Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
31
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 31 U 168/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 U 3/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 8/20 BH
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung des Ereignisses vom 01. Mai 2010 als Arbeitsunfall nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII).
Die Klägerin ist 1976 geboren und war seit 01.08.2008 unbefristet bei der C. Filiale in der C-Straße in A-Stadt beschäftigt. Ausweislich des Arbeitsvertrages zwischen der Klägerin und C. vom 09.11.2007 war die Klägerin als Mitarbeiterin im Rotationssystem in Vollzeit eingesetzt. Die Kündigung erfolgte schließlich im Juni 2012.
Am 01. Mai 2010 war die Klägerin in einer C. Filiale in C-Stadt eingesetzt, als sie eine Kiste mit Colaflaschen anhob, die etwa 20 kg wog, um den Getränkeautomaten aufzufüllen.
Der Arbeitgeber der Klägerin zeigte am 14.07.2012 einen Unfall bei der Beklagten an und gab an, dass die Klägerin am 01. Mai 2010 gegen 18:00 Uhr ein Arbeitsunfall erlitten habe. Beigefügt war ein Schreiben der Klägerin vom 11. Juli 2012 an ihren Arbeitgeber, in welchem sie beschreibt, sie habe im Lager einen Karton mit Cola von unten nach oben bis zum Brustkorb und mit Drehen nach links gehoben. In diesem Moment habe sie Druck am Ende der Wirbelsäule gefühlt, sie habe sich gebogen und mindestens 3 Wirbelkörper seien vorgesprungen. Ab dem nächsten oder übernächsten Tag habe sie nicht mehr stehen können, ihr Kreuzbein sei zerrissen gewesen. Mit jeder Bewegung habe es links und rechts gewackelt, sie habe es nicht mehr kontrollieren können. Mit jeder Vorneigung und Drehung nach links oder rechts habe sich ihr rechtes Bein gezogen, sie könnte sterben (Rückseite Bl. 1 d. Verwaltungsakte).
Am 10.01.2013 leitete die Beklagte ein Verwaltungsverfahren im Hinblick auf das Vorliegen eines Arbeitsunfalles ein.
Zuvor hatte die Klägerin mit Schreiben vom 22.06.2012 bei der Beklagten bereits beantragt, ihren Bandscheibenvorfall L5/S1 seit 14. Mai 2010 als Berufskrankheit anzuerkennen (Bl. 7 d. Verwaltungsakte). Die Beklagte hatte Ermittlungen im Hinblick auf die Belastungen nach dem Mainz-Dortmunder Dosismodell eingeleitet (Bl. 8-44 d. Verwaltungsakte).
Auf Bl. 45 der Verwaltungsakte hielt Dr. D. in einer fachärztlichen Stellungnahme vom 13.09.2012 fest, die Versicherte sei 36 Jahre alt und nach der Dokumentation von 1997 - 2004 in Bulgarien tätig gewesen. Sie sei dort als Grünflächenmitarbeiterin, als Putzfrau sowie als Operator und Maschinenschreiberin tätig gewesen. Seit 2004 sei sie als Mitarbeiterin bei C. tätig. Es sei dokumentiert, dass die Versicherte wegen einer Lumbalgie mit Ausstrahlung in das rechte Bein behandlungsbedürftig wurde. Im Mai und Juli 2010 seien MRT-Untersuchungen erfolgt. Diese hätten eine beginnende Degeneration der Bandscheiben L4/L5 und eine Chondrose bei L5/S1 ergeben. Im Juli 2010 sei ein kleiner Prolaps mit Kontakt zur rechten S1-Wurzel beschrieben. Am 27.06.2012 sei ein globaler Bandscheibenvorfall bei L5/S1 operativ entfernt worden. Die Berufskrankheit nach der Ziffer 2108 könne nicht anerkannt werden, da die Expositionszeit lediglich 6 Jahre bis zum Vollbeweis des bandscheibenbedingten Leidens betragen habe. Die Anerkennung einer Berufskrankheit wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 08.11.2012 abgelehnt (Bl. 46 der Verwaltungsakte).
Im Hinblick auf den angegebenen Unfall vom 01. Mai 2010 holte die Beklagte eine Stellungnahme bei dem behandelnden Orthopäden Dr. F. ein. Dr. F. teilte mit Schreiben vom 08.02.2013 mit, von einem Arbeitsunfall sei ihm nichts bekannt. Die Patientin habe sich am 14.05.2010 in seiner Sprechstunde vorgestellt und angegeben, seit 3 Wochen Kreuzschmerzen mit Ausstrahlung in das rechte Bein zu haben. Er habe eine Lumboischialgie rechts diagnostiziert (Bl. 60 d. Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 24.04.2013 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 01. Mai 2010 als Arbeitsunfall ab. Zur Begründung führte sie aus, ein Unfall im Sinne des § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII habe nicht vorgelegen. Danach seien Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führten. Ein solches, von außen einwirkendes Ereignis liege bei der Klägerin nicht vor. Nach der Schilderung der Klägerin handele es sich bei dem Vorgang um eine willentlich gesteuerte, körpereigene Bewegung. Diese sei nicht geeignet, einen Gesundheitsschaden zu verursachen. Zudem sei in der Folge kein traumatisch bedingter Gesundheitsschaden festgestellt worden (Bl. 70 d. Verwaltungsakte).
Dagegen legte die Klägerin am 27.05.2013 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, das Geschehen vom 01. Mai 2010 stelle sehr wohl ein Unfallereignis im Sinne des SGB VII dar. Von außen auf den Körper wirke alles sein, was nicht der eigenen Risikosphäre im Sinne der körpereigenen Krankheitsentwicklung entspringe. Dies könnten physikalische sowie psychisch-seelische Einflüsse sein, wie außergewöhnliche Anstrengungen zu Stresssituation oder die Überwindung der Gegenkräfte beim Heben. Das Anheben des 20 kg schweren Kartons mit Colaflaschen stelle ein von außen einwirkendes Ereignis dar.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.08.2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass es sich bei dem Ereignis vom 01. Mai 2010 zwar um ein Unfallereignis handele, jedoch ein konkretes Unfallereignis (innerhalb einer Arbeitsschicht) nicht mit der erforderlichen Gewissheit festgestellt werden konnte. Die Meldung dieses Ereignisses habe der Arbeitgeber erstmals mit der Unfallanzeige im Januar 2013 vorgenommen. Weder gegenüber der Krankenkasse noch gegenüber der Deutschen Rentenversicherung habe die Klägerin einen Unfall während der Arbeit angegeben. Auch gegenüber den behandelnden Ärzten habe sie kein Unfallereignis als Ursache für die Beschwerden angegeben. Zudem sei der Hergang nach medizinischer Lehrmeinung nicht geeignet, einen traumatischen Bandscheibenvorfall zu verursachen. Vielmehr bleibe darauf hinzuweisen, dass bereits seit 2008 regelmäßige Behandlungen wegen Wirbelsäulenbeschwerden stattgefunden hätten und die Beschwerden eher degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule zuzuschreiben seien.
Dagegen hat die Klägerin am 06.09.2013 Klage vor dem hiesigen Gericht erhoben.
Zur Begründung trägt sie vor, das Anheben der Kiste habe für sie eine außergewöhnliche Anstrengung dargestellt, da sie üblicherweise nur Lasten zwischen 5 und 8 Kilo angehoben habe. Zudem habe sie während ihrer Tätigkeit unter einem enormen Zeitdruck gestanden. Sie habe am 01. Mai 2010 einen traumatischen Bandscheibenvorfall erlitten und sei daraufhin an der Bandscheibe operiert worden (Nukleotomie LWK 5/SW1 rechts). Zudem werde bestritten, dass sie sich seit 2008 in regelmäßiger Behandlung wegen Wirbelsäulenbeschwerden befinde. Sie habe sich erst im Februar 2010 bei dem Orthopäden Dr. F. vorgestellt. Zudem habe die Bundesagentur für Arbeit in einem Gutachten vom 13.01.2013 festgestellt, dass sie keine Lasten mehr über 5 Kilo heben dürfe und ihr eine Weiterbeschäftigung als Servicekraft oder Küchenhelferin erkrankungsbedingt nicht zumutbar sei.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 24.04.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2013 aufzuheben festzustellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 01. Mai 2010 um ein Arbeitsunfall handelt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte erwiderte, dass die Klägerin ihrem Arbeitgeber erst mit Schreiben vom 11.07.2012 das Ereignis vom 01. Mai 2010 geschildert habe. Die Klägerin habe den Karton zudem willentlich angehoben. Nach der Rechtsprechung des BSG vom 12. April 2005 (Az. B 2 U 27 / 04 R, so genanntes Grabstein-Urteil) sei schweres Heben an sich kein Unfallereignis. Eine Ausnahme hiervon sei nur dann zu machen, wenn unvorhergesehene Überraschungsmomente während des Hebevorgangs aufträten und zusätzliche Kräfte zum Tragen kämen. Bei einer vom Willen gesteuerten Eigenbewegung komme es nur dann zu einer Einwirkung von außen, wenn diese durch einen ungewollten Vorfall unterbrochen werde. Die Schilderung der Klägerin, sie habe nach Anheben des Colakartons beim Drehen des Körpers nach links einen Druck an der Wirbelsäule verspürt, führe zu keinem Hinweis, dass die Klägerin beim willkürlichen und planmäßigen Heben eine plötzliche und unerwartete äußere Krafteinwirkung erfahren hätte. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn der Klägerin der Karton etwa unerwartet abgerutscht und ein Nachfassen erforderlich gemacht hätte. Ein solches Überraschungsmoment ergebe sich jedoch nicht aus den Schilderungen. Zur weiteren Begründung wird im Übrigen auf die Ausführungen im Verwaltungsverfahren verwiesen.
Das Gericht hat zunächst Befundberichte bei dem Orthopäden Dr. F., bei dem Hausarzt Dr. E. sowie bei dem Wirbelsäulenchirurg Dr. G. eingeholt. Dem Befundbericht von Dr. E. vom 13.03.014 ist zu entnehmen, dass er die Klägerin seit Juni 2005 behandelt, die letzte Vorstellung ist am 13.03.2013 erfolgt. Er schreibt, die Klägerin habe über rezidivierende, therapieresistente Schmerzen im Lendenwirbelsäulenbereich, zunehmend bei Belastung und im Sitzen geklagt. Am 27.06.2012 habe eine Bandscheibenoperation im Bereich L5/S1 stattgefunden. Sie sei seit 14.06.2010 arbeitsunfähig und ab 31.10.2013 wieder berufstätig, ab 07.11.2013 wieder arbeitsunfähig gewesen. Es bestehe ein Lendenwirbelsäulensyndrom, eine Lumbalgie bei Zustand nach Bandscheibenoperation L5/S1, ein chronisches Schmerzsyndrom, Erschöpfungsdepression, Fructoseintoleranz, rezidivierende Gastritis und Hashimoto-Thyreoiditis (Bl. 105-109 d. Gerichtsakte). Dr. F. erstattete den Befundbericht am 17.03.2014. Darin gab er an, die Klägerin zuerst am 10.02.2010 und zuletzt am 06.12.2012 behandelt zu haben. Sie habe sich wegen starker Rückenschmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule vorgestellt und geklagt, dass diese mit Ausstrahlung in Beine und Arme seit Jahren bestehenden würden. Er habe am 10.02.2010 eine Röntgenuntersuchung der LWS durchgeführt und am 27.02.2010 ein MRT der LWS zur Fragestellung Lumboischialgie rechts in Auftrag gegeben. Der Befund habe eine beginnende Degeneration der Bandscheibe Lendenwirbelkörper 4/5 sowie eine Chondrose LWK5/SWK1 und basalmedial betonte Protrusion mit Wurzelkontakt rechts ergeben (Bl. 129-132 d. Gerichtsakte). Dr. G. erstattete keinen expliziten Befundbericht, sondern übersandte einen Auszug aus der Patientenkartei (Beginn 30.04.2013) sowie diverse Arztberichte (Bl. 73-92 d. Gerichtsakte).
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens bei Dr. H., Orthopäde. Dr. H. hat die Klägerin am 26.06.2014 untersucht und das Gutachten am 27.06.2014 erstattet. Der Sachverständige Dr. H. hielt fest, die Klägerin habe geschildert, das Auffüllen des Cola–Konzentrates habe schnell gehen müssen. Sie habe unmittelbar während der Bewegung des Aufrichtens und Drehens einen Schmerz im Bereich des unteren Rückens verspürt, habe jedoch bis 19:00 Uhr (Schichtende) weiterarbeiten können. Sie habe den Schmerz am nächsten Tag stärker empfunden und eine Ausstrahlung vom unteren Rücken in das rechte Bein bis zur Außenseite des rechten oberen Sprunggelenks verspürt und sei gehumpelt. Sie habe ihren Hausarzt erst am 05.05.2010 aufgesucht, weil sie dachte, der Schmerz würde wieder von selbst vergehen. Der Hausarzt habe sie dann zum Orthopäden überwiesen und sie habe dort dann am 14.05.2010 einen Termin erhalten. Die vom Orthopäden veranlasste Kernspintomographie sei dann erst am 27.05.2010 durchgeführt worden. Sie habe sich wegen der Schmerzen operieren lassen wollen, man habe jedoch davon abgeraten, da keine Lähmungen bestanden hätten. Sie habe sich dann am 13.08.2010 in stationäre Behandlung begeben und eine konservative Therapie mit Injektionen und Tabletten durchgeführt, die jedoch erfolglos war. Deshalb habe sie sich am 27.06.2012 operieren lassen. Der Sachverständige hielt folgende Diagnosen fest: 1. Degenerativer, als gering zu bezeichnender Prozess im Bandscheibenfach L5/S1, 2. Bandscheibenvorfall L5/S1 mit Bedrängung der Nervenwurzel S1 rechts, 3. Postdiskotomie – Syndrom (PDS) durch nachgewiesene narbige Verwachsungen in unmittelbarer Nähe der Nervenwurzel im operierten Segment (im MRT erstmals nachgewiesen am 20.08.2012) sowie eine eindeutige und erhebliche Zwischenraumerniedrigung mit degenerativen Veränderung der Wirbelgelenke L5/S1 aufgrund das teleskopartigen Ineinanderschiebens (nachgewiesen durch Röntgenaufnahmen im Stehen am 24.06.2014), zu werten als Instabilität mit 4. klinisch wiederkehrenden Nervenwurzelreizungen bei unterschiedlichen Körperhaltungen und Belastungen. Bei der Klägerin handele es sich um ein schicksalhaftes Ereignis, es bestehe offenbar eine individuelle Disposition zur Narbenbildung in unmittelbarer Nähe der operierten Nervenwurzel. Dies führe dazu, dass die Wurzel Bewegungen und Belastungen nicht folgen könne und bei häufiger Impulsgebung Sauerstoffmangel erleide, was für die Beschwerden verantwortlich sei. Die von ihm gestellten Diagnosen 2., 3. und 4. seien ursächlich auf das Ereignis am 01. Mai 2010 zurückzuführen. Andere Umstände wie Verschleiß konkurrierten nicht mit der außergewöhnlichen Belastung, der die Klägerin ausgesetzt gewesen sei. Das für eine Frau untypische und als gefährdend bezeichnete Heben einer Last von 20 Kilo annähernd vom Boden und das Einbringen in ein Regal unter Aufrichte- und Drehbewegung sei auch wegen des Zeitdrucks Ursache für den Bandscheibenvorfall. Er hielt eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 % für gegeben (Bl. 174-215 d. Gerichtsakte).
Die Beklagte wandte ein, gegen einen akuten traumatischen Bandscheibenvorfall spräche, dass knöcherne Verletzungen im Kernspintomographiebefund nicht nachgewiesen werden konnten. Nach der unfallmedizinischen Literatur setze ein traumatischer Bandscheibenvorfall stets knöcherne bzw. strukturelle Verletzungen an den die Bandscheibe umgebenden Wirbelkörpern voraus. Zudem spräche das Weiterarbeiten der Klägerin nach dem Ereignis gegen eine erheblich ausgeprägte Schmerzsymptomatik, die eine sofortige Einstellung der Arbeit normalerweise erforderlich mache. Die Beklagte legte hierzu eine fachärztliche Stellungnahme von Dr. D. vom 06.10.2014 vor. Dieser ist insbesondere zu entnehmen, dass sich der Sachverständige Dr. H. wohl nicht mit der relevanten Vorgeschichte der Klägerin beschäftigt habe. Die Klägerin sei bereits am 10.02.2010 wegen einer lumbalformen Symptomatik in Behandlung gewesen. Das Geschehen vom 01. Mai 2010 habe den Schaden im Bereich der Wirbelsäule nicht verursacht, sondern allenfalls akzentuiert. Eine Behandlungsbedürftigkeit über 1 bis 2 Wochen wäre plausibel, darüber hinaus stünde im Vordergrund die Behandlung der unfallunabhängigen Erkrankung.
Das Gericht hat hierzu eine ergänzende Stellungnahme bei dem Sachverständigen Dr. H. eingeholt. Dieser erstellte die ergänzende Stellungnahme am 11.12.2014 und hielt im Ergebnis an seiner Einschätzung fest (Bl. 265-207 60 d. Gerichtsakte). Die Beklagte konnte sich dieser Stellungnahme nicht anschließen.
Das Gericht hat daraufhin ein weiteres Gutachten von Amts wegen bei dem Sachverständigen Dr. J., Orthopäde, eingeholt.
Der Sachverständige Dr. J. untersuchte die Klägerin am 12.02.2015 und erstattete das Gutachten am 16.02.2015. Er hielt folgende Diagnosen bei der Klägerin fest: 1. Postnukleotomiesyndrom nach knöcherner Dekompression L 5/S1 rechts mit Nukleotomie L 5/S1 rechts bei NPP 2010 mit Verdacht auf Ausbildung einer beginnenden segmentalen Instabilität im Segment L 5/S1 mit Ausbildung einer somatoformen Schmerzstörung ohne wesentliche funktionelle Einschränkungen, 2. Minimale kyphoskoliotische Fehlstatik der Rumpfwirbelsäule, 3. Adipositas, 4. Anpassungsstörung. Im Hinblick auf den ursächlichen Zusammenhang mit dem Ereignis vom 01.05.2010 hielt er wörtlich fest: "Im Reha-Entlassungsbericht Bad Schwalbach vom 13.09.2010 ist in der Anamneseerhebung zu entnehmen, dass Frau A. seit 11/2008 an lumbalen Schmerzen leidet. Im Befundbericht der vormals behandelnden Orthopäden Dres. F./I., A-Stadt, wird berichtet, dass Frau A. erstmalig am 10.02.2010 (also vor dem Ereignis vom 01.05.2010) wegen lumbalen Beschwerden vorstellig wurde. Aufgrund der Beschwerdesituation wurde eine Kernspintomographie der LWS mit Datum vom 27.02.2010 erstellt, diese zeigte eine beginnende Degeneration der Bandscheibe L 4/5 sowie eine Chondrose im Segment L5/S1 mit basal medial betonter Protrusion mit Wurzelkontakt rechts. Insofern dürfte eine Vorschädigung der unteren LWS, insbesondere des Segmentes L 5/S1 vor dem Ereignis vom 01.05.2010 unstrittig sein ( ) Im besonderen Fall von Frau A. liegen unstrittig Vorschäden im Segment L 5/S1 vor, so dass das Ereignis vom 01.05.2010 nicht geeignet war, die Gesundheitsstörung unter Punkt 1 zu verursachen oder eine Verschlimmerung zu bewirken" (Bl. 28-29 d. Gerichtsakte).
Die Klägerin wandte dagegen ein, dass das MRT nicht von Dr. F. am 27.02.2010 durchgeführt wurde, sondern am 27.05.2010 von Dr. K., Arzt für Radiologie, (Bl. 330 d. Gerichtsakte).
Das Gericht hat eine ergänzende Stellungnahme bei den Sachverständigen Dr. J. eingeholt, welche er am 27.04.2015 erstattete. Im Ergebnis blieb er bei seiner Einschätzung (Bl. 364-370 d. Gerichtsakte). In einer weiteren ergänzende Stellungnahme vom 09.07.2015 führte der Sachverständige Doktor J. aus, der MRT-Befund der Lendenwirbelsäule vom 27.05.2010 sei von ihm auf Seite 17 des Gutachtens richtig zitiert worden und werde der Vollständigkeit halber nochmals zitiert: "Beginnende Degeneration der Bandscheibe LWK 4/5 und noch keine wesentliche bulging disc. Chondrose L5/S1 und basal median betonte Protrusion (Prolaps) mit Wurzelkontakt rechts. Fehlstreckhaltung als Hinweis auf eine temporäre Instabilität" (Bl. 382-384 d. Gerichtsakte).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die jeweils Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, sie ist insbesondere gemäß §§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht vor dem zuständigen Gericht erhoben worden und als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft. Mit dem Antrag, das Ereignis vom 01. Mai 2010 als Arbeitsunfall anzuerkennen, erstrebt die Klägerin die gerichtliche Feststellung, dass der erlittene Unfall und die dadurch erlittene Gesundheitsschädigung unter Versicherungsschutz standen und es sich demzufolge um einen Arbeitsunfall handelte. Richtige Klageart zur Erreichung dieses Ziels ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage. Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass sich die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 24.04.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2013 richtet. In der mündlichen Verhandlung ist ausweislich des Sitzungsprotokolls versehentlich ein falsches Bescheid-Datum im Antrag der Klägerin aufgenommen worden.
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Das Ereignis vom 01. Mai 2010 ist zur Überzeugung der Kammer kein Versicherungsfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bescheid vom 24.04.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Für den Versicherungsfall des Arbeitsunfalls ist nach § 8 Abs. 1 SGB VII erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzuordnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und, dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Dagegen ist das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens - die haftungsausfüllende Kausalität - nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Rente (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R –).
Während Unfallereignis und Gesundheitsschaden mit dem Vollbeweis bewiesen werden müssen, genügt für die haftungsbegründende Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden ebenso wie für die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheitserstschaden und länger andauernden Unfallfolgen nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. hierzu BSG, Urteile vom 10. Juni 1955 - 10 RV 390/54 - und vom 14. Juli 1955 - 8 RV 177/54 -; seither st. Rspr.) ein Ursachenzusammenhang. Für dessen Anerkennung ist zwar noch nicht die bloße Möglichkeit, aber schon eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil vom 19. März 1986 – 9a RVi 2/84 –) ausreichend. Diese ist erreicht, wenn bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung den für den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Gründen ein so deutliches Übergewicht zukommt, dass die dagegen sprechenden billigerweise für die Bildung und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht bleiben können (vgl. BSG, Urteile vom 2. Juni 1959 – 2 RU 158/56 – zu § 542 RVO a.F., 2. Februar 1977 – 8 RU 66/77 – und vom 27. Oktober 1989 – 9 RV 40/88 –). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSG, Urteil vom 10. Juni 1955 - 10 RV 390/54 –).
Hierbei gilt, dass es mehrere rechtliche Mitursachen geben kann, wobei sozialrechtlich alleine relevant ist, ob das Unfallereignis als solches wesentlich war. Ob es eine konkurrierende Ursache war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben (BSG, Urteile vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R – und vom 29. November 1973 – 10 RV 617/72 – zu § 542 a.F. RVO; vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl 2010, S. 24 f.). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannten Ursachen "wesentlich" und damit Ursachen im Sinne des Sozialrechts (BSG, Urteil vom 30. Juni 1960 – 2 RU 86/56 –). Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber im zweiten Prüfungsschritt nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder "Auslöser" bezeichnet werden (BSG, Urteile vom 27. Oktober 1987 – 2 RU 35/87 – und vom 12. April 2005 – B 2 U 27/04 R –). Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen oder abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlich äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern, dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (BSG Urteile vom 27. Oktober 1987 – 2 RU 35/87 – und vom 12. April 2005 – B 2 U 27/04 –). Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen. Diese vom Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 09. Mai 2006 (Az. B 2 U 1/05 R) ausführlich dargelegten Grundlagen der Theorie der wesentlichen Bedingung gelten für alle als Unfallfolgen geltend gemachten Gesundheitsstörungen.
Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen, so geht dies nach den im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus der nicht erwiesenen Tatsache für sich herleitet (BSG, Urteile vom 29. März 1963 – 2 RU 75/61 – und vom 31. Oktober 1969 – 2 RU 40/67 – sowie vom 20. Januar 1977 – 8 RU 52/76 –).
Voraussetzung für unfallbedingte Bandscheibenverletzungen ist nach Schönberger/Mehrtens/Valentin das meist gleichzeitige Vorliegen mit Wirbelkörperfrakturen. Die Bandscheibenbeteiligung ist eine häufige Begleitverletzung des Wirbelkörperbruchs. Der isolierte Wirbelkörperbruch ist relativ selten. Ältere Lehrmeinungen über das Vorliegen isolierter traumatischer Bandscheibenvorfälle sind aufgrund moderner bildgebender Verfahren nicht zu halten. Als Unfallfolge erscheinen Bandscheibenvorfälle stets mit begleitenden (minimalen) knöchernen oder Bandverletzungen im betroffenen Segment. Begleitende, wenn auch minimale, knöcherne oder Bandverletzungen im vom Bandscheibenvorfall betroffenen Segment müssen vorliegen. Liegen derartige Begleitverletzung nicht vor, kann ein Unfall einen Bandscheibenvorfall nur herbeiführen, wenn eine gravierende Schadensanlage vorliegt, d.h. eine weit fortgeschrittene Zermürbung des Faserrings der Bandscheibe. Das Unfallereignis führt dann nur zu einem Zerreißen der letzten Fasern und zu einer Manifestation des Bandscheibenvorfalls. Da der unfallunabhängige Prozess, welcher primär zu der fortgeschrittenen Zermürbung des Faserrings geführt hat, seinem Wesen nach fortschreitend ist, ist das Unfallereignis als Ursache des Bandscheibenvorfalls unwesentlich. In absehbarer Zeit wäre der Bandscheibenvorfall auch unter den Bedingungen des alltäglichen Lebens zu erwarten gewesen (Schönberger/Mertens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Seite 459-461).
Vor dem Hintergrund dieser Maßstäbe ist die Kammer davon überzeugt, dass sich die Klägerin bei dem Ereignis am 01.05.2010 keinen unfallbedingten Bandscheibenschaden zugezogen hat. Zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass es sich bei dem festgestellten Vorgang nicht um ein geeignetes Unfallereignis handelt, um eine gesunde Bandscheibe zu schädigen. Einen Ursachenzusammenhang zwischen dem Hebevorgang und dem Gesundheitsschaden in Form des Bandscheibenvorfall L5/S1 sieht die Kammer aufgrund der medizinischen Ermittlungen nicht als hinreichend wahrscheinlich an. Sie folgt hier dem in sich schlüssigen und überzeugenden Gutachten von Dr. J. Nicht gefolgt werden kann hingegen den Ausführungen von Dr. H. Das Gutachten von Dr. H. überzeugt die Kammer nicht, denn tatsächlich hat er sich nicht ausreichend damit auseinandergesetzt, ob bei der Klägerin ein relevanter Vorschaden zu verzeichnen ist. Zu den nach der Fachliteratur erforderlichen typischen Begleitverletzungen bei unfallbedingten Bandscheibenvorfällen äußerte er sich gar nicht. Die bloße Feststellung von Dr. H., dass es sich bei einer Hebelast von 20 kg um eine schwere Last im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung handelt, reicht nicht aus, um eine generelle Eignung des bloßen Hebevorganges für das Auslösen eines Bandscheibenvorfalles an einer gesunden Bandscheibe zu begründen. Das Gutachten von Dr. J. steht demgegenüber im Einklang mit der unfallmedizinischen Lehrmeinung. Insbesondere setzte er sich ausreichend mit der Frage auseinander, ob bei der Klägerin bereits vor dem Ereignis vom 01. Mai 2010 ein relevanter Vorschaden vorgelegen hat. Bereits seit dem Jahr 2008 klagt die Klägerin über Beschwerden im Wirbelsäulenbereich, was eine Vorschädigung belegt. Dies wird auch durch den Befundbericht von Dr. F. vom 17.03.2014 deutlich, da sich die Klägerin dort bereits am 10.02.2010 wegen starker Schmerzen im LWS-Bereich vorgestellt hatte. Ferner hat die MRT-Untersuchung vom 27.05.2010 keinerlei Begleitverletzungen an den angrenzenden Wirbelkörpern oder Bändern ergeben. Dies belegt eindeutig, dass das Ereignis am 01. Mai 2010 nicht zu einem Trauma der Bandscheibe geführt hat. Zudem sprechen auch das Weiterarbeiten der Klägerin am 01.05.2010 und das Aufsuchen des Hausarztes erst am 05.05.2010 gegen einen wesentlich unfallbedingten Bandscheibenschaden, da bei traumatisch bedingten Bandscheibenvorfällen aufgrund der erforderlichen Krafteinwirkung und Begleitverletzung stets starke lokale Schmerzen auftreten (Schönberger/Mertens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Seite 461). Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass das Ereignis lediglich als "Gelegenheitsursache" und nach der Theorie der wesentlichen Bedingung im Sinne des Sozialrechts nicht als rechtlich wesentlich anzusehen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung des Ereignisses vom 01. Mai 2010 als Arbeitsunfall nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII).
Die Klägerin ist 1976 geboren und war seit 01.08.2008 unbefristet bei der C. Filiale in der C-Straße in A-Stadt beschäftigt. Ausweislich des Arbeitsvertrages zwischen der Klägerin und C. vom 09.11.2007 war die Klägerin als Mitarbeiterin im Rotationssystem in Vollzeit eingesetzt. Die Kündigung erfolgte schließlich im Juni 2012.
Am 01. Mai 2010 war die Klägerin in einer C. Filiale in C-Stadt eingesetzt, als sie eine Kiste mit Colaflaschen anhob, die etwa 20 kg wog, um den Getränkeautomaten aufzufüllen.
Der Arbeitgeber der Klägerin zeigte am 14.07.2012 einen Unfall bei der Beklagten an und gab an, dass die Klägerin am 01. Mai 2010 gegen 18:00 Uhr ein Arbeitsunfall erlitten habe. Beigefügt war ein Schreiben der Klägerin vom 11. Juli 2012 an ihren Arbeitgeber, in welchem sie beschreibt, sie habe im Lager einen Karton mit Cola von unten nach oben bis zum Brustkorb und mit Drehen nach links gehoben. In diesem Moment habe sie Druck am Ende der Wirbelsäule gefühlt, sie habe sich gebogen und mindestens 3 Wirbelkörper seien vorgesprungen. Ab dem nächsten oder übernächsten Tag habe sie nicht mehr stehen können, ihr Kreuzbein sei zerrissen gewesen. Mit jeder Bewegung habe es links und rechts gewackelt, sie habe es nicht mehr kontrollieren können. Mit jeder Vorneigung und Drehung nach links oder rechts habe sich ihr rechtes Bein gezogen, sie könnte sterben (Rückseite Bl. 1 d. Verwaltungsakte).
Am 10.01.2013 leitete die Beklagte ein Verwaltungsverfahren im Hinblick auf das Vorliegen eines Arbeitsunfalles ein.
Zuvor hatte die Klägerin mit Schreiben vom 22.06.2012 bei der Beklagten bereits beantragt, ihren Bandscheibenvorfall L5/S1 seit 14. Mai 2010 als Berufskrankheit anzuerkennen (Bl. 7 d. Verwaltungsakte). Die Beklagte hatte Ermittlungen im Hinblick auf die Belastungen nach dem Mainz-Dortmunder Dosismodell eingeleitet (Bl. 8-44 d. Verwaltungsakte).
Auf Bl. 45 der Verwaltungsakte hielt Dr. D. in einer fachärztlichen Stellungnahme vom 13.09.2012 fest, die Versicherte sei 36 Jahre alt und nach der Dokumentation von 1997 - 2004 in Bulgarien tätig gewesen. Sie sei dort als Grünflächenmitarbeiterin, als Putzfrau sowie als Operator und Maschinenschreiberin tätig gewesen. Seit 2004 sei sie als Mitarbeiterin bei C. tätig. Es sei dokumentiert, dass die Versicherte wegen einer Lumbalgie mit Ausstrahlung in das rechte Bein behandlungsbedürftig wurde. Im Mai und Juli 2010 seien MRT-Untersuchungen erfolgt. Diese hätten eine beginnende Degeneration der Bandscheiben L4/L5 und eine Chondrose bei L5/S1 ergeben. Im Juli 2010 sei ein kleiner Prolaps mit Kontakt zur rechten S1-Wurzel beschrieben. Am 27.06.2012 sei ein globaler Bandscheibenvorfall bei L5/S1 operativ entfernt worden. Die Berufskrankheit nach der Ziffer 2108 könne nicht anerkannt werden, da die Expositionszeit lediglich 6 Jahre bis zum Vollbeweis des bandscheibenbedingten Leidens betragen habe. Die Anerkennung einer Berufskrankheit wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 08.11.2012 abgelehnt (Bl. 46 der Verwaltungsakte).
Im Hinblick auf den angegebenen Unfall vom 01. Mai 2010 holte die Beklagte eine Stellungnahme bei dem behandelnden Orthopäden Dr. F. ein. Dr. F. teilte mit Schreiben vom 08.02.2013 mit, von einem Arbeitsunfall sei ihm nichts bekannt. Die Patientin habe sich am 14.05.2010 in seiner Sprechstunde vorgestellt und angegeben, seit 3 Wochen Kreuzschmerzen mit Ausstrahlung in das rechte Bein zu haben. Er habe eine Lumboischialgie rechts diagnostiziert (Bl. 60 d. Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 24.04.2013 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 01. Mai 2010 als Arbeitsunfall ab. Zur Begründung führte sie aus, ein Unfall im Sinne des § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII habe nicht vorgelegen. Danach seien Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führten. Ein solches, von außen einwirkendes Ereignis liege bei der Klägerin nicht vor. Nach der Schilderung der Klägerin handele es sich bei dem Vorgang um eine willentlich gesteuerte, körpereigene Bewegung. Diese sei nicht geeignet, einen Gesundheitsschaden zu verursachen. Zudem sei in der Folge kein traumatisch bedingter Gesundheitsschaden festgestellt worden (Bl. 70 d. Verwaltungsakte).
Dagegen legte die Klägerin am 27.05.2013 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, das Geschehen vom 01. Mai 2010 stelle sehr wohl ein Unfallereignis im Sinne des SGB VII dar. Von außen auf den Körper wirke alles sein, was nicht der eigenen Risikosphäre im Sinne der körpereigenen Krankheitsentwicklung entspringe. Dies könnten physikalische sowie psychisch-seelische Einflüsse sein, wie außergewöhnliche Anstrengungen zu Stresssituation oder die Überwindung der Gegenkräfte beim Heben. Das Anheben des 20 kg schweren Kartons mit Colaflaschen stelle ein von außen einwirkendes Ereignis dar.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.08.2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass es sich bei dem Ereignis vom 01. Mai 2010 zwar um ein Unfallereignis handele, jedoch ein konkretes Unfallereignis (innerhalb einer Arbeitsschicht) nicht mit der erforderlichen Gewissheit festgestellt werden konnte. Die Meldung dieses Ereignisses habe der Arbeitgeber erstmals mit der Unfallanzeige im Januar 2013 vorgenommen. Weder gegenüber der Krankenkasse noch gegenüber der Deutschen Rentenversicherung habe die Klägerin einen Unfall während der Arbeit angegeben. Auch gegenüber den behandelnden Ärzten habe sie kein Unfallereignis als Ursache für die Beschwerden angegeben. Zudem sei der Hergang nach medizinischer Lehrmeinung nicht geeignet, einen traumatischen Bandscheibenvorfall zu verursachen. Vielmehr bleibe darauf hinzuweisen, dass bereits seit 2008 regelmäßige Behandlungen wegen Wirbelsäulenbeschwerden stattgefunden hätten und die Beschwerden eher degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule zuzuschreiben seien.
Dagegen hat die Klägerin am 06.09.2013 Klage vor dem hiesigen Gericht erhoben.
Zur Begründung trägt sie vor, das Anheben der Kiste habe für sie eine außergewöhnliche Anstrengung dargestellt, da sie üblicherweise nur Lasten zwischen 5 und 8 Kilo angehoben habe. Zudem habe sie während ihrer Tätigkeit unter einem enormen Zeitdruck gestanden. Sie habe am 01. Mai 2010 einen traumatischen Bandscheibenvorfall erlitten und sei daraufhin an der Bandscheibe operiert worden (Nukleotomie LWK 5/SW1 rechts). Zudem werde bestritten, dass sie sich seit 2008 in regelmäßiger Behandlung wegen Wirbelsäulenbeschwerden befinde. Sie habe sich erst im Februar 2010 bei dem Orthopäden Dr. F. vorgestellt. Zudem habe die Bundesagentur für Arbeit in einem Gutachten vom 13.01.2013 festgestellt, dass sie keine Lasten mehr über 5 Kilo heben dürfe und ihr eine Weiterbeschäftigung als Servicekraft oder Küchenhelferin erkrankungsbedingt nicht zumutbar sei.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 24.04.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2013 aufzuheben festzustellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 01. Mai 2010 um ein Arbeitsunfall handelt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte erwiderte, dass die Klägerin ihrem Arbeitgeber erst mit Schreiben vom 11.07.2012 das Ereignis vom 01. Mai 2010 geschildert habe. Die Klägerin habe den Karton zudem willentlich angehoben. Nach der Rechtsprechung des BSG vom 12. April 2005 (Az. B 2 U 27 / 04 R, so genanntes Grabstein-Urteil) sei schweres Heben an sich kein Unfallereignis. Eine Ausnahme hiervon sei nur dann zu machen, wenn unvorhergesehene Überraschungsmomente während des Hebevorgangs aufträten und zusätzliche Kräfte zum Tragen kämen. Bei einer vom Willen gesteuerten Eigenbewegung komme es nur dann zu einer Einwirkung von außen, wenn diese durch einen ungewollten Vorfall unterbrochen werde. Die Schilderung der Klägerin, sie habe nach Anheben des Colakartons beim Drehen des Körpers nach links einen Druck an der Wirbelsäule verspürt, führe zu keinem Hinweis, dass die Klägerin beim willkürlichen und planmäßigen Heben eine plötzliche und unerwartete äußere Krafteinwirkung erfahren hätte. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn der Klägerin der Karton etwa unerwartet abgerutscht und ein Nachfassen erforderlich gemacht hätte. Ein solches Überraschungsmoment ergebe sich jedoch nicht aus den Schilderungen. Zur weiteren Begründung wird im Übrigen auf die Ausführungen im Verwaltungsverfahren verwiesen.
Das Gericht hat zunächst Befundberichte bei dem Orthopäden Dr. F., bei dem Hausarzt Dr. E. sowie bei dem Wirbelsäulenchirurg Dr. G. eingeholt. Dem Befundbericht von Dr. E. vom 13.03.014 ist zu entnehmen, dass er die Klägerin seit Juni 2005 behandelt, die letzte Vorstellung ist am 13.03.2013 erfolgt. Er schreibt, die Klägerin habe über rezidivierende, therapieresistente Schmerzen im Lendenwirbelsäulenbereich, zunehmend bei Belastung und im Sitzen geklagt. Am 27.06.2012 habe eine Bandscheibenoperation im Bereich L5/S1 stattgefunden. Sie sei seit 14.06.2010 arbeitsunfähig und ab 31.10.2013 wieder berufstätig, ab 07.11.2013 wieder arbeitsunfähig gewesen. Es bestehe ein Lendenwirbelsäulensyndrom, eine Lumbalgie bei Zustand nach Bandscheibenoperation L5/S1, ein chronisches Schmerzsyndrom, Erschöpfungsdepression, Fructoseintoleranz, rezidivierende Gastritis und Hashimoto-Thyreoiditis (Bl. 105-109 d. Gerichtsakte). Dr. F. erstattete den Befundbericht am 17.03.2014. Darin gab er an, die Klägerin zuerst am 10.02.2010 und zuletzt am 06.12.2012 behandelt zu haben. Sie habe sich wegen starker Rückenschmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule vorgestellt und geklagt, dass diese mit Ausstrahlung in Beine und Arme seit Jahren bestehenden würden. Er habe am 10.02.2010 eine Röntgenuntersuchung der LWS durchgeführt und am 27.02.2010 ein MRT der LWS zur Fragestellung Lumboischialgie rechts in Auftrag gegeben. Der Befund habe eine beginnende Degeneration der Bandscheibe Lendenwirbelkörper 4/5 sowie eine Chondrose LWK5/SWK1 und basalmedial betonte Protrusion mit Wurzelkontakt rechts ergeben (Bl. 129-132 d. Gerichtsakte). Dr. G. erstattete keinen expliziten Befundbericht, sondern übersandte einen Auszug aus der Patientenkartei (Beginn 30.04.2013) sowie diverse Arztberichte (Bl. 73-92 d. Gerichtsakte).
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens bei Dr. H., Orthopäde. Dr. H. hat die Klägerin am 26.06.2014 untersucht und das Gutachten am 27.06.2014 erstattet. Der Sachverständige Dr. H. hielt fest, die Klägerin habe geschildert, das Auffüllen des Cola–Konzentrates habe schnell gehen müssen. Sie habe unmittelbar während der Bewegung des Aufrichtens und Drehens einen Schmerz im Bereich des unteren Rückens verspürt, habe jedoch bis 19:00 Uhr (Schichtende) weiterarbeiten können. Sie habe den Schmerz am nächsten Tag stärker empfunden und eine Ausstrahlung vom unteren Rücken in das rechte Bein bis zur Außenseite des rechten oberen Sprunggelenks verspürt und sei gehumpelt. Sie habe ihren Hausarzt erst am 05.05.2010 aufgesucht, weil sie dachte, der Schmerz würde wieder von selbst vergehen. Der Hausarzt habe sie dann zum Orthopäden überwiesen und sie habe dort dann am 14.05.2010 einen Termin erhalten. Die vom Orthopäden veranlasste Kernspintomographie sei dann erst am 27.05.2010 durchgeführt worden. Sie habe sich wegen der Schmerzen operieren lassen wollen, man habe jedoch davon abgeraten, da keine Lähmungen bestanden hätten. Sie habe sich dann am 13.08.2010 in stationäre Behandlung begeben und eine konservative Therapie mit Injektionen und Tabletten durchgeführt, die jedoch erfolglos war. Deshalb habe sie sich am 27.06.2012 operieren lassen. Der Sachverständige hielt folgende Diagnosen fest: 1. Degenerativer, als gering zu bezeichnender Prozess im Bandscheibenfach L5/S1, 2. Bandscheibenvorfall L5/S1 mit Bedrängung der Nervenwurzel S1 rechts, 3. Postdiskotomie – Syndrom (PDS) durch nachgewiesene narbige Verwachsungen in unmittelbarer Nähe der Nervenwurzel im operierten Segment (im MRT erstmals nachgewiesen am 20.08.2012) sowie eine eindeutige und erhebliche Zwischenraumerniedrigung mit degenerativen Veränderung der Wirbelgelenke L5/S1 aufgrund das teleskopartigen Ineinanderschiebens (nachgewiesen durch Röntgenaufnahmen im Stehen am 24.06.2014), zu werten als Instabilität mit 4. klinisch wiederkehrenden Nervenwurzelreizungen bei unterschiedlichen Körperhaltungen und Belastungen. Bei der Klägerin handele es sich um ein schicksalhaftes Ereignis, es bestehe offenbar eine individuelle Disposition zur Narbenbildung in unmittelbarer Nähe der operierten Nervenwurzel. Dies führe dazu, dass die Wurzel Bewegungen und Belastungen nicht folgen könne und bei häufiger Impulsgebung Sauerstoffmangel erleide, was für die Beschwerden verantwortlich sei. Die von ihm gestellten Diagnosen 2., 3. und 4. seien ursächlich auf das Ereignis am 01. Mai 2010 zurückzuführen. Andere Umstände wie Verschleiß konkurrierten nicht mit der außergewöhnlichen Belastung, der die Klägerin ausgesetzt gewesen sei. Das für eine Frau untypische und als gefährdend bezeichnete Heben einer Last von 20 Kilo annähernd vom Boden und das Einbringen in ein Regal unter Aufrichte- und Drehbewegung sei auch wegen des Zeitdrucks Ursache für den Bandscheibenvorfall. Er hielt eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 % für gegeben (Bl. 174-215 d. Gerichtsakte).
Die Beklagte wandte ein, gegen einen akuten traumatischen Bandscheibenvorfall spräche, dass knöcherne Verletzungen im Kernspintomographiebefund nicht nachgewiesen werden konnten. Nach der unfallmedizinischen Literatur setze ein traumatischer Bandscheibenvorfall stets knöcherne bzw. strukturelle Verletzungen an den die Bandscheibe umgebenden Wirbelkörpern voraus. Zudem spräche das Weiterarbeiten der Klägerin nach dem Ereignis gegen eine erheblich ausgeprägte Schmerzsymptomatik, die eine sofortige Einstellung der Arbeit normalerweise erforderlich mache. Die Beklagte legte hierzu eine fachärztliche Stellungnahme von Dr. D. vom 06.10.2014 vor. Dieser ist insbesondere zu entnehmen, dass sich der Sachverständige Dr. H. wohl nicht mit der relevanten Vorgeschichte der Klägerin beschäftigt habe. Die Klägerin sei bereits am 10.02.2010 wegen einer lumbalformen Symptomatik in Behandlung gewesen. Das Geschehen vom 01. Mai 2010 habe den Schaden im Bereich der Wirbelsäule nicht verursacht, sondern allenfalls akzentuiert. Eine Behandlungsbedürftigkeit über 1 bis 2 Wochen wäre plausibel, darüber hinaus stünde im Vordergrund die Behandlung der unfallunabhängigen Erkrankung.
Das Gericht hat hierzu eine ergänzende Stellungnahme bei dem Sachverständigen Dr. H. eingeholt. Dieser erstellte die ergänzende Stellungnahme am 11.12.2014 und hielt im Ergebnis an seiner Einschätzung fest (Bl. 265-207 60 d. Gerichtsakte). Die Beklagte konnte sich dieser Stellungnahme nicht anschließen.
Das Gericht hat daraufhin ein weiteres Gutachten von Amts wegen bei dem Sachverständigen Dr. J., Orthopäde, eingeholt.
Der Sachverständige Dr. J. untersuchte die Klägerin am 12.02.2015 und erstattete das Gutachten am 16.02.2015. Er hielt folgende Diagnosen bei der Klägerin fest: 1. Postnukleotomiesyndrom nach knöcherner Dekompression L 5/S1 rechts mit Nukleotomie L 5/S1 rechts bei NPP 2010 mit Verdacht auf Ausbildung einer beginnenden segmentalen Instabilität im Segment L 5/S1 mit Ausbildung einer somatoformen Schmerzstörung ohne wesentliche funktionelle Einschränkungen, 2. Minimale kyphoskoliotische Fehlstatik der Rumpfwirbelsäule, 3. Adipositas, 4. Anpassungsstörung. Im Hinblick auf den ursächlichen Zusammenhang mit dem Ereignis vom 01.05.2010 hielt er wörtlich fest: "Im Reha-Entlassungsbericht Bad Schwalbach vom 13.09.2010 ist in der Anamneseerhebung zu entnehmen, dass Frau A. seit 11/2008 an lumbalen Schmerzen leidet. Im Befundbericht der vormals behandelnden Orthopäden Dres. F./I., A-Stadt, wird berichtet, dass Frau A. erstmalig am 10.02.2010 (also vor dem Ereignis vom 01.05.2010) wegen lumbalen Beschwerden vorstellig wurde. Aufgrund der Beschwerdesituation wurde eine Kernspintomographie der LWS mit Datum vom 27.02.2010 erstellt, diese zeigte eine beginnende Degeneration der Bandscheibe L 4/5 sowie eine Chondrose im Segment L5/S1 mit basal medial betonter Protrusion mit Wurzelkontakt rechts. Insofern dürfte eine Vorschädigung der unteren LWS, insbesondere des Segmentes L 5/S1 vor dem Ereignis vom 01.05.2010 unstrittig sein ( ) Im besonderen Fall von Frau A. liegen unstrittig Vorschäden im Segment L 5/S1 vor, so dass das Ereignis vom 01.05.2010 nicht geeignet war, die Gesundheitsstörung unter Punkt 1 zu verursachen oder eine Verschlimmerung zu bewirken" (Bl. 28-29 d. Gerichtsakte).
Die Klägerin wandte dagegen ein, dass das MRT nicht von Dr. F. am 27.02.2010 durchgeführt wurde, sondern am 27.05.2010 von Dr. K., Arzt für Radiologie, (Bl. 330 d. Gerichtsakte).
Das Gericht hat eine ergänzende Stellungnahme bei den Sachverständigen Dr. J. eingeholt, welche er am 27.04.2015 erstattete. Im Ergebnis blieb er bei seiner Einschätzung (Bl. 364-370 d. Gerichtsakte). In einer weiteren ergänzende Stellungnahme vom 09.07.2015 führte der Sachverständige Doktor J. aus, der MRT-Befund der Lendenwirbelsäule vom 27.05.2010 sei von ihm auf Seite 17 des Gutachtens richtig zitiert worden und werde der Vollständigkeit halber nochmals zitiert: "Beginnende Degeneration der Bandscheibe LWK 4/5 und noch keine wesentliche bulging disc. Chondrose L5/S1 und basal median betonte Protrusion (Prolaps) mit Wurzelkontakt rechts. Fehlstreckhaltung als Hinweis auf eine temporäre Instabilität" (Bl. 382-384 d. Gerichtsakte).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die jeweils Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, sie ist insbesondere gemäß §§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht vor dem zuständigen Gericht erhoben worden und als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft. Mit dem Antrag, das Ereignis vom 01. Mai 2010 als Arbeitsunfall anzuerkennen, erstrebt die Klägerin die gerichtliche Feststellung, dass der erlittene Unfall und die dadurch erlittene Gesundheitsschädigung unter Versicherungsschutz standen und es sich demzufolge um einen Arbeitsunfall handelte. Richtige Klageart zur Erreichung dieses Ziels ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage. Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass sich die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 24.04.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2013 richtet. In der mündlichen Verhandlung ist ausweislich des Sitzungsprotokolls versehentlich ein falsches Bescheid-Datum im Antrag der Klägerin aufgenommen worden.
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Das Ereignis vom 01. Mai 2010 ist zur Überzeugung der Kammer kein Versicherungsfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bescheid vom 24.04.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Für den Versicherungsfall des Arbeitsunfalls ist nach § 8 Abs. 1 SGB VII erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzuordnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und, dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Dagegen ist das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens - die haftungsausfüllende Kausalität - nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Rente (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R –).
Während Unfallereignis und Gesundheitsschaden mit dem Vollbeweis bewiesen werden müssen, genügt für die haftungsbegründende Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden ebenso wie für die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheitserstschaden und länger andauernden Unfallfolgen nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. hierzu BSG, Urteile vom 10. Juni 1955 - 10 RV 390/54 - und vom 14. Juli 1955 - 8 RV 177/54 -; seither st. Rspr.) ein Ursachenzusammenhang. Für dessen Anerkennung ist zwar noch nicht die bloße Möglichkeit, aber schon eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil vom 19. März 1986 – 9a RVi 2/84 –) ausreichend. Diese ist erreicht, wenn bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung den für den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Gründen ein so deutliches Übergewicht zukommt, dass die dagegen sprechenden billigerweise für die Bildung und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht bleiben können (vgl. BSG, Urteile vom 2. Juni 1959 – 2 RU 158/56 – zu § 542 RVO a.F., 2. Februar 1977 – 8 RU 66/77 – und vom 27. Oktober 1989 – 9 RV 40/88 –). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSG, Urteil vom 10. Juni 1955 - 10 RV 390/54 –).
Hierbei gilt, dass es mehrere rechtliche Mitursachen geben kann, wobei sozialrechtlich alleine relevant ist, ob das Unfallereignis als solches wesentlich war. Ob es eine konkurrierende Ursache war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben (BSG, Urteile vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R – und vom 29. November 1973 – 10 RV 617/72 – zu § 542 a.F. RVO; vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl 2010, S. 24 f.). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannten Ursachen "wesentlich" und damit Ursachen im Sinne des Sozialrechts (BSG, Urteil vom 30. Juni 1960 – 2 RU 86/56 –). Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber im zweiten Prüfungsschritt nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder "Auslöser" bezeichnet werden (BSG, Urteile vom 27. Oktober 1987 – 2 RU 35/87 – und vom 12. April 2005 – B 2 U 27/04 R –). Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen oder abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlich äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern, dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (BSG Urteile vom 27. Oktober 1987 – 2 RU 35/87 – und vom 12. April 2005 – B 2 U 27/04 –). Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen. Diese vom Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 09. Mai 2006 (Az. B 2 U 1/05 R) ausführlich dargelegten Grundlagen der Theorie der wesentlichen Bedingung gelten für alle als Unfallfolgen geltend gemachten Gesundheitsstörungen.
Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen, so geht dies nach den im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus der nicht erwiesenen Tatsache für sich herleitet (BSG, Urteile vom 29. März 1963 – 2 RU 75/61 – und vom 31. Oktober 1969 – 2 RU 40/67 – sowie vom 20. Januar 1977 – 8 RU 52/76 –).
Voraussetzung für unfallbedingte Bandscheibenverletzungen ist nach Schönberger/Mehrtens/Valentin das meist gleichzeitige Vorliegen mit Wirbelkörperfrakturen. Die Bandscheibenbeteiligung ist eine häufige Begleitverletzung des Wirbelkörperbruchs. Der isolierte Wirbelkörperbruch ist relativ selten. Ältere Lehrmeinungen über das Vorliegen isolierter traumatischer Bandscheibenvorfälle sind aufgrund moderner bildgebender Verfahren nicht zu halten. Als Unfallfolge erscheinen Bandscheibenvorfälle stets mit begleitenden (minimalen) knöchernen oder Bandverletzungen im betroffenen Segment. Begleitende, wenn auch minimale, knöcherne oder Bandverletzungen im vom Bandscheibenvorfall betroffenen Segment müssen vorliegen. Liegen derartige Begleitverletzung nicht vor, kann ein Unfall einen Bandscheibenvorfall nur herbeiführen, wenn eine gravierende Schadensanlage vorliegt, d.h. eine weit fortgeschrittene Zermürbung des Faserrings der Bandscheibe. Das Unfallereignis führt dann nur zu einem Zerreißen der letzten Fasern und zu einer Manifestation des Bandscheibenvorfalls. Da der unfallunabhängige Prozess, welcher primär zu der fortgeschrittenen Zermürbung des Faserrings geführt hat, seinem Wesen nach fortschreitend ist, ist das Unfallereignis als Ursache des Bandscheibenvorfalls unwesentlich. In absehbarer Zeit wäre der Bandscheibenvorfall auch unter den Bedingungen des alltäglichen Lebens zu erwarten gewesen (Schönberger/Mertens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Seite 459-461).
Vor dem Hintergrund dieser Maßstäbe ist die Kammer davon überzeugt, dass sich die Klägerin bei dem Ereignis am 01.05.2010 keinen unfallbedingten Bandscheibenschaden zugezogen hat. Zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass es sich bei dem festgestellten Vorgang nicht um ein geeignetes Unfallereignis handelt, um eine gesunde Bandscheibe zu schädigen. Einen Ursachenzusammenhang zwischen dem Hebevorgang und dem Gesundheitsschaden in Form des Bandscheibenvorfall L5/S1 sieht die Kammer aufgrund der medizinischen Ermittlungen nicht als hinreichend wahrscheinlich an. Sie folgt hier dem in sich schlüssigen und überzeugenden Gutachten von Dr. J. Nicht gefolgt werden kann hingegen den Ausführungen von Dr. H. Das Gutachten von Dr. H. überzeugt die Kammer nicht, denn tatsächlich hat er sich nicht ausreichend damit auseinandergesetzt, ob bei der Klägerin ein relevanter Vorschaden zu verzeichnen ist. Zu den nach der Fachliteratur erforderlichen typischen Begleitverletzungen bei unfallbedingten Bandscheibenvorfällen äußerte er sich gar nicht. Die bloße Feststellung von Dr. H., dass es sich bei einer Hebelast von 20 kg um eine schwere Last im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung handelt, reicht nicht aus, um eine generelle Eignung des bloßen Hebevorganges für das Auslösen eines Bandscheibenvorfalles an einer gesunden Bandscheibe zu begründen. Das Gutachten von Dr. J. steht demgegenüber im Einklang mit der unfallmedizinischen Lehrmeinung. Insbesondere setzte er sich ausreichend mit der Frage auseinander, ob bei der Klägerin bereits vor dem Ereignis vom 01. Mai 2010 ein relevanter Vorschaden vorgelegen hat. Bereits seit dem Jahr 2008 klagt die Klägerin über Beschwerden im Wirbelsäulenbereich, was eine Vorschädigung belegt. Dies wird auch durch den Befundbericht von Dr. F. vom 17.03.2014 deutlich, da sich die Klägerin dort bereits am 10.02.2010 wegen starker Schmerzen im LWS-Bereich vorgestellt hatte. Ferner hat die MRT-Untersuchung vom 27.05.2010 keinerlei Begleitverletzungen an den angrenzenden Wirbelkörpern oder Bändern ergeben. Dies belegt eindeutig, dass das Ereignis am 01. Mai 2010 nicht zu einem Trauma der Bandscheibe geführt hat. Zudem sprechen auch das Weiterarbeiten der Klägerin am 01.05.2010 und das Aufsuchen des Hausarztes erst am 05.05.2010 gegen einen wesentlich unfallbedingten Bandscheibenschaden, da bei traumatisch bedingten Bandscheibenvorfällen aufgrund der erforderlichen Krafteinwirkung und Begleitverletzung stets starke lokale Schmerzen auftreten (Schönberger/Mertens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Seite 461). Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass das Ereignis lediglich als "Gelegenheitsursache" und nach der Theorie der wesentlichen Bedingung im Sinne des Sozialrechts nicht als rechtlich wesentlich anzusehen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
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