S 5 U 373/04

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 5 U 373/04
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Die Bestimmungen des SGB VII über die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Unfallversicherung verstoßen weder gegen Europäisches Recht noch gegen Verfassungsnormen.
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits. III. Der Streitwert wird auf 10.420,93 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Klägerin zur Zahlung von Beiträgen an die Beklagte verpflichtet ist.

Die Klägerin, die in D. ein Theater betreibt, ist seit 1999 Mitglied der beklagten Berufsge-nossenschaft. Mit Bescheid vom 04.03.2004 veranlagte die Beklagte die Klägerin ab dem Umlagejahr 2003 zur Gefahrtarifstelle 38, Unternehmensart "Theater" mit der Gefahrklas-se 2,03. Mit Bescheid vom 21.04.2004 setzte die Beklagte den von der Klägerin für das Geschäftsjahr 2003 zu zahlenden Unfallversicherungsbeitrag auf 10.420,93 EUR fest und berechnete dabei den Beitragsanteil an der Insolvenzgeld-Umlage der Bundesagentur für Arbeit mit 1.983,67 EUR.

Nachdem die Klägerin zunächst Stundung der Beiträge beantragt hatte, focht sie mit Schreiben vom 25.05.2004 den Beitragsbescheid mit der Begründung an, dass die Bei-tragsfestsetzung wegen Verstoßes gegen die Artikel 86, 82 EGV rechtswidrig sei. Auch verstoße das Umlageverfahren für das Insolvenzgeld gegen die Grundlagen des Versiche-rungsrechts und die des Abgaben- und Steuerrechts.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.10.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Dass die Erhebung von Beiträgen in der gesetzlichen Unfallversicherung der Bundesrepu-blik Deutschland nicht gegen europäisches Recht verstoße, sei vom Europäischen Ge-richtshof bereits entschieden worden. Die gesetzlichen Vorschriften über die Aufbringung der Insolvenzgeld-Umlage (§§ 359 Abs. 1, 360 Abs. 2 Sozialgesetzbuch III – SGB III) seien mit dem Grundgesetz vereinbar und würden insbesondere nicht gegen Artikel 3, 14 Grundgesetz (GG) verstoßen.

Mit der am 12.11.2004 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Nach wie vor rügt sie Verstöße gegen den EG-Vertrag und gegen innerstaatliches Verfassungs-recht. In der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung seien die Versicherungsbeiträge ebenso wie bei einer privaten Versicherungsgesellschaft risikoabhängig gestaltet. Dies ma-che deutlich, dass sich der soziale Zweck einer Unfallversicherung für alle Arbeitnehmer auch dadurch erreichen ließe, dass alle Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet würden, bei pri-vaten Versicherungsunternehmen eine entsprechende Versicherung für alle ihre Mitarbeiter abzuschließen. Das Versicherungsmonopol der Berufsgenossenschaften sei somit unver-einbar mit den für die europäische Union konstitutiven Prinzipien der Wettbewerbs- und Dienstleistungsfreiheit und erfülle daher den Verbotstatbestand der Artikel 86, 82 EG-Vertrag. Schließlich könne die zu zahlende Umlage für das Insolvenzgeld nicht als Versi-cherungsleistung interpretiert werden. Vielmehr handle es sich um eine besondere sozial-rechtliche Abgabe, die den hohen Rechtfertigungsansprüchen des Bundesverfassungsge-richts genügen müsste. Es bestünde eine erhebliche Inkongruenz zwischen der Mittelauf-bringung und der Mittelverwendung und zudem fehle die notwendige Transparenz des Beitragsbescheides.

Die Klägerin beantragt daher,

den Beitragsbescheid der Beklagten vom 21.04.2004 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 15.10.2004 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, Die Klage abzuweisen.

Sie nimmt zur Begründung Bezug auf den Inhalt des angefochtenen Widerspruchsbeschei-des.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, da der Sachverhalt geklärt war und die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufwies. Die Beteiligten wurden hierzu angehört.

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der Einwand der Klägerin, der Beitragsbe-scheid der Beklagten sei rechtswidrig, weil ihre der Beitragspflicht zugrunde liegende Ein-beziehung in die gesetzliche Unfallversicherung und die damit einhergehende Mitglied-schaft in einer Berufsgenossenschaft höherrangiges Gemeinschafts- und Verfassungsrecht verletze, greift nicht durch. Zudem ist weder vorgetragen, noch ersichtlich, dass die Be-klagte die gesetzlichen Vorschriften über die Beitragspflicht zur Unfallversicherung (§ 150 SGB VII) und über die Beitragshöhe in § 152 f. SGB VII) mit dem angefochtenen Be-scheid nicht korrekt umgesetzt hat.

Die von der Klage aufgeworfene, entscheidungserhebliche Frage, ob eine öffentlich-rechtlich organisierte Pflichtversicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten nach der Art der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung mit den gemeinschaftlichen Grundsätzen der Wettbewerbs- und Dienstleistungsfreiheit vereinbar ist, hat der Europäi-sche Gerichtshof bereits geklärt (EuGHE 2000, I-691). Ihm folgend hat das Bundessozial-gericht – BSG – in einer Entscheidung vom 11.11.2003 – B 2 U 16/03 R – Folgendes aus-geführt:

Die Wettbewerbsregeln der Artikel 81 f. EG-Vertrag sollen wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen und Verhaltensweisen der im gemeinsamen Markt tätigen Wirtschaftsun-ternehmen sowie eine missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung eines solchen Unternehmens verhindern und einen ungehinderten Handel zwischen den Mitgliedsstaaten ermöglichen. Adressaten der Kartellvorschriften sind deshalb Unterneh-men und Unternehmensvereinigungen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, indem sie Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anbieten. Keine Unterneh-men im Sinne dieses funktionalen Unternehmensbegriffs und damit von den Wettbewerbs-regeln ausgenommen sind dagegen Träger staatlich organisierter und beaufsichtigter Sozi-alversicherungssysteme, die keinen Marktgesetzen folgen, sondern einem sozialen Zweck dienen und wesentlich auf dem Grundsatz der Solidarität aufgebaut sind.

Das Letztere hat der Europäische Gerichtshof in dem o.g. Urteil für den staatlichen italie-nischen Unfallversicherungsträger INAIL angenommen, der ein in weiten Teilen der ge-setzlichen Unfallversicherung in Deutschland vergleichbares System der Arbeitgeber fi-nanzierten Pflichtversicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten verwaltet. Er hat dabei maßgeblich darauf abgestellt, dass die Absicherung berufsbedingter Gesundheits-risiken zu den traditionellen Aufgaben der Sozialversicherung gehört und in ihrer konkre-ten Ausgestaltung durch die italienische Gesetzgebung ein soziales Anliegen verwirklicht, indem den geschützten Personen eine Deckung gegen die Risiken des Arbeitsunfalles und der Berufskrankheit unabhängig von einer Pflichtverletzung des Geschädigten oder des Arbeitgebers oder unabhängig von der rechtzeitigen Zahlung der geschuldeten Versiche-rungsbeiträge zur Verfügung gestellt wird.

In den vom Europäischen Gerichtshof hervorgehobenen Punkten weisen die deutsche und die italienische Pflichtversicherung gegen die Folgen von Arbeitsunfällen und Berufs-krankheiten, entgegen der Auffassung der Klägerin, ähnliche und teilweise identische Merkmale auf. Die Unterschiede zwischen beiden Systemen sind entgegen dem Klagevor-bringen nicht von solchem Gewicht, dass sie eine abweichende Bewertung rechtfertigen (so schon BSG a.a.O.). Wie die italienische Berufsunfallversicherung wird die deutsche wesentlich durch Elemente der Solidarität geprägt, die einer privaten Versicherung fremd sind. So hängt auch nach dem SGB VII die Entstehung von Leistungsansprüchen bei Ein-tritt des Versicherungsfalls nicht davon ab, dass der Arbeitgeber die fälligen Beiträge ent-richtet hat. Die Proportionalität von Beitrag und Leistung wird dadurch eingeschränkt, dass für die Beitragserhebung das gesamte Arbeitsentgelt bis zur Grenze des Höchstjahresar-beitsverdienstes herangezogen wird, während für die Bemessung der Geldleistung und des Versicherungsträgers eine Entgeltuntergrenze in Gestalt des Mindestjahresarbeitsverdiens-tes festgelegt ist (§ 85 Abs. 1 SGB VII i.V.m. § 18 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch – SGB IV - ). Dem Ziel einer solidarischen Tragung der Versicherungslasten dient auch der in den §§ 176 f. SGB VII für Fälle der übermäßigen Beanspruchung eines Versicherungs-trägers mit Renten- oder Entschädigungsleistungen vorgeschriebener Lastenausgleich zwi-schen den gewerblichen Berufsgenossenschaften, der sich in einem marktwirtschaftlichen organisierten System ersichtlich nicht verwirklichen ließe. Dass ein umlagefinanziertes Versicherungssystem von einem privaten Versicherer nicht angeboten werden kann, weil er damit nicht sicherstellen kann, dass der Leistungsbedarf aus den bereits eingetretenen Versicherungsfällen auch in Zukunft von den dann versicherten Beitragszahlern aufge-bracht werden wird, bedarf keiner weiteren Ausführungen. Das erkennende Gericht geht daher davon aus, dass hinsichtlich der Anwendbarkeit der gemeinschaftsrechtlichen Wett-bewerbsregeln auf die gewerblichen Berufsgenossenschaften in Deutschland kein Klä-rungsbedarf mehr besteht.

Die Bestimmungen des SGB VII über die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Unfall-versicherung, die damit verbundene Beitragspflicht und die Beitragshöhe verletzen auch keine Grundrechte der Klägerin. Sie sind insbesondere mit den Regelungen in Artikel 2 Abs. 1, Artikel 12 Abs. 1 und Artikel 14 Abs. 1 vereinbar, wie bereits das Bundesverfas-sungsgericht für vergleichbare Systeme in anderen Zweigen der Sozialversicherung wie-derholt entschieden und ausführlich begründet hat (vgl. z.B. BVerfGE 44, 70, 89 f. für die gesetzliche Krankenversicherung der Landwirte).

Schließlich verstößt auch die Erhebung der Insolvenzgeldumlage durch die Berufsgenos-senschaften gemäß den §§ 358 f. Sozialgesetzbuch III (SGB III) nicht gegen gesetzliche Vorschriften oder Verfassungsrecht. Wie das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach entschieden hat, wird dem Gesetzgeber im Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz der Freiheit des Einzelnen und den Erfordernissen einer sozialstaatlichen Ordnung eine weite Gestaltungsfreiheit bei der Ausgestaltung der Sozialversicherungssysteme zugebilligt. An-haltspunkte dafür, dass die Grenzen dieser Gestaltungsfreiheit bei der Einrichtung der ge-setzlichen Unfallversicherung und aber auch bei der Einziehung der Insolvenzgeldumlage durch die Berufsgenossenschaften überschritten wären, sind dem Klagevorbringen nicht zu entnehmen. Den von der Klägerin aufgezeigten möglichen Nachteilen einer Umlageversi-cherung stehen deutlich mehr Vorteile gegenüber (vgl. vorstehende Ausführungen).

Nach den §§ 33, 35 Sozialgesetzbuch X – SGB X – muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein und grundsätzlich eine Begründung enthalten. Diesem Erfor-dernis genügt der Beitragsbescheid vom 21.04.2004 i.V.m. der Anlage auf welcher die Berechnung der Insolvenzgeldumlage ausführlich erläutert ist. Hinweise dafür, dass die Umlage für das Insolvenzgeld im Falle der Klägerin unzutreffend berechnet wurde, finden sich nicht. Rein fachgesetzlich ist daher kein Rechtsverstoß zu erkennen. Die Inanspruchnahme der Klägerin bezüglich der Insolvenzgeld-Umlage begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken BVerfG und BSG hatten bereits die Umlage zur Finanzierung des Konkursausfallgeldes am Maßstab der Artikel 14 und 3 Abs. 1 GG ge-prüft und nicht als verfassungswidrig angesehen (BVerfG SozR 4100 § 186 b Nr. 2; BSG SozR 4-1100 § 186 b Nr. 1). Dabei hat das BVerfG zu Artikel 14 GG die Ansicht des BSG gebilligt, die Gewährleistung des Eigentums schütze nicht das Vermögen gegen die Belas-tung mit öffentlichen Geldleistungspflichten. Um eine derartige Abgabe handelt es sich auch bei der Insolvenzgeld-Umlage.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichts-ordnung. Danach trägt der Unterliegende die Verfahrenskosten.

Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 25 Abs. 2 Satz 1, 13 Abs. 1 – 3 Gerichtskostengesetz (GKG). Danach setzt das Prozessgericht in den Fällen des § 197a SGG den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfah-ren anderweitig erledigt, und bestimmt diesen vorbehaltlich speziellerer Regelungen nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermes-sen. Die Bedeutung der Sache für den Kläger entspricht seinem Interesse an der erstrebten Entscheidung, wobei nicht die subjektive Bedeutung, die der Kläger der Sache beimisst, maßgeblich ist, sondern der Wert, den die Sache bei objektiver Beurteilung für den Kläger hat. Zu bewerten ist daher die rechtliche Tragweite der Entscheidung und die Auswirkun-gen, die ein Erfolg des Begehrens für die wirtschaftliche und sonstige Lage des Klägers ist, wobei es auch auf die Bedeutung des in seiner Person getroffenen Rechts ankommt; außer Betracht bleiben die Auswirkungen der Entscheidungen auf andere Beteiligte oder andere Verfahren (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 31. Auflage, § 13 GKG Rdz. 9 m.w.N.).

Da das Begehren der Klägerin auf die Aufhebung des Beitragsbescheides für das Umlage-jahr 2003 zielte, mit dem sie zu Beiträgen in Höhe von insgesamt 10.420,93 EUR herange-zogen worden war, war der Streitwert dementsprechend festzusetzen.
Rechtskraft
Aus
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