S 12 U 210/10

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 12 U 210/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 U 10/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung und Entschädigung des Ereignisses am 27. April 2009 als Versicherungsfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung streitig. Die Klägerin begehrt Hinterbliebenenleistungen aus Anlass des Ereignisses am 27. April 2009 infolgedessen ihr Ehemann am xx. xxx 2009 verstarb.

Die Klägerin ist die Witwe des 1938 geborenen und 2009 verstorbenen Herrn C. A. (im Folgenden: Verstorbener) welcher am 27. April 2009 gegen 17 Uhr auf Veranlassung der Klägerin und der behandelnden Hausärztin in die Notaufnahme des GPR Klinikums in Rüsselsheim eingeliefert und dort stationär aufgenommen wurde. Die Einlieferung erfolgte aufgrund eines chronischen Alkoholmissbrauchs und einer Verschlechterung des Allgemeinzustands, nachdem der Verstorbene etwa zwölf Tage lang die Nahrungsaufnahme verweigert hatte. Zum Zeitpunkt der Einlieferung in die Klinik hatte er eine Blutalkoholkonzentration von etwa 2,9 Promille. In der Notaufnahme des Klinikums waren zu diesem Zeitpunkt die Zeuginnen Frau Dr. D. (Ärztin), Frau E. geb. F. (Krankenschwester) und Frau G. (Schwesternschülerin) tätig.

Der Verstorbene wurde von den Rettungssanitätern auf einer Liege in die Notaufnahme verbracht und dort in einen Rollstuhl umgesetzt. Anschließend wurde er nach kurzer Wartezeit von den Zeuginnen E. und G. in einen Behandlungsraum verbracht und dort auf eine Untersuchungsliege gesetzt. In dem Behandlungsraum befanden sich insgesamt zwei Untersuchungsliegen, welche durch einen Sichtschutz, sog. spanische Wand, getrennt waren. Auf der anderen Untersuchungsliege befand sich eine Patientin in Begleitung ihres Ehemannes. Der Verstorbene befand sich auf der Seite der Untersuchungsliege, die zur Zimmerwand zeigte und damit mit dem Rücken zu der spanischen Wand. Im weiteren Verlauf äußerte der Verstorbene das Bedürfnis, die sanitären Anlagen aufzusuchen. Stattdessen erhielt er von der Zeugin G. eine Urinflasche, sodann verließ die Zeugin G. zur Wahrung der Intimsphäre - den Raum. Etwa fünf bis zehn Minuten später wurde der Verstorbene von der Zeugin Dr. D. – alarmiert durch den Ehemann der Mitpatientin - mit dem Gesicht nach unten am Boden liegend gefunden. Er lag neben seiner Untersuchungsliege auf der Seite zur spanischen Wand hin. Hierbei zog er sich ein epi – und subdurales Hämatom links zu, welches im weiteren Verlauf nach einer Verlegung und Operation in der Neurochirurgie in Mainz letztlich zum Tode führte. Dies bestätigt der Obduktionsbericht des Instituts für Rechtsmedizin in Mainz vom 26. August 2009. Nach dem Unfallereignis informierte die Zeugin Dr. D. gegen 20:45 Uhr telefonisch die Klägerin und ihren Sohn, den Zeugen H. A., über das Geschehen. Am 28. April 2009 sprach die Zeugin Dr. D. noch einmal persönlich mit der Klägerin und dem Zeugen A. Die genauen Angaben der Zeugin D. sind zwischen den Beteiligten streitig.

Am 05. Mai 2009 informierte der Durchgangsarzt Prof. Dr. J. (im GPR Klinikum Rüsselsheim) mit Durchgangsarztbericht vom 05. Mai 2009 die Beklagte über das Ereignis am 27. April 2009. Zum Unfallhergang führt er aus, der Verunfallte sei betrunken beim Miktionsversuch in eine Urinflasche frontal nach vorne auf das Gesicht gestürzt; das Unfallereignis sei nicht sicher nachzuvollziehen, da keine Zeugen existierten. Der Verstorbene habe nach dem Unfallereignis eine Amnesie zum Unfallhergang aufgewiesen. In Spalte 12 des Durchgangsarztberichtes heißt es wörtlich: es wird keine Heilbehandlung zu Lasten der UV durchgeführt, da eigenwirtschaftliche Tätigkeit ( ).

Die Klägerin wandte sich mit Schreiben vom 28 Mai 2009 an die Beklagte und beantragte die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung. In einem Telefonat am 03. Juni 2009 informierte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Sachbearbeiterin der Beklagten darüber, dass es verschiedene Versionen des Unfallherganges gäbe, etwa dass der Verstorbene von der Liege gefallen sei.

Die Beklagte lehnte die Anerkennung des Ereignisses am 27. April 2009 als Versicherungsfall nach § 2 Abs. 1 Nr. 15 a Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sowie die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen mit Bescheid vom 26. August 2009 ab. Zur Begründung führte sie aus, ein Versicherungsfall sei nicht erwiesen. Der Verstorbene sei zum Unfallzeitpunkt allein gewesen. Ob er während oder nach dem Urinieren von der Liege gefallen oder selbst von der Liege aufgestanden und erst im Anschluss gefallen sei, lasse sich nicht feststellen. Im Übrigen habe der Verstorbene zum Zeitpunkt des Unfalles keine versicherte Tätigkeit nach § 2 Abs. 1 Nr. 15 a SGB VII ausgeübt, da sich weder eine krankenhausspezifische Gefahr realisiert habe, noch sei der Verstorbene während einer Mitwirkungshandlung bei der Behandlung verunfallt. Der Verstorbene habe mit der Verrichtung der Notdurft vielmehr eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit verrichtet.

Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 19. September 2009 Widerspruch ein. Zur Begründung trägt sie vor, es habe sich ein krankenhausspezifisches Risiko verwirklicht. Eine ärztliche Untersuchungsliege sei mindestens einen Meter hoch und sehr schmal. Im Übrigen wäre das Urinieren in der häuslichen Umgebung nicht mit diesen erheblichen Gefahren verbunden gewesen.

Die Beklagte zog daraufhin weitere Unterlagen bei, unter anderem eine Unfallskizze (Bl. 30 d. Verwaltungsakte) und die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Darmstadt (Geschäftszeichen 301 Js 3922/10) in Kopie. Das Ermittlungsverfahren gegen die Zeugin Dr. D. wurde schließlich eingestellt. Aus dem Obduktionsbericht des Instituts für Rechtsmedizin in Mainz vom 26. August 2009 ergibt sich, dass bei dem Verstorbenen nach dem Sturz eine Blutung entstand, welche durch die erhebliche Alkoholisierung begünstigt wurde. In dem Obduktionsbericht wird weiter ausgeführt, die festgestellte Blutalkoholkonzentration des Verstorbenen habe 3,46 Promille betragen. Da jedoch in Krankenhauslaboren in der Regel keine Umrechnung von Serum zu Blut erfolge, sei wahrscheinlich eher von einer Blutalkoholkonzentration von 2,9 Promille auszugehen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 09. Dezember 2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, ein Sturz von der Behandlungsliege sei nicht im Vollbeweis nachgewiesen.

Dagegen hat die Klägerin am 15. Dezember 2010 Klage erhoben.

Zur Begründung trägt sie vor, Frau Dr. D. habe ihrem Sohn gegenüber telefonisch mitgeteilt, dass ihr Ehemann von der Liege gestürzt sei. In dem persönlichen Gespräch am 28. April 2009 habe sich Frau Dr. D. mehrfach entschuldigt, dass es eine Fehleinschätzung gewesen sei. Ihr Ehemann sei sehr geschwächt gewesen, sie könne sich nicht vorstellen, dass er in der Lage gewesen sein soll, auf der Liege zu sitzen oder gar aufzustehen und um die Liege herumzulaufen. Der Sturz von der Untersuchungsliege stelle ein krankenhaustypisches Risiko dar. Selbst wenn in diesem Zusammenhang eine Urinabgabe erfolgt sei, so sei dies für die Haftung der Beklagten bedeutungslos.

Die Klägerin beantragt,
1. den Bescheid vom 26.08.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Ereignis vom 27.04.2009 als Versicherungsfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung anzuerkennen,
2. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen aufgrund des Versicherungsfalls vom 27.04.2009 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wird auf die Ausführungen im Verwaltungsverfahren Bezug genommen.

Im Rahmen eines ersten Termins zur mündlichen Verhandlung am 24. Januar 2013 hat die Kammer die Klägerin informatorisch angehört sowie Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen A., Dr. D. und E. geb. F. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 24. Januar 2013 Bezug genommen. Die mündliche Verhandlung wurde vertagt, um die Zeugin G. in einem weiteren Termin zu vernehmen. In einem zweiten Termin zur mündlichen Verhandlung am 16. Mai 2014 wurde Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin G. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 16. Mai 2014 Bezug genommen. Die mündliche Verhandlung wurde ein zweites Mal vertagt, um weitere Ermittlungen zur Beschaffenheit der Untersuchungsliegen im GPR Klinikum und dem Sturzereignis durchzuführen. Die Kammer hat das Institut für Rechtsmedizin angeschrieben und um Auskunft gebeten, ob weitere Angaben zu dem Unfallereignis möglich seien. In einem Schreiben vom 01. August 2014 teilte der Institutsleiter Prof. Dr. K. mit, dass an Hand des Sektionsprotokolls – wenn überhaupt – nur eingeschränkte Aussagen zu dem Sturzereignis möglich seien. Die Kammer forderte darüber hinaus vom GPR Klinikum Farbfotografien von den Untersuchungsliegen sowie die Dienstanweisung an, die sich auf sturzgefährdete Patienten bezieht (sog. Dienstanweisung "Sturzprophylaxe"). Das GPR Klinikum übersandte die angeforderten Unterlagen und Farbfotografien mit Schreiben vom 09. September 2014. In dem dritten Termin zur mündlichen Verhandlung am 31. Oktober 2014 erhielten die Beteiligten sowie die ehrenamtlichen Richter die Gelegenheit, die Farbfotografien in Augenschein zu nehmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die jeweils Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht erhoben (§§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 26.08.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2010 erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung des Ereignisses vom 27.04.2009 als Versicherungsfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung. Ein Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen nach § 63 Abs. 1 SGB VII ist ebenso nicht ersichtlich, da der Tod des Verstorbenen nicht zur Überzeugung des Gerichts im Sinne des Vollbeweises infolge eines Versicherungsfalls eingetreten ist.

Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist § 2 Abs. 1 Nr. 15a SGB VII i.V.m. § 8 Abs. 1 SGB VII. Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Für den Versicherungsfall des Arbeitsunfalls ist nach § 8 Abs. 1 SGB VII erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzuordnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und, dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Dagegen ist das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens - die haftungsausfüllende Kausalität nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Rente (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R –).

Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, der Unfall und die Gesundheitsschädigung im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein. Eine absolute Sicherheit ist bei der Feststellung des Sachverhalts nicht zu erzielen. Erforderlich ist aber eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit, wonach kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen vorgenannter Tatbestandsmerkmale zweifelt (BSGE 6, 144; Meyer-Ladewig, SGG, 10. Auflage, § 128 Rn. 3b m.w.N.). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 25.02.2014, Az. L 3 U 94/12 m.w.N.). Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen, so geht dies nach den im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus der nicht erwiesenen Tatsache für sich herleitet (BSG, Urteile vom 29. März 1963 – 2 RU 75/61 – und vom 31. Oktober 1969 – 2 RU 40/67 – vom 20. Januar 1977 – 8 RU 52/76 – sowie vom 5. Februar 2008 - B 2 U 10/07 R -).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze steht für die Kammer nach ihrer freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung nicht im Sinne des Vollbeweises fest, dass das Unfallereignis vom 27.04.2009 tatsächlich in der von der Klägerin vorgetragenen Weise stattgefunden hat.

Aufgrund der stationären Aufnahme als gesetzlich krankenversicherter Patient gehörte der Verstorbene nach § 2 Abs. 1 Nr. 15a SGB VII zum Zeitpunkt des Unfalls zum versicherten Personenkreis. Voraussetzung zur Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall ist das Bestehen eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen dem Unfall und der versicherten Tätigkeit. Bei Prüfung dieses Zusammenhanges ist zu beachten, dass Unfallversicherungsschutz nicht für schlechthin alle Aktivitäten während der gesamten Dauer eines stationären Aufenthalts besteht. Insofern wird Versicherungsschutz nur nach folgenden Grundsätzen gewährt, die von Rechtsprechung und Literatur entwickelt wurden und denen die erkennende Kammer sich anschließt: Für den Personenkreis des § 2 Abs. 1 Nr. 15 a SGB VII besteht gesetzlicher Unfallversicherungsschutz bei allen Verrichtungen, die der Patient im inneren Zusammenhang mit der stationären oder teilstationären Heilbehandlung vornimmt und die dem Zweck der Heilbehandlung dienlich sind. Dienlich ist jede Maßnahme, die am Rehabilitationszweck ausgerichtet ist, wovon stets auszugehen ist, wenn der Versicherte durch sein Verhalten an der Durchführung der Behandlung mitgewirkt hat und sich dabei im Rahmen ärztlich angeordneter oder empfohlener Maßnahmen hält (Schwerdtfeger in: Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, SGB VII, Anm. 541 zu § 2). Tätigkeiten, die wesentlich allein privaten, von der stationären Behandlung unabhängigen Interessen eines Versicherten dienen, stehen allerdings wie auch im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses nicht unter Versicherungsschutz. Alltägliche Verrichtungen wie Schlafen, Essen und Trinken dienen dem Gesunden zur Erhaltung und grundsätzlich auch dem Kranken zur Wiedererlangung seiner Gesundheit. Allein hierdurch werden sie jedoch nicht zu der stationären Behandlung dienlichen Verrichtungen und damit zu versicherten Risiken. Unfälle, die sich im rein persönlichen Bereich ereignen, bleiben unversichert. Versicherungsschutz bei eigenwirtschaftlichen Verrichtungen kommt nur in Betracht, wenn für den Unfall besondere, gerade mit dem Aufenthalt in der fremden Umgebung verbundene Gefahrenmomente wirksam geworden sind, die sich aus der Einrichtung des Krankenhauses ergeben. Hierbei wird berücksichtigt, dass – ähnlich wie bei Dienst- und Geschäftsreisen – die stationäre Behandlung vor allem durch die dauernde Unterbringung in einer Krankenanstalt und somit in fremder Umgebung gekennzeichnet ist und dabei die ungewohnten äußeren Lebensumstände während einer stationären Behandlung in den privaten Bereich hineinwirken können. Der Versicherte soll so gegen die durch das Verweilen in fremder Umgebung sich ergebenden besonderen Risiken geschützt werden, denen er bei im Normalfall anzutreffenden häuslichen Gegebenheiten nicht begegnet wäre (dazu Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 30. Juni 1999, Az.: B 2 U 28/98 R sowie BSG in SozR 2200 Nr. 72 zu § 539 RVO).

Ein Versicherungsfall im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB VII und damit eine versicherte Tätigkeit ist bei einem stationären Krankenhausaufenthalt folglich nur in solchen Fällen gegeben, in denen der Patient während des stationären Krankenhausaufenthaltes entweder a) im Rahmen der Mitwirkung bei einer Behandlung verunfallt oder b) bei einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit verunfallt, die nach Art und Schwere durch besondere, mit dem Krankenhausaufenthalt verbundene Gefahren bewirkt worden ist (sog. krankenhausspezifische Gefahr). Variante a) kommt vorliegend nicht in Betracht, da der Verstorbene nicht im Rahmen einer Untersuchung zur Urinabgabe herangezogen worden ist, sondern dies aufgrund eines körpereigenen Bedürfnisses vornahm. Dies ergibt sich aus der glaubhaften Zeugenaussage der Zeugin G., welche dem Kläger die Urinflache selbst übergeben hat.

Variante b) und somit die Realisierung einer krankenhausspezifischen Gefahr würde einzig und allein aufgrund der Höhe der Untersuchungsliege und deren Beschaffenheit in Frage kommen. Weder die Zeugin Dr. D., noch die Zeuginnen E. und G. konnten Angaben zu der konkreten Höhe der Untersuchungsliege machen. Die Zeugin Dr. D. sagte jedoch aus, dass es sich um höhenverstellbare Liegen handelte, so dass im Ergebnis nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit deutlich wird, wie hoch die Untersuchungsliege tatsächlich eingestellt war. Die Kammer hat hierbei jedoch berücksichtigt, dass nach der Aussage der Zeugin G. eine Höhe von einem Meter zweifelhaft erscheint, da der Verstorbene sich zunächst auf die Liege gesetzt haben muss. Ob er sitzenblieb oder sich im Anschluss hingelegt hat, konnte nicht weiter aufgeklärt werden. Jedoch ist nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht davon auszugehen, dass eine Krankenschwester – auch wenn sich die Zeugin G. noch in Ausbildung befand – entgegen der Dienstanweisung "Sturzprophylaxe" (Seite 2 der Dienstanweisung) die Untersuchungsliege nach dem Hinlegen des Patienten derart hoch einstellt, dass der Patient beim Aufstehen keinen Bodenkontakt mehr hat. Zwar wurde die Körpergröße des Verstorbenen von der Kammer nicht ermittelt, jedoch geht sie davon aus, dass das Hinsetzen auf eine Liege bei einer eingestellten Höhe von einem Meter nur schwer möglich ist für eine durchschnittlich große Person. Auf diese Frage kommt es jedoch im Ergebnis nicht an, da bereits ein Sturz von der Untersuchungsliege nicht im Vollbeweis nachgewiesen ist.

Neben dem Umstand, dass es für das Sturzereignis keinerlei Augenzeugen gibt, stützt sich die Kammer insbesondere auf die glaubhaften Angaben der Zeuginnen Dr. D. und G. Anhaltspunkte dafür, die Zeugin Dr. D. habe ihre Aussage aus Angst vor einer strafrechtlichen Verfolgung nicht der Wahrheit entsprechend getätigt, bestehen nach Ansicht der Kammer nicht. Die Angaben der Zeugin Dr. D. zu dem Zustand des Verstorbenen decken sich mit den Aussagen der Zeuginnen G. und E. Die Zeugin Dr. D. bezeichnete den Verstorbenen in ihrer Aussage als rumpfstabil und gab an, dass er nach ihrer ärztlichen Einschätzung in der Lage war, aufrecht zu sitzen. Dies deckt sich mit der Aussage der Zeugin E., die davon berichtete, dass der Verstorbene auf der Liege gesessen habe und seine Füße zur Zimmerwand hin zeigten. Auch die Zeugin G. gab an, der Verstorbene habe auf der Liege gesessen und nicht gelegen. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme geht die Kammer nicht davon aus, dass es dem Verstorbenen vollkommen unmöglich gewesen sein soll, von der Untersuchungsliege aufzustehen und um diese herumzugehen. Auch aus dem polizeilichen Vernehmungsprotokoll vom 17.03.2010 über die Vernehmung des Rettungssanitäters L. geht hervor, dass der Verstorbene zwar merklich unter Alkoholeinfluss stand, aber ansprechbar war, sich verständigen und auch selbständig laufen konnte. Für diese Unfallvariante spricht im Übrigen, dass nach der Aussage der Zeugin G. das Bettgitter auf der Seite zur spanischen Wand hochgeklappt gewesen sein muss. Die Kammer zweifelt an diesen Angaben nicht, selbst wenn diese Information nach der bisherigen Aktenlage und nach den zuvor durchgeführten Zeugenvernehmungen durchaus als neue Information zu bewerten ist. Allein dieser Umstand vermag jedoch nicht zu berechtigten Zweifeln an der Aussage der Zeugin G. führen. Es kann festgehalten werden, dass die Zeugin G. vor der mündlichen Verhandlung am 16.05.2014 wohl noch nicht vernommen worden ist. Eine polizeiliche Vernehmung ist der übersandten Verwaltungsakte nicht zu entnehmen. Die Kammer ist sich dabei bewusst, dass ein bestimmter Hergang des Ereignisses im Ergebnis nicht nachgewiesen ist und sieht daher von der Widergabe weiterer – hypothetischer – Hergangsvarianten ab. Vor diesem Hintergrund wird allzu deutlich, dass das Unfallereignis nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden konnte.

Die Kammer hat vorliegend die Beweisschwierigkeiten der Klägerin erkannt. Der Verstorbene, welcher als einziger Zeuge eine Amnesie nach dem Sturz aufwies, wurde auch nicht von der Mitpatientin bei dem Ereignis beobachtet. Der Sichtschutz durch die spanische Wand hat die optische Wahrnehmung verhindert, lediglich akustisch wurden die Mitpatientin und ihr Ehemann auf den Sturz aufmerksam. Bei einer solchen Beweissituation wird von einer sog. Beweisschwierigkeit gesprochen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, SGG Kommentar, § 128 SGG, 11. Auflage 2014, Rn. 3e m.w.M.). Diese Beweisschwierigkeit kann im Rahmen der Beweiswürdigung im Sinne einer Beweiserleichterung berücksichtigt werden, führt jedoch nicht dazu, dass hier von einem Anscheinsbeweis zu Gunsten der Klägerin ausgegangen werden kann. Der sog. Anscheinsbeweis stellt eine Tatsachenvermutung dar und führt zu Erleichterungen im Rahmen der Beweiswürdigung. Grundlage des sog. Anscheinsbeweises ist, dass ein typischer Geschehensablauf nach den allgemeinen Erfahrungen des Lebens üblicherweise zu einem bestimmten Ereignis führt oder umgekehrt (eine besondere Rolle spielt der Anscheinsbeweis bei Verkehrsunfällen unter Alkoholeinfluss, vgl. Ziegler in LPK-SGB VII, 2. Auflage 2007, § 8 SGB VII, Rn. 276). Eine Vermutung, dass geschwächte Patienten aufgrund der typischen Beschaffenheit einer klinischen Untersuchungsliege von dieser hinunterstürzen, existiert jedoch nicht. Im Ergebnis hat die Kammer in Abwägung aller Umstände unter Berücksichtigung des Beweisergebnisses jedoch erhebliche Zweifel daran, dass der Verstorbene von der Untersuchungsliege gestürzt sein soll. Nach alledem ist die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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