S 35 AS 257/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
35
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 35 AS 257/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Bescheide vom 26.09.2013 und 22.01.2015 werden aufgehoben. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten in einem Verfahren nach dem zweiten Buch Sozialgesetzbuch – SGB II – um Ersatzansprüche der Beklagten.

Der Kläger ist 1977 geboren. Er leidet an einem Asperger-Syndrom. Im Jahre 2010 verkaufte der Kläger eine Eigentumswohnung zum Preis von 136.000,- EUR. Unter dem 05.04.2012 stellte er einen Erstantrag auf Leistungen nach dem SGB II und gab an nur noch über einen Restbetrag in Höhe von 4.000,- EUR zu verfügen. Weiter gab der Kläger an, er habe von den 136.000,- EUR, 40.000,- EUR für die Einrichtung seiner Mietwohnung verbraucht. Den Rest des Geldes habe er im Laufe der Zeit ausgegeben.

Mit Bescheid vom 26.09.2013 stellte die Beklagte eine Ersatzpflicht des Klägers nach § 34 SGB II mit der Begründung fest, der Kläger habe seine Bedürftigkeit grob fahrlässig herbeigeführt, indem er das ihm zur Verfügung stehende Geld in übermäßiger Weise vermindert habe.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein und führte aus, er sei gesundheitlich nicht in der Lage mit Geld umzugehen.

Mit Bescheid vom 22.01.2015 wies die Beklagte den Widerspruch als sachlich unbegründet zurück. Sie führte aus, der Kläger habe, selbst wenn man die 40.000,- EUR für die Wohnungseinrichtung abziehe, monatlich für seinen Lebensunterhalt durchschnittlich 3.550,- EUR verbraucht. Es sei abzusehen gewesen, dass bei diesem hohen Verbrauch auf kurz oder lang Bedürftigkeit eintreten würde. Der Kläger sei nicht berechtigt gewesen, einen so hohen Lebensstandard zu pflegen. Er habe deswegen vorsätzlich oder mindestens grob fahrlässig seine Bedürftigkeit herbeigeführt, was die Ersatzpflicht nach § 34 SGB II zur Folge habe.

Hiergegen richtet sich die am 26.01.2105 bei Gericht eingegangene Klage.

Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,

unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 26.09.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.01.2015 wird festgestellt, dass die Feststellung der Ersatzpflicht des Klägers rechtswidrig ist.

Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerechte erhobene und daher zulässige Klage ist begründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetzes (SGG), denn die Bescheide erweisen sich als rechtswidrig.

Das Gericht kann vorliegend durch Gerichtsbescheid (§ 105 SGG) entscheiden, denn der Sachverhalt ist aufgeklärt und die der Entscheidung zu Grunde liegenden Rechtsfragen sind einfacher Natur.

Die form- und fristgerechte und daher zulässige Klage ist begründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetzes (SGG), denn die Bescheide erweisen sich als rechtswidrig.

Nach § 34 Abs. 1 SGB II ist zum Ersatz der verpflichtet, wer die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach SGB II ohne wichtigen Grund vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeiführt. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen in der Person des Klägers erkennbar nicht vor.

Es kann zunächst einmal dahin stehen, ob der angefochtene Bescheid nicht schon deshalb rechtswidrig ist, weil es sich lediglich um einen Feststellungsbescheid handelt, indem ein konkreter Ersatzanspruch nicht geltend gemacht wird. Darüber hinaus kann auch dahin stehen, ob die in der vorgenannten Vorschrift aufgeführte Vorsätzlichkeit oder grobe Fahrlässigkeit beim Kläger schon deswegen nicht vorliegt, weil dieser an einem Asperger-Syndrom leidet und deswegen gar nicht schuldhaft handeln konnte. Denn das dem Kläger von der Beklagten vorgeworfene Verhalten eines "luxuriösen Lebensstils" erfüllt die Voraussetzungen des § 34 SGB II in keiner denkbaren Konstellation. § 34 SGB II ist ein deliktähnlicher Ausnahmetatbestand für Sachverhalte, in denen ein innerer Zusammenhang zwischen der Herbeiführung der Bedürftigkeit und der Zahlung von Leistungen an den Kläger steht. Die Vorschrift ist verfassungsgemäß unter Berücksichtigung der Tatsache auszulegen, dass auf existenzsichernde und bedarfsabhängige Leistungen ein Rechtsanspruch besteht, welcher regelmäßig unabhängig von der Ursache der entstandenen Notlage und einem vorwerfbaren Verhalten in der Vergangenheit besteht (vgl. Bundesverfassungsgericht Beschluss v. 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 -. Landessozialgericht Berlin/Brandenburg, Urteil v. 04.03.2014, Az. L 29 AS 814/11 mit weiteren Nachweisen). Daneben ist die Vorschrift auch unter Berücksichtigung des Artikel 2 Grundgesetz auszulegen, wonach die allgemeine Handlungsfreiheit nur durch ein entsprechendes Gesetz eingeschränkt werden darf.

Insoweit ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Kläger in dem Zeitraum, indem er den von der Beklagten aufgeführten "luxuriösen Lebensstil" gepflegt haben soll, nicht bedürftig war und deswegen grundsätzlich berechtigt war, mit seinem Vermögen nach eigenem Gutdünken umzugehen. Die Vorschrift des § 34 Abs. 2 SGB II verpflichtet jedenfalls – nach hier vertretener Auffassung – nichtbedürftige Bürger nicht dazu, ihr Vermögen in einer Weise aufzuteilen, dass der Bezug von Sozialleistungen möglichst weit hinausgeschoben wird. Derartiges würde dazu führen, dass die Vorschriften des SGB II nicht nur für Bedürftige, sondern auch für weite Teile der Bevölkerung gelten würden, die gar nicht unter die Vorschriften des SGB II fallen und nicht bedürftig sind. Eine dergestalt weite Auslegung des SGB II ist jedenfalls mit Artikel 2 Grundgesetz nicht vereinbar.

Außerdem würde, selbst wenn man unterstellen würde, dass die Ausgabe von monatlich 3.550,- EUR einem "luxuriösen Lebensstil" entsprechen würde, allein dies den inneren Zusammenhang zwischen Gewährung von Sozialleistungen und Tatbestand der mindestens grobfahrlässig herbeigeführten Bedürftigkeit nicht erfüllen. Es fehlt nämlich an dem inneren Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Kläger und der Herbeiführung von Bedürftigkeit. Insoweit wäre erforderlich, dass der Kläger das Geld deswegen ausgegeben hat, um Bedürftigkeit zu erzielen. Hierfür besteht jedoch kein Anhalt.

Die Kostenentscheidung erfolgt aus §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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