S 8 KR 60/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 8 KR 60/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 305/03
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Rücknahme der Berufung
Unter Aufhebung der Bescheide vom 28.01.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.03.2003 wird festgestellt, dass die Kündigung vom 27.01.2003 zum 30.06.2003 wirksam geworden ist. Der Beklagten werden die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auferlegt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Frage, wann die von der Klägerin gegenüber der Beklagten am 27.01.2003 erklärte Kündigung wirksam geworden ist.

Die Klägerin war bis November 2002 familienversichertes und seit dem 15.11.2002 als Selbständige freiwilliges Mitglied bei der damaligen mhplus Betriebskrankenkasse (mhplus BKK). Die freiwillige Versicherung erfolgte damals zum Beitragssatz von 12,9 v.H. Zum 01.01.2003 fusionierte die damalige mhplus BKK mit der BKK PWA zur mhplus BKK, der Beklagten. Mit der zum 01.01.2003 in Kraft getretenen Satzung vom 10.12.2002 wurde der Beitragssatz der Beklagten auf 13,8 v.H. festgesetzt.

Nachdem die Beklagte der Klägerin den höheren Beitragssatz von 13,8 v.H. mitgeteilt hatte, kündigte diese mit Schreiben vom 23.01.2003, das bei der Beklagten am 27.01.2003 einging, ihre Mitgliedschaft zum nächstmöglichen Termin unter Bezugnahme auf ein ihr zustehendes Sonderkündigungsrecht nach gravierender Beitragssatzerhöhung. Mit Bescheid vom 28.01.2003 stellte die Beklagte fest, dass der Klägerin ein Kassenwechsel derzeit nicht möglich sei, da für sie nach dem Mitgliedschaftsbeginn am 15.11.2002 eine Bindungsfrist von 18 Monaten gelte. Es bestehe für die Klägerin kein Sonderkündigungsrecht, da die Beitragssätze in Folge der Kassenfusion nicht erhöht, sondern neu festgesetzt worden seien.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch, mit dem sie um Mitteilung der Rechtsgrundlage für die Ausführungen bat und klarstellte, dass ihre Kündigung jedenfalls für den nach dem Standpunkt der Beklagten zutreffenden Zeitpunkt, zum 31.05.2004, gelten solle. Diesen Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 15.03.2003 zurück.

Die Klägerin hat gegen die Bescheide der Beklagten Klage erhoben, mit der sie zunächst geltend gemacht hat, dass die Beendigung der Mitgliedschaft in der alten Krankenkasse mit automatischer Mitgliedschaft in der neuen Krankenkasse zu einem Beitragssatz von 13,8 v.H. rechtwidrig sei. Andernfalls müsse ihre Kündigung zum 31.03.2003 oder zu dem Zeitpunkt der dem Urteil des angestrengten Klageverfahrens folgenden Monatsersten wirksam sein. Sie müsse einen Anspruch auf Erstattung der ab dem 01.04.2003 gezahlten Beiträge bzw. der Mehrbeiträge gegenüber der gewählten günstigeren Krankenkasse (33,92 Euro monatlich) haben. Zur Begründung führt sie aus, dass entweder im Rahmen der Rechtsnachfolge von alter zu neuer Krankenkasse sowohl die Bindungsfrist als auch das Sonderkündigungsrecht für sie weitergelte oder eine völlig neue Institution entstehe mit der für sie verbundenen Möglichkeit, als freiwilliges Mitglied beizutreten oder nicht beizutreten. Es könne nicht sein, dass die für sie nachteilige Regelung der Bindungsfrist auf sie übergehe und die für sie vorteilige Regelung des Sonderkündigungsrechts nicht. Auf den entsprechenden Hinweis des Gerichtes hin, dass für die Wirksamkeit der Kündigung die Ausübung des Wahlrechts gegenüber der neuen Krankenkasse erforderlich ist, hat die Klägerin am 24.06.2003 gegenüber der Essanelle BKK die Aufnahme als Mitglied beantragt. Des Weiteren hat sie im Termin der mündlichen Verhandlung auf den entsprechenden Hinweis der Vorsitzenden hin, dass die Rechtslage für die Zeit vor der Beitrittserklärung zur neuen Krankenkasse nicht eindeutig ist, ihren Antrag auf die Feststellung der Wirksamkeit der Kündigung zum 30.06.2003 beschränkt.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung der Bescheide vom 28.01.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.03.2003 festzustellen, dass die Kündigung vom 27.01.2003 zum 30.06.2003 wirksam geworden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig. Im Rahmen der eingetretenen Gesamtrechtsnachfolge gemäß §§ 150, 144 SGB V bestehe für die Klägerin die 18-monatige Bindungsfrist. Ein Sonderkündigungsrecht stehe ihr nicht zu, da § 175 SGB V dieses nur für den Fall der Beitragserhöhung vorsehe. Eine Beitragserhöhung sei vorliegend jedoch nicht gegeben, da die alte Krankenkasse mit ihrer Satzung einschließlich der alten Beitragssatzregelung untergegangen sei und die neue Krankenkasse mit neuer Satzung die neue Beitragssatzhöhe originär festgesetzt habe. Diese Rechtsauffassung werde auch vom Bundesversicherungsamt bestätigt. Aus einem beigefügten Schreiben des Bundesversicherungsamtes ergibt sich, dass dieses im Falle einer Kassenfusion mit Festsetzung eines neuen Beitragssatzes ein Sonderkündigungsrecht gemäß § 175 SGB V nicht für gegeben hält und diese Ansicht auf die Gesetzesmaterialien zur Neufassung des § 150 SGB V stützt (abgedruckt in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 150 Rdnr. 2). Danach sei Sinn und Zweck der Gesetzesänderung, Betriebskrankenkassen unabhängig von Betriebs- und Arbeitgeberverflechtungen die Möglichkeit zu geben, sich zu größeren, leistungsfähigeren Solidargemeinschaften zu vereinigen, um so den wettbewerblichen Herausforderungen in Folge des Kassenwahlrechts und des Risikostrukturausgleichs Rechnung tragen zu können. Ein Sonderkündigungsrecht würde dieser Absicht nicht entsprechen, da die Mitglieder der bislang beitragsgünstigeren Kasse die gerade entstandene größere Solidargemeinschaft auf diese Weise sofort verlassen und damit schwächen könnten. Die Beklagte macht weiterhin geltend, dass der in § 144 SGB V geregelte Übergang von Pflichten sich (nur) auf etwaige leistungsrechtliche Ansprüche der Versicherten beziehe.

Zur weiteren Sachdarstellung wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist in ihrem aufrecht erhaltenen Umfang zulässig und begründet.

Es handelt sich vorliegend um eine zulässige kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage, §§ 54, 55 Sozialgerichtsgesetz - SGG - (Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.08.1998 - L 5 K 55/97 -).

Die Klage ist auch begründet. Die Kündigung der Klägerin ist zum 30.06.2003 wirksam geworden.

Der Klägerin stand das Kündigungsrecht gemäß § 175 Abs. 4 Satz 2 Fünftes Buch des Sozialgesetzbuches (SGB V) zu. Sie war nicht an die im November 2002 getroffene Wahl gebunden, da diese in § 175 Abs. 4 Satz 1 SGB V festgelegte Bindungsfrist vorliegend gemäß § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V nicht galt. Entgegen der Ansicht der Beklagten lag vorliegend eine Beitragssatzerhöhung vor bzw. löste die mit Satzung vom 10.12.2002 erfolgte Festsetzung des neuen höheren Beitragssatzes von 13,8 v.H. dieselben Rechtsfolgen wie eine Beitragssatzerhöhung aus. Dies folgt aus dem Umstand, dass die Beklagte nach der Fusion der Krankenkassen als Gesamtrechtsnachfolgerin der damaligen mhplus BKK gemäß § 144 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 150 Abs. 2 Satz 1 SGB V in deren Rechte und Pflichten eingetreten ist. Aus dieser gesetzlich geregelten Gesamtrechtsnachfolge folgt, dass die Beklagte auch hinsichtlich der Beitragsansprüche in alle Rechte und Pflichten der bisherigen Krankenkasse eintrat. Dies bedeutet, dass sie hinsichtlich der Beitragssätze der alten Krankenkasse gemäß § 240 SGB V i.V.m. der Satzung der alten Krankenkasse einerseits in deren Recht auf Zahlung keines niedrigeren Beitragssatzes als 12,9 v.H., aber andererseits auch in die Pflicht auf Zahlung keines höheren Beitragssatzes als 12,9 v.H. eintrat. Dies bedeutet zwar nicht, dass sie gegenüber den Mitgliedern der alten beitragsgünstigeren Krankenkasse verpflichtet ist, den alten Beitragssatz weiter fortzuschreiben bzw. in die neue Satzung aufzunehmen. Vielmehr ist es ihr wie im Rahmen einer Beitragserhöhung möglich, einen höheren Beitragssatz festzulegen. In diesem Fall hat sie aber auch die entsprechenden Rechtsfolgen wie bei einer Beitragserhöhung zu tragen.

Entgegen der Ansicht der Beklagten gibt es keinen Anhaltspunkt für eine Differenzierung des gemäß § 144 Abs. 4 Satz 2 SGB V erfolgten Übergangs von Pflichten dahingehend, ob es sich um Pflichten auf Leistungsseite oder um Pflichten auf der Beitragsseite handelt (auch in der Literatur wird von einer Übernahme aller Rechte und Pflichten ohne Differenzierung ausgegangen - Krauskopf, § 144 SGB V Rdnr. 25; Hauck/Haines, § 144 SGB V Rdnr. 8; Peters, § 144 SGB V Rdnr. 23 -).Eine andere Auslegung der Vorschriften der §§ 175, 150, 144 SGB V würde tatsächlich zu dem den Betroffenen nicht mehr vermittelbaren Ergebnis führen, dass für sie bei einer Kassenfusion gewisse Pflichten (Bindungsfrist) weiter bestehen, während gewisse Rechte untergehen (Entfallen der Bindungsfrist oder sog. Sonderkündigungsrecht), obwohl die Vorschrift des § 175 Abs. 4 Satz 1 und Satz 5 SGB V offensichtlich in beiden Fällen vom Fortbestand einer Krankenkasse ausgeht (Satz 1: "An die Wahl der Krankenkasse mindestens 18 Monate gebunden"; Satz 5: "Satz 1 gilt nicht, wenn die Krankenkasse ihren Beitragssatz erhöht"). Zu einer anderen Entscheidung konnte auch nicht die vom Bundesversicherungsamt zitierte Gesetzesbegründung zu § 150 SGB V führen. Aus dieser Gesetzesbegründung ergibt sich lediglich die allgemeine Zielsetzung einer Förderung von Krankenkassenzusammenschlüssen aus Wettbewerbsgründen, ohne dass aus diesem allgemeinen Zweck Rückschlüsse auf eine mit der Frage von Kündigungen einhergehende gesetzliche Detailregelung zu ziehen sind. Daher kann es dahingestellt bleiben, ob es in diesem Fall eine Diskrepanz zwischen der tatsächlichen gesetzlichen Regelung und der vom Gesetzgeber beabsichtigten Zielsetzung gäbe.

Da die Klägerin das ihr zustehende Wahlrecht gegenüber der neuen Krankenkasse im Juni 2003 ausgeübt hat, ist die Kündigung jedenfalls mit Ablauf dieses Kalendermonats wirksam geworden. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin die Mitgliedschaft bei der neuen Krankenkasse nicht mit einer Mitgliedsbescheinigung im Sinne des § 175 Abs. 2 Satz 1 SGB V nachweisen konnte. Das war ihr unter Berücksichtigung der angefochtenen Entscheidung der Beklagten nicht in der Form des in § 175 Abs. 2 und Abs. 4 SGB V formalisierten Verfahrens möglich. Insoweit kommt der erfolgten gerichtlichen Feststellung die entsprechende ersetzende Wirkung zu.

Aus einer entsprechenden rechtskräftigen Feststellung des Gerichts folgt das Ende der Mitgliedschaft bei der alten Krankenkasse, der die Mitgliedschaft bei der neuen Krankenkasse ab dem 01.07.2003 aufgrund der Ausübung des Wahlrechts im Juni 2003 folgt. Ungeachtet des von der Klägerin im Termin der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Umstandes, dass sie in der Zwischenzeit keine Leistungen der Krankenkasse in Anspruch genommen habe, stände auch die Erbringung von Sozialleistungen in der Vergangenheit der rückwirkenden Beendigung der alten und Neubegründung der neuen Mitgliedschaft grundsätzlich nicht entgegen, da insoweit zwischen den Leistungsträgern dem Grunde nach Erstattungsansprüche bestehen (Urteil des Bundessozialgerichts vom 06.02.1992 - 12 RK 14/90 -).

Da die Klägerin ihren Antrag auf Feststellung der Wirksamkeit der Kündigung zum 30.06.2003 beschränkt hat, konnte dahingestellt bleiben, ob die Kündigung der alten Mitgliedschaft und der Beitritt zur neuen Krankenkasse bereits zum 01.04.2003 und damit rückwirkend für die Zeit vor der tatsächlichen Ausübung des Wahlrechts der Klägerin unter Berücksichtigung des Umstandes möglich war, dass sie durch die streiterheblichen Entscheidungen der Beklagten hinsichtlich der Wirksamkeit der Kündigung und damit der Kündigungsfrist falsch belehrt worden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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