S 21 KR 1150/01

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
21
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 21 KR 1150/01
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Erklärt eine Krankenkasse nach erfolgter Kündigung eines Vertrages über häusliche Krankenpflege, dass sie die Bestimmungen des gekündigten Vertrages bis zum Abschluss der Verhandlungen eines neuen Vertrages gegen sich gelten lasse, und kommt ein neuer Vertrag nicht zustande, endet die Fortgeltungswirkung erst dann, wenn über einen solchen ernsthaft verhandelt wurde. Dies schließt, solange keine Rahmenempfehlungen im Sinne des § 132a Abs. 1 SGB V vorliegen, die Einbeziehung der an und für sich von den Spitzenorganisationen zu regelnden Punkte ein.
1. Die Beklagte wird verpflichtet, an die Klägerin 102.471,26 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz auf 45.101,75 EUR seit dem 20. Februar 2002, auf 43.248,93 EUR seit dem 20. Februar 2003 und auf 14.120,58 EUR seit dem 15. Juli 2003 zu zahlen sowie die weiteren ärztlich verordneten Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach dem zwischen der Klägerin und der Beklagten geschlossenen Vertrag über die Durchführung häuslicher Pflege- und Versorgungsleistungen gemäß § 132 Abs. 1 SGB V a.F. vom 1. August 1994 nebst seinen Anlagen – modifiziert durch die Vereinbarung vom 12. April 2000 – zu vergüten.
2. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen der Klägerin, die ein Pflegeunternehmen betreibt, und der BKK H., in deren Rechte und Pflichten die Beklagte eingetreten ist, hatte seit 1994 ein Vertrag über die Durchführung häuslicher Pflege- und Versorgungsleistungen bestanden. Zum Jahresende 1998 war dieser kassenseitig gekündigt worden, um in dem betreffenden Sektor eine Kostensenkung zu erreichen. Die Klägerin erhielt jedoch die Möglichkeit, weiterhin zu den alten Konditionen tätig zu werden und abzurechnen, um die Dauer der seit Mitte 1999 laufenden Verhandlungen über einen neuen Vertrag zu überbrücken. Auf der Leistungserbringerseite wurde eine Verhandlungsgemeinschaft gebildet, deren Verhandlungsführer der H. e.V. (HPG) war, welchem die Klägerin angehörte. Auf Kassenseite verhandelte der BKK-Landesverband Nord. Im Zuge der Vertragsverhandlungen machte dieser, da den Kassen ganz wesentlich daran gelegen war, auf jeden Fall die Preise für die Medikamentengabe abzusenken, mit Schreiben vom 3. März 2000 das Angebot, die Vergütungen des gekündigten Vertrages weiter gegen sich gelten zu lassen, sofern im Gegenzug die Preise im Medikamentengabebereich erst einmal um bestimmte Beträge gekürzt würden, um anschließend weitere intensive Verhandlungen zu führen. Nachdem die HPG ihre grundsätzliche Bereitschaft geäußert und der BKK-Landesverband Nord auf ihr Drängen von seiner ursprünglichen Absicht, die Geltung der Regelungen des alten Vertrages übergangsweise auf den 31. März 2001 zu befristen, Abstand genommen hatte, bestätigte er mit Schreiben vom 12. April 2000 das zwischenzeitliche Verhandlungsergebnis und erklärte, dass er ansonsten die Bestimmungen des alten Vertrages bis zum Abschluss der Verhandlungen eines neuen Vertrages gegen sich gelten lasse. Im Verlaufe der nachfolgenden, über längere Zeit andauernden Verhandlungen entzog die BKK H. dem BKK-Landesverband Nord im Oktober 2000 das Verhandlungsmandat. Ohne dass mit der HPG oder der Klägerin noch irgendwelche Gespräche geführt worden wären, übersandte sie der Klägerin unter dem 12. März 2001 ein Vertragsangebot mit der Bitte, dieses bis zum 26. März 2001 unterzeichnet zurückzuschicken. Das Angebot sei nicht verhandlungsfähig, weil die Versorgung der Versicherten durch Leistungserbringer, die dem neuen Vertrag beigetreten seien, sichergestellt sei. Gleichzeitig teilte sie ihren Versicherten, welche häusliche Krankenpflege erhielten, mit, dass es ihr gelungen sei, mit einer Reihe von Pflegediensten Verträge abzuschließen, die höhere Qualität zu günstigeren Preisen beinhalteten. Sie könnten sich, falls ihr derzeitiger Pflegedienst nicht bereit sei, ab April 2001 den neuen Vertrag einzugehen, an einen der neun in der mitgesandten Anlage aufgeführten Pflegedienste wenden. Mit Fax-Schreiben vom 22. März 2001 gab der BKK-Landesverband Nord der BKK H. die dringende Empfehlung, Vertragsverhandlungen aufzunehmen. Darauf bot diese der HPG mit Schreiben gleichen Datums Verhandlungen an. Hinsichtlich des Ergebnisses der am 3. April 2001 stattgefundenen Besprechung, die mit der Feststellung des Vorstands der BKK H. endete, dass die Verhandlungen gescheitert seien, wird auf das Gesprächsprotokoll verwiesen. Zahlreiche Pflegebetriebe beschritten daraufhin den Rechtsweg, wobei sie auch um vorläufigen Rechtsschutz nachsuchten. Am 18. Juni 2001 erging eine erste für sie positive Eilentscheidung des Sozialgerichts (SG) Hamburg (Beschl. vom 18. Juni 2001 – S 23 KR 368, 474, 475, 479, 481-487, 489-497, 499-514, 517-529, 539/01 ER), mit der die BKK H. verpflichtet wurde, weiterhin nach dem Vertrag vom 1. August 1994 mit den am 12. April 2000 niedergelegten Modifikationen abzurechnen. Die HPG forderte diese danach mit Schreiben vom 22. Juni 2001 zu Verhandlungen auf und kündigte ein modifiziertes Vertragsangebot an. Die BKK H. antwortete unter dem 29. Juni 2001, dass man überlege, das Landessozialgericht (LSG) zur Prüfung der komplizierten Rechtsfragen einzuschalten. Da der Streit mittlerweile in der Öffentlichkeit hohe Wellen schlug, nahm sich die Politik der Sache an. Am 23. August und 12. September 2001 kam es zu Sondierungsgesprächen unter Leitung des damaligen Staatsrats Dr. L., welche allerdings erfolglos blieben. Nachdem in der Folgezeit für die Betriebe durch das SG teils negative - und zwar wegen fehlender Eilbedürftigkeit - (Beschl. vom 28. September 2001 – S 22 KR 748/01 ER), teils weitere positive Entscheidungen (Beschl. vom 26. Oktober 2001 – S 21 KR 608-610, 612-614/01 ER) erlassen worden waren, schlossen die Beteiligten in den Verfahren S 21 KR 1355-1357, 1362, 1371, 1397/01 ER) am 25. Januar 2002 vor der Kammer einen Vergleich, mit dem zugleich weitgehend die beim SG und inzwischen auch beim LSG anhängigen einstweiligen Anordnungsverfahren der HPG-Betriebe erledigt wurden. Die Beteiligten vereinbarten, dass die Leistungen der Pflegebetriebe auf der Basis des Vertragsangebots der BKK H. vom 12. März 2001 vergütet würden. Die Klägerseite wie das Gericht gingen davon aus, dass diese Vereinbarung die Zeit bis zur rechtskräftigen Entscheidung in den Hauptsachen abdecken sollte. In Parallelverfahren von Pflegebetrieben, die dem Zentralverband H. P. e.V. angehörten, wurde am 22. März 2002 ein entsprechender Vergleich geschlossen. Die BKK H. leistete Zahlungen insoweit jedoch nur bis zum 22. März 2002, dem Tag des Vergleichsschlusses. Auch bei den Betrieben, die der HPG angeschlossen waren, stellte sie die Zahlungen nach und nach ein. Im August 2002 erklärte sie die Kündigung des Vergleichs vom 25. Januar 2002 und schob im September 2002 eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach. Auf Grund einer Aufforderung des bürgerschaftlichen Sozialausschusses war die Behörde für Umwelt und Gesundheit mit Schreiben vom 21. Februar 2002 an die BKK H. und die HPG herangetreten, um eine Mediation zu initiieren. Während jene diesen Weg lediglich als ultima ratio gehen wollte und bilaterale Gespräche vorschlug, zog die HPG es vor, das Mediationsverfahren abzuwarten. Der eingesetzte Mediator - Herr Rechtsanwalt M. - verfasste unter dem 2. Dezember 2002 einen Bericht über seine ebenfalls erfolglos gebliebenen Bemühungen, zwischen der HPG und der BKK H. zu vermitteln. Wegen des Inhalts wird auf diesen Bezug genommen.

Bereits am 10. April 2001 war Sammelklage erhoben worden, von der das vorliegende Verfahren durch Beschluss des SG vom 30. Oktober 2001 abgetrennt wurde. Die Klägerin trug vor, die Beklagte sei an die Erklärung des BKK-Landesverbands Nord vom 12. April 2000 über die Fortgeltung des gekündigten Vertrages gebunden. Die vertraglich vereinbarte Fortgeltung sei bis heute nicht beendet, weil vom Vorliegen abgeschlossener Verhandlungen nicht gesprochen werden könne. Die Gesprächsrunde am 3. April 2001 sei nur eine Scheinveranstaltung gewesen; die BKK H. habe gar nicht ernstlich verhandeln wollen. Der Gesetzgeber habe § 132 a des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) auf der Grundlage eines Partnerschafts- bzw. Kooperationsverhältnisses der Verhandlungsparteien konzipiert. Verhandlungen setzten deshalb voraus, dass auf beiden Seiten Diskussionsbereitschaft vorhanden sei und die vorgebrachten Einwände in die Überlegungen einbezogen würden, um so im Rahmen eines gegenseitigen Nehmens und Gebens Kompromisse bei den Vertragsinhalten zu finden. Je komplexer eine Vertragsgestaltung sei, desto mehr Zeit nehme das gegenseitige Ringen um den Vertragsinhalt in Anspruch. Nach einer einzigen Verhandlungsrunde könne jedenfalls nicht von einem Ringen um Vertragsinhalte die Rede und es gerechtfertigt sein, die Verhandlungen für gescheitert zu erklären, insbesondere dann nicht, wenn - wie hier - noch nicht einmal der Vertragsinhalt, die Vergütungsstruktur oder die Preise Gegenstand der Verhandlung gewesen seien. Der Vorstand der BKK H. habe lediglich immer wieder gefordert, das Vertragsangebot vom 12. März 2001 zu akzeptieren, und betont, dass er nicht nachgeben könne. Die Krankenkasse als Körperschaft des öffentlichen Rechts müsse bei ihren Handlungen die Grundrechte ihrer Vertragspartner, besonders die Freiheit der Berufsausübung berücksichtigen. Die Gerichte hätten Kriterien zu entwickeln, die es verhinderten, dass der wirtschaftlich Überlegene dem anderen einseitig Vertragsbedingungen aufzwinge und die Vertragsfreiheit zum Instrument gesellschaftlicher Machtausübung werde. Sie selber sei immer verhandlungsbereit gewesen. Es sei im Übrigen unklar, wie die BKK H. ihren Sicherstellungsauftrag hätte erfüllen können. Bei den in der von ihr versandten Vertragspartnerliste aufgeführten neun Trägern habe es sich um vornehmlich kleine private Anbieter gehandelt. Außerdem seien die Krankenkassen gemäß § 132 a Abs. 2 S. 3 SGB V verpflichtet, für eine hinreichend pluralistische Struktur von Leistungserbringern zu sorgen, wobei es den der Wohlfahrtspflege angehörenden Trägern von ambulanten Pflegediensten zumindest ermöglicht werden müsse, an der Versorgung teilzunehmen. Es müsse eine solche Auswahl von Leistungserbringern gewährleistet sein, die es den Versicherten erlaube, einen Leistungserbringer zu wählen, der seinem Glaubensbekenntnis folge. Dies sei ab April 2001 nicht der Fall gewesen. Nachdem sich herausgestellt hätte, dass sich die BKK H. nicht einmal an den gerichtlichen Vergleich gehalten habe, hätten sich die Fronten verhärtet. Deswegen und weil die BKK H. ständig wiederholt habe, es müsse das Vertragsangebot angenommen werden, auf Veränderungen ließe sie sich nicht ein, habe die HPG erst einmal das Mediationsverfahren durchführen wollen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, an sie 102.471,26 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz auf 45. 101.75 EUR seit dem 20. Februar 2002, auf 43.248,93 EUR seit dem 20. Februar 2003 und auf 14.120,58 EUR seit dem 15. Juli 2003 zu zahlen sowie die weiteren ärztlich verordneten Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach dem zwischen der Klägerin und der Beklagten geschlossenen Vertrag über die Durchführung häuslicher Pflege- und Versorgungsleistungen gemäß § 132 Abs. 1 SGB V a.F. vom 1. August 1994 nebst seinen Anlagen – modifiziert durch die Vereinbarung vvom 12. April 2000 – zu vergüten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie entgegnete, Verhandeln bedeute nicht Einigung durch gegenseitiges Nachgeben. Verhandeln sei vielmehr schon dann zu bejahen, wenn eine Seite versuche, ihre Vorstellungen einseitig durchzusetzen. Gelinge dies nicht, könne von der anderen Seite nicht geltend gemacht werden, ein Scheitern der Verhandlungen läge mangels Verhandlungsbereitschaft nicht vor. Keine Seite habe Anspruch auf die Erzielung eines bestimmten Ergebnisses. Jede Krankenkasse habe sich an ihrer Leistungsstärke zu orientieren. Es habe sich bei der BKK H. um eine Sanierungskasse gehandelt. Ein Angebot einer derartigen Kasse könne nicht so großzügig bemessen sein wie von Krankenkassen, denen es besser gehe oder die meinten, es ginge ihnen besser. Es sei ausreichend verhandelt worden. Selbst wenn man die Verhandlungen nicht als gescheitert betrachten wollte, bestünde kein Anlass zu der Annahme, der Vertrag würde weitergelten. Denn aus dem Verhalten der HPG, vor allem ihrer Vorliebe für Mediationen, sei offenbar geworden, dass bei ihr keine Bereitschaft zu bilateralen Vertragsverhandlungen existiert habe. Mit inzwischen 100 Vertragspflegediensten sei die Pflege der Versicherten gesichert.

Wegen Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Unterlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, insbesondere ist der Sozialrechtsweg gegeben (vgl. § 51 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - in der zur Zeit der Klageerhebung gültigen Fassung, jetzt § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG).

Die Klage ist auch begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, die von der Klägerin über März 2001 hinaus erbrachten Leistungen der häuslichen Krankenpflege weiterhin nach den Sätzen des Vertrages über die Durchführung häuslicher Pflege- und Versorgungsleistungen gemäß § 132 Abs. 1 SGB V a.F. vom 1. August 1994 - modifiziert durch die Vereinbarung vom 12. April 2000 - zu vergüten.

Der entsprechende Anspruch der Klägerin beruht auf der Vereinbarung der HPG und dem BKK-Landesverband Nord, nach der die Regelungen und Anlagen des Vertrages vom 1. August 1994 mit einigen Modifikationen bis zum Abschluss der Verhandlungen eines neuen Vertrages weitergelten sollten. Die Beklagte muss sich die Bereiterklärung des BKK-Landesverbands Nord zurechnen lassen, weil dieser zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung in Vollmacht der BKK H. gehandelt hat. Als diese ihm im Oktober 2000 das Verhandlungsmandat entzog, waren die Verhandlungen noch in vollem Gange. Zwischen der BKK H. und der Klägerin bzw. der HPG sind demgegenüber seitdem keine Verhandlungen mehr geführt worden. Ein Abschluss von Verhandlungen kann daher weder in positivem noch negativem Sinne (Scheitern) festgestellt werden - mit der Folge, dass sich die Vergütungsansprüche der Klägerin nach dem gekündigten Vertrag einschließlich der vereinbarten Modifikationen richten.

Die Übersendung des Vertragsangebots vom 12. März 2001 und die Nichtannahme durch die Klägerin können nicht als Durchführung von Verhandlungen angesehen werden. Dies bestätigt die BKK H. selber, indem sie in dem Angebot mitteilt, dass es nicht verhandlungsfähig sei. Sie hat sicher Recht, wenn sie meint, Verhandeln bedeute nicht unbedingt Einigung durch gegenseitiges Nachgeben. Sie berücksichtigt bei ihrer Argumentation aber nicht die Anforderungen, die in dem neu konzipierten Partnerschaftsmodell des § 132 a SGB V an die Verhandlungspartner erhoben werden. Hierin wird in Abs. 1 bestimmt, dass sich die Spitzen der Leistungserbringer und Krankenkassen über die Rahmenbedingungen der Versorgung mit häuslicher Krankenpflege einigen und Rahmenempfehlungen abgeben sollen. Die Konkretisierung und die Festlegung der Preise und deren Abrechnung erfolgt gemäß Abs. 2 S. 1 dann zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringern. Bis heute sind nun allerdings Rahmenempfehlungen nicht zustande gekommen. Dies bedingt, dass die den Spitzenorganisationen zugewiesene Aufgabe von den Verhandlungspartnern selbst geleistet werden muss. Sie werden sich zunächst über die in § 132 a Abs. 1 S. 4 SGB V aufgelisteten Rahmenbedingungen zu verständigen haben, bevor sie daran gehen können, die Preise auszuhandeln. Die Vorgabe in § 132 a Abs. 2 S. 2 SGB V, wonach die Krankenkassen darauf achten müssen, dass die Leistungen wirtschaftlich und preisgünstig erbracht werden, gibt ihnen keinen Freibrief für ein Preisdiktat. Denn es ist selbstverständlich, dass die Beachtung der gesetzlichen Vorgabe nur unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des Leistungserbringers erfolgen soll, wie es auch in anderen Bereichen der Fall ist (vgl. z. B. § 93 Abs. 2 S. 2 des Bundessozialhilfegesetzes oder § 78 c SGB - Kinder- und Jugendhilfe). Dementsprechend heißt es in dem Entwurf einer gemeinsamen Rahmenempfehlung über die einheitliche Versorgung mit häuslicher Krankenpflege, dass die Vergütung leistungsgerecht (oder anders ausgedrückt: auskömmlich, angemessen) sein muss (zitiert nach Jahn, SGB V, § 132 a, Anm. 10 – Limpinsel). Hält man sich vor Augen, dass hier ein komplexes Regelwerk, das über eine Reihe von Jahren angewendet wurde, auf den Prüfstand gestellt und an veränderte Zeitbedingungen angepasst werden sollte, so versteht es sich von selbst, dass es dafür nicht reicht, ein als verhandlungsunfähig tituliertes Vertragsangebot zu unterbreiten. Die BKK H. hätte sich die Vorstellungen der Gegenseite anhören und versuchen müssen auszuloten, ob und inwieweit Spielräume vorhanden sind, um Meinungsunterschiede zu überbrücken (vgl. auch Beschl. des SG Magdeburg vom 27. Juli 2000 – S 16 KR 91/00 ER -). Von dieser Verpflichtung wurde sie nicht dadurch freigestellt, dass sie eigenen Angaben zufolge eine Sanierungskasse war. Als solche blieb sie doch eine normale Körperschaft öffentlichen Rechts. "Sanierungskörperschaften des öffentlichen Rechts" mit besonderen Rechten kennt das Gesetz nicht. Sicherlich durfte und musste die BKK H. ihre problematische wirtschaftliche Situation bei den Vertragsverhandlungen im Blick behalten (immerhin war sie zwischenzeitlich sogar in der Lage, die Beiträge zu senken). Sie wurde dadurch indessen nicht von den Grundregeln partnerschaftlichen Verhaltens entbunden. Der Gesetzgeber ist bei der Schaffung des § 132 a SGB V davon ausgegangen, dass die Krankenkassen als Körperschaften öffentlichen Rechts sich an den Grundgedanken des Partnerschaftsmodells halten und ihre Machtstellung nicht missbrauchen; andernfalls hätte er - wie in anderen Bereichen - eine Schiedsstelle vorgesehen, zumal er nicht sicher sein konnte, dass es tatsächlich zu Rahmenempfehlungen kommt. Er hat die Verhandlungspartner unter den Zwang gesetzt, sich selber redlich um einen Vertragsabschluss zu bemühen, wobei er den Krankenkassen in § 132 a Abs. 2 S. 3 SGB V in Würdigung der Tradition der Pflege noch besonders auferlegt hat, der Bedeutung der freien Wohlfahrtspflege Rechnung zu tragen. Er verlangt damit Anstrengungen seitens der Kassen, Pflegedienste der freien Wohlfahrtspflege in die Vertragsbeziehungen einzubinden (vgl. Jahn a.a.O., § 132, Anm. 4 und Orlowski GKV-Komm., § 132 SGB V, Rdnr. 9). Dies hat die BKK H. völlig unbeachtet gelassen. Außerdem hat sie der Klägerin in ihrem Schreiben vom 12. März 2001 vorgespiegelt, dass sie in der Lage sei, die Versorgung ihrer Versicherten mit Pflegediensten, die dem neuen Vertrag beigetreten seien, sicherzustellen. Das war mit damals lediglich neun kleineren Anbietern jedoch nicht im erforderlichen Maße möglich. Die anders lautende Darstellung der BKK H. kann nur als unredlich bezeichnet werden. Dass sich dem Vertrag später weitere Pflegedienste angeschlossen haben, ist dabei unerheblich. Maßgeblich bleibt, dass sie zu einem Zeitpunkt, als die Versorgung ihrer Versicherten noch keineswegs gesichert war, durch Vorspiegelung falscher Tatsachen versucht hat, die Klägerin zu einem Vertragsabschluss zu bewegen (Versuch eines klassischen Vertragsdiktats).

Auch in der nachfolgenden Zeit haben keine Vertragsverhandlungen stattgefunden. Der Gesprächsrunde am 3. April 2001, um deren Zustandekommen die BKK H. sofort bemüht war, als das Fax-Schreiben des BKK-Landesverbands Nord vom 22. März 2001 bei ihr eingegangen war, kann keine Verhandlungsqualität beigemessen werden. Der Eindruck, dass im Hinblick auf die dringliche Empfehlung eine "Verhandlungsrunde" nachgeschoben werden sollte, um formell ein Scheitern von Verhandlungen feststellen zu können, wird durch den Gesprächsablauf, wie er in dem von den Beteiligten eingereichten Protokoll festgehalten ist, untermauert. Der Vorstand der BKK H. erklärte kategorisch, dass zum vorgelegten Vertragsangebot keine Alternativen existierten. Erst sei dieses zu unterschreiben; danach könnte man über andere Konditionen verhandeln. Bei den Preisen gäbe es hinsichtlich Struktur und Höhe keine Verhandlungsbereitschaft. Dies macht ganz deutlich, dass die BKK H. nicht bereit war, sich überhaupt mit den Vorstellungen der Gegenseite zu befassen. Es mutet schon fast als zynisch an, wenn ihr Vorstand die einzige Verhandlungsmöglichkeit darin erblickte, höhere als in dem Angebot enthaltene Qualitätsstandards zu gleichen oder niedrigeren Preisen zu vereinbaren. Offenheit, über Rahmenbedingungen des § 132 a Abs. 1 S. 4 SGB V einschließlich der Leistungsgerechtheit der Preise zu diskutieren, war nicht erkennbar. Bei den Gesprächen bei Herrn Dr. L. hat es sich unstreitig nicht um Vertragsverhandlungen gehandelt. Nichts anderes hat für die Gespräche mit Herrn M. zu gelten. Dieser ist auf Initiative des Sozialausschusses der Bürgerschaft eingeschaltet worden, um Bewegung in die mittlerweile vollkommen verfahrene Situation zu bringen. In seinem Bericht vom 2. Dezember 2002 beschreibt er, dass er über das Stadium einzeln geführter Sondierungsgespräche nicht hinausgekommen sei. Dieses ist auf die eben schon dargestellte Grundeinstellung des Vorstands der BKK H. zurückzuführen. In dem Bericht heißt es, dass dieser bereit sei, mit jedem Anbieter ebenfalls einen Vertrag abzuschließen, allerdings zu seinen Bedingungen. Die Einräumung anderer, besserer Konditionen für neue Vertragspartner könne er gegenüber seinen bisherigen Vertragspartnern nicht vertreten. Man könne mit ihm durchaus über Fragen der Qualität reden, aber lediglich auf der Basis zuvor nach seinem Muster abgeschlossener Verträge. Herr M. sah bei dieser Grundhaltung nachvollziehbar keinen Spielraum für weitere gemeinsame Gespräche.

Wenn die BKK H. meint, es sei die HPG gewesen, die keine Verhandlungsbereitschaft gezeigt habe, so ist diese Behauptung nach dem gesamten Geschehensablauf unberechtigt. Die HPG war am 3. April 2000 ausweislich des Gesprächsprotokolls bereit, umfassende Verhandlungen aufzunehmen. Nach Ergehen der gerichtlichen Eilentscheidung vom 18. Juni 2001 forderte sie die Beklagte erneut zu Verhandlungen auf. In der Folgezeit traten jedoch Geschehnisse ein, die es mehr als verständlich erscheinen lassen, dass die HPG zunächst einmal die von der Politik initiierte Mediation abwarten wollte, ehe sie sich mit der BKK H. zu bilateralen Verhandlungen an einen Tisch setzte. Dazu hatte sie allen Grund. Denn die BKK H. hat weder den gerichtlichen Vergleich vom 25. Januar 2002 ordnungsgemäß ausgeführt noch sich an denjenigen vom 22. März 2002 gehalten, mit dem ebenso die Vergütungsfrage bis zur Entscheidung in den Hauptsachen geregelt war. Die HPG bekam hiervon natürlich Kenntnis. Dass ein derartiges Verhalten, das für eine Körperschaft öffentlichen Rechts in höchstem Maße anstößig ist, auch bei der HPG starke Irritationen ausgelöst hat und sie erst einmal mit Hilfe Dritter herausfinden wollte, ob sich mit der BKK H. überhaupt noch ernsthaft verhandeln ließ, kann nicht verwundern.

Wenn es nach der Ausgestaltung des Gesetzes allein den Vertragspartnern überlassen ist, die Vertragsinhalte festzulegen, so haben die Gerichte im Streitfall verstärkt darauf zu achten, dass keine Seite ihre Machtstellung missbraucht und faire Verhandlungen ermöglicht werden. Da die Beklagte sich bislang echten Verhandlungen verweigert hat, muss sie entsprechend der Vereinbarung vom 12. April 2000 solange die alten Vergütungen weiterzahlen, bis noch aufzunehmende Verhandlungen abgeschlossen sind. Die Höhe des Nachzahlungsbetrags ist unbestritten.

Der Zinsanspruch bezüglich der auf dem Vertrag vom 1. August 1994 nebst Modifikationen, der ein rein privatrechtlicher Vertrag war (vgl. Urt. des BSG vom 25. September 2001 – B 3 KR 15/00 R – in SozR 3-2500 § 132 a Nr. 1 – Bl. 3 – m.w.N.), beruhenden Vergütungsforderungen resultiert aus §§ 286, 288, 291 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) i.V.m. EG 229 § 5 des Einführungsgesetzes zum BGB. Dadurch dass Leistungserbringerverträgen durch § 69 SGB V ab dem Jahr 2000 generell ein öffentlichrechtlicher Charakter verliehen wird, ist der Zinsanspruch nicht berührt worden.

Die Kostenentscheidung basiert auf § 193 SGG (vgl. insoweit Urt. des BSG vom 23. Juli 2002 – B 3 KR 64/01 R – m.w.N.).
Rechtskraft
Aus
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