S 28 KR 1629/03

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
28
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 28 KR 1629/03
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Es wird festgestellt, dass der Beigeladene zu 1) über den 30.04.2003 hinaus bis zum 30.06.2004 Mitglied der Klägerin gewesen ist. 2. Die Beklagte trägt die Gerichtskosten des Verfahrens. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt. 3. Der Streitwert wird auf Euro 4.000,- festgesetzt.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beigeladene zu 1) seine Mitgliedschaft bei der Klägerin zum 30.4.2003 wirksam gekündigt hat.

Der 1976 geborene Beigeladene zu 1) war seit dem 11.5.1998 als gewerblicher Mitarbeiter bei der Beigeladenen zu 2) versicherungspflichtig beschäftigt und bis zum 31.12.2002 Mitglied der E. BKK. Diese Mitgliedschaft endete durch Kündigungserklärung des Beigeladenen zu 1) vom 11.10.2002. Ebenfalls am 11.10.2002 unterschrieb der Beigeladene zu 1) bei der Klägerin das Formblatt " Ich wähle die Mitgliedschaft in der DAK ab 1.1.2003". Zu diesem Zeitpunkt betrug der Beitragssatz der Klägerin 14,5 v.H. Mit Wirkung vom 1.1.2003 erhöhte die Klägerin ihren Beitragssatz auf 15,2 v.H. Mit Schreiben vom 24.2.2003, bei der Klägerin eingegangen am 26.2.2003, kündigte der Beigeladene zu 1) die Mitgliedschaft bei der Klägerin zum 30.4.2003 und wählte die Mitgliedschaft bei der Beklagten. Mit Schreiben vom 27.02.2003 teilte die Klägerin dem Beigeladenen zu 1) mit, dass seine Mitgliedschaft nicht zum 30.4.2003, sondern erst zum 30.06.2004 beendet werden könne, da diese erst mit dem 01.01.2003 begonnen habe und versicherungspflichtige Arbeitnehmer an die Wahl der Krankenkasse mindestens 18 Monate gebunden seien, wenn sie das Wahlrecht ab dem 1.1.2002 ausüben. Ein Sonderkündigungsrecht bestehe nach der geltenden Fassung erst bei einer künftigen Beitragssatzänderung. Ebenso forderte sie mit Schreiben vom 15.05.2003 die Beigeladene zu 2) auf, die Beitragentrichtung an sie vorzunehmen, da der Beigeladene zu 1) weiterhin ihr Mitglied sei. Mit Schreiben vom 12.6.2003 an die Klägerin vertrat die Beklagte die Auffassung, dass dem Beigeladenen zu 1) ein Sonderkündigungsrecht zum 30.04.2003 infolge der Beitragserhöhung am 01.01.2003 zugestanden habe und der Beigeladene zu 1) daher mit Wirkung vom 1.5.2003 ihr Mitglied geworden sei. Dem widersprach die Klägerin mit Schreiben vom 19.9.2003.

Die Klägerin hat am 20.10.2003 Feststellungsklage beim Sozialgericht Hamburg erhoben.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass der Beigeladene zu 1) infolge der erstmals nach dem 1.1.2002 ausgeübten Wahl zum 1.1.2003 seine Mitgliedschaft bei der Klägerin nicht vor dem 30.6.2004 kündigen könne. Der Beigeladene zu 1) sei erst zum 1.1.2003, also erst zum Zeitpunkt der Beitragssatzerhöhung der Klägerin, Mitglied geworden. § 175 Abs. 4 Satz 1 und Satz 5 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) setzten aber voraus, dass nach Beginn der Mitgliedschaft der Beitragssatz der Krankenkasse erhöht werde, um das Mitglied von der Mindestkündigungsfrist zu befreien. Dies sei hier gerade nicht der Fall gewesen. Ein vorzeitiger Kassenwechsel sei auch im Hinblick auf die Motive des Gesetzgebers nur dann statthaft, wenn die Krankenkasse während einer bestehenden Mitgliedschaft ihren Beitragssatz erhöhe, nicht hingegen, wenn nach Erklärung des Beitritts zum Beginn der Mitgliedschaft ein erhöhter Beitragssatz maßgebend sei. Das Interesse der Versicherten an der Höhe des aktuellen Beitragssatzes ihrer Krankenkasse setze eine durch eine Beitragssatzerhöhung veränderte Mitgliedschaft der Versicherten voraus.

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass der Beigeladene zu 1) über den 30.04.2003 hinaus bis zum 30.06.2004 Mitglied der Klägerin gewesen ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, dass ein Sonderkündigungsrecht den Mitgliedern auch dann zustehe, wenn eine Beitragssatzerhöhung bereits zum Zeitpunkt des Beginns der Mitgliedschaft vorliege. Andernfalls verstieße es gegen den Gleichbehandlungs- grundsatz, sollte ihnen das Recht des Sonderkündigungsrechts nicht zuerkannt werden. Dieses sei nicht an Vorversicherungszeiten oder sonstige Bedingungen geknüpft, die in der persönlichen Sphäre einzelner Mitglieder liegen, sondern allein an die Tatsache, dass eine Krankenkasse den Beitragssatz erhöhe. Dies sei ausreichend, um allen zu diesem Zeitpunkt versicherten Mitgliedern die Möglichkeit des Kassenwechsels zu bieten.

Die Beigeladenen stellen keine Anträge.

Das Gericht hat die Verwaltungsakten der Beteiligten beigezogen und zusammen mit der Prozessakte zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung der Kammer gemacht.

Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf den Akteninhalt ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die erhobene Feststellungsklage ist nach § 55 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Insbesondere hat die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der Feststellung ihrer Rechtsbeziehungen zur Beklagten und zu den Beigeladenen zu 1) und 2). Bei Streitigkeiten über das Bestehen der Mitgliedschaft ist die Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGG die richtige Klageart, auch wenn das Feststellungsinteresse im vorliegenden Fall nicht nur in Bezug auf die Hauptbeteiligten (Klägerin und Beklagte) besteht, was jedoch nicht unbedingt Voraussetzung ist (vgl. Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 8. Auflage 2005, § 55 Rdnr. 7). Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, ob sie oder die Beklagte für die Durchführung der Krankenversicherung zuständig ist, weil ggf. Behandlungskosten aufgelaufen sind, auch wenn es sich wie hier um einen bereits abgelaufenen Zeitraum handelt (vgl. Meyer- Ladewig, a.a.O., § 55 Rdnr. 8).

Die Klage ist auch begründet, denn der Beigeladene zu 1) ist auch über den 30.04.2003 hinaus bis zum 30.06.2004 Mitglied der Klägerin gewesen. Ein Sonderkündigungsrecht stand dem Beigeladenen zu 1) nicht zu.

Der Beigeladene zu 1) hat nach der Kündigung seiner Mitgliedschaft bei der E. BKK und Erhalt der Kündigungsbestätigung vom 23.10.2002 das ihm gem. § 173 SGB V zustehende Wahlrecht ausgeübt und ist somit zum 01.01.2003 versicherungspflichtiges Mitglied der Klägerin geworden. Weil er sein Wahlrecht damit erstmals ab dem 01.01.2002 ausgeübt hat, war der Beigeladene zu 1) an diese Entscheidung jedoch grundsätzlich mindestens 18 Monate gebunden gewesen (§ 175 Abs. 4 Satz 1 SGB V). Eine Kündigung der Mitgliedschaft ist zum Ablauf des übernächsten Kalendermonats möglich, gerechnet von dem Monat, in dem das Mitglied die Kündigung erklärt. Die Krankenkasse hat dem Mitglied unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von zwei Wochen nach Eingang der Kündigung, eine Kündigungsbetätigung auszustellen. Die Kündigung wird wirksam, wenn das Mitglied innerhalb der Kündigungsfrist eine Mitgliedschaft bei einer anderen Krankenkasse durch eine Mitgliedsbescheinigung nachweist (§ 175 Abs. 4 Satz 1 bis 4 SGB V). § 175 Abs. 4 Satz 1 gilt nach § 175 Abs. 1 Satz 5 in der hier anzuwendenden, bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung des Art. 2 des Gesetzes vom 27.07.2001 nicht, wenn die Krankenkasse ihren Beitragssatz erhöht. Durch diese Regelung wird damit die 18-monatige Bindungsfrist aufgehoben, während die Modalitäten der Kündigung dieselben bleiben, wie bei der Kündigung unter Beachtung der Bindungsfrist. Die Regelung wurde zum 1.1.2002 zum Ausgleich zwischen der Wahlfreiheit des Mitgliedes nach § 173 SGB V mit dem Interesse der Träger an einer relativen Verlässlichkeit ihres Mitgliederbestandes und der Vermeidung verwaltungsauf- wändiger Kurzmitgliedschaften eingeführt (vgl. BT-Drucks 12/3608 Seite 113). Zeitlicher Anknüpfungspunkt für die Beitragssatzerhöhung kann jedoch nach der Überzeugung des Gerichts mangels anderweitiger Verknüpfungen nur der jeweilige Beginn der Mitgliedschaft sein, weil nur dieser genau definiert und tatsächlich feststellbar ist. Daher liegt bereits nach dem Wortlaut des Begriffs "Erhöhung" eine solche nicht vor, wenn die Mitgliedschaft erst mit dieser Erhöhung begonnen hat und entspricht nach der Auffassung der Kammer auch dem Gesetzeszweck im Hinblick auf die Vermeidung von –unwirtschaftlichen- Kurzmitgliedschaften (vgl. Peters in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 45. Auflage, Stand 1.12.2004, § 175 Rdnr. 35; SG Braunschweig Urteil vom 29.06.2004 Az: S 6 KR 122/04; a.A.: Schmidt, NJW 2004, 2628, 2630 m.w.N.). Sofern daher die Mitgliedschaft des Beigeladenen zu 1) zum 01.01.2003 mit dem Beitragssatz von 15,2 v.H. begonnen hat, lag eine Erhöhung i.S. des § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V nicht vor mit der Folge, dass dem Beigeladenen ein Sonderkündigungsrecht zum 30.04.2003 nicht zustand. Seine Mitgliedschaft hat vielmehr auch nach Kündigungserklärung vom 24.02.2003 noch bis zum Ablauf der Kündigungsfrist aufgrund der Regelung des § 175 Abs. 4 Satz 1 SGB V bis zum 30.06.2004 weiter bestanden. Nicht zu entscheiden war in diesem Zusammenhang die Frage, ob der Beigeladene zu 1) seine zum 01.01.2003 ausgeübte Wahlrechtsentscheidung noch hätte revidieren können, sofern ihm die Beitragssatzerhöhung der Klägerin zum 01.01.2003 rechtzeitig bekannt geworden wäre.

Der Klage war daher stattzugeben.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 197a Abs.1, 2 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Festsetzung des Streitwertes beruht mangels anderer Anhaltspunkte auf § 13 Abs. 1 Satz 2 Gerichtskostengesetz (GKG) in der hier noch anzuwendenden, bis zum 30.06.2004 geltenden Fassung (vgl. § 71 GKG n.F.).
Rechtskraft
Aus
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