S 36 U 2/00

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
36
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 36 U 2/00
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid des Beklagten vom 13.12.99 wird insoweit aufgehoben, als er die Übernahme des Personenaufzugsunternehmens "O. S." betrifft. Die Beigeladene zu 2 wird verurteilt, das Personenaufzugsunternehmen "O. S." mit Wirkung vom 1. Januar des Jahres an, das auf den Tag der Rechtskraft dieses Urteils folgt, aus der Zuständigkeit der Beigeladenen zu 2 in die Zuständigkeit der Klägerin zu überweisen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten noch, ob das Personenaufzugsunternehmen "O. S." (im Folgenden: PAU) als Nebenunternehmen der Beigeladenen zu 1 von der Übernahme aus der Zuständigkeit der Klägerin in die Zuständigkeit der Beigeladenen zu 2 von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist.

Mit Wirkung vom 1. Mai 1991 hatte die Klägerin die Stadt Bad S. als Unternehmerin des PAU in ihr Unternehmerverzeichnis aufgenommen.

Zum 1. Juli 1998 nahm die Beigeladene zu 1 als Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), deren alleinige Gesellschafterin die Stadt Bad S. ist, ihre Tätigkeiten auf und übernahm einen Teil des zuvor bei der Stadtverwaltung Bad S. beschäftigten Personals, um kommunale Dienstleistungen und öffentliche Aufgaben zu erfüllen. Untergliedert war und ist die Beigeladene zu 1 in verschiedene Tätigkeitsbereiche, wobei im Frühjahr 1999 ein Geschäftsführer vorhanden war, fünf Mitarbeiter für das Fremdenverkehrsamt, die Kurverwaltung sowie die allgemeine Verwaltung zuständig waren, zwei Mitarbeiter für die Grün- und Parkanlagen, eine Mitarbeiterin für Museum und Tiergehege sowie schließlich zwei Mitarbeiter für den Personenaufzug.

Einem Antrag der Beigeladenen zu 1 auf Übernahme in die Zuständigkeit der Beigeladenen zu 2 entsprach der Beklagte nach Anhörung der Klägerin mit Bescheid vom 13. Dezember 1999. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Übernahme nach § 129 Abs. 3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) vorliegen. Die Beigeladene zu 1, an der die öffentliche Hand überwiegend beteiligt sei, werde nicht erwerbswirtschaftlich betrieben. Der Übernahme des den Personenaufzug betreffenden Bereichs in die Zuständigkeit der Beigeladenen zu 2 stehe auch nicht § 129 Abs. 4 SGB VII entgegen. Die Zuständigkeit sei nach § 131 Abs. 1 SGB VII für Unternehmen, die aus mehreren verschiedenartigen Betriebszweigen bestehen, nach dem Hauptunternehmen, also nach dem Unternehmensschwerpunkt, zu bestimmen. Der Unternehmensschwerpunkt der Beigeladenen zu 1 liege sowohl nach der Mitarbeiterzahl als auch nach der Lohnsumme im Bereich allgemeine Kurverwaltung/touristische Aktivitäten. § 131 Abs. 1 SGB VII sei als speziellere Regelung gegenüber derjenigen in § 129 Abs. 4 Nr. 1 SGB VII vorrangig, was sich aus der Systematik des SGB VII und auch aus sachlichen Gründen ergebe. Demnach handele es sich bei dem PAU um ein Nebenunternehmen, für das keine gesonderte Zuständigkeit begründet werden könne. Insoweit erfolge die Übernahme mit Wirkung vom 1. Januar 2000, hinsichtlich der übrigen Teile des Unternehmens, für die noch keine anderweitige Zuständigkeit durch Bescheid begründet worden war, zum Gründungszeitpunkt.

Mit der hierauf erhobenen Klage hat die Klägerin , die gegenüber der Beigeladenen zu 1 zuletzt zu Gunsten der Beigeladenen zu 2 von der Anforderung von Beiträgen abgesehen hat, zunächst schriftsätzlich die Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 13. Dezember 1999 beantragt und beantragt nunmehr unter Berufung auf § 129 Abs. 4 Nr. 1 SGB VII, der entgegen der Ansicht des Beklagten als speziellere Regelung dem § 131 Abs. 1 SGB VII vorgehe,

den Bescheid des Beklagten vom 13. Dezember 1999 insoweit aufzuheben, als er die Übernahme der Versicherung für das PAU in die Zuständigkeit der Beigeladenen zu 2 betrifft, sowie die Beigeladene zu 2 zu verurteilen, das PAU mit Wirkung vom 01. Januar des Jahres an, das auf den Tag der Rechtskraft des Urteils folgt, aus der Zuständigkeit der Beigeladenen zu 2 in die Zuständigkeit der Klägerin zu überweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verbleibt bei seiner im angegriffenen Bescheid geäußerten Auffassung.

Die Beigeladene zu 1 stellt keinen Antrag.

Die Beigeladene zu 2 beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie äußert im Wesentlichen Ansichten, die denen des Beklagten entsprechen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift vom 02. August 2004 und den weiteren Inhalt der Prozess- sowie der beige¬zogenen Verwaltungsakten der Klägerin, des Beklagten und der Beigeladenen zu 2, der Gegenstand der münd¬lichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beigeladenen zu 1 im Termin mündlich verhandeln und entscheiden, weil die ordnungsgemäß geladene Beigeladene zu 1 in ihrer Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.

I.

Die Klage ist statthaft.

Soweit sie gegen den Beklagten gerichtet ist, ist die Anfechtungsklage im Sinne des § 54 Abs.1 und 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) die richtige Klageart. Bei einem Übernahme¬bescheid handelt es sich um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch [SGB X] mit Drittwirkung auch gegenüber dem gewerblichen Unfallversicherungsträger (vgl. u.a. Urteil des Bundessozialgerichts -BSG- vom 24. Februar 1988, Az.: 2 RU 24/87, m.w.N. zur vor Inkrafttreten des SGB VII so genannten Bezeich¬nungsverfügung im Sinne der §§ 653 Abs.1 Nr.2, 655 Abs. 1, 657 Abs.1 Nr.2 der Reichsversicherungs¬ordnung -RVO-). Da bei Übernahmebescheiden der Bund bzw. ein Land in den gesetzlich vorgesehenen Mitgliedsbestand einer gewerblichen Berufsgenossenschaft eingreift, liegt hier kein Gleichordnungsverhältnis, sondern ein Unterordnungsverhältnis - ähnlich wie bei einer Aufsichtsmaßnahme in Gestalt eines Verwaltungsaktes - vor, durch das eine gewerbliche Berufsgenossenschaft in ihren Rechten verletzt werden kann.

Auch die Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs.5 SGG gegen die Beigeladene zu 2 auf Überweisung des PAUs ist statthaft. Lehnt ein bisher als zuständig festgestellter Unfallversicherungsträger eine nach § 136 Abs.1 Sätze 4 und 5 SGB VII vorzunehmende Überweisung ab, so können sowohl der Unternehmer mit einer Anfechtungsklage als auch der Unfallversicherungsträger, an den das Unternehmen überwiesen werden soll, mit der Leis¬tungsklage dagegen vorgehen (vgl. Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Loseblattkommentar, § 136 SGB VII Rdz.7 m.N.).

Auch die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor. Insbesondere ist das eigentlich nach § 78 Abs.1 Satz 1 SGG vor Erhebung der Anfechtungsklage vorgeschriebene Vorver¬fahren nach § 78 Abs.1 Satz 2 Nr.3 SGG entbehrlich, weil ein Versicherungsträger klagt. Des Weiteren war die Klageerweiterung in Gestalt des Leistungsantrages gegen die Beigeladene zu 2 als sachdienlich im Sinne des § 99 Abs.1 SGG zuzulassen, weil beiden Anträgen - so¬wohl gegen den Beklagten als auch die Beigeladene zu 2 - derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegt und durch die nach § 75 Abs.5 SGG mögliche Verurteilung der Beigeladenen zu 2 ein möglicher Folgeprozess der Klägerin gegen die Beigeladene zu 2 vermieden werden kann. Durch die bloße Aufhebung eines Übernahmebescheides kann eine gewerb¬liche Berufsgenossenschaft ihr Klageziel, das übernommene Unternehmen wiederum in ihre Zuständigkeit (zurück-) zu übernehmen, nicht erreichen, wenn die Übernahme bereits voll¬zogen ist - und sei es in Form eines so genannten formellen Versicherungsverhältnisses (vgl. hierzu Bereiter-Hahn/Mertens, a.a.O., § 136 SGB VII Rdz.5.2) durch Erteilung eines (falschen) Zuständig¬keitsbescheides oder auch nur eines Beitragsbescheides durch den Eigenunfallversicherungs¬träger der öffentlichen Hand. Denn nach §§ 136 Abs.1 Sätze 4 und 5, 137 SGB VII ist hierfür ein Überweisungsakt des Eigenunfallversicherungsträgers der öffentlichen Hand an die ge¬werbliche Berufsgenossenschaft vonnöten (vgl. hierzu im Einzelnen weiter unten).

II.

Die Klage, soweit sie gegen den Beklagten gerichtet ist, ist in vollem Umfang begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 13. Dezember 1999 ist insoweit rechtswidrig, als darin die Übernahme des PAUs aus der Zuständigkeit der Klägerin in diejenige der Beigeladenen zu 2 ausgesprochen wird, und verletzt die Klägerin da¬her in ihren Rechten. Die Klägerin ist nach §§ 121, 122 SGB VII i.V.m. ihrer Satzung sachlich zuständiger Unfallversicherungsträger für das PAU, bei dem es sich unstreitig um ein Verkehrsunternehmen im Sinne des § 129 Abs.4 Satz 1 SGB VII handelt. Das PAU ist eine organisatorisch abgrenzbare Einheit innerhalb der Beigeladenen zu 1 und dient der Personenbeförderung.

Eine Übernahme des PAUs aus der Zu¬ständigkeit der Klägerin in die Zuständigkeit der Beigeladenen zu 2 durch den Beklagten nach § 129 Abs.3 SGB VII kann nicht erfolgen, weil dieser § 129 Abs.3 SGB VII gemäß § 129 Abs.4 Nr.1 SGB VII u.a. nicht für Verkehrsunternehmen gilt. Entgegen der Ansicht des Beklagten und der Beigeladenen wird die Regelung des §§ 129 Abs. 4 Nr. 1 SGB VII nicht durch § 131 Abs. 1 SGB VII verdrängt. Die beiden Bestimmungen verhalten sich genau umgekehrt zueinander. § 129 Abs. 4 Nr. 1 SGB VII als speziellere Regelung verdrängt die allgemeine Regelung des § 131 Abs. 1 SGB VII (ebenso: Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Loseblattkommentar, 5. Aufl. Stand: August 2004, § 129 SGB VII Rz. 10 m.w.N.).

Im fünften Kapitel des SGB VII wird die Organisation der gesetzlichen Unfallversicherung geregelt und in dessen zweitem Abschnitt die Zuständigkeit der Unfallversicherungsträger. § 131 Abs. 1 SGB VII regelt die Zuständigkeit für Hilfs- und Nebenunternehmen dort im vierten Unterabschnitt unter der Überschrift "gemeinsame Vorschriften über die Zuständigkeit".

Mit der grundsätzlich einheitlichen Zuordnung von Unternehmen mit verschiedenartigen Bestandteilen zu nur einem Unfallversicherungsträger, dem das Hauptunternehmen angehört, will der Gesetzgeber Doppelzuständigkeiten vermeiden und weicht insoweit teilweise von dem ansonsten die gesetzliche Unfallversicherung beherrschenden Prinzip der getrennten Zuständigkeit für unterschiedliche Gewerbezweige ab, welches insbesondere der Gewährleistung einer optimalen Prävention dienen soll.

Dass es sich demgegenüber bei § 129 Abs. 4 Nr. 1 SGB VII um eine lex specialis handeln muss ergibt sich bereits daraus, dass sich diese Regelung im dritten Unterabschnitt des zweiten Abschnitts im fünften Kapitel unter der Überschrift "Zuständigkeit der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand" befindet und damit den allgemein gehaltenen gemeinsamen Vorschriften grundsätzlich vorzugehen hat.

Die in § 129 Abs. 4 SGB VII vorgeschriebene Zuordnung bestimmter Gewerbearten zu den jeweiligen Fachberufsgenossenschaften hat der Gesetzgeber in besonders gefahrgeneigten Bereichen für notwendig erachtet. Dieser Gedanke gilt genauso für Neben- und Hilfsunternehmen.

Dass § 129 Abs. 4 SGB VII als lex specialis gegenüber § 131 Abs. 1 SGB VII aufzufassen sein muss, zeigt sich auch an folgenden Überlegungen:

Zum einen gilt die Sonderzuweisung zu den jeweiligen Fachberufsgenossenschaften auch für Unternehmen der Gemeinden und Gemeindeverbände, die nicht in selbstständiger Rechtsform betrieben werden. Da man in diesem Fall die jeweilige Kommune als Gesamtunternehmen auffassen müsste, handelte es sich bei den unter die Ausnahmen des § 129 Abs. 4 SGB VII fallenden Unternehmen regelmäßig um Neben- oder Hilfsunternehmen, die jedoch ausdrücklich in die Zuständigkeit der jeweiligen Fachberufsgenossenschaft fallen sollen. Wollte man § 131 Abs. 1 SGB VII als speziellere Regelung demgegenüber auffassen, wäre § 129 Abs. 4 SGB VII in Bezug auf nicht in selbstständiger Rechtsform betriebene kommunale Unternehmen überflüssig.

Dass dies so nicht richtig sein kann und entsprechend anders gehandhabt wird, zeigt auch vorliegend die Tatsache, dass das PAU vor Gründung der Beigeladenen zu 1 als Nebenunternehmen der Stadtverwaltung Bad S. im Verzeichnis der Klägerin geführt wurde.

Hieran knüpft die weiter gehende Überlegung an, die zeigt, dass § 129 Abs. 4 SGB VII gegenüber § 131 Abs. 1 SGB VII die speziellere Regelung sein muss. Würde man der Auffassung der Beklagten und der Beigeladenen zu folgen, würde vorliegend die Privatisierung eines Teils der Erfüllung der öffentlichen Aufgaben der Stadt Bad S. durch Gründung der Beigeladenen zu 1 dazu führen, dass das PAU aus der Zuständigkeit der Klägerin, die nach § 129 Abs. 4 Nr. 1 SGB VII begründet wurde, in die Zuständigkeit der Beigeladenen zu 2 übernommen werden könnte, was vorher kraft Gesetzes ausgeschlossen war, obwohl doch die Übernahmevorschriften lediglich Ausnahmeregelungen zur gesetzlich begründeten Zuständigkeit der Unfallversicherungsträger darstellen. III.

Die Klage ist auch, soweit sie sich gegen die Beigeladene zu 2 richtet, begrün¬det.

Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beigeladene zu 2 auf Überwei¬sung des PAUs in ihre Zuständigkeit, weil der Übernahmebescheid des Be¬klagten, wie oben ausgeführt, insoweit rechtswidrig ist und damit kein Rechtsgrund für die formal bestehende Zuständigkeit der Beigeladenen zu 2 für das PAU vorliegt. Dieser Anspruch besteht mit Wir¬kung für die Zukunft.

Nach § 136 Abs.1 SGB VII stellt der Unfallversicherungsträger Beginn und Ende seiner Zu¬ständigkeit für ein Unternehmen durch schriftlichen Bescheid gegenüber dem Unternehmer fest. War die Feststellung der Zuständigkeit für ein Unternehmen von Anfang an unrichtig oder ändert sich die Zuständigkeit für ein Unternehmen, überweist der Unfallversicherungs¬träger dieses dem zuständigen Unfallversicherungsträger (§ 136 Abs.1 Satz 4 SGB VII). Die Feststellung der Zuständigkeit war von Anfang an unrichtig, wenn sie den Zuständigkeits¬regelungen eindeutig widerspricht oder das Festhalten an dem Bescheid zu schwerwiegenden Unzuträglichkeiten führen würde.

Ist gegenüber dem Unternehmer die Zuständigkeit im Sinne des § 136 Abs.1 Satz 1 SGB VII festgestellt, hat er bis zu einer bindenden Entscheidung im Sinne dieser Vorschrift alle Rechte und Pflichten gegenüber dem formell zuständigen Unfall¬versicherungsträger; zwischen ihm und dem Unfallversicherungsträger, der seine Zuständig¬keit festgestellt hat, besteht ein formelles Versicherungsverhältnis (vgl. Bereiter-Hahn/Mertens, a.a.O., § 136 SGB VII Rdz.5.2 m.N.).

Grund für diese Regelung ist der Schutz des Vertrauens, der beim Unternehmer durch den - wenn auch falschen - Zuständigkeitsbescheid entstanden ist. Zur Durchführung der Präven¬tionsarbeit, Beitragserhebung und Erbringung von Leistungen ist Rechtssicherheit er¬forderlich. Daher hat sich der Gesetzgeber auch mit der Regelung des § 137 Abs.1 SGB VII für den Grundsatz entschieden, dass ein Zuständigkeitsübergang nur mit Wirkung für die Zu¬kunft erfolgen soll. Danach gilt: Geht die Zuständigkeit für Unternehmen nach § 136 Abs.1 Satz 4 SGB VII von einem Unfallversicherungsträger auf einen anderen über, bleibt bis zum Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Entscheidung über das Ende der Zuständigkeit des bisherigen Unfallversicherungsträgers gegenüber dem Unternehmen bindend wird, dieser Unfallver¬sicherungsträger für das Unternehmen zuständig.

Dies ist auch sachlich gerechtfertigt. Eine Abwicklung der Beitragserhebung und der Erbrin¬gung unfallversicherungsrechtlicher Leistungen an die Beschäftigten für die Vergangenheit bringt erhebliche verwaltungstechnische Probleme mit sich, deren Inkaufnahme vor dem Hintergrund nicht gerechtfertigt ist, dass hier ein Interessenkonflikt zweier öffentlicher Un¬fallversicherungsträger besteht, im vorliegenden Fall zwischen einem Eigenunfallversiche¬rungsträger der öffentlichen Hand sowie einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft in Gestalt der gewerblichen Berufsgenossenschaft. Diesen ist es zuzumuten, einen eigentlich rechts¬widrigen Zustand vor dem Hintergrund der geschilderten Nachteile vorübergehend in Kauf zu nehmen.

Vorliegend ist nach Überzeugung des erkennenden Gerichts ein so genanntes formelles Ver¬sicherungsverhältnis zwischen dem PAU und der Beigeladenen zu 2 dadurch entstanden, dass die Beigeladene zu 1 insgesamt, also einschließlich des PAUs, von der Beigeladenen zu 2 zu Beiträgen herangezogen wird, auch ohne dass ein formeller Zuständigkeitsbescheid im Sinne des § 136 Abs.1 Satz 1 SGB VII ergangen ist. Denn diese Vorschrift gilt nicht für Un¬fallversicherungsträger der öffentlichen Hand (vgl. § 136 Abs.24 SGB VII).

Nach Überzeugung des Gerichts sind jedoch die von der Rechtsprechung des Bundessozialge¬richts entwickelten Grundsätze über das formelle Versicherungsverhältnis auch auf die Fälle entsprechend anzuwenden, in denen ein Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand Beitragsbescheide gegenüber einem Unternehmen erlässt. Denn hierdurch entsteht der gleiche Vertrauensschutz auf Seiten des Unternehmens wie bei der Erteilung eines Zuständigkeitsbe¬scheides durch eine gewerbliche Berufsgenossenschaft. Auch die übrigen oben genannten Gründe sprechen für die Annahme der formellen Zuständigkeit bis zum Eintritt der Rechts¬sicherheit durch Rechtskraft eines Überweisungsbescheides. Die Anwendbarkeit des § 136 SGB VII ist mit Ausnahme des Abs.1 Satz 1 und damit auch insbesondere bezogen auf den Abs.1 Satz 4 nach § 136 Abs.4 SGB VII auch nicht ausgeschlossen.

Nach § 137 Abs.1 Satz 1 SGB VII bleibt die - materiell fehlerhafte - Zuständigkeit bis zum Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Entscheidung über das Ende der Zuständigkeit des bisherigen Unfallversiche¬rungsträgers gegenüber dem Unternehmen bindend wird, bestehen.

Bei Erlass eines Überweisungsbescheides tritt die Bindungswirkung erst nach Unanfechtbarkeit des Bescheides ein (vgl. § 77 SGG; Bereiter-Hahn/Mertens, a.a.O., § 137 SGB VII Rdz.3). Dieser Zeitpunkt wird bei Verurteilung des zur Überweisung verpflichteten Unfallversicherungsträgers auf Antrag des eigentlich zuständigen Versiche¬rungsträgers im Rechtsstreit, zu dem auch das Unternehmen beigeladen ist, so dass sich das rechtskräftige Urteil nach § 141 Abs.1 Nr.1 SGG auch auf dieses erstreckt, durch den Tag der Rechtskraft des Urteils ersetzt, so dass die Zuständigkeit des Eigenunfallversicherungsträgers bis zum Ablauf des Jahres, in dem die Rechtskraft eintritt, bestehen bleibt.

Die sich daraus ergebende Aufrechterhaltung eines materiell rechtswidrigen Zustandes und die Möglichkeit des zur Überweisung verpflichteten Versicherungsträgers, diesen Zustand durch Einlegung von Rechtsmitteln zu verlängern, ist vor dem Hintergrund der Motive des Gesetzgebers zur Schaffung der §§ 136, 137 SGB VII hinzunehmen. Übergeordnet ist die Vermeidung rückwirkender Änderungen sowie der damit verbundenen verwaltungstech¬nischen und haushaltsmäßigen Maßnahmen (vgl. Bereiter-Hahn/Mertens, a.a.O., § 137 SGB VII Rdz.3 m.N.). Die Beitragserhebung durch den materiell unzuständigen Versicherungs¬träger erscheint auch vor dem Hintergrund hinnehmbar, dass dieser für die Zeit, in der er Beiträge erhebt, auch die Präventionsarbeit leistet.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden Fas¬sung, weil der Rechtsstreit vor dem 2. Januar 2002 rechtshängig geworden ist; § 197a SGG i.d.F. des 6. SGG-Änderungsgesetzes vom 17. August 2001 ist insoweit nicht anzuwenden (vgl. Urteil des BSG vom 30. Januar 2002, Az.: B 6 KA 12/01 R).
Rechtskraft
Aus
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