S 34 KR 78/03 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
34
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 34 KR 78/03 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Kosten der Therapie mit dem Arzneimittel Glivec, die der Kläger durchführt, zu übernehmen. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers dem Grunde nach.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Antragsgegnerin, die Kosten für die von ihm durchzuführende Therapie mit dem Arzneimittel Glivec zu übernehmen.

Der bei der Antragsgegnerin krankenversicherte Antragsteller leidet an einem seit September 1994 erstmals diagnostizierten Chondrosarkom (CD 117 pos.). Das Tumorwachstum in der Wirbelsäule konnte in der Vergangenheit durch zahlreiche Operationen zwischen 1994 und letztmals im November 2002 gehemmt werden. Bei einer Voruntersuchung für die zuletzt durchgeführte Operation im November 2002 wurden pulmonale Tumorherde festgestellt. Es stellte sich heraus, dass in der Lunge des Antragstellers bereits 25 Lungenmetastasen sind, die bis zu 1,3 cm Durchmesser haben.

Da eine operative Behandlung der Lungemetastasen aufgrund der Verteilung über die gesamte Lunge nicht möglich ist, das Tumorleiden jedoch C-Kit positiv ist, hat der behandelnde Arzt Prof. Dr. Dr. B, eine Therapie mit dem Arzneimittel Glivec dringend angeraten.

Den Kostenübernahmeantrag des Antragstellers lehnte die Antragsgegnerin mit der Begründung ab, für die beantragte Arzneimitteltherapie fehle der Wirksamkeitsnachweis.

Demgegenüber trägt der Antragsteller vor, dass das Fertigarzneimittel zwar für die Behandlung der chronischen myeloischen Leukämie zugelassen ist, aber seine Wirksamkeit auch bei C-Kit-positiven-Tumoren in der Wissenschaft anerkannt sei. Auch sein Tumorleiden sei C-Kit-positiv. Die Wirksamkeit bei C-Kit-positiven Tumoren werde auch vom MDK anerkannt. Der Auffassung, dass die Wirksamkeit von Glivec im Fall des Antragstellers nicht ausreichend nachgewiesen sei und die Kosten daher nicht übernommen werden könnten, könne daher nicht gefolgt werden. Vielmehr befinde sich seine Krebserkrankung im fortgeschrittenen Stadium und stelle die einzige Behandlungsmethode mit Aussicht auf Erfolg dar. Das Wirkprinzip von Glivec bestehe darin, dass das Arzneimittel die Bindungsstellen bestimmter Enzyme (Rezeptor-Tyrosinkinasen) auf der Oberfläche der Tumorzellen bindet. Durch diese Bindung werden die "krankhaft" dauerhaft aktiv geschalteten Tumorenzyme blockiert, so dass die Tumorzellvermehrung verhindert wird. Das Ansprechen eines Tumors auf das Arzneimittel erkennt man an dessen C-Kit-Positivität.

Sein Antrag im einstweiligen Rechtsschutz sei auch geboten, weil ein weiteres Verzögern der Behandlung lebensverkürzende Wirkung für ihn habe, so dass ein schwerer und unzumutbarer Nachteil anzunehmen sei. Er sei auch wirtschaftlich nicht in der Lage, die Kosten für die Therapie ca. 2600,- Euro für einen Behandlungszyklus von 7 Wochen zu tragen.

Der Antragsteller beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, für ihn die Kosten der Therapie mit dem Arzneimittel Glivec zu übernehmen und die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin räumt zwar ein, dass bei dem Antragsteller eine lebensbedrohliche Erkrankung vorliegt und das BSG in engen Grenzen auch die Leistungspflicht der Krankenkassen angenommen hat, obwohl das Medikament dem Grunde nach für eine andere Erkrankung als die zu behandelnde Tumorerkrankung zugelassen ist (Off-label-Use). Im vorliegenden Fall fehle es aber an Forschungsergebnissen, die erwarten ließen, dass Glivec auch für die beim Kläger vorliegende Indikation - das Ansprechen bei C-Kit positiven Tumoren - zugelassen werde. Es handele sich vielmehr um einen absolut experimentellen Therapieansatz, ohne dass bereits Daten zumindest im Sinne von Phase I-II der notwendigen Studien vorlägen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Die Voraussetzungen für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen vor.

Der Anordnungsgrund ist darin zu sehen, dass dem Antragsteller durch das Abwarten einer Entscheidung in der Hauptsache schwere unzumutbare Nachteile dergestalt drohen würden, dass ein verspäteter Beginn mit der Arzneimitteltherapie mit Glivec lebensverkürzende Wirkung hätte.

Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus dem vom BSG bestätigten Off-Label-Use beim Einsatz von Medikamenten, die zur Therapie einer anderen Erkrankung zugelassen sind. Grundsätzlich besteht beim Off-Label-Use keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen. Unter bestimmten Voraussetzungen besteht jedoch das dringende Bedürfnis, einen zulassungsüberschreitenden Einsatz von Arzneimitteln zuzulassen, um zu erreichen, dass Versicherte von unverzichtbaren Therapien nicht ausgeschlossen werden. Ein solcher Fall liegt hier vor.

Der Antragsteller leidet an einer schwerwiegenden lebensbedrohlichen Erkrankung, bei der eine andere Therapie nicht verfügbar ist. Dies räumt auch die Antragsgegnerin ein. Operative Maßnahmen sind nicht möglich, da dann die ganze Lunge entfernt werden müsste ( vgl. hierzu auch die von Prof. Dr. Dr. B in seinem Attest vom 13.6.2003 gemachten Ausführungen).

Die beim Antragsteller vorliegende Erkrankung wird als nur relativ mäßig sensibel auf chemotherapeutische und radiotherapeutische Maßnahmen angesehen (vgl. Ausführungen des MDK im Gutachten vom 26.2.03), so dass der Antragsteller letztlich auf supprative Maßnahmen (Schmerztherapien u.a.) verwiesen werden muss. Schmerztherapien lindern zwar den Schmerz dienen aber nicht der Verhütung der Verschlimmerung der Erkrankung. Eine solche Verhinderung der Verschlimmerung der Erkrankung soll aber gerade mit der Arzneimitteltherapie mit Glivec bewirkt werden.

Auf Grund der vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen ist auch davon auszugehen, dass zumindest die begründete Aussicht besteht, mit Glivec einen Behandlungserfolg zu erzielen. Nach den Ausführungen des BSG in seiner Off-Label-Use Entscheidung müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive ein klinisch relevanter Nutzen bei vertretbaren Risiken belegt oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und auf Grund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht.

Zwar ist die Erweiterung der Zulassung vorliegend nicht beantragt. Auch liegen keine kontrollierten klinischen Prüfungen der Phase III vor, die veröffentlicht sind. Aber es gibt zuverlässige wissenschaftliche Literatur, die sich mit dem Nutzen von Glivec bei C-Kit-positiven-Tumoren beschäftigen und die einen klinischen Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen (vgl. hierzu die vom Antragsteller eingereichten Publikationen). Dies wird ferner auch von dem den Antragsteller behandelnden Arzt Prof. Dr. Dr. B bestätigt (siehe Befundbericht vom 13.6.2003).

Die Tatsache, dass Zulassungsanstrengungen für das Medikament Glivec bei dem beim Antragsteller vorliegenden Chondrosarkoms auch in Zukunft wohl nicht zu erwarten sind, ist zu berücksichtigen, dass dies dadurch bedingt ist, dass diese Erkrankung nur sehr selten vorkommt (Prof. Dr. Dr. B in seinem Bericht vom 13.6.2003). Diese Tatsache darf dem Kläger aber bei der Entscheidung der Kostenübernahme des kontrollierten Off-Label-Use nicht zum Nachteil gereichen. Denn das Recht des Antragsstellers auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG wiegt höher als die Einhaltung von formalen Zulassungskriterien (vgl. hierzu auch BverfG -Ilomedin- Az. 1 BvR 1586/02), die zudem gar nicht erfüllt werden können, weil es nicht ausreichend Fälle gibt, um die notwendigen Studien durchzuführen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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