Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
41
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 41 AS 969/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag wird abgelehnt. Außergerichtlichen Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Aufforderung des Antragsgegners an die Antragstellerin, die vorzeitige Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters zu beantragen.
Die im März 1957 geborene Antragstellerin steht bei dem Antragsgegner im laufenden Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Zuletzt wurden mit Bescheid vom 22.01.2020 Leistungen für den Zeitraum vom 01.02.2020 bis zum 31.01.2021 in Höhe von 752,94 Euro bewilligt.
Laut der Rentenauskunft der Deutschen Rentenversicherung Bund würde die Regelaltersrente ab dem 01.03.2023 1.153,14 Euro betragen. Mit Bescheid vom 02.01.2020 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin dazu auf, einen Rentenantrag zu stellen. Es bestehe die Verpflichtung, diese vorrangige Leistung in Anspruch zu nehmen, mit der die Hilfebedürftigkeit vermindert bzw. beseitigt werden könne. Die Antragstellerin könne ab dem 01.04.2020 mit Abzügen in Rente gehen. Mit Schreiben vom 17.03.2020 legte die Antragstellerin dagegen Widerspruch ein.
Am 17.03.2020 hat die Antragstellerin um einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht und führt zur Begründung aus, die Aufforderung einen Rentenantrag zu stellen, sei rechtswidrig. Es liege ein Verstoß gegen § 6 UnbilligkeitsV vor. Der Bedarf der Antragstellerin betrage 780,94 Euro. Zuzüglich eines Wertes von 10 % ergebe sich ein Betrag in Höhe von 859,03 Euro. Dieser Bedarf überschreite aber 70 % der zu erwartenden Rentenhöhe (806,50 Euro).
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 02.01.2020 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er stützt sich auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid. Insbesondere liege keine grobe Unbilligkeit vor. Die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Unbilligkeit seien in der Unbilligkeitsverordnung abschließend geregelt. Die Antragstellerin sei bei ihrer Berechnung von falschen Beträgen ausgegangen. Maßgeblich sei der Bedarf in Höhe von 752,94, der sich aus dem aktuellen Bewilligungsbescheid ergebe. Bei einer zu erwartenden Rentenhöhe von 1.153,14 Euro sei der Vergleichswert von 70 % 807,50 Euro. Zuzüglich eines Betrages in Höhe von 10 % des Regelbedarfes (432,00 Euro) ergebe sich ein Betrag in Höhe von 796,14 Euro. Dieser Betrag liege unter dem Bezugswert in Höhe von 807,50. Der Antragstellerin sei einzuräumen, dass sich nach Fachlichen Weisungen im Anwendungsbeispiel 2 ein abweichendes Ergebnis ergebe, da dieses unrichtig sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist nicht begründet.
Gemäß § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Die Erfolgsaussichten für einen Antrag nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG orientieren sich an einer Interessenabwägung, bei welcher das Interesse des Antragstellers, von den Wirkungen des Verwaltungsaktes bis zum Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens verschont zu bleiben (Aussetzungsinteresse) gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes (Vollziehungsinteresse) abzuwägen ist. Maßgebend sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache nach der beim einstweiligen Rechtsschutz allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung. Das Aussetzungsinteresse überwiegt regelmäßig, wenn der angegriffene Verwaltungsakt, um dessen Vollziehung es geht, offensichtlich rechtswidrig ist, da an der Vollziehung offensichtlich rechtswidriger Verwaltungsakte kein öffentliches Interesse bestehen kann. Das Vollziehungsinteresse überwiegt hingegen in der Regel, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist.
Im Rahmen der Interessenabwägung ist die gesetzliche Wertung des § 86 a SGG zu berücksichtigen. Grundsätzlich haben alle Widersprüche und Anfechtungsklagen gegen Verwaltungsakte, die in bestehende Rechtspositionen eingreifen, aufschiebende Wirkung. Ausnahmen hat der Gesetzgeber in § 86 a Abs. 2 Nr. 1-4 SGG festgelegt und für besondere Regelungsbereiche den Vorrang des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung ausdrücklich bestimmt. § 39 SGB II ist ein Fall des gesetzlichen Sofortvollzugs nach § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG. Wegen dieser Vorgabe des Sofortvollzugs durch den Gesetzgeber muss die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung die Ausnahme bleiben und wäre mit gewichtigen Argumenten zu begründen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 11. Auflage, § 86 b RdNr. 12 c). Geringe Erfolgsaussichten in der Hauptsache genügen daher bei einem vom Gesetzgeber angeordneten Sofortvollzug regelmäßig nicht für eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Unter Berücksichtigung vorstehender Kriterien ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen.
Es überwiegt das Vollzugsinteresse des Antragsgegners das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin, denn nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides.
Die angefochtene Aufforderung an die Antragstellerin zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente stützt sich auf § 12a in Verbindung mit § 5 Abs.3 Satz 1 SGB II.
Nach § 12a Satz 1 SGB II sind Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Da die Antragstellerin das 63. Lebensjahr bereits vollendet hat, entfällt die Verpflichtung zur vorrangigen Inanspruchnahme nicht nach § 12a Satz 2 Nr.1 SGB II.
Nach Vollendung des 63. Lebensjahres muss eine Rente ausnahmsweise dann nicht vorzeitig in Anspruch genommen werden, wenn dies eine Unbilligkeit der auf der Grundlage des § 13 Abs.2 SGB II erlassenen Verordnung zur Vermeidung unbilliger Härten durch Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente (Unbilligkeitsverordnung) darstellt. Die Verpflichtung zur Inanspruchnahme stellt nach der gesetzlichen Konzeption den Grundsatz und die Unbilligkeit die Ausnahme dar (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 19.08.2015, B 14 AS 1/15 R). Die Regelungen des § 12 a SGB II und der Unbilligkeitsordnung sind verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BSG, a.a.O.).
Die Voraussetzungen für die Pflicht zur vorzeitigen Rentenantragstellung sind im vorliegenden Fall erfüllt. Die Antragstellerin hat das 63. Lebensjahr vollendet. Im Zeitpunkt der Aufforderung hatte sie einen Anspruch auf eine Altersrente mit monatlichen Abschlägen. Durch den Bezug der Altersrente kann die Antragstellerin ihre Hilfebedürftigkeit jedenfalls vermindern. Eine vollständige Überwindung der Hilfebedürftigkeit durch die beantragten Leistungen wird in § 12 a SGB II nicht vorausgesetzt.
Der Verpflichtung der Antragstellerin zur Rentenantragstellung steht auch die Unbilligkeitsverordnung nicht entgegen. Die Ausnahmetatbestände sind in der Unbilligkeitsverordnung abschließend geregelt (vgl. BSG, Urteil vom 19.08.2015, a.a.O.). Keiner der in der Unbilligkeitsverordnung geregelten Ausnahmetatbestände greift hier ein.
Insbesondere ist die Aufforderung nicht unbillig im Sinne des § 6 UnbilligkeitsV.
Nach § 6 S.1 UnbilligkeitsV ist die Inanspruchnahme unbillig, wenn Leistungsberechtigte dadurch hilfebedürftig im Sinne der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch werden würden. Dies ist gemäß Satz 2 insbesondere anzunehmen, wenn der Betrag in Höhe von 70 Prozent der bei Erreichen der Altersgrenze (§ 7a des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch) zu erwartenden monatlichen Regelaltersrente niedriger ist als der zum Zeitpunkte der Entscheidung über die Unbilligkeit maßgebende Bedarf der leistungsberechtigten Person nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch.
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die hier ermittelte monatliche Regelaltersrente betrüge 1.153,14 Euro. 70 % hiervon sind 807,20 Euro. Dieser Betrag übersteigt aber den maßgeblichen individuellen Bedarf der Antragstellerin. Der Bedarf berechnet sich aus dem aktuellen Bedarf aus dem Bewilligungsbescheid in Höhe von 752,94 Euro zuzüglich des Aufschlages in Höhe von 10 % des Regelbedarfes (432,00 Euro) ergibt sich ein Betrag in Höhe von 796,14 Euro. Damit übersteigt der Wert der zu erwartenden Rente den maßgeblichen Vergleichswert.
Der Antragsgegner hat auch das ihm eingeräumte Ermessen erkannt und pflichtgemäß ausgeübt. Er hat erkennen lassen, dass er sich der Pflicht zur Ermessensausübung bewusst war. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Die Ermessensausübung ist gerichtlich nur eingeschränkt darauf zu prüfen, ob das Ermessen überhaupt ausgeübt, ob die Grenzen des Ermessens überschritten worden sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 23.06.2016, B 14 AS 46/15 R). Ein Ermessensnichtgebrauch oder eine Ermessensüberschreitung ist nicht ersichtlich. Auch ein Ermessensmissbrauch ist nicht gegeben. In der Aufforderung zur Antragstellung ist kein Abwägungsdefizit zu erkennen. Zu berücksichtigen ist insofern, dass nach der Konzeption des § 12 a SGB II im Regelfall die Aufforderung zur Antragstellung geboten ist. Relevante Ermessensgesichtspunkte, die zu einer abweichenden Entscheidung führen, können daher nur solche sein, die einen atypischen Fall begründen. Für das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalles ist vorliegend nichts ersichtlich. Auch die Tatsache, dass die vorzeitige Altersrente mit dauerhaften Abschlägen eine Hilfebedürftigkeit nach dem SGB XII auslösen könnte, begründet keine besondere Härte (vgl. BSG, Urteil vom 19.08.2015, a.a.O.).
Vor diesem Hintergrund ist kein Anhalt für eine Umkehr des in § 39 SGB II normierten Vorrangs des öffentlichen Interesses am sofortigen Vollzug erkennbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung von §§ 183, 193 SGG.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Aufforderung des Antragsgegners an die Antragstellerin, die vorzeitige Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters zu beantragen.
Die im März 1957 geborene Antragstellerin steht bei dem Antragsgegner im laufenden Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Zuletzt wurden mit Bescheid vom 22.01.2020 Leistungen für den Zeitraum vom 01.02.2020 bis zum 31.01.2021 in Höhe von 752,94 Euro bewilligt.
Laut der Rentenauskunft der Deutschen Rentenversicherung Bund würde die Regelaltersrente ab dem 01.03.2023 1.153,14 Euro betragen. Mit Bescheid vom 02.01.2020 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin dazu auf, einen Rentenantrag zu stellen. Es bestehe die Verpflichtung, diese vorrangige Leistung in Anspruch zu nehmen, mit der die Hilfebedürftigkeit vermindert bzw. beseitigt werden könne. Die Antragstellerin könne ab dem 01.04.2020 mit Abzügen in Rente gehen. Mit Schreiben vom 17.03.2020 legte die Antragstellerin dagegen Widerspruch ein.
Am 17.03.2020 hat die Antragstellerin um einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht und führt zur Begründung aus, die Aufforderung einen Rentenantrag zu stellen, sei rechtswidrig. Es liege ein Verstoß gegen § 6 UnbilligkeitsV vor. Der Bedarf der Antragstellerin betrage 780,94 Euro. Zuzüglich eines Wertes von 10 % ergebe sich ein Betrag in Höhe von 859,03 Euro. Dieser Bedarf überschreite aber 70 % der zu erwartenden Rentenhöhe (806,50 Euro).
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 02.01.2020 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er stützt sich auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid. Insbesondere liege keine grobe Unbilligkeit vor. Die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Unbilligkeit seien in der Unbilligkeitsverordnung abschließend geregelt. Die Antragstellerin sei bei ihrer Berechnung von falschen Beträgen ausgegangen. Maßgeblich sei der Bedarf in Höhe von 752,94, der sich aus dem aktuellen Bewilligungsbescheid ergebe. Bei einer zu erwartenden Rentenhöhe von 1.153,14 Euro sei der Vergleichswert von 70 % 807,50 Euro. Zuzüglich eines Betrages in Höhe von 10 % des Regelbedarfes (432,00 Euro) ergebe sich ein Betrag in Höhe von 796,14 Euro. Dieser Betrag liege unter dem Bezugswert in Höhe von 807,50. Der Antragstellerin sei einzuräumen, dass sich nach Fachlichen Weisungen im Anwendungsbeispiel 2 ein abweichendes Ergebnis ergebe, da dieses unrichtig sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist nicht begründet.
Gemäß § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Die Erfolgsaussichten für einen Antrag nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG orientieren sich an einer Interessenabwägung, bei welcher das Interesse des Antragstellers, von den Wirkungen des Verwaltungsaktes bis zum Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens verschont zu bleiben (Aussetzungsinteresse) gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes (Vollziehungsinteresse) abzuwägen ist. Maßgebend sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache nach der beim einstweiligen Rechtsschutz allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung. Das Aussetzungsinteresse überwiegt regelmäßig, wenn der angegriffene Verwaltungsakt, um dessen Vollziehung es geht, offensichtlich rechtswidrig ist, da an der Vollziehung offensichtlich rechtswidriger Verwaltungsakte kein öffentliches Interesse bestehen kann. Das Vollziehungsinteresse überwiegt hingegen in der Regel, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist.
Im Rahmen der Interessenabwägung ist die gesetzliche Wertung des § 86 a SGG zu berücksichtigen. Grundsätzlich haben alle Widersprüche und Anfechtungsklagen gegen Verwaltungsakte, die in bestehende Rechtspositionen eingreifen, aufschiebende Wirkung. Ausnahmen hat der Gesetzgeber in § 86 a Abs. 2 Nr. 1-4 SGG festgelegt und für besondere Regelungsbereiche den Vorrang des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung ausdrücklich bestimmt. § 39 SGB II ist ein Fall des gesetzlichen Sofortvollzugs nach § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG. Wegen dieser Vorgabe des Sofortvollzugs durch den Gesetzgeber muss die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung die Ausnahme bleiben und wäre mit gewichtigen Argumenten zu begründen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 11. Auflage, § 86 b RdNr. 12 c). Geringe Erfolgsaussichten in der Hauptsache genügen daher bei einem vom Gesetzgeber angeordneten Sofortvollzug regelmäßig nicht für eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Unter Berücksichtigung vorstehender Kriterien ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen.
Es überwiegt das Vollzugsinteresse des Antragsgegners das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin, denn nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides.
Die angefochtene Aufforderung an die Antragstellerin zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente stützt sich auf § 12a in Verbindung mit § 5 Abs.3 Satz 1 SGB II.
Nach § 12a Satz 1 SGB II sind Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Da die Antragstellerin das 63. Lebensjahr bereits vollendet hat, entfällt die Verpflichtung zur vorrangigen Inanspruchnahme nicht nach § 12a Satz 2 Nr.1 SGB II.
Nach Vollendung des 63. Lebensjahres muss eine Rente ausnahmsweise dann nicht vorzeitig in Anspruch genommen werden, wenn dies eine Unbilligkeit der auf der Grundlage des § 13 Abs.2 SGB II erlassenen Verordnung zur Vermeidung unbilliger Härten durch Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente (Unbilligkeitsverordnung) darstellt. Die Verpflichtung zur Inanspruchnahme stellt nach der gesetzlichen Konzeption den Grundsatz und die Unbilligkeit die Ausnahme dar (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 19.08.2015, B 14 AS 1/15 R). Die Regelungen des § 12 a SGB II und der Unbilligkeitsordnung sind verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BSG, a.a.O.).
Die Voraussetzungen für die Pflicht zur vorzeitigen Rentenantragstellung sind im vorliegenden Fall erfüllt. Die Antragstellerin hat das 63. Lebensjahr vollendet. Im Zeitpunkt der Aufforderung hatte sie einen Anspruch auf eine Altersrente mit monatlichen Abschlägen. Durch den Bezug der Altersrente kann die Antragstellerin ihre Hilfebedürftigkeit jedenfalls vermindern. Eine vollständige Überwindung der Hilfebedürftigkeit durch die beantragten Leistungen wird in § 12 a SGB II nicht vorausgesetzt.
Der Verpflichtung der Antragstellerin zur Rentenantragstellung steht auch die Unbilligkeitsverordnung nicht entgegen. Die Ausnahmetatbestände sind in der Unbilligkeitsverordnung abschließend geregelt (vgl. BSG, Urteil vom 19.08.2015, a.a.O.). Keiner der in der Unbilligkeitsverordnung geregelten Ausnahmetatbestände greift hier ein.
Insbesondere ist die Aufforderung nicht unbillig im Sinne des § 6 UnbilligkeitsV.
Nach § 6 S.1 UnbilligkeitsV ist die Inanspruchnahme unbillig, wenn Leistungsberechtigte dadurch hilfebedürftig im Sinne der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch werden würden. Dies ist gemäß Satz 2 insbesondere anzunehmen, wenn der Betrag in Höhe von 70 Prozent der bei Erreichen der Altersgrenze (§ 7a des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch) zu erwartenden monatlichen Regelaltersrente niedriger ist als der zum Zeitpunkte der Entscheidung über die Unbilligkeit maßgebende Bedarf der leistungsberechtigten Person nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch.
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die hier ermittelte monatliche Regelaltersrente betrüge 1.153,14 Euro. 70 % hiervon sind 807,20 Euro. Dieser Betrag übersteigt aber den maßgeblichen individuellen Bedarf der Antragstellerin. Der Bedarf berechnet sich aus dem aktuellen Bedarf aus dem Bewilligungsbescheid in Höhe von 752,94 Euro zuzüglich des Aufschlages in Höhe von 10 % des Regelbedarfes (432,00 Euro) ergibt sich ein Betrag in Höhe von 796,14 Euro. Damit übersteigt der Wert der zu erwartenden Rente den maßgeblichen Vergleichswert.
Der Antragsgegner hat auch das ihm eingeräumte Ermessen erkannt und pflichtgemäß ausgeübt. Er hat erkennen lassen, dass er sich der Pflicht zur Ermessensausübung bewusst war. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Die Ermessensausübung ist gerichtlich nur eingeschränkt darauf zu prüfen, ob das Ermessen überhaupt ausgeübt, ob die Grenzen des Ermessens überschritten worden sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 23.06.2016, B 14 AS 46/15 R). Ein Ermessensnichtgebrauch oder eine Ermessensüberschreitung ist nicht ersichtlich. Auch ein Ermessensmissbrauch ist nicht gegeben. In der Aufforderung zur Antragstellung ist kein Abwägungsdefizit zu erkennen. Zu berücksichtigen ist insofern, dass nach der Konzeption des § 12 a SGB II im Regelfall die Aufforderung zur Antragstellung geboten ist. Relevante Ermessensgesichtspunkte, die zu einer abweichenden Entscheidung führen, können daher nur solche sein, die einen atypischen Fall begründen. Für das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalles ist vorliegend nichts ersichtlich. Auch die Tatsache, dass die vorzeitige Altersrente mit dauerhaften Abschlägen eine Hilfebedürftigkeit nach dem SGB XII auslösen könnte, begründet keine besondere Härte (vgl. BSG, Urteil vom 19.08.2015, a.a.O.).
Vor diesem Hintergrund ist kein Anhalt für eine Umkehr des in § 39 SGB II normierten Vorrangs des öffentlichen Interesses am sofortigen Vollzug erkennbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung von §§ 183, 193 SGG.
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