S 9 KR 427/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Bayreuth (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 9 KR 427/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin beansprucht die Übernahme von Kosten für ein Bildtelefon.

Die am 24.09.1957 geborene Klägerin leidet beidseits an Gehörlosigkeit.

Unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung von Dr. R. vom 07.09.2004 sowie eines Kostenvoranschlags der M. GmbH - Kommunikationstechnik für Gehörlose - vom 30.08.2004 in Höhe von 950,00 EUR beantragte die Klägerin am 14.09.2004 die Kostenübernahme für ein Bildtelefon.

Durch Bescheid vom 14.09.2004 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme mit der Begründung ab, dass Telefonieren kein Grundbedürfnis sei, Kommunikation der Klägerin im direkten Gespräch sowie durch Schrift möglich sei, also Telefonieren hierzu nicht notwendig sei, und dass Notrufstellen, Ämter und andere Telefonteilnehmer auch nicht mit einem entsprechenden Gegengerät ausgestattet seien.

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und verwies darauf, dass Faxgerät, E-mail und SMS nicht ausreichend seien zur Kommunikation, dass aufgrund einer aktuellen Änderung des Telekommunikationsgesetzes ein bundesweiter Vermittlungsdienst eingerichtet werde und das Grundgesetz sowie europäische Richtlinien den gleichwertigen Zugang behinderter Menschen zu Telekommunikationsdienstleistungen forderten.

Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin durch Widerspruchsbescheid vom 08.12.2004 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass das Bildtelefon nicht als anerkanntes Hilfsmittel gelte, da es nicht im Hilfsmittelverzeichnis stehe und dass es auch nicht erforderlich sei, da dadurch keine so weitgehende Ausdehnung des kommunikativen Freiraums erreicht werde, als dass damit ein wesentlicher Behinderungsausgleich bei einem elementaren Grundbedürfnis verbunden wäre.

Hiergegen hat die Klägerin am 24.12.2004 Klage beim Sozialgericht Bayreuth erhoben. Zur Begründung führt sie aus, dass unschädlich sei, dass das Bildtelefon nicht im Hilfsmittelverzeichnis genannt sei. Das Bildtelefon sei zur Befriedigung von Grundbedürfnissen erforderlich, so habe auch bereits das SG München mit rechtskräftigem Urteil vom 04.10.2001 (S 44 KR 624/99) entschieden.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 14.09.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.12.2004 zu verurteilen, die Kosten für das beantragte Bildtelefon zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gesamtakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher nicht in ihren Rechten.

Nach § 33 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches - SGB V - haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind.

Die Leistungen nach § 33 SGB V müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 SGB V).

Danach hat die Klägerin Anspruch nur auf ein erforderliches Hilfsmittel. Ein Hilfsmittel ist dann erforderlich, wenn es der Sicherung der Grundbedürfnisse dient, wenn es somit dazu dient, ein selbstständiges Leben zu führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können (vgl. BSG, Urteil vom 06.08.1998, B 3 KR 8/97 R). Zu den elementaren Grundbedürfnissen gehören dabei die körperlichen Grundfunktionen, die Körperpflege, das selbstständige Wohnen und die dazu erforderliche Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, der auch die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation und das Erlernen von Schulwissen umfasst (vgl. BSG, Urteil vom 30.01.2001, B 3 KR 10/00 R).

Generell gilt, dass die gesetzliche Krankenkasse nur dann zuständig ist, wenn das Hilfsmittel zur Erfüllung allgemeiner Grundbedürfnisse im Rahmen der alltäglichen Lebensbetätigung dient, nicht hingegen für Hilfsmittel auf beruflichem, gesellschaftlichem oder auch privatem Gebiet (vgl. BSG, Urteil vom 25.10.1995, 3 RK 30/94).

Damit hat jeder Versicherte Anspruch auf ein gewisses Mindestmaß an Kommunikation, jedoch immer nur gerichtet auf einen Basisausgleich, nicht auf ein vollständiges Gleichziehen mit den Möglichkeiten eines Gesunden (vgl. Kasseler Kommentar-Höfler, § 33 SGB V, Rn. 12a).

Bei der Beantwortung der Frage, ob ein Bildtelefon erforderlich ist, um diesen Basisausgleich zu schaffen, ist der zwischenzeitlich eingetretene technische Fortschritt zu berücksichtigen. Während von Gehörlosen vor zehn Jahren noch hauptsächlich das Schreibtelefon benutzt wurde (dies wurde im Termin auch von der Klägerin bestätigt; vgl. ferner den ins Verfahren eingeführten Artikel "Sehen statt Hören" vom 12.03.2005, ausgedruckt aus dem Internet), ist dieses heute insbesondere durch das Faxgerät, E-mail, Chatten und SMS weitgehend verdrängt worden. Während vor zehn Jahren das Schreibtelefon und das Telefaxgerät die einzigen Möglichkeiten der Fernkommunikation eröffneten, ist heute durch E-mail, Chatten und SMS ein deutlich breiteres Feld an Kommunikationsmöglichkeiten vorhanden.

Während bei Schreibtelefonen und Telefaxgeräten daher in den 90er Jahren durch das Bundessozialgericht die Frage noch offen gelassen wurde, ob ein Schreibtelefon oder Telefaxgerät generell erforderlich ist, um im Bereich der Kommunikation einen Basisausgleich zu schaffen (vgl. BSG, Urteil vom 17.01.1996, 3 RK 39/94; BSG, Urteil vom 03.11.1993, 1 RK 42/92; in den 80er Jahren war dies noch abgelehnt worden, vgl. BSG, Urteil vom 26.10.1982, 3 RK 28/82; BSG, Urteil vom 22.05.1984, 8 RK 45/83), muss diese Frage heutzutage bezüglich eines Bildtelefons im Regelfall verneint werden. Dieses kann nur im Einzelfall erforderlich sein, um einen Basisausgleich im Bereich der Kommunikation zu schaffen.

In aller Regel wird ein Bildtelefon hierfür nicht erforderlich sein, denn diesem stehen anderweitige Kommunikationsmöglichkeiten gegenüber wie etwa die Verwendung eines Faxgeräts, das Schreiben von SMS oder E-mail oder Chatten im Internet, mit denen ebenfalls ein Basisausgleich erfolgen kann. Zwar ermöglicht einzig das Bildtelefon einen direkten Dialog in Gebärdensprache, dieser direkte Dialog ist jedoch nicht zur Befriedigung von Grundbedürfnissen erforderlich (anders SG München, Urteil vom 04.10.2001, S 44 KR 624/99).

Die Benutzung eines Faxgerätes, eines PCs mit Webcam oder das Versenden einer SMS ist zudem deutlich wirtschaftlicher. Faxgeräte kosten heutzutage weniger als 200,00 EUR (vgl. telefon-ocker.de; www.quelle.de), selbst ein PC mit Webcam kann deutlich günstiger erworben werden als das von der Klägerin beantragte Bildtelefon mit Kosten in Höhe von 950,00 EUR. Auch SMS-Verträge für Gehörlose sehen vor, dass Gehörlose keine bestimmten Telefontarife mehr bezahlen müssen und 100 bis 150 freie SMS erhalten (vgl. den oben genannten Artikel "Sehen statt Hören" vom 12.03.2005).

Zudem ergibt ein Kosten-Nutzen-Vergleich, dass Bildtelefone heutzutage die Kommunikationsmöglichkeiten nur geringfügig erweitern, denn Voraussetzung für deren Verwendung ist, dass ein anderer Gehörloser ebenfalls ein Bildtelefon besitzt.

Für die Inanspruchnahme von sog. Relay-Services, d.h. Telefonvermittlungsdiensten, welche live zwischen Gehörlosen und Hörenden vermitteln, sind Bildtelefone nicht notwendig, denn diese Vermittlungsdienste können auch mit Hilfe von Internet, E-mail, Fax und SMS in Anspruch genommen werden (vgl. procom-deaf.ch; www.taubenschlag.de; www.glvmu.de).

Auf dem heutigen Markt existieren damit wirtschaftlichere und vielseitigere Kommunikationsmittel, die zudem zwischenzeitlich so weit verbreitet sind, dass sie zu den allgemeinen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens gehören (vgl. zum PC bereits BSG, Urteil vom 23.08.1995, 3 RK 7/95 bei einem damaligen Verbreitungsgrad von PCs von 12 %; auch Faxgeräte, die im Jahr 1994 noch zu weniger als 3 % verbreitet waren - vgl. BSG, Urteil vom 17.01.1996, 3 RK 39/94 -, sind heute zu mehr als 14 % verbreitet, vgl. www.statistik-hessen.de zur Verbreitung in Hessen; Mobiltelefone haben sogar schon einen Verbreitungsgrad von bis zu 80 % erreicht, vgl. www.innovationsmanagement.de /telekom/mobil.htm).

Ein Bildtelefon kann daher allenfalls noch im Einzelfall erforderlich sein, um den notwendigen Basisausgleich im Bereich Kommunikation zu schaffen.

Im Fall der Klägerin ist diese Erforderlichkeit nicht gegeben, da die Klägerin bereits über ein Faxgerät, einen PC und ein Handy verfügt, so dass sie Faxe, E-mails und SMS versenden kann und auch im Internet in Foren mit anderen diskutieren kann. Damit ist ein Basisausgleich jedoch bereits gegeben.

Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, dürfte die Klägerin auf die Inanspruchnahme wirtschaftlicherer Kommunikationsmittel zu verweisen sein, etwa auf die Anschaffung einer Webcam zu ihrem bereits vorhandenen PC.

Die Klage kann daher keinen Erfolg haben und war abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Rechtskraft
Aus
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