S 8 AL 939/98

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 8 AL 939/98
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 12.3.1998 und der Widerspruchsbescheid vom 29.5.1998 werden dahingehend abgeändert, dass die Beklagte der Klägerin auch für den Zeitraum 1.1.98 bis 1.2.98 Arbeitslosenhilfe zu gewähren hat. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Arbeitslosenhilfe für den Zeitraum 01.01.1998 bis 01.02.1998. Die Klägerin stand bei der Beklagten im laufenden Leistungsbezug und erhielt zuletzt Arbeitslosenhilfe. Am 11.12.1997 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Fortzahlung der Arbeitslosenhilfe mit Wirkung ab 01.01.1998. Vom 10.12.1997 bis 31.12.1997 befand sich die Klägerin im Urlaub in Polen. Dieser Urlaub war von der Beklagten genehmigt. Mit Schreiben vom 02.01.1998, bei der Beklagten am 08.01.1998 eingegangen, teilte der Sohn der Klägerin mit, dass die Klägerin in Polen erkrankt sei. Dem Schreiben war eine Kopie einer ärztlichen Bescheinigung der Ärztin für Neurologie S.- Z. aus S. beigefügt, in welcher ausgeführt wurde, dass die Klägerin im Zeitraum 30.12.1997 bis 12.01.1998 arbeitsunfähig erkrankt sei. Mit Schreiben vom 25.01.1998 teilte der Sohn der Klägerin mit, dass die Klägerin weiterhin erkrankt sei und überreichte eine Kopie der ärztlichen Bescheinigung der Ärztin S.- Z., in welcher eine weitere Arbeitsunfähigkeit der Klägerin für den Zeitraum 13.01.1998 bis 31.01.1998 bescheinigt wurde. Am 02.02.1998 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten persönlich nach Rückkehr aus Polen arbeitslos.

Mit Bescheid vom 12.03. 1998 bewilligte die Beklagte der Klägerin Arbeitslosenhilfe ab 02.02.1998. Hiergegen legte die Klägerin am 26.03.1998 Widerspruch ein und begehrte die Zahlung von Arbeitslosenhilfe auch für den Zeitraum 01.01.1998 bis 01.02.1998. Mit Schreiben vom 16.03.1998 teilte die AOK H. der Klägerin mit, dass die Erkrankung in Polen nicht anerkannt werden könne, da die gesetzliche Krankenversicherung kein Sozialversicherungsabkommen mit Polen habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.05.1998 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Die Klägerin habe der Beklagten im Zeitraum 01.01.1998 bis 01.02.1998 nicht zur Verfügung gestanden, da sie während ihres genehmigten Urlaubs am 30.12.1997 in Polen erkrankt sei und bis zum 31.1.1998 arbeitsunfähig krankgeschrieben gewesen sei. Die deutsche Krankenkasse könne aber aufgrund der fehlenden Abkommen mit den polnischen Versicherungsträgern diese Zeit nicht als Arbeitsunfähigkeitszeit anerkennen. Insoweit komme eine Gewährung von Leistungen gemäß § 126 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) nicht in Betracht.

Hiergegen hat die Klägerin am 06.07.1998 Klage erhoben. Sie trägt vor, das Bestehen auf einer besonders formgebundenen Bescheinigung sei unstatthaft. Es sei nicht nachzuvollziehen, warum die Leistungsfortzahlung an einem fehlenden Sozialabkommen scheitern solle.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 12.03.1998 und den Widerspruchsbescheid vom 29.05.1998 dahingehend abzuändern, dass der Klägerin auch für den Zeitraum 01.01.1998 bis 01.02.1998 Arbeitslosenhilfe zu gewähren ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf den Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, wenn mangels zwischenstaatlichem Abkommen die Voraussetzungen für Krankengeld wegen einer im Ausland eingetretenen Arbeitsunfähigkeit nicht vorlägen, könne auch kein Anspruch auf Leistungsfortzahlung nach § 126 SGB III anerkannt werden. Dies folge daraus, dass Sinn und Zweck der Vorschrift des § 126 SGB III sei, einen Wechsel der Leistungsträger bei kurzzeitigen Erkrankungen zu vermeiden. Es sei daher unerheblich, dass die Klägerin tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid vom 12.03.1998 und der Widerspruchsbescheid vom 29.05.1998 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Erbringung von Arbeitslosenhilfeleistungen auch für den Zeitraum 01.01.1998 bis 01.02.1998.

Ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Arbeitslosenhilfe für den Zeitraum 01.01.1998 bis 01.02.1998 folgt aus §§ 198, 126 SGB III. Gemäß §§ 198, 126 Abs. 1 SGB III verliert ein Arbeitsloser, der während des Bezuges von Arbeitslosenhilfe infolge Krankheit arbeitsunfähig wird, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, nicht den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. Die Klägerin war im Zeitraum 30.12.1997 bis 31.01.1998 arbeitsunfähig erkrankt. Dies steht zur Überzeugung der Kammer aufgrund der ärztlichen Atteste der Ärztin S.- Z. vom 29.12.1997 und 12.01.1998 fest. Die Kammer hat keine Anhaltspunkte an den Feststellungen der Ärztin zu zweifeln. Auch die Beklagte selbst zweifelt nicht an der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin. Die Beklagte hat in der Klageerwiderung ausgeführt, dass es unerheblich sei, dass die Klägerin tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ist auch während des Bezuges von Arbeitslosenhilfe eingetreten. Das Merkmal des Bezuges ist dahingehend zu konkretisieren, dass zumindest ein realisierbarer Anspruch auf Zahlung für die Zeit vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bestanden haben muss (BSG SozR 4100 § 105b Nr. 3, Nr. 6). Die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ist während eines genehmigten Auslandsaufenthaltes eingetreten. Für den Zeitraum des genehmigten Urlaubs vom 10.12.1997 bis 31.12.1997 bezog die Klägerin rechtmäßig Arbeitslosenhilfe. Die Arbeitsunfähigkeit ist am 30.12.1997 damit während des Bezuges von Arbeitslosenhilfe eingetreten.

Einem Anspruch der Klägerin auf Leistungsfortzahlung gemäß § 126 SGB III steht auch nicht entgegen, dass die AOK H. festgestellt hat, dass die Erkrankung in Polen nicht anerkannt werden könne, da kein Sozialversicherungsabkommen mit Polen bestehe. Erkrankt der Arbeitslose in der Urlaubszeit, für die Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe zu zahlen ist, so besteht grundsätzlich ein Anspruch auf Leistungsfortzahlung. Dies gilt auch während eines Auslandsaufenthaltes, d.h. wenn die sich über einen längeren Zeitraum hinziehende Arbeitsunfähigkeit an einem weiter entfernten Urlaubsort eingetreten ist, so dass der Arbeitslose das Arbeitsamt nicht täglich aufsuchen kann. Da der Arbeitslose nicht verfügbar ist und § 126 SGB III auf die Verfügbarkeit für die Leistungszahlung verzichtet, muss der Arbeitslose auch nicht wie ein gesunder Arbeitsloser erreichbar sein (vgl. Gagel, Kommentar zum SGB III, § 126, Rn. 26). Nach Auffassung der Kammer kann das entscheidungserhebliche Tatbestandsmerkmal des § 126 SGB III, das die Arbeitsunfähigkeit "während des Bezuges von Arbeitslosengeld" eintreten muss, nicht je nachdem unterschiedlich ausgelegt werden, ob dem jeweiligen Kläger während des Zeitraums der Arbeitsunfähigkeit ein Anspruch auf Krankengeld zustand oder nicht. Der Gesetzeswortlaut setzt nur voraus, dass der Arbeitslose während des Bezuges von Arbeitslosengeld infolge Krankheit arbeitsunfähig wird und differenziert gerade nicht danach, ob für den betreffenden Zeitraum ein Anspruch auf Krankengeld besteht oder nicht. Zwar ist zu bedenken, dass der Zweck der Leistungsfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich weder darin besteht, eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des erkrankten Arbeitslosen noch eine Entlastung der für die Zahlung des Krankengeldes zuständigen Krankenkasse herbeizuführen, sondern Leistungsberechtigten wie Leistungsverpflichteten bei kurzfristigen Erkrankungen die "Unzuträglichkeit" ersparen will, dass anstelle der Beklagten eine Krankenkasse Krankengeld in der gleichen Höhe wie die bisher gewährte Leistung wegen Arbeitslosigkeit zu zahlen hat (BT-Drucksache 8/4022, S. 89 ff., BSG SozR 3-4100 § 105b Nr. 2; BSG, Urt. v. 07.02.2002, Az.: B 7 AL 28/01 R). Es könnte insoweit überlegt werden, dass die "Unzuträglichkeit" des Wechsels nicht besteht, wenn die Krankenkasse von vornherein nicht als leistungspflichtig in Betracht kommt. Einer solchen Auslegung steht jedoch der eindeutige und abschließende Wortlaut der Vorschrift des § 126 SGB III entgegen. Dieser ist dahingehend gefasst, dass eine Leistungsfortzahlung eintritt, wenn der Arbeitslose während des Bezuges von Arbeitslosengeld infolge Krankheit arbeitsunfähig wird, ohne dass ihn ein Verschulden trifft. Der Gesetzeswortlaut macht den Fortzahlungsanspruch eindeutig nicht von einem parallel gegebenen Krankengeldanspruch oder der Anerkennung der Arbeitsunfähigkeit bzw. Erkrankung durch die zuständige Krankenkasse abhängig. Der Wortlaut einer Norm stellt die Grenze zulässiger Auslegung dar (BVerfGE 73, 206, 235). Dies gilt unabhängig davon, welches Verständnis man bei der in Frage stehenden Vorschrift als sachgerecht ansieht. Abgesehen davon ist zu bedenken, das der Verwaltungsvereinfachungsgedanke, der hinter der Regelung des § 126 SGB III steht, gerade unterlaufen würde, wenn generell die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Gewährung von Krankengeld durch die Krankenkasse erforderlich wäre.

Da die Klägerin während des rechtmäßigen Bezuges von Arbeitslosenhilfe arbeitsunfähig erkrankt ist, tritt eine Leistungsfortzahlung nach § 126 SGB III ein.

Soweit die Beklagte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin gehabt haben sollte – was die Beklagte allerdings nicht vorgetragen hat - wäre sie verpflichtet gewesen, gemäß § 126 Abs. 3 SGB III i.V.m. § 275 Abs. 1 Nr. 3b SGB V eine gutachtliche Stellungnahme des medizinischen Dienstes einzuholen. Dies ist von Seiten der Beklagten nicht erfolgt.

Die Klägerin hat sich am 02.02.1998 erneut arbeitslos gemeldet, so dass ein Leistungsanspruch für den 01.02.1998 (Sonntag) aus §§ 198, 122 Abs. 3 SGB III i.V.m. §§ 117 ff. SGB III folgt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Rechtskraft
Aus
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