vom 04. Juni 2014 – B 14 AS 30/13 R, Rn. 28, juris).

Der Fahrkostenbedarf ist vorliegend ab der ersten Fahrt erheblich, da die Klägerin zwingend auf die Beförderung mittels Pkw angewiesen war, die Therapie nicht in Berlin angeboten wird, sondern nur im benachbarten Bundesland Brandenburg absolviert werden kann, die Klägerin von der alleinerziehenden Mutter gefahren werden muss, die während dieser Betreuungszeit selbst keiner Erwerbstätigkeit nachgehen kann, die Kosten für die Fahrten zur medizinisch erforderlichen Therapie nicht nur kurzzeitig (zB für einen Behandlungszyklus von wenigen Monaten), sondern seit Jahren anfallen und in die Betrachtung zwingend einzustellen ist, dass mit den im Regelbedarf enthaltenen Anteilen die Mobilität der Klägerin in der Freizeit sowie für die weiteren therapeutischen Maßnahmen abgesichert wird. Soweit die 43. Kammer des SG Berlin (Urteil vom 16. Februar 2017, S 43 AS 40549/13) einen erheblichen Bedarf bei einer einzelnen Fahrt pro Monat verneint, übersieht diese Entscheidung den neben den Fahrten zur Reittherapie anfallenden (Mehr)Aufwand für Mobilität bei einem minderjährigen behinderten Kind. Denn in Abweichung vom Regelfall der üblichen Arztbesuche bei Erkrankung eines gesunden Kindes, besteht hier ein zusätzlicher, neben den übliche Behandlung von Kinderkrankheiten oder Erkältungen tretender Bedarf für Fahrten zu therapeutischen Maßnahmen, wobei wegen der behinderungsbedingten Angst- und Panikzustände der Klägerin jeweils die Mutter als enge Bezugsperson die Klägerin begleiten muss.

Die Höhe des Mehrbedarfs ergibt sich aus der Anzahl der Therapietermine und den für die Fahrten anzusetzenden Kosten. Sie summieren sich je Bewilligungsabschnitt auf – zufällig betragsgleiche – 96,00 EUR.

3. Die angegriffenen Bewilligungsbescheide sind im Übrigen rechtmäßig. Zwischen den Beteiligten ist auch unstreitig, dass der Beklagte den Regelbedarf sowie den Bedarf für Kosten der Unterkunft und Heizung und die Zuschläge zur privaten Krankenversicherung der Mutter der Klägerin in rechtmäßiger Höhe bewilligt hat.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Sie berücksichtigt das vollständige Unterliegen des Beklagten. Nach Überzeugung der Kammer liegt kein teilweises Obsiegen des Beklagten vor. Auch wenn die Klägerin die Berücksichtigung von Fahrzeugkosten bei der Bemessung des Mehrbedarfs begehrte, liegt darin kein Teilunterliegen. Denn insoweit war der Verweis auf die Fahrzeugkosten lediglich Begründungselement des geltend gemachten Anspruchs. Ferner hat die Kammer mit dem Rückgriff auf § 5 Abs. 1 BRKG bei der Bemessung der Höhe des Mehrbedarfs auch Abnutzungskosten berücksichtigt.

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung nicht zu. Der Berufungsstreitwert gemäß § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG von 750,00 EUR ist nicht erreicht. Ferner betrifft die Klage keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr, § 144 Abs. 1 S. 2 SGG. Gründe für die Zulassung der Berufung lagen nicht vor, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch von obergerichtlicher Rechtsprechung abgewichen wurde, § 144 Abs. 2 SGG. Die Abweichung von der Entscheidung der 43. Kammer des Sozialgerichts Berlin vom 16. Februar 2017 begründet keine Notwendigkeit für eine Berufungszulassung.
Rechtskraft
Aus
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