Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 333/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 10/16
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird mit der Maßgabe abgewiesen, dass festgestellt wird, dass sich der Bescheid vom 26.06.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.07.2014 nicht gegen Frau L1 richtet, soweit Honorarrückforderungen für die Quartale 1/2009 bis 1/2010 betroffen sind. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Streitig sind sachlich-rechnerische Berichtigungen.
Die Klägerin ist eine Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) einer Fachärztin und eines Facharzt für Neurochirurgie mit Vertragsarztsitz in E. Vom 01.01.2009 bis zum 31.12.2009 bestand eine Gemeinschaftspraxis (BAG) zwischen Herrn T und Herrn F, im Quartal 1/2010 führte Herr T eine Einzelpraxis, seit 01.04.2010 besteht die BAG mit Frau L1.
Im Anschluss an ein Plausibilitätsgespräch hob die Beklagte mit Bescheid vom 26.06.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.07.2014 die der Klägerin für die Quartale 1/2009 bis 4/2012 erteilten Honorarbescheide teilweise in Höhe von insgesamt 376.061,43 EUR auf und forderte diesen Betrag zurück: Anhand der eingereichten OP-Berichte sei in einem mit den Ärzten der Klägerin am 13.02.2013 geführten Gespräch festgestellt worden, dass der Inhalt der jeweils abgerechneten Leistung nach Nr. 31131G EBM (sowie der Folgeziffern 31502G und 31615G EBM) nicht erfüllt worden sei, da bei keinem der Fälle eine offenchirurgische Operation erfolgt sei. Eine Abrechnung der beschriebenen Facettendenervation als ambulante Operation gemäß Kapitel 31.2 EBM sei gemäß den Ausführungen zu Kapitel 31.2.4 Nr. 3 EBM nur dann möglich, wenn dieser Eingriff offen-chirurgisch und nicht als minimalinvasives Verfahren erfolge.
Hiergegen richtet sich die am 15.08.2014 erhobene Klage.
Die Mitglieder der Klägerin tragen vor, sie hätten jeweils einzeitig (gleichzeitig) zwei unabhängig voneinander bestehende Operationen durchgeführt: Zum einen sei eine bildschirmgesteuerte Infiltrationstherapie des Spinalnervens mit einem Gemisch aus Lokalanästhetikum und Kortison vorgenommen worden, für welche die GOP 34505 EBM abgerechnet worden sei. Zum anderen sei eine operative Facettengelenksdenervation mittels Thermokoagulation erfolgt, für welche die GOP 31131 nebst den Folgeziffern 31502G und 31615G EBM zur Abrechnung gebracht worden sei. Hierzu beschreiben sie in einem Muster-OP-Bericht ihre Operation wie folgt:
OPERATION: Selektive Facettrhizotomie L4-S1 bds. (ICPM 5-830.2) Vorgeschichte: Da die konservative Therapie ohne Erfolg blieb erfolgt nach ausführlicher Aufklärung die OP. Operation:
Nach dementsprechender Bauchlagerung Darstellen des Segments L3/L4 rechts in anterior-posteriorer bzw. Schrägstellung des Bildwandlers. Hautinzision. Platzieren einer 22G-Nadel mit 5 mm aktiver Spitze dementsprechend, nachfolgend werden separat die zwei entsprechenden Rami dorsales durch Elektrostimulation bestimmt und anschließend 90 Sekunden lang mit einer Temperatur von 70°C elektrokoaguliert. Applikation von 4 ml Lokalanästhetikum und 10 mg Triam. Jetzt Darstellen des Segmentes L3/L4 links und Positionieren der Nadel, selektives Veröden von 2 Ästen des Nervus Ramus dorsales nach vorausgegangener Elektrostimulation. Applikation von 4 ml Lokalanästhetikum und 10 mg Triam. Anschließend bildwandlergesteuertes Darstellen des Segmentes L4/L5 rechts. Platzieren einer 22G- Nadel mit 5 mm aktiver Sp-itze dementsprechend, nachfolgend werden separat die zwei entsprechenden Rami dorsales durch Elektrostimulation bestimmt und anschließend 90 Sekunden lang mit einer Temperatur von 70°C elektrokoaguliert. Applikation von 4 ml Lokalanästhetikum und 10 mg Triam. Jetzt Darstellen des Segmentes L4/L5 links und Positionieren der Nadel, selektives Veröden von 2 Ästen des Nervus Ramus dorsales nach vorausgegangener Elektrostimulation. Applikation von 4 ml Lokalanästhetikum und 10 mg Triam. Anschließend bildwandlergesteuertes Darstellen des Segmentes L5/S 1 rechts. Platzieren einer 22G- Nadel mit 5 mm aktiver Spitze dementsprechend, (nachfolgend werden separat die drei entsprechenden Rami dorsales durch Elektrostimulation bestimmt und anschließend 90 Sekunden lang mit einer Temperatur von 70°C elektrokoaguliert. Applikation von 4 ml Lokalanästhetikum und 10 mg Triam. Jetzt Darstellen des Segmentes LS/S 1 links und Positionieren der Nadel, selektives Veröden von 2 Ästen des Nervus Ramus dorsales nach vorausgegangener Elektrostimulation. Applikation von 4 ml Lokalanästhetikum und 10 mg Triam. Wundverschluss in üblicher Technik und steriler Wundverband.
Soweit die Präambel 31.2.1 EBM eine "chirurgisch-instrumentelle Eröffnung der Haut und/oder Schleimhaut ( )" voraussetze, verlange dies nicht die Durchdringung der Hautbarriere mittels Skalpell. Vorliegend sei ein alternatives Schneidinstrument eingesetzt worden, indem das Skalpell durch solide Thermosonden (Radiofrequenzsonden) ersetzt worden sei, wobei die gezielte thermische Nekrose der Nervi recurrentes in der Tiefe noch die Größe der Hautinzision durch eben diese Thermosonde übersteige.
Die Klägerin beantragt,
den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid der Beklagten vom 26.06.2013 über die Streichung der GOP Nr. 31131G, 31502G und 31615G EBM in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 23.07.2014 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide.
Als minimalinvasive Verfahren seien die von der Klägerin erbrachten Facettendenervationen nicht nach OPS 5-830.2 zu verschlüsseln und nach GOP 31131 EBM abrechnungsfähig gewesen. Möglicherweise sei ein kleiner "Schnitt" bei der Behandlung vorgenommen worden. Anderenfalls hätten die Thermokoagulationssonden nicht eingeführt werden können. Diese Vorgehensweise entspreche lediglich einem minimal-invasiven Verfahren und nicht einer offen-chirurgischen Operation. Der vermeintliche "Schnitt" sei nicht bis zu der zu behandelnden Stelle erfolgt und habe somit auch nicht die Sicht auf diese Stelle freigelegt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da diese rechtmäßig sind.
Rechtsgrundlage der sachlich-rechnerischen Richtigstellung und Rückforderung ist § 106a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V). Danach stellt die Kassenärztliche Vereinigung (KV) die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte fest; dazu gehört auch die arztbezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität sowie die Prüfung der abgerechneten Sachkosten. Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen des Vertragsarztes zielt auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, d.h. im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen und satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts - mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebotes - erbracht und abgerechnet worden sind (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 02.04.2014 - B 6 KA 20/13 R - m.w.N.).
Die Befugnis zu Richtigstellungen besteht auch für bereits erlassene Honorarbescheide (nachgehende Richtigstellung). Sie bedeutet dann im Umfang der vorgenommenen Korrekturen eine teilweise Rücknahme des Honorarbescheides. Die genannten Bestimmungen stellen Sonderregelungen dar, die gemäß § 37 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB I) in ihrem Anwendungsbereich die Regelung des § 45 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) verdrängen. Eine nach den Bestimmungen zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung rechtmäßige (Teil-)Rücknahme des Honorarbescheides mit Wirkung für die Vergangenheit löst nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X eine entsprechende Rückzahlungsverpflichtung des Empfängers der Leistung aus (BSG, Urteil vom 28.08.2013 - B 6 KA 50/12 R -).
Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine nachträgliche sachlich-rechnerische Richtigstellung der Abrechnung der Klägerin sind vorliegend erfüllt. Ihre Ärzte haben für die von ihnen durchgeführten Facettendenervationen zu Unrecht die GOPen 31131G, 31502G und 31615G EBM zur Abrechnung gebracht.
Die GOP 31131 EBM honoriert den "Eingriff an Knochen und Gelenken der Kategorie D1". Obligater Leistungsinhalt ist ein chirurgischer Eingriff der Kategorie D1 entsprechend Anhang 2. Die GOP 31502G EBM vergütet die postoperative Überwachung im Anschluss an die Erbringung einer Leistung entsprechend u.a. der GOP 31131 (außer Biopsieleistungen der Kategorie C1) und die Nr. 31615 EBM die postoperative Behandlung nach der Erbringung einer Leistung entsprechend u.a. der GOP 31131 bei Erbringung durch den Operateur. Der Anhang 2 erfasst unter OPS-Code 5-830.2 die "Inzision von erkranktem Knochen- und Gelenkgewebe der Wirbelsäule: Facettendenervation", Kategorie D1, OP-Leistung nach Nr. 31131. Diese Leistung haben die Ärzte nicht er-bracht.
Für die Auslegung vertragsärztlicher Vergütungsbestimmungen ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG (zuletzt BSG, Urteil vom 11.02.2015 - B 6 KA 15/14 R - m.w.N.) in erster Linie der Wortlaut der Regelungen maßgeblich. Dies gründet sich zum einen darauf, dass das vertragliche Regelwerk dem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen von Ärzten und Krankenkassen dient und es vorrangig Aufgabe des Normgebers des EBM - also des Bewertungsausschusses gemäß § 87 Abs. 1 SGB V - ist, Unklarheiten zu beseitigen. Zum anderen folgt die primäre Bindung an den Wortlaut aus dem Gesamtkonzept des EBM als einer abschließenden Regelung, die keine Ergänzung oder Lückenfüllung durch Rückgriff auf andere Leistungsverzeichnisse oder Gebührenordnungen oder durch analoge Anwendung zulässt. Raum für eine systematische Interpretation im Sinne einer Gesamtschau der in innerem Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Leistungstatbestände ist nur dann, wenn der Wortlaut eines Leistungstatbestandes zweifelhaft ist und es einer Klarstellung bedarf. Eine entstehungsgeschichtliche Auslegung kommt bei unklaren oder mehrdeutigen Regelungen ebenfalls in Betracht, kann allerdings nur anhand von Dokumenten erfolgen, in denen die Urheber der Bestimmungen diese in der Zeit ihrer Entstehung selbst erläutert haben.
Für die Auslegung des Leistungsinhalts der GOP 31131 EBM ist insofern nicht allein die Bezeichnung der Leistung nach OPS maßgebend, sondern ebenfalls die Präambel zum Kapitel 31.2 des EBM. Nach der Präambel 31.2.4 Nr. 3 setzt die Berechnung der GOP 31131 für die Facettendenervation OPS-Code 5-830.2 die offen chirurgische Durchführung des Eingriffs gemäß Präambel 31.2.1 Nr. 1 voraus. Minimalinvasive Verfahren z.B. zur Schmerztherapie sind mit den GOPen des Abschnitts 34.5 berechnungsfähig. Um solche minimalinvasiven Verfahren handelt es sich vorliegend.
Dabei ist nicht wesentlich, dass die Präambel 31.2.1 Nr. 1 eine Abgrenzung dahin trifft, was als "ambulante Operation" bzw. als "operativer Eingriff" zu verstehen ist. Als ambulante Operationen gelten nach dieser Bestimmung ärztliche Leistungen mit chirurgisch-instrumenteller Eröffnung der Haut ( ) mindestens in Oberflächenanästhesie ( ). Punktionen mit Nadeln, Kanülen und Biopsienadeln sowie Kürettagen und Shave-Biopsien der Haut fallen nicht unter die Definition eines operativen Eingriffs. Insofern bedarf es keiner Entscheidung, ob die vorliegend praktizierte Vorgehensweise als ambulante Operation bzw. operativer Eingriff im Sinne dieser Präambel anzusehen ist. Nach Schilderung der Ärzte wird nach Hautinzision eine 22G-Nadel mit 5 mm aktiver Spitze platziert. Ob der Schnitt, der für die Sonde gesetzt wird, als chirurgisch-instrumentelle Eröffnung der Haut anzusehen ist und sich von Punktionen, Kürettagen und Shave-Biopsien der Haut abgrenzt, kann offen bleiben.
Denn darauf kommt es nicht näher an. Entscheidend ist allein die in der Präambel 31.2.4 Nr. 3 getroffene Abgrenzung zwischen einer offen chirurgischen Durchführung des Eingriffs, d.h. der Facettendenervation selbst, und minimalinvasiven Verfahren z.B. zur Schmerztherapie. Medizinisch kommen zur Auflösung bzw. Zerstörung von Nervengewebe (Neurolyse) vor allem zwei Verfahren zur Anwendung: Zum einen offen chirurgisch, d.h. Nervunterbrechung mit dem Skalpell (Chordotomie), zum anderen perkutan mittels einer durch die Haut eingeführten Kanüle oder Sonde mit zunehmendem Durchmesser bis zu 7 mm (sog. minimal invasives Verfahren), bei der entweder mit Kälte auf periphere Nerven eingewirkt wird (Kryoanalgesie, Kryodenervation) oder - wie hier - durch Erhitzung (Thermokoagulation). Weltweit sind heute die offenen chirurgischen Techniken durch minimalinvasive, perkutane Verfahren verdrängt worden, da sie bei gleicher oder gar besserer Effizienz mit geringeren Komplikationen und Folgeschäden verbunden sind.
Abrechnungsrechtlich sind jedoch nur die offen chirurgischen Facettendenervationen mit OPS 5-830.2 zu codieren und führen zur Abrechenbarkeit der GOP 31131 EBM. Die minimalinvasiven Behandlungsverfahren an der Wirbelsäule (zur Schmerztherapie) sind demgegenüber nach OPS 5-83a.0 (Facetten-Thermokoagulation oder Facetten-Kryodenervation) zu codieren. Diese Leistungen sind aber nicht Gegenstand des Anhangs 2 zum EBM und daher nicht als vertragsärztliche Leistungen gegenüber der KV abrechenbar.
Die von den Ärzten der Klägerin durchgeführten Facettendenervationen sind minimal-invasive Thermokoagulationen im Sinne des OPS-Codes 5-83a.0, wie sich aus ihrer Schilderung im Prüfgespräch und ihrem Muster-OP-Bericht eindeutig ergibt. Danach wird nach bildwandlergesteuerter Darstellung der Wirbelsäulensegmente die 22G-Nadel mit 5 mm aktiver Spitze platziert und es werden nachfolgend die entsprechenden Rami dorsales durch Elektrostimulation bestimmt und anschließend 90 sec. lang mit einer Temperatur von 70° C elek-trokoaguliert. Das ist kein offen-chirurgisches Verfahren. Die Beklagte war daher zur Berichtigung der GOPen 31131, 31502 und 31615 EBM befugt. Dies gilt für sämtliche in den streitigen Quartalen 1/2009 bis 4/2012 abgerechneten Leistungen.
Zwar wurden die Abrechnungen der Klägerin nur beispielhaft in Bezug auf 10 Patienten und auch nicht für alle streitbefangenen Quartalen geprüft. Insofern gibt es grundsätzlich keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass eine in bestimmten Fällen implausibel oder fehlerhaft abgerechnete Leistung damit automatisch auch in allen anderen Fällen implausibel oder fehlerhaft ist (LSG NRW, Urteil vom 22.06.2005 - L 11 KA 83/04 -). Die Ärzte der Klägerin haben jedoch in dem Plausibilitätsgespräch am 13.02.2013 erklärt, es gebe keine Abweichungen von den besprochenen Einzelfällen. Sie seien stets so vorgegangen, wie es erläutert worden sei. Da die Ärzte somit ein grundsätzliches Verständnis von der Abrechnungsfähigkeit der Facettendenervationen deutlich machen, durfte die Beklagte davon ausgehen, dass die aus ihrer Sicht bestehenden Abrechnungsfehler auch in sämtlichen anderen Quartalen und bei allen behandelten Patienten vorhanden waren, und durfte deshalb rechtsfehlerfrei das aus der Besprechung von 38 Fällen gewonnene Ergebnis auf alle Behandlungsfälle und Quartale übertragen (vgl. LSG NRW, Urteil vom 11.03.2009 - L 11 (10) KA 3/07 -; Beschluss vom 17.02.2015 - L 11 KA 82/14 B -).
Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 26.06.2013 wahrt auch die einzuhaltenden Fristen. Eine nachträgliche sachlich-rechnerische Berichtigung scheidet aus, wenn eine Frist von vier Jahren seit Erlass des betroffenen Honorarbescheides abgelaufen ist (BSG, Urteil vom 12.12.2001 - B 6 KA 3/01 R -). Abrechnungsbescheide für das erste Quartal eines Jahres ergehen um den 25. Juli dieses Jahres. Der am 25.06.2013 erteilte Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid liegt somit auch hinsichtlich des Quartals 1/2009 noch sicher innerhalb der Vier-Jahres-Frist.
Die Rechtmäßigkeit sachlich-rechnerischer Berichtigungen setzt grundsätzlich kein Verschulden des Vertragsarztes voraus. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Kassenärztliche Vereinigung den gesamten Honorarbescheid für ein Quartal allein wegen der Unrichtigkeit der Abrechungssammelerklärung aufhebt (BSG, Urteil vom 22.03.2006 - B 6 KA 76/04 R -). Das ist hier nicht geschehen. Die Beklagte hat lediglich die von der Klägerin abgerechneten Leistungen nach der GOP 31131 EBM nebst Folgeleistungen sachlich-rechnerisch berichtigt, die Abrechnungsbescheide für die Quartale 1/2009 bis 4/2012 im Übrigen aber nicht angetastet.
Gleichwohl sieht die Kammer Veranlassung, darauf hinzuweisen, dass sie den von der Beklagten gegenüber den Ärzten der Klägerin erhobenen Verschuldensvorwurf in keiner Weise teilt. Der Widerspruchsbescheid führt aus, bei dem sachlich fehlerhaften Ansatz der GOPen (31131, 31502, 31615 EBM) habe es sich nicht um ein lediglich leichtes Versehen gehandelt, sondern zumindest um die Unkenntnis von Umständen, die die Ärzte in Folge der Außerachtlassung der herrschenden Sorgfaltspflichten in einem ungewöhnlichen Maße nicht gekannt hätten. Dieser Vorwurf ist weit überzogen und entbehrt jeglicher Grundlage.
Die Beklagte selbst hat bei der KBV angefragt, ob es auch unter Berücksichtigung der neuerlichen Ausführungen (einiger ihrer Mitglieder zum Operationsstatus und Aufwand der minimalinvasiven Facettendenervationen sowie zur Abgrenzung zu Facetteninfiltrationen) bei der bisherigen Auffassung der KBV verbleibe, dass alle minimalinvasiven Facettendenervationen über Kapitel 34 EBM abzurechnen seien und nicht zur Abrechnung von Operationsziffern berechtigten. Darüber hinaus bitte sie um Mitteilung, ob es bestimmte Kriterien gebe, welche eine klare Abgrenzung der minimalinvasiven zu den offen chirurgischen Eingriffen ermöglichten. Auch der Gutachter L, der in Parallelverfahren gehört worden war (vgl. das Urteil der erkennenden Kammer vom 08.07.2015 - S 2 KA 432/13 -), sieht die Codierung der OPS 5-830.2 als missverständlich an, weil im EBM vom 01.01.2008 versäumt worden sei, in die Legende der OPS 5-830.2 den klarstellenden Zusatz "offene" Facettendenervation aufzunehmen. Dieser Zusatz wäre nach seiner Ansicht jedoch zur Vermeidung von Missverständnissen zwingend erforderlich gewesen. Wenn schon die Beklagte selbst keine gänzliche Klarheit bei der Auslegung der Gebührentatbestände hat und die KBV um Rechtsrat bittet und der von ihr teilweise eingeschaltete Gutachter, selbst Facharzt für Neurochirurgie, Missverständnisse bei der Codierung aufzeigt, ist der Schuldvorwurf in der ausgesprochenen Schärfe unbegründet.
Die Kammer hat abschließend Veranlassung gesehen, im Tenor dieses Urteils klarzustellen, dass sich die Honorarrückforderung nicht gegen Frau L1 richtet, soweit die Quartale 1/2009 bis 1/2010 betroffen sind. In diesen Quartalen war Frau L1 noch nicht Mitglied der BAG und hat für diese keine der streitbefangenen Leistungen erbracht und abgerechnet. Bei verständiger Auslegung der angefochtenen Entscheidung der Beklagten soll diese Ärztin auch nicht mit Rückforderungen belastet werden (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2010 - B 6 KA 20/09 R - RdNr. 23).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung.
Tatbestand:
Streitig sind sachlich-rechnerische Berichtigungen.
Die Klägerin ist eine Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) einer Fachärztin und eines Facharzt für Neurochirurgie mit Vertragsarztsitz in E. Vom 01.01.2009 bis zum 31.12.2009 bestand eine Gemeinschaftspraxis (BAG) zwischen Herrn T und Herrn F, im Quartal 1/2010 führte Herr T eine Einzelpraxis, seit 01.04.2010 besteht die BAG mit Frau L1.
Im Anschluss an ein Plausibilitätsgespräch hob die Beklagte mit Bescheid vom 26.06.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.07.2014 die der Klägerin für die Quartale 1/2009 bis 4/2012 erteilten Honorarbescheide teilweise in Höhe von insgesamt 376.061,43 EUR auf und forderte diesen Betrag zurück: Anhand der eingereichten OP-Berichte sei in einem mit den Ärzten der Klägerin am 13.02.2013 geführten Gespräch festgestellt worden, dass der Inhalt der jeweils abgerechneten Leistung nach Nr. 31131G EBM (sowie der Folgeziffern 31502G und 31615G EBM) nicht erfüllt worden sei, da bei keinem der Fälle eine offenchirurgische Operation erfolgt sei. Eine Abrechnung der beschriebenen Facettendenervation als ambulante Operation gemäß Kapitel 31.2 EBM sei gemäß den Ausführungen zu Kapitel 31.2.4 Nr. 3 EBM nur dann möglich, wenn dieser Eingriff offen-chirurgisch und nicht als minimalinvasives Verfahren erfolge.
Hiergegen richtet sich die am 15.08.2014 erhobene Klage.
Die Mitglieder der Klägerin tragen vor, sie hätten jeweils einzeitig (gleichzeitig) zwei unabhängig voneinander bestehende Operationen durchgeführt: Zum einen sei eine bildschirmgesteuerte Infiltrationstherapie des Spinalnervens mit einem Gemisch aus Lokalanästhetikum und Kortison vorgenommen worden, für welche die GOP 34505 EBM abgerechnet worden sei. Zum anderen sei eine operative Facettengelenksdenervation mittels Thermokoagulation erfolgt, für welche die GOP 31131 nebst den Folgeziffern 31502G und 31615G EBM zur Abrechnung gebracht worden sei. Hierzu beschreiben sie in einem Muster-OP-Bericht ihre Operation wie folgt:
OPERATION: Selektive Facettrhizotomie L4-S1 bds. (ICPM 5-830.2) Vorgeschichte: Da die konservative Therapie ohne Erfolg blieb erfolgt nach ausführlicher Aufklärung die OP. Operation:
Nach dementsprechender Bauchlagerung Darstellen des Segments L3/L4 rechts in anterior-posteriorer bzw. Schrägstellung des Bildwandlers. Hautinzision. Platzieren einer 22G-Nadel mit 5 mm aktiver Spitze dementsprechend, nachfolgend werden separat die zwei entsprechenden Rami dorsales durch Elektrostimulation bestimmt und anschließend 90 Sekunden lang mit einer Temperatur von 70°C elektrokoaguliert. Applikation von 4 ml Lokalanästhetikum und 10 mg Triam. Jetzt Darstellen des Segmentes L3/L4 links und Positionieren der Nadel, selektives Veröden von 2 Ästen des Nervus Ramus dorsales nach vorausgegangener Elektrostimulation. Applikation von 4 ml Lokalanästhetikum und 10 mg Triam. Anschließend bildwandlergesteuertes Darstellen des Segmentes L4/L5 rechts. Platzieren einer 22G- Nadel mit 5 mm aktiver Sp-itze dementsprechend, nachfolgend werden separat die zwei entsprechenden Rami dorsales durch Elektrostimulation bestimmt und anschließend 90 Sekunden lang mit einer Temperatur von 70°C elektrokoaguliert. Applikation von 4 ml Lokalanästhetikum und 10 mg Triam. Jetzt Darstellen des Segmentes L4/L5 links und Positionieren der Nadel, selektives Veröden von 2 Ästen des Nervus Ramus dorsales nach vorausgegangener Elektrostimulation. Applikation von 4 ml Lokalanästhetikum und 10 mg Triam. Anschließend bildwandlergesteuertes Darstellen des Segmentes L5/S 1 rechts. Platzieren einer 22G- Nadel mit 5 mm aktiver Spitze dementsprechend, (nachfolgend werden separat die drei entsprechenden Rami dorsales durch Elektrostimulation bestimmt und anschließend 90 Sekunden lang mit einer Temperatur von 70°C elektrokoaguliert. Applikation von 4 ml Lokalanästhetikum und 10 mg Triam. Jetzt Darstellen des Segmentes LS/S 1 links und Positionieren der Nadel, selektives Veröden von 2 Ästen des Nervus Ramus dorsales nach vorausgegangener Elektrostimulation. Applikation von 4 ml Lokalanästhetikum und 10 mg Triam. Wundverschluss in üblicher Technik und steriler Wundverband.
Soweit die Präambel 31.2.1 EBM eine "chirurgisch-instrumentelle Eröffnung der Haut und/oder Schleimhaut ( )" voraussetze, verlange dies nicht die Durchdringung der Hautbarriere mittels Skalpell. Vorliegend sei ein alternatives Schneidinstrument eingesetzt worden, indem das Skalpell durch solide Thermosonden (Radiofrequenzsonden) ersetzt worden sei, wobei die gezielte thermische Nekrose der Nervi recurrentes in der Tiefe noch die Größe der Hautinzision durch eben diese Thermosonde übersteige.
Die Klägerin beantragt,
den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid der Beklagten vom 26.06.2013 über die Streichung der GOP Nr. 31131G, 31502G und 31615G EBM in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 23.07.2014 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide.
Als minimalinvasive Verfahren seien die von der Klägerin erbrachten Facettendenervationen nicht nach OPS 5-830.2 zu verschlüsseln und nach GOP 31131 EBM abrechnungsfähig gewesen. Möglicherweise sei ein kleiner "Schnitt" bei der Behandlung vorgenommen worden. Anderenfalls hätten die Thermokoagulationssonden nicht eingeführt werden können. Diese Vorgehensweise entspreche lediglich einem minimal-invasiven Verfahren und nicht einer offen-chirurgischen Operation. Der vermeintliche "Schnitt" sei nicht bis zu der zu behandelnden Stelle erfolgt und habe somit auch nicht die Sicht auf diese Stelle freigelegt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da diese rechtmäßig sind.
Rechtsgrundlage der sachlich-rechnerischen Richtigstellung und Rückforderung ist § 106a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V). Danach stellt die Kassenärztliche Vereinigung (KV) die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte fest; dazu gehört auch die arztbezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität sowie die Prüfung der abgerechneten Sachkosten. Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen des Vertragsarztes zielt auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, d.h. im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen und satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts - mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebotes - erbracht und abgerechnet worden sind (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 02.04.2014 - B 6 KA 20/13 R - m.w.N.).
Die Befugnis zu Richtigstellungen besteht auch für bereits erlassene Honorarbescheide (nachgehende Richtigstellung). Sie bedeutet dann im Umfang der vorgenommenen Korrekturen eine teilweise Rücknahme des Honorarbescheides. Die genannten Bestimmungen stellen Sonderregelungen dar, die gemäß § 37 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB I) in ihrem Anwendungsbereich die Regelung des § 45 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) verdrängen. Eine nach den Bestimmungen zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung rechtmäßige (Teil-)Rücknahme des Honorarbescheides mit Wirkung für die Vergangenheit löst nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X eine entsprechende Rückzahlungsverpflichtung des Empfängers der Leistung aus (BSG, Urteil vom 28.08.2013 - B 6 KA 50/12 R -).
Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine nachträgliche sachlich-rechnerische Richtigstellung der Abrechnung der Klägerin sind vorliegend erfüllt. Ihre Ärzte haben für die von ihnen durchgeführten Facettendenervationen zu Unrecht die GOPen 31131G, 31502G und 31615G EBM zur Abrechnung gebracht.
Die GOP 31131 EBM honoriert den "Eingriff an Knochen und Gelenken der Kategorie D1". Obligater Leistungsinhalt ist ein chirurgischer Eingriff der Kategorie D1 entsprechend Anhang 2. Die GOP 31502G EBM vergütet die postoperative Überwachung im Anschluss an die Erbringung einer Leistung entsprechend u.a. der GOP 31131 (außer Biopsieleistungen der Kategorie C1) und die Nr. 31615 EBM die postoperative Behandlung nach der Erbringung einer Leistung entsprechend u.a. der GOP 31131 bei Erbringung durch den Operateur. Der Anhang 2 erfasst unter OPS-Code 5-830.2 die "Inzision von erkranktem Knochen- und Gelenkgewebe der Wirbelsäule: Facettendenervation", Kategorie D1, OP-Leistung nach Nr. 31131. Diese Leistung haben die Ärzte nicht er-bracht.
Für die Auslegung vertragsärztlicher Vergütungsbestimmungen ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG (zuletzt BSG, Urteil vom 11.02.2015 - B 6 KA 15/14 R - m.w.N.) in erster Linie der Wortlaut der Regelungen maßgeblich. Dies gründet sich zum einen darauf, dass das vertragliche Regelwerk dem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen von Ärzten und Krankenkassen dient und es vorrangig Aufgabe des Normgebers des EBM - also des Bewertungsausschusses gemäß § 87 Abs. 1 SGB V - ist, Unklarheiten zu beseitigen. Zum anderen folgt die primäre Bindung an den Wortlaut aus dem Gesamtkonzept des EBM als einer abschließenden Regelung, die keine Ergänzung oder Lückenfüllung durch Rückgriff auf andere Leistungsverzeichnisse oder Gebührenordnungen oder durch analoge Anwendung zulässt. Raum für eine systematische Interpretation im Sinne einer Gesamtschau der in innerem Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Leistungstatbestände ist nur dann, wenn der Wortlaut eines Leistungstatbestandes zweifelhaft ist und es einer Klarstellung bedarf. Eine entstehungsgeschichtliche Auslegung kommt bei unklaren oder mehrdeutigen Regelungen ebenfalls in Betracht, kann allerdings nur anhand von Dokumenten erfolgen, in denen die Urheber der Bestimmungen diese in der Zeit ihrer Entstehung selbst erläutert haben.
Für die Auslegung des Leistungsinhalts der GOP 31131 EBM ist insofern nicht allein die Bezeichnung der Leistung nach OPS maßgebend, sondern ebenfalls die Präambel zum Kapitel 31.2 des EBM. Nach der Präambel 31.2.4 Nr. 3 setzt die Berechnung der GOP 31131 für die Facettendenervation OPS-Code 5-830.2 die offen chirurgische Durchführung des Eingriffs gemäß Präambel 31.2.1 Nr. 1 voraus. Minimalinvasive Verfahren z.B. zur Schmerztherapie sind mit den GOPen des Abschnitts 34.5 berechnungsfähig. Um solche minimalinvasiven Verfahren handelt es sich vorliegend.
Dabei ist nicht wesentlich, dass die Präambel 31.2.1 Nr. 1 eine Abgrenzung dahin trifft, was als "ambulante Operation" bzw. als "operativer Eingriff" zu verstehen ist. Als ambulante Operationen gelten nach dieser Bestimmung ärztliche Leistungen mit chirurgisch-instrumenteller Eröffnung der Haut ( ) mindestens in Oberflächenanästhesie ( ). Punktionen mit Nadeln, Kanülen und Biopsienadeln sowie Kürettagen und Shave-Biopsien der Haut fallen nicht unter die Definition eines operativen Eingriffs. Insofern bedarf es keiner Entscheidung, ob die vorliegend praktizierte Vorgehensweise als ambulante Operation bzw. operativer Eingriff im Sinne dieser Präambel anzusehen ist. Nach Schilderung der Ärzte wird nach Hautinzision eine 22G-Nadel mit 5 mm aktiver Spitze platziert. Ob der Schnitt, der für die Sonde gesetzt wird, als chirurgisch-instrumentelle Eröffnung der Haut anzusehen ist und sich von Punktionen, Kürettagen und Shave-Biopsien der Haut abgrenzt, kann offen bleiben.
Denn darauf kommt es nicht näher an. Entscheidend ist allein die in der Präambel 31.2.4 Nr. 3 getroffene Abgrenzung zwischen einer offen chirurgischen Durchführung des Eingriffs, d.h. der Facettendenervation selbst, und minimalinvasiven Verfahren z.B. zur Schmerztherapie. Medizinisch kommen zur Auflösung bzw. Zerstörung von Nervengewebe (Neurolyse) vor allem zwei Verfahren zur Anwendung: Zum einen offen chirurgisch, d.h. Nervunterbrechung mit dem Skalpell (Chordotomie), zum anderen perkutan mittels einer durch die Haut eingeführten Kanüle oder Sonde mit zunehmendem Durchmesser bis zu 7 mm (sog. minimal invasives Verfahren), bei der entweder mit Kälte auf periphere Nerven eingewirkt wird (Kryoanalgesie, Kryodenervation) oder - wie hier - durch Erhitzung (Thermokoagulation). Weltweit sind heute die offenen chirurgischen Techniken durch minimalinvasive, perkutane Verfahren verdrängt worden, da sie bei gleicher oder gar besserer Effizienz mit geringeren Komplikationen und Folgeschäden verbunden sind.
Abrechnungsrechtlich sind jedoch nur die offen chirurgischen Facettendenervationen mit OPS 5-830.2 zu codieren und führen zur Abrechenbarkeit der GOP 31131 EBM. Die minimalinvasiven Behandlungsverfahren an der Wirbelsäule (zur Schmerztherapie) sind demgegenüber nach OPS 5-83a.0 (Facetten-Thermokoagulation oder Facetten-Kryodenervation) zu codieren. Diese Leistungen sind aber nicht Gegenstand des Anhangs 2 zum EBM und daher nicht als vertragsärztliche Leistungen gegenüber der KV abrechenbar.
Die von den Ärzten der Klägerin durchgeführten Facettendenervationen sind minimal-invasive Thermokoagulationen im Sinne des OPS-Codes 5-83a.0, wie sich aus ihrer Schilderung im Prüfgespräch und ihrem Muster-OP-Bericht eindeutig ergibt. Danach wird nach bildwandlergesteuerter Darstellung der Wirbelsäulensegmente die 22G-Nadel mit 5 mm aktiver Spitze platziert und es werden nachfolgend die entsprechenden Rami dorsales durch Elektrostimulation bestimmt und anschließend 90 sec. lang mit einer Temperatur von 70° C elek-trokoaguliert. Das ist kein offen-chirurgisches Verfahren. Die Beklagte war daher zur Berichtigung der GOPen 31131, 31502 und 31615 EBM befugt. Dies gilt für sämtliche in den streitigen Quartalen 1/2009 bis 4/2012 abgerechneten Leistungen.
Zwar wurden die Abrechnungen der Klägerin nur beispielhaft in Bezug auf 10 Patienten und auch nicht für alle streitbefangenen Quartalen geprüft. Insofern gibt es grundsätzlich keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass eine in bestimmten Fällen implausibel oder fehlerhaft abgerechnete Leistung damit automatisch auch in allen anderen Fällen implausibel oder fehlerhaft ist (LSG NRW, Urteil vom 22.06.2005 - L 11 KA 83/04 -). Die Ärzte der Klägerin haben jedoch in dem Plausibilitätsgespräch am 13.02.2013 erklärt, es gebe keine Abweichungen von den besprochenen Einzelfällen. Sie seien stets so vorgegangen, wie es erläutert worden sei. Da die Ärzte somit ein grundsätzliches Verständnis von der Abrechnungsfähigkeit der Facettendenervationen deutlich machen, durfte die Beklagte davon ausgehen, dass die aus ihrer Sicht bestehenden Abrechnungsfehler auch in sämtlichen anderen Quartalen und bei allen behandelten Patienten vorhanden waren, und durfte deshalb rechtsfehlerfrei das aus der Besprechung von 38 Fällen gewonnene Ergebnis auf alle Behandlungsfälle und Quartale übertragen (vgl. LSG NRW, Urteil vom 11.03.2009 - L 11 (10) KA 3/07 -; Beschluss vom 17.02.2015 - L 11 KA 82/14 B -).
Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 26.06.2013 wahrt auch die einzuhaltenden Fristen. Eine nachträgliche sachlich-rechnerische Berichtigung scheidet aus, wenn eine Frist von vier Jahren seit Erlass des betroffenen Honorarbescheides abgelaufen ist (BSG, Urteil vom 12.12.2001 - B 6 KA 3/01 R -). Abrechnungsbescheide für das erste Quartal eines Jahres ergehen um den 25. Juli dieses Jahres. Der am 25.06.2013 erteilte Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid liegt somit auch hinsichtlich des Quartals 1/2009 noch sicher innerhalb der Vier-Jahres-Frist.
Die Rechtmäßigkeit sachlich-rechnerischer Berichtigungen setzt grundsätzlich kein Verschulden des Vertragsarztes voraus. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Kassenärztliche Vereinigung den gesamten Honorarbescheid für ein Quartal allein wegen der Unrichtigkeit der Abrechungssammelerklärung aufhebt (BSG, Urteil vom 22.03.2006 - B 6 KA 76/04 R -). Das ist hier nicht geschehen. Die Beklagte hat lediglich die von der Klägerin abgerechneten Leistungen nach der GOP 31131 EBM nebst Folgeleistungen sachlich-rechnerisch berichtigt, die Abrechnungsbescheide für die Quartale 1/2009 bis 4/2012 im Übrigen aber nicht angetastet.
Gleichwohl sieht die Kammer Veranlassung, darauf hinzuweisen, dass sie den von der Beklagten gegenüber den Ärzten der Klägerin erhobenen Verschuldensvorwurf in keiner Weise teilt. Der Widerspruchsbescheid führt aus, bei dem sachlich fehlerhaften Ansatz der GOPen (31131, 31502, 31615 EBM) habe es sich nicht um ein lediglich leichtes Versehen gehandelt, sondern zumindest um die Unkenntnis von Umständen, die die Ärzte in Folge der Außerachtlassung der herrschenden Sorgfaltspflichten in einem ungewöhnlichen Maße nicht gekannt hätten. Dieser Vorwurf ist weit überzogen und entbehrt jeglicher Grundlage.
Die Beklagte selbst hat bei der KBV angefragt, ob es auch unter Berücksichtigung der neuerlichen Ausführungen (einiger ihrer Mitglieder zum Operationsstatus und Aufwand der minimalinvasiven Facettendenervationen sowie zur Abgrenzung zu Facetteninfiltrationen) bei der bisherigen Auffassung der KBV verbleibe, dass alle minimalinvasiven Facettendenervationen über Kapitel 34 EBM abzurechnen seien und nicht zur Abrechnung von Operationsziffern berechtigten. Darüber hinaus bitte sie um Mitteilung, ob es bestimmte Kriterien gebe, welche eine klare Abgrenzung der minimalinvasiven zu den offen chirurgischen Eingriffen ermöglichten. Auch der Gutachter L, der in Parallelverfahren gehört worden war (vgl. das Urteil der erkennenden Kammer vom 08.07.2015 - S 2 KA 432/13 -), sieht die Codierung der OPS 5-830.2 als missverständlich an, weil im EBM vom 01.01.2008 versäumt worden sei, in die Legende der OPS 5-830.2 den klarstellenden Zusatz "offene" Facettendenervation aufzunehmen. Dieser Zusatz wäre nach seiner Ansicht jedoch zur Vermeidung von Missverständnissen zwingend erforderlich gewesen. Wenn schon die Beklagte selbst keine gänzliche Klarheit bei der Auslegung der Gebührentatbestände hat und die KBV um Rechtsrat bittet und der von ihr teilweise eingeschaltete Gutachter, selbst Facharzt für Neurochirurgie, Missverständnisse bei der Codierung aufzeigt, ist der Schuldvorwurf in der ausgesprochenen Schärfe unbegründet.
Die Kammer hat abschließend Veranlassung gesehen, im Tenor dieses Urteils klarzustellen, dass sich die Honorarrückforderung nicht gegen Frau L1 richtet, soweit die Quartale 1/2009 bis 1/2010 betroffen sind. In diesen Quartalen war Frau L1 noch nicht Mitglied der BAG und hat für diese keine der streitbefangenen Leistungen erbracht und abgerechnet. Bei verständiger Auslegung der angefochtenen Entscheidung der Beklagten soll diese Ärztin auch nicht mit Rückforderungen belastet werden (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2010 - B 6 KA 20/09 R - RdNr. 23).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung.
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