S 29 AL 1680/04

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
29
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 29 AL 1680/04
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zwar ergibt sich aus § 37b SGB III durchaus eine Obliegenheit des Arbeitssuchenden zur rechtzeitigen Meldung vor Ablauf eines befristeten Arbeitsverhältnisses. Eine entsprechende Pflichtverletzung indes ist nicht ohne weiteres vorwerfbar.
I. Der Bescheid der Beklagten vom 26.07.2004 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 12.08.2004 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin das einbehaltene Arbeitslosen-geld in Höhe von 210,00 EUR zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine Minderung des Arbeitslosengeldes wegen verspäteter Meldung als arbeitssuchend.

Die Klägerin meldete sich bei der Beklagten am 27.01.2004 arbeitslos, nachdem ihr mit Wirkung zum 31.01.2004 gekündigt worden war. Am 04.02.2004 teilte die Klägerin der Beklagten im Wege einer Veränderungsmitteilung mit, dass sie am 09.02.2004 bei dem Dentallabor L. in D. bis Juni 2004 eine Tätigkeit als Zahntechnikerin aufnehmen werde. Am 24.02.2004 gab die Klägerin ihre Antragsunterlagen zur Beantragung von Arbeitslo-sengeld für den Zeitraum 01.02.2004 bis 08.02.2004 persönlich ab. Es erfolgte durch die Beklagte ein Hinweis auf den Antragsunterlagen auf das bereits seit 09.02.2004 laufende Folgearbeitsverhältnis.

Der zwischen der Klägerin und dem Dentallabor bis zum 30.06.2004 befristete Arbeitsver-trag enthält folgenden Passus:

"Die Übernahme der Arbeitnehmerin in ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit ist vom Arbeitgeber spätestens zwei Wochen vor Ablauf der Befristung der Arbeitnehmerin aus-drücklich mitzuteilen. Unterbleibt diese Mitteilung, dann endet das Arbeitsverhältnis au-tomatisch zum 30.06.2004, ohne dass es einer Kündigung bedarf. Für das Anschlussar-beitsverhältnis gelten im Übrigen die Regelungen dieses Vertrages als vereinbart."

Am 01.06.2004 meldete sich die Klägerin im Hinblick auf die Befristung arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Ihr wurde mit Wirkung ab 01.07.2004 auf der Grundlage eines bereits am 01.07.2003 ent-standenen Stammrechtes Arbeitslosengeld weiterbewilligt. Gleichzeitig wurde ihr durch Bescheid vom 26.07.2004 mitgeteilt, dass das Arbeitslosen-geld gem. § 140 SGB III um insgesamt 210,00 EUR gemindert werde. Im Hinblick auf die Befristung – so führte die Beklagte aus – hätte es der Klägerin oble-gen, sich spätestens bis 01.04.2004 arbeitssuchend zu melden. Dies sei nicht geschehen, vielmehr könne erst die Meldung vom 01.06.2004 als beachtliches Verhalten der Klägerin festgestellt werden. Die Klägerin habe daher die gesetzlich festgelegte Höchstdauer von 30 Verspätungstagen verwirkt, woraus sich unter Berücksichtigung des hier maßgebenden Minderungssatzes von 7,00 EUR täglich eine Minderung des bewilligten Arbeitslosengeldes um 210,00 EUR ergebe.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Eingang 03.08.2004 Widerspruch ein.

Der Widerspruch wurde durch Bescheid vom 12.08.2004 als unbegründet zurückgewiesen. Bei befristeten Arbeitsverhältnissen von mehr als drei Monaten müsse sich der Arbeitneh-mer – so die Beklagte – gem. § 37 b SGB III drei Monate vor dem Ende der Befristung bei der Beklagten arbeitssuchend melden. Mithin sei die Meldung der Klägerin am 01.06.2004 verspätet. Unterbleibe eine pünktliche Meldung - wie hier- habe dies eine Minderung des Arbeitslosengeldes zur Folge.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Klage, Eingang 09.09.2004. Sie begründet ihre Klage im Wesentlichen wie folgt:

Sie habe bereits im Februar 2004 mitgeteilt, dass der mit dem Dentallabor L. geschlossene Arbeitsvertrag befristet sei. Dies sei hinreichend. Nähme man eine Arbeitssuchendmeldung erst zum 01.06.2004 an, wäre auch diese noch in der Zeit, da sie – die Klägerin – aufgrund der Formulierung im Arbeitsvertrag darauf habe vertrauen dürfen, dass eine Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis erfolgen wer-de. Nachdem sich diese Hoffung zerschlagen habe, habe sie sich umgehend am 01.06.2004 mit der Beklagten in Verbindung gesetzt. Im Übrigen sei aber auch eine von dem Gesetzgeber potentiell gewollte Normierung einer Obliegenheit zur unverzüglichen Meldung bei befristeten Arbeitsverträgen nicht hinrei-chend klar gefasst, so dass eine Sanktionsfolge gem. § 140 SGB III nicht eintreten könne.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 26.07.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.08.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin das einbehaltene Arbeitslosengeld in Höhe von 210,00 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte unterstreicht ihre Auffassung, dass sich aus § 37 b SGB III vorliegend eine Meldepflicht zum 01.04.2004 ergebe und – da eine Verletzung dieser Obliegenheit festzu-stellen sei – die Sanktionsfolge gem. § 140 SGB III eintrete. Insbesondere sei auch das Verhalten der Klägerin im Februar 2004 nicht hinreichend. Außerdem habe die Klägerin auf die Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis nicht vertrauen dürfen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte, die Verwaltungsakte der Beklagten und auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 16.08.2005 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige Klage ist begründet.

Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten sind rechtswidrig, da keine hinreichende Rechtsgrundlage zur Minderung des der Klägerin zustehenden Arbeitslosengeldes besteht.

§ 140 Satz 1 SGB III rechtfertigt die vorgenommene Minderung nicht.

1.

Eine Minderung gem. § 140 Satz 1 SGB III setzt voraus, dass "sich der Arbeitslose entge-gen § 37 b nicht unverzüglich arbeitssuchend gemeldet" hat.

Unverzüglich bedeutet "ohne schuldhaftes Zögern". Ein Zögern der Klägerin indes vermag das Gericht vorliegend nicht zu erkennen. Ginge man von einem solchen aus, wäre es nicht schuldhaft.

a) Spätestens bei der Abgabe der Unterlagen am 24.02.2004 zur Beantragung des Arbeits-losengeldes für den Zeitraum 01.02. bis 08.02.2004 hat sich die Klägerin für die Zeit nach Ablauf der Befristung des ab 09.02.2004 laufenden Arbeitsverhältnisses hinreichend ar-beitssuchend gemeldet. Die Meldung als arbeitssuchend ist eine Tatsachenerklärung, deren Wirkung sich dann entfaltet, wenn der Betroffene berechtigt davon ausgehen kann, dass sie der Beklagten zu-gegangen ist. Mitgeteilt hat die Klägerin die Befristung des neuen Beschäftigungsverhältnisses bereits mit der Veränderungsmitteilung vom 04.02.2004. Zentraler Inhalt dieser Mitteilung ist, dass die Klägerin ab 09.02.2004 befristet beschäftigt ist, nach Ablauf der Befristung keine Beschäftigung mehr hat und dementsprechend dann wieder eine Beschäftigung sucht. Die Beklagte bestreitet auch gar nicht, die Angabe der Befristung wissentlich zur Kenntnis genommen zu haben. Der Beklagtenvertreter erläuterte in der mündlichen Verhandlung auf die Frage des Gerichtes, warum das Formular der Veränderungsmitteilung durchgestrichen ist vielmehr anschaulich, dass dies gängige Praxis der Beklagten sei, mit der dokumentiert werde, dass der Inhalt der Mitteilung zur Kenntnis genommen worden ist. Die Angabe der Befristung durch die Klägerin auf diesem Formular ist auch für die Be-klagte keineswegs überraschend, da das Formular die Angabe einer Befristung bei deren Vorliegen ausdrücklich vorsieht. Als die Klägerin am 24.02.2004 die Antragsunterlagen abgab, hat die Beklagte mit einem grünen Stift noch einmal auf das ab 09.02.2004 laufende Arbeitsverhältnis verwiesen und damit zum Ausdruck gebracht, dass ihr die entsprechende Mitteilung der Klägerin nicht entgangen ist. Mehr konnte von der Klägerin in der konkreten Situation nicht verlangt werden – jeden-falls nicht ohne ausdrücklichen unmissverständlichen Hinweis. Dass sich die Klägerin bereits vor dem 01.04.2004 arbeitssuchend gemeldet hat, darf ihr vorliegend nicht zum Nachteil gereichen, da es der Beklagten nicht zugestanden werden kann, vor dieser zeitnahen Mitteilung die Augen zu verschließen.

b) Die Verletzung der in § 37 b SGB III normierten Obliegenheit kann nur angenommen werden, wenn eine verspätete Meldung schuldhaft, also zumindest fahrlässig erfolgt ist. Davon kann nicht ausgegangen werden, selbst wenn man der Beklagten folgte und ein be-achtliches Verhalten der Klägerin erst zum 01.06.2004 konstatierte.

Zwar kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, sie habe auf die Übernahme in ein unbe-fristetes Arbeitsverhältnis vertrauen dürfen. Denn ist eine Befristung vereinbart, ist es dem Arbeitnehmer verwehrt, seinem Handeln einen entgegenstehenden Kausalverlauf zugrunde zu legen.

Doch setzt eine schuldhafte Pflichtverletzung voraus, dass das geforderte Verhalten für den Betroffenen hinreichend erkennbar ist.

Zwar ist § 37 b Satz 2 SGB III in Verbindung mit § 37 b Satz 1 SGB III durchaus auch für befristete Arbeitsverhältnisse eine Obliegenheit zu entnehmen. Es ergibt sich nämlich die Pflicht, sich so schnell als möglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunktes persönlich arbeitssuchend zu melden, wobei für den Normalfall einer über drei Monate währenden Befristung eine Meldung drei Monate vor der Beendigung zu erfolgen hat, für alle kurzzei-tigeren Arbeitsverhältnisse eben so früh wie möglich. Sähe man dies hinsichtlich der befristeten Arbeitsverhältnisse anders, käme man nicht mehr zur Frage der Schuldhaftigkeit einer Pflichtverletzung, denn gegen eine nicht beste-hende Pflicht kann nicht - auch nicht schuldhaft -verstoßen werden.

Die sich nun explizit auf befristete Arbeitsverhältnisse beziehende Regelung des § 37 b Satz 2 SGB III, wonach die Meldung "jedoch frühestens drei Monate vor dessen Beendi-gung zu erfolgen hat" ( mit "dessen" ist das befristete Arbeitsverhältnis gemeint) ist indes so unglücklich formuliert, dass es möglich ist, diese losgelöst von Satz 1 des § 37 b SGB III zu verstehen und der Annahme zu erliegen, eine Meldung innerhalb der letzten drei Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei hinreichend (so auch zutreffend: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09.05.2005, Az.: L 19 AL 22/05, SG Dortmund, Urteil vom 26.07.2004, Az.: S 33 AL 127/04, SG Aachen, Urteil vom 20.10.2004, Az.: S 11 AL 45/04). Eine solche Interpretation kann einem Arbeitnehmer, der nicht nachweislich über spezifi-sche Fachkenntnisse verfügt, nicht angelastet werden. Im konkreten Fall ergibt sich auch auf der Grundlage des persönlichen Eindruckes, den das Gericht von der Klägerin gewonnen hat, kein Ansatz für einen subjektiven Schuldvorwurf. Dabei kommt es noch nicht einmal darauf an, ob die Klägerin den Gesetzeswortlaut über-haupt kannte. Denn selbst wenn sie den Text zur Kenntnis genommen hat, könnte ein Irr-tum - wie dargestellt- keine Sanktionsfolgen auslösen.

2.

Setzte man sich über all dies hinweg, böte § 140 SGB III dennoch keine hinreichende Rechtsgrundlage für die vorgenommene Minderung. Denn es mindert sich gem. §140 Satz 1 SGB III nur "das Arbeitslosengeld, das dem Ar-beitslosen aufgrund des Anspruches zusteht, der nach der Pflichtverletzung entstanden ist." Gestritten wird vorliegend indes nicht vor dem Hintergrund eines Anspruches, der nach einer möglichen Pflichtverletzung entstanden ist. Denn mit Anspruch in diesem Sinne kann nach der allgemeinen Systematik und nach den Begrifflichkeiten des SGB III nur das Stammrecht gemeint sein, nicht aber der Anspruch auf Auszahlung der konkreten Leis-tung. Damit ergreift die Minderung nicht die Ansprüche – wie hier –, die lediglich wieder-bewilligt worden sind (zutreffend unter vielen: Niesel, SGB III, 3. Aufl. 2005, § 140 SGB III, Rz. 3).

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

III.

Die Berufung wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gem. § 144 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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