S 36 U 416/00

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
36
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 36 U 416/00
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid der Beklagten vom 13. März 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. September 2000 wird insoweit aufgehoben, als für den Zeitraum des Verletztengeldbezuges vom 25. September 1998 bis 11. Februar 2000 Übergangsleistungen in Form von Minderverdienstausgleich abgelehnt wurden. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für vorgenannten Zeitraum Übergangsleistungen in Form von Minderverdienstausgleich zu bewilligen und bei der Berechnung dem fiktiven Verdienst den Verletztengeldzahlbetrag zuzüglich der von der Klägerin getragenen Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gegenüber zu stellen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe der von der Beklagten zu erbringenden Übergangsleistung nach § 3 Abs.2 Berufskrankheitenverordnung (BKV) und dabei speziell (nur noch) die Frage, ob für den Zeitraum berufskrankheitenbedingter Arbeitsunfähigkeit neben dem Verletztengeld auch Minderverdienstausgleich zu zahlen ist.

Die Klägerin war seit 14. August 1998 durchgehend für 78 Wochen bis zum 11. Februar 2000 arbeitsunfähig wegen einer beruflich bedingten Hauterkrankung und bezog nach Beendigung der Lohnfortzahlung seit dem 25. September 1998 bis zum Ende des 78-Wochen-Zeitraums Verletztengeld von der Be¬klagten, im Anschluss dann Arbeitslosengeld.

Mit Bescheid vom 13. März 2000 stellte die Beklagte fest, dass grundsätzlich ein Anspruch auf Übergangsleistung nach § 3 BKV ab dem 14. August 1998 - dem Tag nach Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit - längstens für die Dauer von 5 Jahren bestehe, dass die Zahlung der Übergangsleistung am 12. Februar 2000 - dem Tag nach Beendigung der Verletztengeld¬zahlung - als monatlich wiederkehrende Leistung beginne und gestaffelt ausgezahlt werde.

Mit dem hiergegen gerichteten Widerspruch wandte sich die Klägerin u.a. dagegen, dass die Zahlung von Minderverdienstausgleich nicht sofort beginne, sondern erst nach Beendigung des Zeitraums der Verletztengeldzahlung.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 6. September 2000 zurück. Zur Begründung hinsichtlich der (mittlerweile allein streitgegenständlichen) Frage des Beginns der Berechnung und Zahlung von Minderverdienstausgleich führte die Beklagte aus, dass ein so genannter Minderverdienst dann nicht eingetreten sei, wenn das Verletztengeld nach dem ursprünglichen Verdienst bei der alten gefährdenden Tätigkeit berechnet worden sei, was hier der Fall sei. Das Risiko eines geringfügig verminderten Einkommens gelte so¬wohl für Verletztengeld- wie für Krankengeldbezieher und damit für die Gesamtheit der Ver¬sichertengemeinschaft. Hierbei handele es sich nach einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25. Februar 1993, Az.: 2 RU 6/92, nicht um einen wirtschaftlichen Nachteil, der nach § 3 BKV auszugleichen wäre.

Mit der hiergegen gerichteten Klage hält die Klägerin an ihrer Auffassung fest, dass für den gesamten 5jährigen Zeitraum der Übergangsleistung auch Minderverdienstausgleich zu zahlen ist, d.h. eine Gegenüberstellung des tatsächlichen Nettoverdienstes mit dem fiktiven auch für den Zeitraum der Verletztengeldzahlung zu erfolgen habe. Bei dem Ausgleich eines etwaigen Minderverdienstes seien lediglich nach dem von der Beklagten falsch zitierten Ur¬teil des BSG vom 25. Februar 1993 die von der Klägerin selbst getragenen Beiträge zur Rentenversicherung nicht zu berücksichtigen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 13. März 2000 in Gestalt des Widerspruchsbeschei¬des vom 6. September 2000 insoweit aufzuheben, als Zahlungen von Übergangsleis¬tungen in Form von Minderverdienstausgleich für den Zeitraum des Verletztengeldbe¬zuges abgelehnt wurden, und die Beklagte zu verurteilen, ihr für den Zeitraum vom 25. September 1998 bis 11. Februar 2000 Übergangsleistungen in Form von Minderver¬dienstausgleich zu bewilligen und bei der Berechnung des Minderverdienstes dem fik¬tiven Verdienst den Verletztengeldzahlbetrag zuzüglich der von der Klägerin getra¬genen Beiträge zur Rentenversicherung gegenüber zu stellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie nimmt im Wesentlichen Bezug auf die Begründung der angefochtenen Bescheide sowie auf ihre Leitlinien zu § 3 BKV, dort Anmerkung 8.4.1, und meint ergänzend, dass im Fall der Gewährung von Minderverdienstausgleich auch für den Zeitraum der Verletztengeldzahlung an einer Berufskrankheit leidende Verletztengeldbezieher ungerechtfertigt besser behandelt würden als solche Versicherte, die Verletztengeld aus anderen Gründen oder Krankengeld bezögen. § 3 Abs.2 BKV bezwecke allein, den Versicherten zur Tätigkeitsaufgabe zu be¬wegen. Die Leistungen stellen gerade keinen Schadensersatzanspruch dar.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschriften vom 28. April 2003 und 13. September 2004 sowie den weiteren Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist, soweit sie noch Gegenstand des in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrags ist, in vollem Umfang begründet.

Die angefochtenen Bescheide sind in dem angegriffenen Umfang rechtswidrig und verletzten die Klägerin insoweit in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Übergangsleistungen in Form von Minderverdienstausgleich auch für den Zeitraum der Verletztengeldzahlung vom 25. September 1998 bis 11. Februar 2000, wobei bei der Be¬rechnung des Minderverdienstes dem fiktiven Verdienst der Verletztengeldzahlbetrag zuzüg¬lich der von der Klägerin getragenen Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gegen¬über zu stellen ist.

Nach § 3 Abs.2 BKV haben Versicherte, die die gefährdende Tätigkeit unterlassen, weil die Gefahr fortbesteht, dass eine Berufskrankheit entsteht, wieder auflebt oder sich verschlim¬mert, zum Ausgleich hierdurch versuchter verursachter Minderungen des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile gegen den Unfallversicherungsträger Anspruch auf Übergangsleistungen, wobei als Übergangsleistung ein einmaliger Betrag bis zur Höhe der Vollrente oder eine monatlich wiederkehrende Zahlung bis zur Höhe eines Zwölftels der Vollrente längstens für die Dauer von 5 Jahren gezahlt wird und wobei Renten wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht zu berücksichtigen sind.

Zunächst stellt das Gericht fest, dass der beabsichtigte Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile entgegen der Ansicht der Beklagten ein echter Schadensersatz im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches ist (vgl. Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Loseblattkommentar, G § 3 Anm.5.5 m.N.). Es ist zwar vorherrschender, aber nicht aus¬schließlicher Zweck, den an einer Berufskrankheit leidenden oder dem die Gefahr des Entstehens, Wiederauflebens oder Verschlimmerns einer Berufskrankheit drohenden Ver¬sicherten dazu zu bewegen, diese Tätigkeit aufzugeben, um diesen zu schützen und auch der Solidargemeinschaft Ansprüche auf sonst noch weitergehendere Leistungen zu ersparen.

Weiter ist das Gericht mit dem insoweit von der Beklagten falsch verstandenen und zitierten BSG der Überzeugung, dass für den gesamten Fünfjahreszeitraum, für den ermessensge¬recht eine Staffelregelung – wie üblich – getroffen wurde (vgl. hierzu Mehrtens/Perlebach, a.a.O., Anm.5.9 m.w.N.), ein etwaiger Minderverdienstausgleich zu zahlen ist.

Die Beklagte hat zu Recht den Beginn des Fünfjahreszeitraums auf den ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit, den 14. August 1998, gelegt (vgl. hierzu Mehrtens/Perlebach, a.a.O., Anm.5.9 m.w.N.).

Damit besteht dem Grunde nach ein Anspruch auf Ausgleich des Minderverdienstes im Rahmen der Staffelregelung. Damit soll ein Anreiz geschaffen werden, um auch endgültig die Tätigkeit aufzugeben.

Es besteht keine Berechtigung dafür, zu sagen, dass für den Zeitraum der Verletztengeld¬zahlung aufgrund der Berufskrankheit ein Minderverdienst nicht auszugleichen ist, mit der Begründung, dass hier das Verletztengeld auf der Grundlage des letzten Verdienstes be¬rechnet wurde und ansonsten eine ungerechtfertigte Besserstellung gegenüber anderen Verletztengeld- oder Krankengeldbezieher erfolgte.

Grundsätzlich ist jeder Minderverdienst auszugleichen. Wenn der Verletztengeldbezug zu einem solchen führt, ist auch dieser dem Grunde nach auszugleichen. Damit wird dem Sinn und Zweck des § 3 Abs.2 BKV entsprochen. Ansonsten wäre derjenige Verletztengeldbezieher, der, wie es § 3 BKV bezweckt, aus der Arbeitsunfähigkeit heraus die Tätigkeit endgültig aufgibt, gegenüber demjenigen Ver¬letztengeldbezieher ungerechtfertigt schlechter gestellt, der entgegen der im Interesse der Solidargemein¬schaft beabsichtigten endgültigen Aufgabe der Tätigkeit diese nach Beendigung der Arbeits¬unfähigkeit wieder aufnimmt, weil beide gleich hohe Verletztengeldleistungen erhielten und Ersterer – wie in diesem Fall – bis zu 78 Wochen oder gegebenenfalls noch länger vom Minderverdienstausgleich ausgeschlossen wäre und damit ausgerechnet in dem Zeitraum, in dem im Rahmen der Staffelregelung der höchste Minderverdienstausgleich erfolgt, nämlich das volle erste Jahr mit einem 100%igen Ausgleich und die Hälfte des 2. Jahres mit einem 80%igen Ausgleich.

Wenn man Verletztengeldbezieher, die die Tätigkeit endgültig aufgeben, von diesem Bezug ausschließt, nimmt man einen wesentlichen Anreiz für die endgültige Aufgabe. Dementsprechend kann der Verletztengeldbezug entgegen der Auffassung der Be¬klagten einen Anspruch auf Minderverdienstausgleich gerade nicht ausschließen, so auch das von der Beklagten falsch zitierte Urteil des BSG vom 25. Februar 1993, Az.: 2 RU 6/92 (ebenso: Schulin, Handbuch des Sozialver¬sicherungsrechts, Bd.II, Unfallversicherungsrecht, 1996, § 47 Rdz.127; Benz, Die Über¬gangsleistung nach § 3 Abs.2 und 3 BKV, in: Die BG 1996, S.496, 497; Kater/Leube, Gesetz¬liche Unfallversicherung, SGB VII, § 9 Rdz.128; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, Loseblattkommentar, § 9 SGB VII Anm.107; Mehrtens/Perlebach, a.a.O., Anm. 5.3).

Das BSG hatte mit der von der Beklagten falsch zitierten Entscheidung gerade seine frühere Recht¬sprechung ausdrücklich aufgegeben. Alles, was das BSG mit der Entscheidung ausdrücklich festgestellt hat, ist, dass die von dem Arbeitsunfähigen zu tragenden Beiträge zur gesetz¬lichen Rentenversicherung bei der Minderverdienstberechnung nicht zu berücksichtigen sind, weil aufgrund von § 1385b Reichsversicherungsordnung (RVO) a.F. (die Nachfolgeregelung finden wir heute in § 170 Abs.1 Nr.2a Sechstes Sozialgesetzbuch -SGB VI-)hiermit der Solidarge¬meinschaft ein Opfer auferlegt wurde zur Sanierung der öffentlichen Haushalte. Insoweit sei es nicht mit dem Gleichheitssatz zu vereinbaren, diejenigen Bezieher eines Verletzten¬geldes, die an einer Berufskrankheit leiden, besser zu behandeln als andere, gerade weil es sich um ein Solidaropfer handele. Diese Auffassung teilt die Kammer nach eigener Überzeugungsbildung.

Wie sich aus dem Musterrechnungen der Beklagten ergibt, ist bei der Klägerin ein nicht unerheblicher Minderverdienst eingetreten, auch wenn man dem Verletztengeldzahlbetrag die von der Klägerin zu tragenden Beiträge zur Rentenversiche¬rung hinzurechnet. Dieser ist von der Beklagten im Rahmen der von ihr ansonsten ermes¬sensfehlerfrei gewährten Übergangsleistung nach der Staffelregelung voll auszugleichen, auch während der Zeit des Verletztengeldbezuges vom 25. September 1998 bis 11. Februar 2000.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (vgl. den Berichtigungsbeschluss vom heutigen Tag).
Rechtskraft
Aus
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