Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
17
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 17 SO 242/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 521/16
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 07.08.2013 und unter Abänderung des Bescheides vom 08.08.2013 beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2013 verurteilt, der Klägerin höhere Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwendiger Ernährung in Höhe von 10 % des Eckregelsatzes für die Zeit von September 2013 bis Januar 2016 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2/3.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten höhere Regelleistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfes wegen kostenaufwändiger Ernährung.
Die im Jahr 1948 geborene Klägerin beantragte wegen Vollendung des 65. Lebensjahres bei der Beklagten im Juni 2013 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XII). Gleichzeitig stellte sie einen Antrag auf die Gewährung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs, da sie zuvor vom Jobcenter einen Mehrbedarf in Höhe von 20% des Eckregelsatzes erhalten hatte. Zur Begründung führte sie aus, dass sie an einer Laktoseintoleranz und einer Glutenunverträglichkeit (Zöliakie) leide. Nach Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 07.08.2013 mit der Begründung ab, dass die Laktoseintoleranz keine besonderen Ernährung bedinge, die mit Mehrkosten verbunden sei. Die Zöliakie sei bei der Klägerin bisher nicht diagnostiziert. Mit Bescheid vom 08.08.2013 bewilligte die Beklagte der Klägerin Leistungen nach dem SGB XII ohne die Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für den Zeitraum von September 2013 bis Mai 2014.
Die Klägerin legte gegen beide Bescheide Widerspruch ein. Die Beklagte wies die Widersprüche nach Einholung einer weiteren ärztlichen Stellungnahme mit Widerspruchsbescheid vom 17.12.2013 zurück. Ausweislich einer Stellungnahme des Gesundheitsamtes zu den vorgelegten ärztlichen Unterlagen könne nicht von einer gesicherten Diagnose der Zöliakie ausgegangen werden. Die Klägerin leide zwar an einer Laktoseintoleranz, diese verursache jedoch keine Mehrkosten. Für die laktosefreien Milchprodukte lasse sich zwar häufig nicht ohne weiteres ein (preiswerter) Ersatz finden. Den Betroffenen könne ohne weiteres zugemutet werden, auf gewisse Milchprodukte zu verzichten. Durch den Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung müsse nicht sichergestellt werden, dass jemand umfassend für diejenigen Produkte, welche er krankheitsbedingt nicht verzehren könne, Ersatzprodukte erwerben könne. gegebenenfalls müsse der Hilfebedürftige auf diese Produkte verzichten. Die Gewährung eines Mehrbedarfs sei erst dann angezeigt, wenn ohne (teurere) Ersatzprodukte gesundheitliche Einschränkungen drohten oder aber keine ausreichende Auswahl an Alternativprodukten zur Verfügung stehe.
Die Klägerin hat hiergegen form- und fristgerecht Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus, dass sie an Laktoseintoleranz leide. Die Ernährung mit laktosefreien Produkten sei mit Mehrkosten verbunden, sodass ihr deswegen ein Mehrbedarf zu gewähren sei. Laktosefreie Milchprodukte, seien teurer als die üblichen laktosehaltigen Produkte. Zur Begründung stützt sie sich auf eine Studie des Instituts für Ernährungswissenschaft und Verbrauchslehre der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, in der die Preise von laktosehaltigen Lebensmitteln mit denen der laktosefreien Varianten verglichen wurden. Auf den Inhalt dieser Studie wird Bezug genommen. Zudem leide sie an Glutenunverträglichkeit und habe auch insofern eine von ihrem Arzt verschriebene Diät einzuhalten. Auch diese sei mit Mehrkosten verbunden. Aus der Stellungnahme des behandelnden Arztes T vom 12.08.2016 ergebe sich, dass nach den neuesten Untersuchungen das Vorliegen einer Zöliakie ausgeschlossen werden könne. Aus den Untersuchungen ergäben sich jedoch Hinweise auf eine Glutensensitivität. Die therapeutischen Konsequenzen der Zöliakie und der Glutensensitivität seien dieselben, da beide die Einhaltung einer strengen glutenfreien Kost erfordern würden. Auf die zu den Akten am 17.08.2016 gereichte Stellungnahme wird im Übrigen Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides 07.08.2013 und unter Abänderung des Bescheides vom 08.08.2013 beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2013 zu verurteilen, der Klägerin höhere Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwendiger Ernährung in Höhe von 20 % des Eckregelsatzes für die Zeit von September 2013 bis Januar 2016 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die Voraussetzungen für die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung für nicht gegeben. Die Klägerin leide zwar unter Laktoseintoleranz. Diese sei durch eine Veränderung der Lebensgewohnheiten und durch das Weglassen bestimmter Milchprodukte zu therapieren. Mehrkosten entstünden der Klägerin hierdurch nicht. Die Notwendigkeit des Erwerbs teurerer lactosefreier Lebensmittel könne nicht bestätigt werden. Durch das Weglassen von gewissen Milchprodukten drohten der Klägerin auch keine gesundheitlichen Einschränkungen. Ein Mehrbedarf wegen Zöliakie käme ebenfalls nicht in Betracht. Nach der vorliegenden Befundlage könne ein Mehrbedarf für die Ernährung bei Zöliakie nicht befürwortet werden, da die Diagnose der Zöliakie nicht als zweifelsfrei gesichert anzusehen sei.
Das Sozialgericht hat zunächst Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin eingeholt, auf deren Inhalt verwiesen wird. Sodann hat das Sozialgericht Beweis erhoben durch Einholung eines internistischen Sachverständigengutachtens von Herrn P, welches dieser aufgrund ambulanter Untersuchung der Klägerin am 23.11.2015 erstellt hat. Auf den Inhalt des Gutachtens, wie auch der ergänzenden Stellungnahme vom 15.01.2016 wird Bezug genommen.
Betreffs des Sachverhaltes im Einzelnen wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist im tenorierten Umfang begründet. Die angefochtenen Bescheide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.04.2013 erweisen sich als teilweise rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der geltend gemachte Mehrbedarf für Ernährung steht der Klägerin in Höhe von 10% des Eckregelsatzes zu.
Der Streitgegenstand wurde zulässigerweise von der Klägerin inhaltlich mit ihrem Antrag auf die Frage begrenzt, ob ihr ein Mehrbedarf wegen kostenaufwendiger Ernährung zusteht (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.2011, Az. B 8 SO 12/10 R, zitiert nach juris, Rn. 11). Der angegriffene Bescheid vom 07.08.2013 regelt isoliert die Frage, ob der Klägerin ein ernährungsbedingter Mehrbedarf für den Zeitraum ab September 2013 zusteht. Die der Klägerin für den Zeitraum von September 2013 bis Mai 2014 zustehenden Sozialhilfeleistungen hat die Beklagte mit Bescheid vom 08.08.2013 festgesetzt.
Grundsätzlich kann in einem die Gewährung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs ablehnenden Bescheid die Ablehnung gesehen werden, die Bewilligung für den laufenden Bewilligungszeitraum auf der Grundlage von § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) oder § 48 SGB X dahingehend abzuändern, dass zusätzlich ein ernährungsbedingter Mehrbedarf berücksichtigt wird (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 22.09.2015, Az.: L 8 SO 149/12, zitiert nach juris, Rn. 29). Eine Ausnahme hiervon, ist jedoch dann anzunehmen, wenn der den Mehrbedarf ablehnende Bescheid gleichzeitig mit einem Bewilligungsbescheid ergangen ist. Ausschlaggebend ist dann, dass die Beklagte – wie auch im hiesigen Fall – zwei getrennte Bescheide erlassen hat, von denen einer allgemein die Höhe der Sozialhilfeleistungen und einer ausdrücklich die Frage nach der Berücksichtigung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs zum Gegenstand hatte. Dies lässt nur den Schluss zu, dass die Beklagte bezüglich des Mehrbedarfs eine eigenständige (isolierte) Entscheidung getroffen hat (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 29.08.2013, Az.: L 8 SO 157/10, zitiert nach juris, Rn. 25). Der Bescheid vom 08.08.2013, mit dem laufende Leistungen bewilligt wurden, ist hier ausnahmsweise dahingehend auszulegen, dass sich die Beklagte eine gesonderte Entscheidung über einen Anspruch auf Gewährung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs vorbehält (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 29.08.2013, Az.: L 8 SO 157/10, zitiert nach juris, Rn. 25). Dem entspricht auch der in dem Bescheid vom 08.08. 2013 enthaltene Hinweis, wonach bezüglich der Krankenkostzulage auf den separat beigefügten Bescheid verwiesen wird. Der Bescheid über den ernährungsbedingten Mehrbedarf vom 07.08.2013 kann hier im Übrigen bereits wegen der Gleichzeitigkeit mit dem Bewilligungsbescheid an die Klägerin vom 08.08.2013 keine Entscheidung zu den §§ 44, 48 SGB X enthalten. Bei der erstmaligen Bewilligung von Grundsicherungsleistungen an die Klägerin für die Zeit ab September 2013 würde es bereits an einem zu ändernden Bescheid im Sinne der §§ 44, 48 SGB X fehlen.
Dies bedeutet, dass sich der streitbefangene Zeitraum vom 01.09.2013 bis zum 11.01.2016 – und damit über mehr als ein Jahr – erstreckt, weil die Beklagte am 12.02.2016 einen neuerlichen Ablehnungsbescheid für den Zeitraum ab erneuter Antragstellung (wohl 11.01.2016) erlassen hat. Nach der Rechtsprechung führen zwischenzeitlich ergangene neue Bescheide für den von ihnen betroffenen Zeitraum zu einer Erledigung eines früheren Ablehnungsbescheides nach § 39 Abs. 2 SGB X (so BSG, Urteil vom 02.02.2010, Az.: B 8 SO 21/08 R, zitiert nach juris, Rn. 9). Eine neue Entscheidung, die vorliegend den streitgegenständlichen Zeitraum begrenzt, liegt in dem Bescheid vom 17.02.2016, mit dem die Beklagte die Berücksichtigung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs ab erneuter Antragstellung (11.01.2016) ausdrücklich abgelehnt hat.
Statthafte Klageart für das Begehren auf höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung in der Zeit von September 2013 bis Januar 2016 ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1, 4 SGG i.V.m. § 56 SGG.
Nach § 30 Abs. 5 SGB XII erhalten Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Diese Voraussetzungen liegen bei dem Kläger vor, er bedarf aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung.
Die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwendiger Ernährung setzt voraus, dass ein medizinischer Sachverhalt gegeben ist, also Krankheiten oder Behinderungen vorliegen, die so ausgeprägt sind, dass sie nicht nur eine besondere Ernährung erfordern, um eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu verhindern, sondern darüber hinaus eine Ernährung verlangen, die mit besonderen Kosten verbunden ist. Die Frage, ob ein Hilfebedürftiger aufgrund einer Erkrankung einer besonderen, kostenintensiven Ernährung bedarf, ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig (vgl. BSG, Urteil vom 27.02.2008, Az.: B 14/7b AS 64/06 R, zitiert nach juris, Rn. 28). Dabei können die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Vorsorge e.V. (im Folgenden: Empfehlungen des Deutschen Vereins) im Regelfall als Orientierungshilfe dienen, es handelt sich bei ihnen allerdings weder um Rechtsnormen noch um ein antizipiertes Sachverständigengutachten (vgl. BSG, Urteil vom 27.02.2008, Az.: B 14/7b AS 64/06 R, zitiert nach juris, Rn. 26; BSG, Urteil vom 27.02.2008, Az.: B 14/7b AS 32/06 R, zitiert nach juris, Rn. 39). Sie entbinden daher nicht von der Ermittlungspflicht im Einzelfall.
Die Voraussetzungen des § 30 Abs. 5 SGB XII liegen nach Ansicht der Kammer vor. Die Klägerin leidet an einer Erkrankung, die aus medizinischen Gründen eine kostenaufwendige Ernährung erfordert. Insoweit wird auf das internistische Sachverständigengutachten des Herrn P vom 23.11.2014 Bezug genommen. Aus diesem ergibt sich – in Übereinstimmung mit den zuvor eingeholten Befundberichten der behandelnden Ärzte –, dass die Klägerin an einer Laktoseintoleranz leidet und den Laktose-Gehalt ihrer Nahrung reduzieren muss.
Die erkennende Kammer geht davon aus, dass die bei der Klägerin vorliegende Laktoseintoleranz eine kostenaufwendige Ernährung erforderlich macht, die mit einer diätetischen Vollkost nicht ausreichend gewährleistet ist. Daher ist es erforderlich, der Klägerin einen Mehrbedarf wegen Laktoseintoleranz zuzusprechen. Die Klägerin hat im hier streitgegenständlichen Zeitraum eine laktosefreie Diät eingehalten und entsprechende Mehrkosten gehabt, wie die zu den Akten gereichten Kaufbelege ergeben. Diese Mehrkosten sind auch als notwendig anzuerkennen, so dass sie die Gewährung eines Mehrbedarfs im hier zu entscheidenden Einzelfall rechtfertigen. Insofern folgt die erkennende Kammer nicht den Ausführungen des Sachverständigen P. Dieser hatte in seinem Gutachten das Weglassen bestimmter Milchprodukte empfohlen und dargelegt, dass die Klägerin insoweit auch keine gesundheitlichen Einschränkungen befürchten brauche. Die bei ihr vorhandene Laktoseintoleranz erfordere zwar eine Reduktion des Laktose-Gehaltes in der Nahrung, eine vollständig Laktosefreie Diät sei für die Kläger dagegen nicht vonnöten. So vertrage die Klägerin weiterhin bestimmte Milchprodukte, nämlich solche, bei denen der Milchzucker während des Reifungsprozesses weitgehend abgebaut werde, z.B. Hartkäse. Durch das Weglassen von Milchprodukten sei ein Calcium-Mangel nicht zu erwarten, da Calcium auch in vielen anderen Speisen (z.B. Gemüse) vorkomme. Diese von dem Sachverständigen P empfohlene Ernährungsform entspricht den Empfehlungen des Deutschen Vereins. Auch diese sehen keine spezielle Diät bei Laktoseintoleranz vor. Die Ernährungsmedizinische Behandlung bestehe im Meiden von Nahrungsmitteln, die nicht vertragen werden. Die Deckung des Kalziumbedarfs sei insbesondere durch den Verzehr von Milchprodukten möglich, die von Natur aus sehr geringe Mengen an Laktose enthielten. Eine kostenaufwendige Ernährung sei damit in der Regel nicht erforderlich. Die erkennende Kammer kann sich dem nicht anschließen und lehnt die Auffassung, der Laktasemangel könne ohne Mehrbedarf durch schlichten Verzicht auf Milchprodukte vermieden werden, ab. Erst ein Mehrbedarf in Höhe von 10% des Eckregelsatzes bietet der Klägerin die Möglichkeit, die Ernährung auch mit erforderlichen Milchprodukten zu gewährleisten, welche den üblichen Ernährungsgewohnheiten entspricht.
Demgegenüber kam aus Sicht der erkennenden Kammer die Gewährung eines Mehrbedarfs auch für die Glutenunverträglichkeit nicht in Betracht. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer gerade nicht fest, dass die Klägerin an einer Zöliakie leidet. Insofern wird den begründeten Ausführungen des Sachverständigen P gefolgt. In Übereinstimmung mit den Befundberichten der behandelnden Ärzte kommt dieser zu dem Ergebnis, dass die vorliegenden objektiven Befunde das Vorliegen einer Sprue nicht nachgewiesen haben. Die Kammer schließt sich diesen Ausführungen an, denn auch der behandelnde Arzt T hat in seinen Stellungnahmen vom 01.12.2014 und vom 12.08.2016 das Vorliegen einer Zöliakie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen. Auch wenn die Klägerin nunmehr die Auffassung vertritt, dass zumindest eine Glutensensitivität vorliegt, kann dies die Gewährung eines Mehrbedarfs nicht rechtfertigen. Aus der Stellungnahme des behandelnden Arztes T ergeben sich keine objektiven Befunde, die diese Annahme stützen. Vielmehr werden die Untersuchungsergebnisse von diesem lediglich als ein "Hinweis auf eine Glutensensitivität" interpretiert. Für den hier streitgegenständlichen Zeitraum ist das Vorliegen einer Glutensensitivität, die nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins im Einzelfall einen Ernährungsaufwand begründen kann, nicht bewiesen worden. Die neue Stellungnahme von Herrn T legt die Vermutung nahe, dass es sich um eine Änderung im Gesundheitszustand handelt, die gegebenenfalls im Rahmen eines neuen Antrags zu prüfen wäre. Für den hier streitgegenständlichen Zeitraum (bis Januar 2016) hat das Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere das Sachverständigengutachten das Vorliegen einer Zöliakie oder Glutensensitivität gerade nicht bestätigt.
Dem Anspruch der Klägerin auf den hier zugesprochenen Mehrbedarf steht auch nicht entgegen, dass es sich vorliegend um eine rückwirkende Bewilligung handelt. Grundsätzlich kann die Gewährung eines Mehrbedarfszuschlags nur dann angemessen sein, wenn tatsächlich eine an den gesundheitlichen Erfordernissen ausgerichtete besondere Ernährung mit dem dadurch bedingten Mehraufwand durchgeführt wird; durch den Begriff der angemessenen Höhe wird der Zuschlag somit an den tatsächlichen Bedarf gekoppelt (Simon, in: jurisPK-SGB XII, § 30, Rn. 98). Trotz des Tatbestandsmerkmals der Angemessenheit des Mehrbedarfes kann ausnahmsweise auf die objektive Bedarfslage abgestellt werden, ohne dass es einer tatsächlichen Umsetzung der erforderlichen kostenintensiven Ernährung bedarf. Entscheidend ist insofern nur der objektive Bedarf und die subjektive Kenntnis davon, die tatsächliche Einhaltung einer besonderen Ernährung ist dagegen keine Voraussetzung (BSG, Urteil vom 20.2.2014, Az.: B 14 AS 65/12 R, zitiert nach juris, Rn. 27 ff.). Zwar kann bei einer nachträglichen Gewährung des Mehrbedarfs dessen Zweck nicht mehr erreicht werden, da die besondere Ernährung für diesen Zeitraum nicht mehr nachholbar ist. In Konstellationen – wie der hiesigen –, in der mangels zur Verfügung stehender Mittel eine kostenaufwändige Ernährung nicht durchgeführt wurde und im Klageverfahren nachträglich die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Gewährung des Mehrbedarfes bestätigt werden, muss eine nachträgliche Bewilligung möglich sein. In diesen Fällen ist dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) Vorrang zu geben, da anderenfalls der Sozialleistungsträger durch unberechtigtes Bestreiten des Anspruchs den Beginn der Leistung oder gar den ab Antragstellung entstandenen Anspruch vereiteln könnte und so die Einklagbarkeit abgelehnter Leistungen nicht effektiv wäre (BSG, Urteil vom 20.02.2014, Az.: B 14 AS 65/12 R, zitiert nach juris, Rn. 24). Vorliegend war daher nicht weiter zu ermitteln, in welchem Umfang die Klägerin den Bedarf, von dem sie auch subjektive Kenntnis hatte, mit den ihr zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel (nicht) decken konnte. Für eine teilweise Deckung sprechen zumindest die eingereichten Kaufbelege. Da sich die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Mehrbedarf im hiesigen Klageverfahren bestätigt haben, waren die Leistungen der Klägerin rückwirkend zu bewilligen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das teilweise Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten höhere Regelleistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfes wegen kostenaufwändiger Ernährung.
Die im Jahr 1948 geborene Klägerin beantragte wegen Vollendung des 65. Lebensjahres bei der Beklagten im Juni 2013 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XII). Gleichzeitig stellte sie einen Antrag auf die Gewährung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs, da sie zuvor vom Jobcenter einen Mehrbedarf in Höhe von 20% des Eckregelsatzes erhalten hatte. Zur Begründung führte sie aus, dass sie an einer Laktoseintoleranz und einer Glutenunverträglichkeit (Zöliakie) leide. Nach Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 07.08.2013 mit der Begründung ab, dass die Laktoseintoleranz keine besonderen Ernährung bedinge, die mit Mehrkosten verbunden sei. Die Zöliakie sei bei der Klägerin bisher nicht diagnostiziert. Mit Bescheid vom 08.08.2013 bewilligte die Beklagte der Klägerin Leistungen nach dem SGB XII ohne die Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für den Zeitraum von September 2013 bis Mai 2014.
Die Klägerin legte gegen beide Bescheide Widerspruch ein. Die Beklagte wies die Widersprüche nach Einholung einer weiteren ärztlichen Stellungnahme mit Widerspruchsbescheid vom 17.12.2013 zurück. Ausweislich einer Stellungnahme des Gesundheitsamtes zu den vorgelegten ärztlichen Unterlagen könne nicht von einer gesicherten Diagnose der Zöliakie ausgegangen werden. Die Klägerin leide zwar an einer Laktoseintoleranz, diese verursache jedoch keine Mehrkosten. Für die laktosefreien Milchprodukte lasse sich zwar häufig nicht ohne weiteres ein (preiswerter) Ersatz finden. Den Betroffenen könne ohne weiteres zugemutet werden, auf gewisse Milchprodukte zu verzichten. Durch den Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung müsse nicht sichergestellt werden, dass jemand umfassend für diejenigen Produkte, welche er krankheitsbedingt nicht verzehren könne, Ersatzprodukte erwerben könne. gegebenenfalls müsse der Hilfebedürftige auf diese Produkte verzichten. Die Gewährung eines Mehrbedarfs sei erst dann angezeigt, wenn ohne (teurere) Ersatzprodukte gesundheitliche Einschränkungen drohten oder aber keine ausreichende Auswahl an Alternativprodukten zur Verfügung stehe.
Die Klägerin hat hiergegen form- und fristgerecht Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus, dass sie an Laktoseintoleranz leide. Die Ernährung mit laktosefreien Produkten sei mit Mehrkosten verbunden, sodass ihr deswegen ein Mehrbedarf zu gewähren sei. Laktosefreie Milchprodukte, seien teurer als die üblichen laktosehaltigen Produkte. Zur Begründung stützt sie sich auf eine Studie des Instituts für Ernährungswissenschaft und Verbrauchslehre der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, in der die Preise von laktosehaltigen Lebensmitteln mit denen der laktosefreien Varianten verglichen wurden. Auf den Inhalt dieser Studie wird Bezug genommen. Zudem leide sie an Glutenunverträglichkeit und habe auch insofern eine von ihrem Arzt verschriebene Diät einzuhalten. Auch diese sei mit Mehrkosten verbunden. Aus der Stellungnahme des behandelnden Arztes T vom 12.08.2016 ergebe sich, dass nach den neuesten Untersuchungen das Vorliegen einer Zöliakie ausgeschlossen werden könne. Aus den Untersuchungen ergäben sich jedoch Hinweise auf eine Glutensensitivität. Die therapeutischen Konsequenzen der Zöliakie und der Glutensensitivität seien dieselben, da beide die Einhaltung einer strengen glutenfreien Kost erfordern würden. Auf die zu den Akten am 17.08.2016 gereichte Stellungnahme wird im Übrigen Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides 07.08.2013 und unter Abänderung des Bescheides vom 08.08.2013 beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2013 zu verurteilen, der Klägerin höhere Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwendiger Ernährung in Höhe von 20 % des Eckregelsatzes für die Zeit von September 2013 bis Januar 2016 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die Voraussetzungen für die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung für nicht gegeben. Die Klägerin leide zwar unter Laktoseintoleranz. Diese sei durch eine Veränderung der Lebensgewohnheiten und durch das Weglassen bestimmter Milchprodukte zu therapieren. Mehrkosten entstünden der Klägerin hierdurch nicht. Die Notwendigkeit des Erwerbs teurerer lactosefreier Lebensmittel könne nicht bestätigt werden. Durch das Weglassen von gewissen Milchprodukten drohten der Klägerin auch keine gesundheitlichen Einschränkungen. Ein Mehrbedarf wegen Zöliakie käme ebenfalls nicht in Betracht. Nach der vorliegenden Befundlage könne ein Mehrbedarf für die Ernährung bei Zöliakie nicht befürwortet werden, da die Diagnose der Zöliakie nicht als zweifelsfrei gesichert anzusehen sei.
Das Sozialgericht hat zunächst Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin eingeholt, auf deren Inhalt verwiesen wird. Sodann hat das Sozialgericht Beweis erhoben durch Einholung eines internistischen Sachverständigengutachtens von Herrn P, welches dieser aufgrund ambulanter Untersuchung der Klägerin am 23.11.2015 erstellt hat. Auf den Inhalt des Gutachtens, wie auch der ergänzenden Stellungnahme vom 15.01.2016 wird Bezug genommen.
Betreffs des Sachverhaltes im Einzelnen wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist im tenorierten Umfang begründet. Die angefochtenen Bescheide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.04.2013 erweisen sich als teilweise rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der geltend gemachte Mehrbedarf für Ernährung steht der Klägerin in Höhe von 10% des Eckregelsatzes zu.
Der Streitgegenstand wurde zulässigerweise von der Klägerin inhaltlich mit ihrem Antrag auf die Frage begrenzt, ob ihr ein Mehrbedarf wegen kostenaufwendiger Ernährung zusteht (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.2011, Az. B 8 SO 12/10 R, zitiert nach juris, Rn. 11). Der angegriffene Bescheid vom 07.08.2013 regelt isoliert die Frage, ob der Klägerin ein ernährungsbedingter Mehrbedarf für den Zeitraum ab September 2013 zusteht. Die der Klägerin für den Zeitraum von September 2013 bis Mai 2014 zustehenden Sozialhilfeleistungen hat die Beklagte mit Bescheid vom 08.08.2013 festgesetzt.
Grundsätzlich kann in einem die Gewährung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs ablehnenden Bescheid die Ablehnung gesehen werden, die Bewilligung für den laufenden Bewilligungszeitraum auf der Grundlage von § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) oder § 48 SGB X dahingehend abzuändern, dass zusätzlich ein ernährungsbedingter Mehrbedarf berücksichtigt wird (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 22.09.2015, Az.: L 8 SO 149/12, zitiert nach juris, Rn. 29). Eine Ausnahme hiervon, ist jedoch dann anzunehmen, wenn der den Mehrbedarf ablehnende Bescheid gleichzeitig mit einem Bewilligungsbescheid ergangen ist. Ausschlaggebend ist dann, dass die Beklagte – wie auch im hiesigen Fall – zwei getrennte Bescheide erlassen hat, von denen einer allgemein die Höhe der Sozialhilfeleistungen und einer ausdrücklich die Frage nach der Berücksichtigung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs zum Gegenstand hatte. Dies lässt nur den Schluss zu, dass die Beklagte bezüglich des Mehrbedarfs eine eigenständige (isolierte) Entscheidung getroffen hat (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 29.08.2013, Az.: L 8 SO 157/10, zitiert nach juris, Rn. 25). Der Bescheid vom 08.08.2013, mit dem laufende Leistungen bewilligt wurden, ist hier ausnahmsweise dahingehend auszulegen, dass sich die Beklagte eine gesonderte Entscheidung über einen Anspruch auf Gewährung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs vorbehält (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 29.08.2013, Az.: L 8 SO 157/10, zitiert nach juris, Rn. 25). Dem entspricht auch der in dem Bescheid vom 08.08. 2013 enthaltene Hinweis, wonach bezüglich der Krankenkostzulage auf den separat beigefügten Bescheid verwiesen wird. Der Bescheid über den ernährungsbedingten Mehrbedarf vom 07.08.2013 kann hier im Übrigen bereits wegen der Gleichzeitigkeit mit dem Bewilligungsbescheid an die Klägerin vom 08.08.2013 keine Entscheidung zu den §§ 44, 48 SGB X enthalten. Bei der erstmaligen Bewilligung von Grundsicherungsleistungen an die Klägerin für die Zeit ab September 2013 würde es bereits an einem zu ändernden Bescheid im Sinne der §§ 44, 48 SGB X fehlen.
Dies bedeutet, dass sich der streitbefangene Zeitraum vom 01.09.2013 bis zum 11.01.2016 – und damit über mehr als ein Jahr – erstreckt, weil die Beklagte am 12.02.2016 einen neuerlichen Ablehnungsbescheid für den Zeitraum ab erneuter Antragstellung (wohl 11.01.2016) erlassen hat. Nach der Rechtsprechung führen zwischenzeitlich ergangene neue Bescheide für den von ihnen betroffenen Zeitraum zu einer Erledigung eines früheren Ablehnungsbescheides nach § 39 Abs. 2 SGB X (so BSG, Urteil vom 02.02.2010, Az.: B 8 SO 21/08 R, zitiert nach juris, Rn. 9). Eine neue Entscheidung, die vorliegend den streitgegenständlichen Zeitraum begrenzt, liegt in dem Bescheid vom 17.02.2016, mit dem die Beklagte die Berücksichtigung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs ab erneuter Antragstellung (11.01.2016) ausdrücklich abgelehnt hat.
Statthafte Klageart für das Begehren auf höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung in der Zeit von September 2013 bis Januar 2016 ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1, 4 SGG i.V.m. § 56 SGG.
Nach § 30 Abs. 5 SGB XII erhalten Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Diese Voraussetzungen liegen bei dem Kläger vor, er bedarf aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung.
Die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwendiger Ernährung setzt voraus, dass ein medizinischer Sachverhalt gegeben ist, also Krankheiten oder Behinderungen vorliegen, die so ausgeprägt sind, dass sie nicht nur eine besondere Ernährung erfordern, um eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu verhindern, sondern darüber hinaus eine Ernährung verlangen, die mit besonderen Kosten verbunden ist. Die Frage, ob ein Hilfebedürftiger aufgrund einer Erkrankung einer besonderen, kostenintensiven Ernährung bedarf, ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig (vgl. BSG, Urteil vom 27.02.2008, Az.: B 14/7b AS 64/06 R, zitiert nach juris, Rn. 28). Dabei können die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Vorsorge e.V. (im Folgenden: Empfehlungen des Deutschen Vereins) im Regelfall als Orientierungshilfe dienen, es handelt sich bei ihnen allerdings weder um Rechtsnormen noch um ein antizipiertes Sachverständigengutachten (vgl. BSG, Urteil vom 27.02.2008, Az.: B 14/7b AS 64/06 R, zitiert nach juris, Rn. 26; BSG, Urteil vom 27.02.2008, Az.: B 14/7b AS 32/06 R, zitiert nach juris, Rn. 39). Sie entbinden daher nicht von der Ermittlungspflicht im Einzelfall.
Die Voraussetzungen des § 30 Abs. 5 SGB XII liegen nach Ansicht der Kammer vor. Die Klägerin leidet an einer Erkrankung, die aus medizinischen Gründen eine kostenaufwendige Ernährung erfordert. Insoweit wird auf das internistische Sachverständigengutachten des Herrn P vom 23.11.2014 Bezug genommen. Aus diesem ergibt sich – in Übereinstimmung mit den zuvor eingeholten Befundberichten der behandelnden Ärzte –, dass die Klägerin an einer Laktoseintoleranz leidet und den Laktose-Gehalt ihrer Nahrung reduzieren muss.
Die erkennende Kammer geht davon aus, dass die bei der Klägerin vorliegende Laktoseintoleranz eine kostenaufwendige Ernährung erforderlich macht, die mit einer diätetischen Vollkost nicht ausreichend gewährleistet ist. Daher ist es erforderlich, der Klägerin einen Mehrbedarf wegen Laktoseintoleranz zuzusprechen. Die Klägerin hat im hier streitgegenständlichen Zeitraum eine laktosefreie Diät eingehalten und entsprechende Mehrkosten gehabt, wie die zu den Akten gereichten Kaufbelege ergeben. Diese Mehrkosten sind auch als notwendig anzuerkennen, so dass sie die Gewährung eines Mehrbedarfs im hier zu entscheidenden Einzelfall rechtfertigen. Insofern folgt die erkennende Kammer nicht den Ausführungen des Sachverständigen P. Dieser hatte in seinem Gutachten das Weglassen bestimmter Milchprodukte empfohlen und dargelegt, dass die Klägerin insoweit auch keine gesundheitlichen Einschränkungen befürchten brauche. Die bei ihr vorhandene Laktoseintoleranz erfordere zwar eine Reduktion des Laktose-Gehaltes in der Nahrung, eine vollständig Laktosefreie Diät sei für die Kläger dagegen nicht vonnöten. So vertrage die Klägerin weiterhin bestimmte Milchprodukte, nämlich solche, bei denen der Milchzucker während des Reifungsprozesses weitgehend abgebaut werde, z.B. Hartkäse. Durch das Weglassen von Milchprodukten sei ein Calcium-Mangel nicht zu erwarten, da Calcium auch in vielen anderen Speisen (z.B. Gemüse) vorkomme. Diese von dem Sachverständigen P empfohlene Ernährungsform entspricht den Empfehlungen des Deutschen Vereins. Auch diese sehen keine spezielle Diät bei Laktoseintoleranz vor. Die Ernährungsmedizinische Behandlung bestehe im Meiden von Nahrungsmitteln, die nicht vertragen werden. Die Deckung des Kalziumbedarfs sei insbesondere durch den Verzehr von Milchprodukten möglich, die von Natur aus sehr geringe Mengen an Laktose enthielten. Eine kostenaufwendige Ernährung sei damit in der Regel nicht erforderlich. Die erkennende Kammer kann sich dem nicht anschließen und lehnt die Auffassung, der Laktasemangel könne ohne Mehrbedarf durch schlichten Verzicht auf Milchprodukte vermieden werden, ab. Erst ein Mehrbedarf in Höhe von 10% des Eckregelsatzes bietet der Klägerin die Möglichkeit, die Ernährung auch mit erforderlichen Milchprodukten zu gewährleisten, welche den üblichen Ernährungsgewohnheiten entspricht.
Demgegenüber kam aus Sicht der erkennenden Kammer die Gewährung eines Mehrbedarfs auch für die Glutenunverträglichkeit nicht in Betracht. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer gerade nicht fest, dass die Klägerin an einer Zöliakie leidet. Insofern wird den begründeten Ausführungen des Sachverständigen P gefolgt. In Übereinstimmung mit den Befundberichten der behandelnden Ärzte kommt dieser zu dem Ergebnis, dass die vorliegenden objektiven Befunde das Vorliegen einer Sprue nicht nachgewiesen haben. Die Kammer schließt sich diesen Ausführungen an, denn auch der behandelnde Arzt T hat in seinen Stellungnahmen vom 01.12.2014 und vom 12.08.2016 das Vorliegen einer Zöliakie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen. Auch wenn die Klägerin nunmehr die Auffassung vertritt, dass zumindest eine Glutensensitivität vorliegt, kann dies die Gewährung eines Mehrbedarfs nicht rechtfertigen. Aus der Stellungnahme des behandelnden Arztes T ergeben sich keine objektiven Befunde, die diese Annahme stützen. Vielmehr werden die Untersuchungsergebnisse von diesem lediglich als ein "Hinweis auf eine Glutensensitivität" interpretiert. Für den hier streitgegenständlichen Zeitraum ist das Vorliegen einer Glutensensitivität, die nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins im Einzelfall einen Ernährungsaufwand begründen kann, nicht bewiesen worden. Die neue Stellungnahme von Herrn T legt die Vermutung nahe, dass es sich um eine Änderung im Gesundheitszustand handelt, die gegebenenfalls im Rahmen eines neuen Antrags zu prüfen wäre. Für den hier streitgegenständlichen Zeitraum (bis Januar 2016) hat das Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere das Sachverständigengutachten das Vorliegen einer Zöliakie oder Glutensensitivität gerade nicht bestätigt.
Dem Anspruch der Klägerin auf den hier zugesprochenen Mehrbedarf steht auch nicht entgegen, dass es sich vorliegend um eine rückwirkende Bewilligung handelt. Grundsätzlich kann die Gewährung eines Mehrbedarfszuschlags nur dann angemessen sein, wenn tatsächlich eine an den gesundheitlichen Erfordernissen ausgerichtete besondere Ernährung mit dem dadurch bedingten Mehraufwand durchgeführt wird; durch den Begriff der angemessenen Höhe wird der Zuschlag somit an den tatsächlichen Bedarf gekoppelt (Simon, in: jurisPK-SGB XII, § 30, Rn. 98). Trotz des Tatbestandsmerkmals der Angemessenheit des Mehrbedarfes kann ausnahmsweise auf die objektive Bedarfslage abgestellt werden, ohne dass es einer tatsächlichen Umsetzung der erforderlichen kostenintensiven Ernährung bedarf. Entscheidend ist insofern nur der objektive Bedarf und die subjektive Kenntnis davon, die tatsächliche Einhaltung einer besonderen Ernährung ist dagegen keine Voraussetzung (BSG, Urteil vom 20.2.2014, Az.: B 14 AS 65/12 R, zitiert nach juris, Rn. 27 ff.). Zwar kann bei einer nachträglichen Gewährung des Mehrbedarfs dessen Zweck nicht mehr erreicht werden, da die besondere Ernährung für diesen Zeitraum nicht mehr nachholbar ist. In Konstellationen – wie der hiesigen –, in der mangels zur Verfügung stehender Mittel eine kostenaufwändige Ernährung nicht durchgeführt wurde und im Klageverfahren nachträglich die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Gewährung des Mehrbedarfes bestätigt werden, muss eine nachträgliche Bewilligung möglich sein. In diesen Fällen ist dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) Vorrang zu geben, da anderenfalls der Sozialleistungsträger durch unberechtigtes Bestreiten des Anspruchs den Beginn der Leistung oder gar den ab Antragstellung entstandenen Anspruch vereiteln könnte und so die Einklagbarkeit abgelehnter Leistungen nicht effektiv wäre (BSG, Urteil vom 20.02.2014, Az.: B 14 AS 65/12 R, zitiert nach juris, Rn. 24). Vorliegend war daher nicht weiter zu ermitteln, in welchem Umfang die Klägerin den Bedarf, von dem sie auch subjektive Kenntnis hatte, mit den ihr zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel (nicht) decken konnte. Für eine teilweise Deckung sprechen zumindest die eingereichten Kaufbelege. Da sich die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Mehrbedarf im hiesigen Klageverfahren bestätigt haben, waren die Leistungen der Klägerin rückwirkend zu bewilligen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das teilweise Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved