S 8 AL 42/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 8 AL 42/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Eine Aufhebung nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO kommt dann nicht in Betracht, sofern trotz nicht unverzüglicher Mitteilung der wesentlichen Änderung der Einkommensverhältnisse eine Bedürftigkeit der Prozesshilfeempfängerin weiterhin gegeben ist. Insofern liegt ein atypischer Fall vor, der dazu zwingen kann, von einer Aufhebung von Prozesskostenhilfe abzusehen.
Der Beschluss vom 02.01.2020 wird aufgehoben.

Gründe:

I.

Die Klägerin beantragte am 10.02.2017 die Gewährung von Prozesskostenhilfe. Ausweislich des Formulars über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unterschrieb die Klägerin eine Erklärung, dass ihr bekannt sei, dass sie während des Gerichtsverfahrens und innerhalb eines Zeitraumes von vier Jahren seit der rechtskräftigen Entscheidung oder der sonstigen Beendigung des Verfahrens verpflichtet sei, dem Gericht wesentliche Verbesserungen ihrer wirtschaftlichen Lage mitzuteilen. Bei laufenden Einkünften sei jede nicht nur einmalige Verbesserung von mehr als 100,-EUR brutto mitzuteilen. Das Gericht bewilligte der Klägerin mit Beschluss vom 15.05.2018 unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. Prozesskostenhilfe. Zu dem damaligen Zeitpunkt erhielt die Klägerin Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II. Nach Abschluss des Verfahrens überprüfte das Gericht die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin (Schreiben vom 28.11.2019). Am 27.12.2019 gingen die entsprechende Unterlagen ein. Daraus ergab sich, dass die Klägerin seit dem 27.05.2019 eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit aufgenommen hatte. Das Gericht hob die gewährte Prozesskostenhilfe wegen der nicht unverzüglichen Mitteilung der Einkommensverbesserung mit Beschluss vom 02.01.2020 auf. Damit würden alle Wirkung der Prozesskostenhilfe entfallen. Dagegen legte die Klägerin mit Beschluss vom 09.01.2020 Erinnerung ein.

II.

Nach § 73 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) obliegt dem Urkundsbeamten im Verfahren über die Prozesskostenhilfe u. a. die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a, 124 Abs. 1 Nr. 2 – 5 Zivilprozessordnung (ZPO). Sofern eine solche Entscheidung getroffen wird, kann dagegen binnen eines Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden, das endgültig entscheidet.

1. Die Erinnerung ist zulässig, da die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 09.01.2020 frist- und formgerecht die Entscheidung des Gerichts beantragt hat.

2. Die Erinnerung ist auch begründet, da auch bei Berücksichtigung der nun vorliegenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin Prozesskostenhilfe gewährt werden müsse und insoweit ein atypischer Fall vorliegt.

Nach § 73 Abs. 5 SGG i. V. m. § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO soll das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Beteiligte entgegen ihrer Verpflichtung aus § 120a Abs. 2 Sätze 1 – 3 ZPO dem Gericht wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder Änderungen ihrer Anschrift absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtig oder nicht unverzüglich mitgeteilt hat. Nach § 120 Abs. 2 ZPO hat diejenige, der Prozesskostenhilfe gewährt wurde, alle wesentliche Verbesserungen ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse dem Gericht unverzüglich mitzuteilen, sofern diese vier Jahre nach rechtskräftigem Urteil oder der sonstigen Beendigung des Klageverfahrens eingetreten sind. Dabei ist eine Einkommensverbesserung nur wesentlich, wenn die Differenz zu dem bisher zu Grunde gelegten Bruttoeinkommen nicht nur einmalig 100,-EUR übersteigt.

a) Zunächst ist festzustellen, dass sich die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin durch die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung wesentlich gebessert haben, da das Bruttoeinkommen im Vergleich zu der geleisteten Grundsicherung für Arbeitssuchende einen Bruttobetrag von 100,-EUR übersteigt.

b) Diese wesentliche Verbesserung hat die Klägerin nicht unverzüglich dem Gericht mitgeteilt. Nach § 121 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) liegt eine unverzügliche Mitteilung innerhalb von zwei Wochen nach Kenntniserlangung vor. Der Klägerin war bekannt, dass sie durch die aufgenommene Tätigkeit ein deutlich höheres Einkommen erzielt, als wenn sie Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II erzielt. Dennoch hat sie diese Veränderung nicht innerhalb von zwei Wochen dem Gericht mitgeteilt.

c) Die Vorschrift des § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO i. V. m. § 73a SGG sieht durch die Verwendung des Wortes "soll" ein intendiertes Ermessen vor. Grundsätzlich hat dabei das Gericht bei einer nicht unverzüglich erfolgten Mitteilung der Einkommensverbesserung die bewilligte Prozesskostenhilfe aufzuheben, außer es liegen atypische Fälle vor. Ein solcher atypischer Fall ist gegeben, sofern trotz der Einkommensverbesserung weiterhin Bedürftigkeit besteht und deswegen auch eine unverzügliche Mitteilung nicht zu einer Veränderung des Prozesskostenhilfebeschlusses führen würde (vgl. LArbG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09. Dezember 2015, Az.: 10 Ta 2169/15 – juris – Rn. 27). Dies stimmt auch insoweit mit dem Gesetzeszweck überein, soweit durch die Neuregelung des § 124 ZPO bezweckt war, ungerechtfertigten Bewilligungen von Prozesskostenhilfe zu vermeiden, missbräuchliche Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe entgegenzuwirken und die Prozesskostenhilfeempfänger stärker an der Finanzierung der Prozesskostenhilfe zu beteiligten (vgl. BT-Drucks. 17/11472, S. 1). Der Gesetzgeber spricht aber selbst davon, dass die Verletzung der Mitteilungspflicht nur regelmäßig zur Aufhebung der Prozesskostenhilfe führen soll (vgl. BT-Drucks. 17/11472, S. 35). Er konnte auch nicht völlig ausschließen, dass die völlige Aufhebung gerichtlicher Ermessensspielräume im Einzelfall nicht in besonders gelagerten Einzelfällen zu unangemessenen Ergebnissen führen würde (vgl. BT-Drucks. 17/11472, S. 34).

Ein solcher Fall liegt bei der Klägerin vor. Trotz der Verbesserung der Einkommenssituation hätte das Gericht auch bei unverzüglicher Mitteilung nicht den Prozesskostenhilfebeschluss aufgehoben, da durch das erhöhte Einkommen und der zu berücksichtigenden Zahlungsverpflichtungen der Klägerin weiterhin Bedürftigkeit gegeben ist. Insofern führt die Aufhebung der Prozesskostenhilfe gerade im Fall der Klägerin zu unangemessenen Ergebnissen, die nach dem Willen des Gesetzgebers jedoch gerade nicht auftreten sollen.

3. Eine Beschwerde gegen diesen Beschluss ist nach § 73 Abs. 8 SGG nicht möglich. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes soll eine abschließende Entscheidung durch das Gericht erster Instanz erfolgen (vgl. Karl in jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 172 SGG (Stand: 10.09.2019), Rn. 191 f.).

Die Beschwerde gegen diesen Beschluss ist ausgeschlossen (§ 172 Abs. 3 SGG).
Rechtskraft
Aus
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