S 23 U 112/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
23
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 23 U 112/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen, insbesondere die Gewährung einer Witwenrente.

Die Klägerin ist die Witwe des am 00.00.1939 geborenen und am 00.00.2000 an den Folgen eines Verkehrsunfalles verstorbenen Versicherten H H. Dieser hatte von der Beklagten wegen der Folgen eines am 00.00.1992 als Schwimmmeister erlittenen Arbeitsunfalls, bei dem er kopfüber in ein leeres, 2,5 m tiefes Becken gestürzt war, seit dem 02.11.1992 Verletztenrente nach einer MdE um 50 v. H. erhalten. Gestützt auf ein chirurgisches, neurologisch-psychiatrisches, ein HNO-ärztliches sowie ein augenfachärztliches Gutachten erkannte er im Bescheid vom 05.01.1994 als Unfallfolgen an: Schwere Kopfverletzung mit frontaler Hirnverletzung, Schädelbasis-, Mittelgesichts- und Felsenbeinfraktur, Taubheit rechts mit Verlust des Richtungshörens, ausgeprägter konzentrischer Gesichtsfeldeinschränkung rechts, Mobilitätseinschränkung sowie deutliche Herabsetzung der Sehleistung. Die Einzel-MdE-Sätze wurden chirurgischerseits mit vorübergehend 20 sowie auf Dauer mit 10 v. H., neurologisch-psychiatrischerseits sowie augenfachärztlicherseits mit jeweils 30 v. H. und HNO-ärztlicherseits mit 15 v. H. bewertet. Die Nachbegutachtungen im Jahre 1994 bestätigten die Bewertung sowohl der Unfallfolgen als auch der Einzel-MdE-Sätze und der Gesamt-MdE.

Der Beklagte zog die Ermittlungsunterlagen der Polizei in E bei. Enthalten war darin u. a. ein verkehrstechnisches Gutachten des späteren gerichtlichen Sachverständigen, Dipl.-Ing. T D, vom 31.03.2000. Darin wurde festgehalten, dass der Versicherte am 00.00.2000 gegen 00:00 Uhr über die C Straße in M in Höhe der Nr. 000 aus Sicht des beteiligten PKW-Fahrers, U L G, der einen N, Erstzulassung 00.00.1984, mit dem amtlichen Kennzeichen EP - M1W 000 steuerte, von links nach rechts überquerte. Er wurde von der linken vorderen Front des PKW, der mit mindestens 79 km/h die für 50 km zugelassene Straße befuhr, trotz eingeleiteter Bremsung mit ca. 54 km/h erfasst, bis in den Bereich des vorderen Dachrahmens auf das Fahrzeug aufgeladen und dann zu Boden geschleudert. Beim Einleiten der Notbremsung sei der Versicherte noch etwa 2,6 m von der Fahrzeugbegrenzung entfernt gewesen.

Die vom Verstorbenen, der bis zum Bezug der Altersrente seit dem 00.00.1999 weiterhin berufstätig war, entnommene Blutprobe ergab nach Auswertung durch das Gesundheitsamt der Stadt E einen BAK-Wert von 1,19 o/oo. Das Amtsgericht M (00 Ls 0 Js 000/00) verurteilte den PKW-Fahrer am 22.09.2000 wegen fahrlässiger Tötung zu einer auf Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von sechs Monaten. Im Urteil wurde aufgrund der Vernehmung von drei Zeugen festgestellt, dass der Versicherte, ohne nach rechts oder links zu schauen, sich im rechten Winkel zügig auf die Straßenmitte zubewegt habe, während sich der PKW mit einer Geschwindigkeit von mindestens 79 km/h bei innerorts höchstens erlaubten 50 km/h genähert habe. An der Straßenmitte habe der Versicherte kurzfristig verharrt und dann die Straße weiter überquert. Trotz Vollbremsung sei es dem PKW-Fahrer nicht mehr gelungen, den todbringenden Zusammenstoß zu verhindern.

Der Beklagte lehnte nach Auswertung der Strafverfahrensakten sowie der Vorgänge nach dem Schwerbehindertengesetz - beim Versicherten war ein Gesamt-GdB von 60 wegen der Unfallfolgen sowie eines Wirbelsäulensyndroms, eines Speichenbruchs rechts mit jeweiligen Einzel-GdB um 20 und einen Beinvenenleiden sowie wiederholter Bronchitis mit jeweils einem Einzel-GdB von 10 zugrunde gelegt worden - sowie von Befundberichten der behandelnden Ärzte mit Bescheid vom 18.12.2000 die Gewährung von Sterbegeld, Hinterbliebenenrente sowie Überführungs- und Bestattungskosten ab, bewilligte aber eine einmalige Witwenbeihilfe von 00.000,00 DM. Ursächlich für den Tod des Versicherten sei neben der unfallbedingten Beeinträchtigung auch dessen Alkoholeinfluss und die erheblich überhöhte Geschwindigkeit des PKW gewesen. Ein ursächlicher Zusammenhang der unfallbedingten Herabsetzung des Hör- und Sehvermögens und des Eintritts der Verkehrsunfalls könne nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.

Hiergegen erhob die Klägerin am 04.01.2001 Widerspruch, mit dem sie geltend machte, ein gesunder Mann im Alter des Versicherten hätte auch bei nicht besonderer Beobachtung des Verkehrs den herannahenden PKW gehört und gesehen. Zwar habe das Strafgericht ein Mitverschulden des Versicherten festgestellt und sich insoweit auf die Angaben des Zeugen Q gestützt, der aber nur bekundet habe, dass der Versicherte beim Überqueren der Fahrbahn seinen Kopf weder nach links noch rechts gewandt habe, zu einem Zeitpunkt, als das Fahrzeug noch weit entfernt gewesen sei. Dessen überhöhte Geschwindigkeit habe der Verstorbene wegen der Unfallfolge bedingten Beeinträchtigung nicht einschätzen können, er sei infolgedessen fälschlicherweise davon ausgegangen, die Straße noch gefahrlos überqueren zu können. Hierauf deute auch das kurze Verharren auf der Fahrbahnmitte hin. Zudem könne das Verhalten des Versicherten nicht als alkoholtypisch bewertet werden.

Mit Bescheid vom 20.06.2001 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Die Unfallfolgen hätten nicht wesentlich an dem Zustandekommen des tödlichen Unfall mitgewirkt. Neben der unfallbedingten Sehfähigkeitseinschränkung seien auch die im augenärztlichen Gutachten vom 02.01.1995 angeführte Weit- und Alterssichtigkeit beidseits als unfallfremde Ursache ebenso zu nennen wie der Umstand, dass sich der Versicherte seit acht Jahren auf die Unfallfolgen eingestellt und an diese sich gewöhnt habe; zudem habe er sich auf einem gewohnten Weg zu seiner Garage befunden. Weiter sei auch das vom Amtsgericht M festgestellte Mitverschulden des Versicherten anzuführen, nämlich dass bei sorgfältigem Schauen nach rechts oder links die Gefahr erkannt und die Straße nicht überquert worden wäre. Ferner habe danach das Unterschätzen der nahezu um 30 km/h überhöhten Geschwindigkeit sowie das verkehrswidrige Verhalten des PKW-Fahrers maßgeblich zum Unfall beigetragen. Auch der Alkoholkonsum könne bei der Gesamtbetrachtung nicht außer Acht bleiben. Den Unfallfolgen sei bei der Gesamtwürdigung nur eine untergeordnete, unwesentliche Bedeutung am Unfallgeschehen beizumessen.

Hiergegen richtet sich die am 17.07.2001 erhobene Klage, mit der die Klägerin ihr Begehren unter Vertiefung ihres Widerspruchsvorbringens weiterverfolgt. Der Beklagte berücksichtige zu Unrecht die neben den Unfallfolgen unbedeutende unfallunabhängige Sehfähigkeitseinschränkung, vernachlässige aber die unfallbedingte Taubheit auf dem rechten Ohr, während ein Gesunder die Geräusche des mit überhöhter Geschwindigkeit herannahenden Mercedes nicht überhört hätte.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 18.12.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2001 zu verurteilen, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen, insbesondere eine Witwenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, dass der schon im Strafverfahren herangezogene Dipl.-Ing. D unter dem 26.11.2001 erstattet hat. Darin gelangt er zu dem Ergebnis, dass beim Bremsvorgang des PKW signifikante Bremsgeräusche in Form von Reifenquietschen erzeugt worden seien, wobei dies von den Angaben des Zeugen L1 gestützt werde. Diese wären in einer Entfernung von etwa 20 m und darunter von einem normalhörenden 60-jährigen deutlich akustisch wahrnehmbar gewesen. Sie hätten etwa 1,1 Sekunden vor der Kollision eingesetzt, als der Versicherte je nach Gehgeschwindigkeit zwischen 1,5 und 5 Metern von der Unfallstelle entfernt gewesen sei. Mithin hätte der Unfall mit Sicherheit vermieden werden können, wenn der Versicherte die Überquerung der Fahrbahn nicht fortgesetzt hätte. Auf der anderen Seite könne unterstellt werden, dass es auch dann nicht zur Kollision gekommen wäre, wenn sowohl der PKW ohne Bremsmanöver als auch der Versicherte ihren jeweiligen Weg bei jeweils unveränderter Fahr- und Gehgeschwindigkeit fortgesetzt hätten.

Der Beklagte hat zu diesem Gutachten ausgeführt, der Versicherte hätte den Unfall vermeiden können, wenn er seine Bewegung nicht fortgesetzt hätte, zumal er trotz der Behinderung das herannahende Fahrzeug sowohl hätte erkennen als auch frühzeitig wegen der Bremsgeräusche vor der Mittellinie anhalten können. Mithin seien die Unfallfolgen keine gleichwertige Mitursache für die Schwere des Verkehrsunfalls gewesen, weil sich der Versicherte sein leichtsinniges Verhalten zurechnen lassen müsse. Er sei einer Verkehrssituation erlegen, der auch gesunde Menschen durch Unachtsamkeit ausgesetzt seien, zumal er in der Lage gewesen sei, ohne Begleitperson am Straßenverkehr teilzunehmen.

Demgegenüber sieht sich die Klägerin durch die Beurteilung des Sachverständigen D bestätigt. Der Versicherte habe unfallfolgebedingt eine längere "Verarbeitungszeit" benötigt, um auf die Verkehrssituation reagieren zu können. Die Angaben der Zeugen Q und L1 im Strafverfahren wichen von einander ab, insbesondere zur Gehgeschwindigkeit beim Überqueren der Straße.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und den der Unfallakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 18.12.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2001 verweigert der Beklagte der Klägerin zu Recht die von ihr beanspruchten Hinterbliebenenleistungen, die rechtmäßigen Bescheide beschweren die Klägerin nicht (§ 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichts- gesetz - SGG -).

Hinterbliebenenleistungen gemäß § 63 Abs. 1 Nrn. 1 und 3, insbesondere Sterbegeld gemäß § 64 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) und Witwenrente gemäß § 65 SGB VII, erhält gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB VII i. V. m. § 7 Abs. 1 SGB VII die Witwe eines Versicherten, der an den Folgen eines Arbeitsunfalles gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII verstorben ist. Ein Anspruch auf diese Hinterbliebenenleistungen ist aber nicht nur dann gegeben, wenn ein Arbeitsunfall im zeitlich engeren Zusammenhang zum Tod eines Versicherten führt. Auch wenn die Folgen eines früheren Arbeitsunfalles erst nach Jahren dazu beitragen, dass der Tod um wenigstens ein Jahr verfrüht eintritt, besteht ein Anspruch auf die streitbefangenen Hinterbliebenenansprüche (vgl. dazu die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - in BSGE 60, 220 ff m. w. H.). Die Kammer hat jedoch ebenso wie der Beklagte nicht feststellen können, dass die Folgen des Arbeitsunfalls vom 00.00.1992 (den der Versicherte als Schwimmmeister erlitten hatte, wesentlich zu seinem Tod im Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall vom 00.00.2000 beigetragen haben.

Dies kann nur dann angenommen werden, wenn die beim Versicherten zur Zeit des Verkehrsunfalles vom 00.00.2000 bestehenden Unfallfolgen mit ihrem auf die Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr sich ergebenden Einschränkungen im Vergleich zu den anderen, zum Eintritt des zum Tode des Versicherten führenden Bedingungen eine zumindest annähernd gleichwertige Mitbedingung ausgemacht haben. Nur für diesen Fall kann den Unfallfolgen eine wesentliche (Mit-) Ursache für den Tod des Versicherten beigemessen werden (vgl. zu der im Sozialrecht, insbesondere im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung gebräuchlichen Theorie der wesentlichen Bedingung BSG beginnend mit BSGE 1, 72 ff mit weiteren Hinweisen und stellvertretend für die insoweit einhellige Auffassung in der Literatur Bereiter-Hahn/Mehrtens, Handkommentar zur Unfallversicherung, Stand 11/2002, Anm. 8. 2 ff zu § 8 SGB VII). Die verschiedenen Ursachen für den in Rede stehenden Verkehrsunfall vom 00.00.2000 sind gegeneinander abzuwägen und wertend zu gewichten. Dabei ist eine dem vom Versicherungsschutz erfassten Bereich, im vorliegenden Fall also den Folgen des Arbeitsunfalles vom 00.00.1992, zuzurechnenden Ursache nur dann als wesentlich anzusehen, wenn sie im Vergleich zu den übrigen, nicht dem versicherten Bereich zuzurechnenden Ursachen eine eher untergeordnete Bedeutung für den eingetretenen "Erfolg", hier das Erfassen des Versicherten durch den PKW, hatten (vgl. hierzu Bereiter-Hahn/Mehrtens a.a.O. Anm. 8. 2. 3 zu § 8 SGB VII mit weiteren Hinweisen auf den Stand der Diskussion).

Als Ergebnis dieser wertenden Betrachtung bei der Abwägung der verschiedenen Ursachen für das Zustandekommen des Verkehrsunfalles vom 00.00.2000 sieht die Kammer die Unfallfolgen und ihrer einschränkenden Auswirkungen im Bezug auf die Teilnahme am Straßenverkehr nur als eher untergeordnete, nicht ins Gewicht fallende und daher unwesentliche Mitursache an. Überragende und hauptsächliche Ursache war ohne Zweifel die überhöhte Geschwindigkeit des PKW von 79 km/h auch vor Einleitung des Bremsmanövers und noch 54 km/h beim Aufprall des Versicherten auf den Vorderwagen, also weit überhöht angesichts der nur innerorts zugelassenen 50 km/h, zudem bei Dunkelheit. Das Gericht folgt insoweit den auf der Einschätzung des auch im sozialgerichtlichen Verfahren gehörten Sachverständigen D beruhenden Feststellungen des Amtsgerichts M im Urteil vom 22.09.2000 (00 Ls 0 Js 000/00) bei. Ohne diese überhöhte Geschwindigkeit, nämlich bei Einhaltung der zugelassenen höchstens 50 km/h, hätte der Versicherte unabhängig davon, ob der PKW-Fahrer diese Geschwindigkeit durch Gaswegnehmen oder Einleiten eines Bremsmanövers noch weiter drosselte, die C Straße überqueren können, ohne dass es zu einer Berührung zwischen ihm und diesem Fahrzeug gekommen wäre. Dies gilt auch für den Fall, dass der Versicherte vor dem Überqueren der Fahrbahn nicht nach rechts oder links schaute, also ohne sich davon zu überzeugen, ob die Straße gefahrlos überquert werden konnte.

Die weitere wesentliche Mitursache für den Verkehrsunfall war das Verhalten des Versicherten beim Überqueren der C Straße zusammen mit dem mitgeführten Hund, offensichtlich mit der Zielrichtung zu der in der Nähe gelegenen Garage, wobei dies letztlich offen bleiben kann. Dem Versicherten waren jedenfalls die Wege- und die Sichtverhältnisse bekannt, er war an sie seit Jahren wegen der Lage der Garage gewöhnt. Auch die Kammer geht ebenso wie das Amtsgericht M anhand der Bekundungen der Unfallzeugen Q und L1 davon aus, dass der Versicherte vor dem Überschreiten der Fahrbahn, also des gefährlichen Teils des gesamten Straßenbereichs, sich nicht durch Drehen des Kopfes nach links und rechts vergewisserte, ob diese gefahrlos überschritten werden konnte. Zuerst hätte der Blick nach links - wegen möglicher Fahrzeuge auf der dem Versicherten zugewandten Fahrbahnseite - und dann nach rechts - wegen der Fahrzeuge auf der von ihm abgewandten Fahrbahnseite - erfolgen müssen, ggfs. wiederholend. Der Zeuge Q hat ausdrücklich bekundet, dass der Versicherte vor und beim Überschreiten der Fahrbahn den Kopf weder nach links noch nach rechts gedreht hat. Der Zeuge L1 hat dies ebenfalls nicht bemerkt, er hat davon gesprochen, dass der Versicherte seinen Kopf eher nach unten geneigt hatte. Die Zeugin X, die mit ihrem Fahrzeug hinter dem am Unfallgeschehen beteiligten N fuhr, hatte den Versicherten erst unmittelbar beim Aufprall auf dieses Fahrzeug bemerkt, mithin zu dessen Verhalten vorher keine Angaben machen können.

Die Kammer hat jedoch nicht feststellen können, dass für dieses - objektiv gesehen - ebenfalls verkehrswidrige Verhalten des Versicherten beim Überqueren der C Straße als Fußgänger die Unfallfolgen eine wesentliche Rolle gespielt haben. Zwar sprechen einige Anhaltspunkte dafür, dass auch die Unfallfolgen für das Verhalten des Versicherten eine gewisse Bedeutung gehabt haben. Anhand der Beurteilung des Sachverständigen D in seinem Gutachten vom 26.11.2002 war für einen annähernd normalhörigen und nicht in der Sehfähigkeit eingeschränkten 60-jährigen das herannahende Fahrzeug etwa 1,1 Sekunden vor dem Aufprall allein aufgrund der Bremsgeräusche infolge der eingeleiteten Vollbremsung zu hören. Zu diesem Zeitpunkt hätte durch Innehalten auf der ihm zugewandten Fahrbahnhälfte oder durch Anhalten an der Fahrbahnmitte in Höhe der gestrichelten Mittellinie der Versicherte den Unfall noch vermeiden können. Ob er tatsächlich noch etwas vom herannahenden N auch wegen der Bremsgeräusche gehört hat - hierfür könnte das vom Zeugen L1 beschriebene "kurze Verharren" auf der Fahrbahnmitte hindeuten - lässt sich nicht mehr klären. Jedenfalls zog der Versicherte keine erkennbaren Konsequenzen aus der möglichen Wahrnehmung insoweit, sondern ging selbst nach dem Bekunden des Zeugen L1 - der Zeuge Q beschrieb eine ununterbrochene Gehbewegung über die Fahrbahn - weiter über die Straße.

Soweit es das Sehvermögen des Versicherten angeht, war dies durch die Unfallfolgen insbesondere rechtsseitig durch konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung bei praktischer Einäugigkeit mit dem linken Auge - so die letzte in den Akten der Beklagten enthaltene Beurteilung von Prof. Dr. H2 vom 02.01.1995 - und damit auf der Seite, aus der der N mit überhöhter Geschwindigkeit sich näherte, erheblich herabgesetzt. Dies hatte zur Konsequenz, dass der Versicherte, um ein von rechts herannahendes Fahrzeug sehen zu können, seinen Kopf im Vergleich zu einem annähernd normal sehenden 60-jährigen vielmehr nach rechts hätte drehen müssen, um es mit dem linken Auge erfassen zu können. Die Zeugen Q und L1 haben jedoch auch eine normale Drehbewegung des Kopfes insbesondere nach rechts nicht beobachtet.

Daneben hat die Kammer der von der Beklagten als mitursächlich angesehenen alkoholischen Beeinflussung von 1,19 o/oo keine ins Gewicht fallende Bedeutung im Vergleich zum verkehrswidrigen Verhalten des PKW-Fahrers einerseits und des nicht als verkehrsgerecht anzusehenden Verhaltens des Versicherten andererseits, wie es auch bei nicht alkoholisierten Verkehrsteilnehmern vorkommt, beigemessen. Die das Unfallgeschehen bis zum Zusammenprall beobachtenden Zeugen Q und L1 haben jedenfalls kein Verhalten des Versicherten beschrieben, das auf eine merkliche alkoholische Beeinflussung schließen lässt, nämlich keinen Zick-Zack-Gang, keine schwankende Gehweise und kein unkordiniertes, nicht zielgerichtetes Überqueren der Fahrbahn angegeben. Nur bei solchen Anzeichen könnte auf eine alkoholbedingte Verkehrsuntüchtigkeit als Fußgänger geschlossen werden, weil es einen Grenzwert - anders als beim Führen von Kraftfahrzeugen - für die Annahme absoluter Gehuntüchtigkeit bei Fußgängern nicht gibt (vgl. BSGE 43, 293).

Werden sowohl die Hörfähigkeitsminderung als auch die Sehminderung im Zusammenhang gesehen, so ist auch in den Augen der Kammer deren Mitursächlichkeit für das Zustandekommen des Verkehrsunfalls nicht von der Hand zu weisen, weil sie jedenfalls die Wahrnehmung des Versicherten in Bezug auf den herannahenden N in akustischer und optischer Hinsicht erheblich erschwerten. Dessen ungeachtet misst das Gericht diesem Umstand nicht die Bedeutung einer annähernd gleichwertigen Mitursache für den in Rede stehenden Verkehrsunfall bei. Das ebenfalls verkehrswidrige Verhalten des Versicherten beim Überqueren der C Straße lässt sich nämlich nicht allein mit den Auswirkungen auf die optische und akustische Wahrnehmung erklären, weil beispielsweise durch das einmalige, wegen der Unfallfolgen etwas weitergehend erforderliche Drehen des Kopfes nach rechts entweder vor dem Überschreiten der Fahrbahn oder zumindest vor Erreichen der Fahrbahnmitte der Unfall mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte vermieden werden können. Der Versicherte hätte dann das Herannahen des beleuchteten N sehen und seinen Gang über die Straße stoppen oder zumindest zeitweilig unterbrechen bzw. die Überquerung erheblich verlangsamen können.

Ein solches den Gegebenheiten des Straßenverkehrs Rechnung tragendes Verhalten konnte nach Auffassung der Kammer auch vom Versicherten erwartet werden. Er war seit fast acht Jahren an die sich auf das Seh- und Hörvermögen auswirkenden Unfallfolgen gewöhnt, d. h. war sich dessen bewusst, im Straßenverkehr zum Ausgleich dieser unfallbedingten Einschränkung der Wahrnehmung beim Überqueren einer Straße seinen Kopf mehr als früher insbesondere nach rechts drehen zu müssen, um die jeweilige Verkehrssituation angemessen erfassen zu können. Wenn der Versicherte dem am 00.00.2000 aufgrund der Aussagen der Zeugen Q und L1 erkennbar nicht nachkam, ist das nicht den Unfallfolgen, sondern dem Versicherten selbst zuzurechnen. Entweder war er wegen der Folgen des Alkohols oder aus anderen Gründen übermüdet oder unkonzentrierter als sonst. Die Ursachen hierfür sind aber nicht unfallfolgebedingt. Damit haben die sich auf die Teilnahme am Straßenverkehr als Fußgänger auswirkenden Unfallfolgen im Ergebnis jedenfalls keine ins Gewicht fallende und folglich keine wesentliche Bedeutung für das Zustandekommen des Unfalls gehabt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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