S 8 (4) KR 235/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 8 (4) KR 235/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 (5) KR 48/03
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Rücknahme der Berufung
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 29.02.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2001 verurteilt, die Kosten für die Versorgung mit einer C-Leg-Prothese zu übernehmen. Der Beklagten werden die außergerichtlichen Kosten des Klägers auferlegt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für die Versorgung des Klägers mit einer C-Leg-Prothese.

Der 0000 geborene Kläger ist bei der Beklagten versichert und geht einer vollschichtigen Beschäftigung als kaufmännischer Angestellter nach, die er überwiegend im Sitzen ausüben kann und die ungefähr zu einem Viertel mit dem Zurücklegen von Wegstrecken im Außendienst und innerhalb des Bürogebäudes verbunden ist. Er leidet an einem Nierenfunktionsverlust bei Zustand nach Nierentransplantation 1994 und Abstoßung der Spenderniere mit anhaltender dialysepflichtiger Nierenfunktionseinschränkung, dem Verlust des rechten Beines oberhalb des Kniegelenks, einer diabetesbedingten Nervenfunktionsstörung (Polyneuropathie) am linken Bein und am Stumpf mit Tiefensensibilitätsstörung, einer Fehlbelastung des linken Beines mit Chondropathia-patellae-Symptomatik am linken Kniegelenk, einem Wirbelsäulenschaden bei Fehlbelastung sowie einer Sehbehinderung im Rahmen des diabetes mellitus. Seit 1996 ist der Kläger mit einer Endolite-Kniegelenks-Prothese versorgt. Diese Prothese verfügt über eine elektronische Steuerung der Schwung- und eine mechanische Steuerung der Standphase.

Im Januar 2000 beantragte der Kläger unter Vorlage eines Kostenvoranschlags des Sanitätshauses T die Versorgung mit einer C-Leg-Prothese, die sich durch eine elektronische Steuerung sowohl in der Schwung- als auch in der Standphase auszeichnet. Nach der Beratung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) lehnte die Beklagte die beantragte Versorgung mit Bescheid vom 29.02.2000 ab. Sie führte aus, dass die Versorgung mit der Endolite-Kniegelenks-Prothese ausreichend sei. Die vom MDK festgestellten geringfügigen Wackelbewegungen ließen auf einen Defekt schließen, der repariert werden könne.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch, dem er unter anderem das im Rahmen des Verfahrens des Sozialgerichts Düsseldorf S 00 SB 000/00 erstellte Gutachten des X Internist und Arzt für Sozialmedizin, vom 18.11.1998 beifügte. Diesen Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 13.07.2001 zurück.

Der Kläger hat gegen die ablehnenden Bescheide Klage erhoben, mit der er sein Begehren der Versorgung mit einer C-Leg-Prothese weiterverfolgt. Er hat geltend gemacht, dass die begehrte Versorgung unter Berücksichtigung eines höheren Verschleißes der Endolite-Kniegelenke einerseits und einer langjährigen Gewährleistung für die C-Leg-Prothese andererseits wirtschaftlicher sei. Vor allem führe die C-Leg-Prothese jedoch zu einer größeren Stand- und Gangsicherheit. Insbesondere sei für seine Person die Versorgung mit einer C-Leg-Prothese medizinisch notwendig, da bei ihm aufgrund der Sensibilitätsstörungen des linken Beines stärkere Anforderungen an die Stand- und Gangsicherheit bestünden. So hätte sich die bei ihm ständig bestehende Sturzgefahr in regelmäßigen Abständen realisiert. Schlimmere Sturzfolgen hätte er lediglich durch ein erfahrenes Falltraining vermeiden können. Während des Verfahrens hat der Kläger auf mehrere positive Entscheidungen anderer Sozial- und Landessozialgerichte hingewiesen. Er hat das in einem anderen Verfahren eingeholte Gutachten des I1, Direktor der Klinik für Orthopädie und Physikalische Medizin der Universität I2, vom 16.02.2001 vorgelegt. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger vorgetragen, dass er die Prothese täglich acht bis zehn Stunden trage.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.02.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2001 zu verurteilen, die Kosten für die Versorgung mit einer C-Leg-Prothese zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig. Die vom Kläger angegebene höhere Reparaturanfälligkeit des Endolite-Kniegelenks sei nicht belegt. Beim Kläger seien lediglich im Juni 1998, September 1998 und Juni 2001 Reparaturen erforderlich gewesen. Auch eine höhere Stand- und Gangsicherheit der C-Leg-Prothese sei vom Kläger lediglich behauptet und ohne wissenschaftlichen Nachweis. Die dargelegte Sturzgefahr und Funktionseinschränkung des linken Beines könne den geltend gemachten Anspruch nicht begründen, da dieser nicht das linke, sondern das rechte Bein betreffe und nicht geeignet sei, eine vom linken Bein ausgehende Stand- und Gangsicherheit zu beeinflussen. Hinzu komme, dass der Kläger gemäß seinen Schilderungen im Jahre 1998 gegenüber X die Prothese nur im geringen Umfang gebrauche. Insgesamt sei jedenfalls zu berücksichtigen, dass innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung nur ein Anspruch auf ausreichende, aber nicht auf optimale Versorgung bestehe.

Zur weiteren Ermittlung des Sachverhalts hat das Gericht Befunderichte der Internisten Q/I3,N sowie des Chirurgen T eingeholt und das Gutachten des Chefarztes der Fachklinik für Amputationsmedizin P,I4, vom 19.12.2000 aus dem Berufungsverfahren des Bayrischen Landessozialgerichts L 0 U 000/00 sowie die den Kläger betreffenden Vorprozessakten des Sozialgerichts Düsseldorf (S 27 RA 000/00; S 29 SB 000/00) beigezogen. Zur weiteren Sachdarstellung wird auf diese Unterlagen sowie auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten haben sich als rechtswidrig erwiesen. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Kostenübernahme und Versorgung mit einer Oberschenkelprothese mit dem Kniegelenksystem C-Leg zu.

Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) hat der Kläger Anspruch auf Versorgung mit diesem Körperersatzstück, da es erforderlich ist, um seine Behinderung auszugleichen.

Dem geltend gemachten Anspruch steht nicht entgegen, dass der Kläger mit einer funktionstüchtigen Oberschenkelprothese versorgt ist und es sich lediglich um das Begehren eines technisch verbesserten Gerätes handelt. Denn das Wirtschaftlichkeitsgebot schließt eine Leistungspflicht der Krankenversicherung (nur) für solche Innovationen aus, die nicht die Funktionalität, sondern in erster Linie Bequemlichkeit und Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels betreffen, und die Gebrauchsvorteile gegenüber dem bisherigen Hilfsmittel, nur in einzelnen Lebensbereichen begründen (BSG, Urteil vom 06.06.2002 - B 3 KR 68/01 R -). Die Gebrauchsvorteile des C-Leg gegenüber einer herkömmlichen Prothese werden von den genannten Einschränkungen nicht erfasst. Sie sind weder auf spezielle Lebensbereiche begrenzt noch erschöpfen sie sich in der Bequemlichkeit oder im Komfort der Nutzung (BSG, a.a.O.). Auch vorliegend sind die im Lebensalltag des Klägers erzielbaren Gebrauchsvorteile erheblich und wirken sich bei seinen Aktivitäten im Alltagsleben positiv aus. Bei dem vom Kläger nunmehr angegebenen umfangreichen täglichen Gebrauch fällt insbesondere die Verminderung der Sturzgefahr ins Gewicht, daneben ergeben sich Verbesserungen des Bewegungsablaufs auf unebenem Gelände sowie beim Berg- und Treppabgehen. Die vom Bundessozialgericht bereits für erheblich gehaltene Verminderung der Sturzgefahr (BSG, a.a.O.) stellt auch vorliegend für den Kläger den wesentlichen Gebrauchsvorteil dar. Denn unter Berücksichtigung der von X diagnostizierten diabetischen Polyneuropathie ist der Kläger glaubhaft der von ihm geschilderten Sturzgefahr ausgesetzt. Die Kammer konnte der Argumenation der Beklagten nicht folgen, dass durch eine bessere Versorgung des rechten Beines die auf der Funktionseinschränkung des linken Beines beruhende Stand- und Gangunsicherheit nicht beeinflusst werden könne. Denn das durch die technisch verbesserte Versorgung des rechten Beines erhöhte Gang- und Standsicherheit stellt eine Kompensation dar. Diese allgmein begründbare medizinische Indikation ergibt sich aus dem beigezogenen Gutachten des I4, der eine Funktionseinschränkung des gegenseitigen Standbeines als gesundheitliche Voraussetzung für eine Versorgung mit einem C-Leg aufführt (S. 31 des Gutachtens). Mit dem von X bereits 1998 festgestellten Wirbelsäulenschaden bei Fehlbelastung und Fehlbelastung des linken Beines mit Chondropathia- patellae-Symptomatik am linken Kniegelenk liegt einer weitere medizinische Indikation zum Gebrauch des C-Leg-Systems vor, nämlich die zu vermeidenden Folgen der Fehlbelastung durch die Oberschenkelamputation (vgl. Gutachten des I1 vom 16.02.2001, S. 19 ff., 22).

Unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundessozialgerichts sowie der im Parallelverfahren gehörten Sachverständigen I4 und I1 in ihren zitierten Gutachten hat die Kammer die von der Beklagten erhobenen Bedenken nicht mehr für durchgreifend gehalten. So ist unter Berücksichtigung der zitierten Gutachten insbesondere von der vom Kläger geltend gemachten höheren Stand- und Gangsicherheit der begehrten Prothese allgemein und auch in seinem Fall auszugehen. Nach den Schilderungen des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung ist die Kammer auch nicht davon ausgegangen, dass es sich bei der Versorgung mit der technisch verbesserten und teureren Prothese um einen unverhältnismäßigen und dem Wirtschaftlichkeitsgebot widersprechenden Kostenaufwand handelt. Insoweit konnten die weiteren Erörterungen der Gutachter zur Wirtschaftlichkeit, z. B. die Ausführung des I4 , dass die C-Leg-Prothese keine höheren Folgekosten verursache als die Endolite-Prothese, und der Hinweis des I1 auf die Vermeidung von Kosten für die Behandlung von Fehlbelastungs- oder Sturzschäden, dahingestellt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Rechtskraft
Aus
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