S 52 AS 4077/17

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
52
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 52 AS 4077/17
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
§ 41a SGB II findet auf die Bewilligungszeiträume, die vor dem 1.8.2016 bereits beendet waren, keine Anwendung. (Anschluss an SG Berlin vom 25.9.2017 - S 179 AS 6737/17, entgegen SG Dortmund vom 08.1217 - S 58 AS 2170/17)
I. Die Bescheide vom 5.7.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.10.2017 werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über den endgültigen Leistungsanspruch des Klägers vom September 2012 bis Februar 2013 an den Beklagten zurückverwiesen. II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. III. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des endgültigen Leistungsanspruchs des Klägers im Zeitraum 01.09.2012 bis 28.02.2013 und einen Erstattungsbescheid des Beklagten über 3.760,00 EUR.

Der 1973 geborene, in Deutschland allein lebende und erwerbsfähige Kläger war im streitbefangenen Zeitraum als Bauingenieur selbständig tätig. Er verfügte neben Kontoguthaben in Höhe von 3125,23 EUR über kein weiteres Vermögen. Er bezog ergänzend zu den Einkünften aus selbständiger Tätigkeit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Beklagten.

Der Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 22.08.2012 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 27.08.2012 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 24.11.2012 vorläufig Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 624,00 EUR (374 EUR Regebedarf und 250 EUR Bedarf für Unterkunft und Heizung) bis 31.12.2012 und ab 01.01.20113 in Höhe von 632,00 EUR monatlich. Der Beklagte prognostizierte kein anrechenbares Einkommen.

Mit Schreiben vom 24.09.2014, beim Beklagten eingegangen am 25.09.2014 legte der Kläger abschließende Angaben einschließlich der Anlage EKS und der Bilanzen sowie weitere Nachweise vor. Der Beklagte reagierte nicht.

Mit Schreiben vom 06.12.2016, zugestellt am 08.12.2016, forderte der Beklagte den Kläger auf, Unterlagen und Nachweise für eine abschließende Entscheidung über acht Bewilligungszeiträume, insgesamt über den Zeitraum 01.09.2012 bis 31.08.2016 bis zum 10.02.2017 vorzulegen. Dabei forderte der Beklagte in Kopie das unterschriebene Formular abschließende Angaben zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit (Anlage EKS) für die Zeiträume 01.03.2015 bis 31.08.2015, 01.09.2015 bis 29.02.2016 sowie 01.03.2016 bis 31.08.2016. Weiter forderte er in Kopie ungeschwärzte vollständige Auszüge sämtlicher privater und geschäftlicher Konten und führte aus, unter welchen Umständen er Schwärzungen der Sollbuchungen für zulässig hielt; zudem "alle nicht geschwärzten Ausgangsrechnungen in nicht geschwärzter Form" mit Nachweisen zum Zahlungseingang sowie weitere näher benannte Unterlagen zu Kfz- und Versicherungskosten, zu Telefon- und Reisekosten. Für die Zeiträume 01.09.2012 bis 28.02.2013, 01.03.2013 bis 31.08.2013, 01.09.2013 bis 28.02.2014, 01.03.2014 bis 31.08.2014 sowie 01.09.2014 bis 28.02.2015 forderte der Beklagte in Kopie alle Ausgangsrechnungen in nicht geschwärzter Form mit Nachweisen zum Zahlungseingang und ungeschwärzte vollständige Auszüge sämtlicher privater und geschäftlicher Konten.

Weiter enthielt das Schreiben vom 06.12.2016 u.a. folgende Passagen:

"Bitte beachten Sie, dass keine Originalbelege mehr entgegengenommen werden dürfen.

Gemäß § 3 Abs. 4 S. 1 ALG II-V ist für jeden Monat ist der Teil des Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei der Teilung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum ergibt. Daraus folgt, dass sich Ihre Mitwirkungsverpflichtung auf alle Monate des Bewilligungszeitraums erstreckt. Daraus folgt weiter, dass bei einem Ausbleiben der Mitwirkung – auch für nur einzelne Monate – die Voraussetzungen für das Bestehen eines Leistungsanspruchs in den oben genannten Bewilligungszeiträumen insgesamt nicht geprüft werden können.

Bitte beachten Sie daher ganz besonders die nachfolgende Rechtsfolgenbelehrung:

Kommen Sie oder die mit Ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen ihrer Nachweispflicht * nicht, * nicht vollständig oder * nicht fristgemäß bis zum vorgenannten Termin nach, werde ich abschließend feststellen, dass ein Leistungsanspruch nicht bestanden hat und die vorläufigen Leistungen von Ihnen im vollen Umfang zurückzuerstatten sind."

Das Schreiben führt weiter aus, was der Kläger tun könne, wenn ihm die fristgemäße Vorlage der Unterlagen nicht möglich sei und schließt mit dem nochmaligen Hinweis:

"Bitte beachten Sie, dass grundsätzlich keine Originalunterlagen mehr entgegen genommen werden können."

Der Kläger legte ein Antwortschreiben vom 20.01.2017 an diesem Tag in einen Briefkasten des Postdienstleisters PostModern ein. Diese Schreiben befindet sich nicht in den Akten des Beklagten.

Mit Bescheiden vom 05.07.2017 setzte der Beklagte die Leistungen für den Kläger für die Leistungszeiträume 01.09.2012 bis 28.02.2013, 01.03.2013 bis 31.08.2013, 01.09.2013 bis 28.02.2014, 01.03.2014 bis 31.08.2014, 01.09.2014 bis 28.02.2015, 01.03.2015 bis 31.08.2015, 01.09.2015 bis 29.02.2016 sowie 01.03.2016 bis 31.08.2016 jeweils auf 0,00 EUR fest. Zugleich erließ er Erstattungsbescheide. Insgesamt fordert der Beklagte vom Kläger 31.105,84 EUR zurück. Für den Leistungszeitraum 01.09.2012 bis 28.02.2013 fordert der Beklagte 3.760,00 EUR zurück. Der Kläger wäre seiner Mitwirkungspflicht auf das Schreiben vom 06.12.2016 nicht nachgekommen.

Mit Schreiben vom 10.07.2017, beim Beklagten eingegangen am 11.07.2017, widersprach der Kläger für alle Leistungszeiträume. Er sei bisher immer der rechtzeitigen Abgabe der Anträge und Nachreichung fehlender Unterlagen nachgekommen. Zu seiner Entlastung lege er nochmals die Anschreiben bei: Schreiben vom 24.09.2014 (Anlage EKS abschließend für 01.09.2012 bis 28.02.2013, 01.03.2013 bis 31.08.2013, 01.09.2013 bis 28.02.2014), Schreiben vom 18.05.2015 (Anlage EKS abschließend für 01.03.2014 bis 31.08.2014, 01.09.2014 bis 28.02.2015) und Schreiben vom 20.01.2017 (Anlage EKS abschließend für 01.03.2015 bis 31.08.2015, 01.09.2015 bis 29.02.2016, 01.03.2016 bis 31.08.2016). Außerdem schrieb er:

"Ich biete Ihnen an, die fehlenden Anträge erneut zu zusenden."

Mit Widerspruchsbescheiden vom 02.10.2017 wies der Beklagte den Widerspruch (für jeden Leistungszeitraum gesondert) zurück. Eine Reaktion auf das Schreiben vom 06.12.2016 sei nicht erfolgt. Nach Aktenlage läge ein Schreiben vom 20.01.2017 nicht vor.

Hiergegen erhob der Kläger am 19.10.2017 Klage zum Sozialgericht (S 52 AS 4077/17). Die Einreichung erfolgte elektronisch (via EGVP) ohne qualifizierte elektronische Signatur. Mit unterschriebenen Anschreiben vom 01.11.2017, eingegangen bei Gericht am 02.11.2017, reichte der Kläger die Klage nochmals auf Papier ein. In seinem Widerspruch vom 10.07.2017 habe er auf seine Schreiben vom 24.09.2014, 18.05.2015 und 20.01.2017 verwiesen und angeboten, die Unterlagen erneut zuzusenden. Dies sei offensichtlich ignoriert worden. Er sei bereit, sämtliche Unterlagen nochmals einzureichen. Dies stelle für ihn einen nicht unerheblichen Aufwand dar.

Mit mehreren Schreiben, die beim Gericht am 20.12.2017 eingingen, reichte der Kläger sämtliche vom Beklagten geforderte Unterlagen bei Gericht ein. Die Unterlagen enthielten teilweise Schwärzungen. Am 11.01.2018 legte der Kläger die Unterlagen nochmals dem Gericht vor – nunmehr ohne Schwärzungen.

Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 05.07.17 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.10.17 aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung über den endgültigen Leistungsanspruch an den Beklagten zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Kläger hätte mit Schreiben vom 24.09.2014 und 18.05.2015 Unterlagen eingereicht. Diese hätten nicht ausgereicht. Der Kläger sei im Schreiben vom 06.12.2016 aufgefordert worden, die erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Er sei belehrt und eine angemessene Frist sei gesetzt worden. Ein Schreiben vom 20.01.2017 sei nicht beim Beklagten eingegangen. Es finde sich in keiner Akte. Im Widerspruchsverfahren seien die Unterlagen nicht erneut abgefordert worden, denn § 41a Abs. 3 SGB II gäbe nach endgültiger Festsetzung keinen Raum für die Nachholung. Eine neuerliche Einreichung im Widerspruchs- oder Klageverfahren vermöge die Entscheidung nicht zu ändern. § 41a Abs. 3 und 4 SGB II sperrten eine neuerliche Prüfung.

Mit Beschluss vom 06.11.2017 trennte das Gericht aus der Klage S 52 AS 4077/17 die Abrechnungszeiträume Nr. 2 bis 8 der Klageschrift ab. Anhängig waren demnach in den Verfahren die Leistungszeiträume wie folgt:

Klage Leistungszeitraum S 52 AS 4077/17 01.09.2012 bis 28.02.2013 S 52 AS 4376/17 01.03.2013 bis 31.08.2013 S 52 AS 4377/17 01.09.2013 bis 28.02.2014 S 52 AS 4378/17 01.03.2014 bis 31.08.2014 S 52 AS 4379/17 01.09.2014 bis 28.02.2015 S 52 AS 4380/17 01.03.2015 bis 31.08.2015 S 52 AS 4381/17 01.09.2015 bis 29.02.2016 S 52 AS 4382/17 01.03.2016 bis 31.08.2016

Das Gericht hat die Verfahren S 52 AS 4077/17, S 52 AS 4376/17, S 52 AS 4377/17, S 52 AS 4378/17, S 52 AS 4379/17, S 52 AS 4380/17, S 52 AS 4381/17, S 52 AS 4382/17 mit den Beteiligten am 11.1.2018 gemeinsam mündlich verhandelt, ohne dass die Verfahren förmlich verbunden gewesen wären. Auf das Protokoll vom 11.1.2018 und darin enthaltenen Erklärungen wird Bezug genommen. Das Gericht hat zudem die Leistungsakten des Beklagten angefordert und beigezogen, die beim Gericht am 20.12.2017 in Form von sieben Bänden Leistungsakten (brauner Aktendeckel), zwei Bänden nicht paginierten "S-Akten" (rosa Aktendeckel) und einem Band Ausdruck elektronische Akte eingingen, diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auf diese sowie den Inhalt der Gerichtsakten, insbesondere die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten, wird zur Ergänzung des Tatbestandes verwiesen.

Entscheidungsgründe:

A. Die Klage ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 SGG zulässig und im Sinne der Zurückverweisung an den Beklagten begründet. Die Erhebung der Klage erfolgte insbesondere in der erforderlichen Form. Die elektronische Einreichung am 19.10.2017 entsprach mangels qualifizierter elektronischer Signatur nicht der erforderlichen Form, §§ 65a Abs. 1, 90 SGG; 2 Abs. 3 SächsEJustizVO jeweils in der bis 31.12.2017 geltenden Fassung. Die am 02.11.2017 eingegangenen Schriftstücke entsprachen der erforderlichen Form und gingen innerhalb der Klagefrist des § 87 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGG ein. Die Festsetzung- und Erstattungsbescheide vom 05.07.17 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.10.17 sind rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten.

B. Der Kläger erfüllte im streitbefangenen Zeitraum 01.09.2012 bis 28.02.2013 die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 19 Satz 1 SGB II für den Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, denn er hatte das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht, war erwerbsfähig und hielt sich gewöhnlich in Deutschland auf. Der Kläger war angesichts der in den vorläufigen Entscheidungen bemessenen Bedarfe und angesichts des von ihm im Klageverfahren vorgetragenen, nicht bedarfsdeckenden Einkommens oder Vermögens auch hilfebedürftig, § 7 Abs. 1 S.1 Nr. 3, § 9 Abs. 1 SGB II. Ausschlussgründe liegen nicht vor.

I. Nachdem der Beklagte bestandskräftig vorläufig bewilligt hatte, durfte er, falls das tatsächliche Einkommen des Klägers von der Prognose abwich, endgültig festsetzen, sonst hätte er die Bewilligung für endgültig zu erklären müssen. Da der Beklagte ohne jede Ermittlung den Leistungsanspruch auf null festsetzte, sind die Bescheide rechtswidrig. Für das vom Beklagten gewählte Vorgehen fehlt eine Rechtsgrundlage.

Für die endgültige Festsetzung war nicht auf § 41a Abs. 3 SGB II (mit Wirkung zum 1. August 2016 eingefügt mit dem "Neunten Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht" vom 26. Juli 2016, BGBl. I, S. 1824) abzustellen, denn es fehlt eine Norm, die die Geltung des § 41a Abs. 3 SGB II für die Zeit vor dem 01.08.2016 anordnet.

§ 80 Abs. 2 SGB II regelt in Nr. 1 "für die abschließende Entscheidung über zunächst vorläufig beschiedene Leistungsansprüche für Bewilligungszeiträume, die vor dem 1. August 2016 beendet waren", dass "§ 41a Absatz 5 Satz 1 mit der Maßgabe, dass die Jahresfrist mit dem 1. August 2016 beginnt" gelte. Für Bewilligungszeiträume, die vor dem 1. August 2016 noch nicht beendet sind, ist § 41a SGB II anzuwenden, § 80 Abs. 2 Nr. 2 SGB II.

Demnach wird ausdrücklich nur die Geltung des Absatz 5 angeordnet. Würde Nr. 1 dahin verstanden, dass § 41a in Gänze angewandt werden sollte, wäre die Regelung in Nr. 2 unsinnig. Für die bereits beendeten Bewilligungszeiträume ordnet der Gesetzgeber nach dem Wortlaut der Vorschrift lediglich die Geltung der Endgültigkeitsfiktion in § 41a Abs. 5 SGB II an, SG Berlin, Urteil vom 25. September 2017 – S 179 AS 6737/17 –, Rn. 51, juris.

Es kommt also auf das Geltungszeitraumprinzip an, BSG, Urteil vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15 R, juris, Rn. 15; BSG, Urteil vom 30. März 2017 – B 14 AS 18/16 R, juris, Rn. 12. Es ist das materielle Recht für den Zeitraum anzuwenden, für den Leistungen bewilligt wurden. Dieses Prinzip gilt auch für endgültige Festsetzungsentscheidungen. Denn sowohl § 41a SGB II als auch § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II (in der bis zum 31. Juli 2016 geltenden Fassung, aF) i.V.m. § 328 Abs. 2 SGB III regeln jeweils in Zusammenhang mit den Bestimmungen der ALG II-VO auch materielles Recht, SG Berlin, Urteil vom 25. September 2017 – S 179 AS 6737/17 –, Rn. 52, juris.

Die Kammer verkennt nicht, dass der Gesetzgeber wohl die Anwendung des § 41a SGB II auch auf Altfälle intendierte, ausführlich SG Berlin, Urteil vom 25. September 2017 – S 179 AS 6737/17 –, juris Rn. 54 f. Dieser Wille hat aber im Gesetz keinen Niederschlag gefunden, anders SG Dortmund, Urteil vom 08. Dezember 2017 – S 58 AS 2170/17 –, juris, Rn 24. Da die Altregelung eine Nullfestsetzung nicht vorsieht, mithin günstiger für die Leistungsberechtigten ist, würde eine Anwendung des § 41a SGB II als echte Rückwirkung auch aus verfassungsrechtlicher Sicht eine ausdrückliche Normierung erfordern; wie hier: SG Berlin, Urteil vom 25. September 2017, S 179 AS 6737/17, juris, Rn. 50 ff.; aus der Literatur genauso: Kemper in: Eichler/Luik SGB II, 4. Auflage 2017, § 80 Rdnr. 10, Conradis in Münder, SGB II, 6. Auflage 2017, § 80, Rdnr. 3, im Ergebnis wohl auch BeckOK Sozialrecht/Harich 46. Edition vom 01.09.2017, SGB II, § 80 Rdnr. 3, anders Grote-Seifert in: Schlegel/Voelske, jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, § 80 Rdnr. 10, Stand: 16.08.2017 und SG Augsburg, Urteil vom 03. Juli 2017 – S 8 AS 400/17 –, juris, Rn. 22, ohne die Frage zu problematisieren; SG Dortmund, Urteil vom 08. Dezember 2017 – S 58 AS 2170/17 –, juris, Rn 24 liefert zwar eine Begründung für die dort vertretene Auffassung, verkennt aber, dass die Anwendung des alten Rechts günstiger ist und auch – nach Vorlage der Unterlagen – im Fall des SG Dortmund günstiger gewesen wäre; zudem handelt es sich um eine echte Rückwirkung: der Leistungszeitraum ist vor Gesetzesänderung beendet. Das SG Dortmund übersieht, dass die vorläufige Bewilligung zwar den Vertrauensschutz in Bezug auf die Festsetzung der Leistung entfallen lässt, daraus folgt aber nicht, dass der verfassungsrechtliche Schutz vor Anwendung von neuem Recht auf abgeschlossene Sachverhalte bei der endgültigen Festsetzung mitentfiele.

Hier war der streitbefangene Leistungszeitraum vor dem 1. August 2016 beendet. Die endgültige Festsetzung war nach §§ 40 SGB II SGB II aF, 328 SGB III vorzunehmen. Eine Nullfestsetzung ohne Ermittlungen ist dort nicht vorgesehen.

Vorsorglich kann die Kammer darauf verweisen, dass die Bescheide auch nach Maßgabe des § 41a SGB II rechtswidrig wären, denn der Beklagte muss nach Nachholung der Mitwirkungshandlung über den endgültigen Leistungsanspruch entscheiden. Die Kammer nimmt Bezug auf ihr Urteil vom 11.01.2018, S 52 AS 4382/17, juris.

II. Die Voraussetzungen der Erstattungsforderungen des Beklagten sind nicht erfüllt. Die Erstattungsbescheide sind an § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II aF i.V.m. § 328 Abs. 3 SGB III zu messen. Wie vorstehend ausgeführt, sind die endgültigen Leistungen zu Unrecht 0,00 EUR festgesetzt worden, so dass die Grundlage für eine vollständige Rückforderung fehlt. Ob die Erstattungsforderungen gegebenenfalls teilweise berechtigt sind, konnte die Kammer offenlassen, da zurückverwiesen wurde.

III. Die Kammer hat die angegriffenen Entscheidungen des Beklagten gemäß § 131 Abs. 5 SGG aufgehoben und die Sache zur erneuten Prüfung an den Beklagten zurückverwiesen. Nach § 131 Abs. 5 SGG kann das Gericht, wenn es eine weitere Sachaufklärung für erforderlich hält, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Dies gilt nach Satz 2 auch bei Klagen auf Verurteilung zum Erlass eines Verwaltungsakts und bei Klagen nach § 54 Abs. 4 SGG.

Die Voraussetzungen sind erfüllt. Für die Feststellung des endgültigen Leistungsanspruchs des Klägers im streitbefangenen Leistungszeitraum ist eine weitere Sachaufklärung erforderlich. Die vom Kläger eingereichten Unterlagen sind auszuwerten und zu bewerten. Gegebenenfalls sind Ausgaben nicht abzusetzen oder Einnahmen angemessen zu erhöhen, § 3 Abs. 3 ALG II-V. Die Ermittlungen sind nach Art und Umfang erheblich, eine Feststellung des Beklagten ist trotz des damit verbundenen Verwaltungsaufwandes unter Berücksichtigung der Belange beider Beteiligter sachdienlich. Insoweit sind auch die Erstattungsforderungen des Beklagten neu festzusetzen oder gegebenenfalls nachträglich Leistungen in anderer Höhe zu bewilligen. Es ist zwar Aufgabe des Gerichts, den Sachverhalt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht umfassend nachzuprüfen. Allerdings ist es nicht gerichtliche Aufgabe, anstellte der Behörde erstmals umfassende Sachverhaltsaufklärung zu betreiben und den Leistungsanspruch zu berechnen, vgl. BSG, Urteil vom 25. Juni 2015, B 14 AS 30/14 R, juris für reine Anfechtungsklagen; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 131 Rz. 17 ff.; SG Augsburg, Urteil vom 03. Juli 2017 – S 8 AS 400/17 –, Rn. 29, juris; SG Berlin, Urteil vom 25. September 2017 – S 179 AS 6737/17 –, Rn. 84 ff., juris.

Die Frist des § 131 Abs. 5 S. 5 SGG von sechs Monaten nach Eingang der Akten bei Gericht ist noch nicht abgelaufen.

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Die Zulässigkeit der Berufung folgt aus § 143, 144 SGG. Die Kammer hat nach § 161 Abs. 1 S. 1 SGG die Sprungrevision zugelassen. Die Voraussetzungen nach § 161 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG liegen vor, denn das vorliegende Verfahren hat grundsätzliche Bedeutung für eine Vielzahl von Verfahren. In der Kammer und am Sozialgericht Dresden sind eine Vielzahl von Verfahren anhängig, in denen (verschiedene) Beklagte für Bewilligungszeiträume, die vor dem 1. August 2016 beendet waren, Nullfestsetzungen nach § 41a Abs. 3 SGB II vorgenommen hat. Die fachliche Weisung der Bundesagentur für Arbeit zu § 41a SGB II, unter 9., Fassung vom 20.12.2017 dürfte eher der hier vertretenen Auffassung entsprechen, ersichtlich wird sie aber von mehreren Jobcentern anders verstanden. Auch Optionskommunen vertreten die Auffassung des Beklagten. Schließlich sind die aufgeworfenen Rechtsfragen bereits beim Bundessozialgericht anhängig, B 4 AS 39/17 R ... In dem Urteil vom 30. März 2017 – B 14 AS 18/16 R –, juris hat das BSG § 41a SGB II nicht angewandt, allerdings waren dort alle vorgehenden Entscheidungen vor dem Neunten Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ergangen, weshalb sich das BSG mit der hier aufgeworfenen Frage nicht explizit beschäftigt hat. Die Kammer hat in den Verfahren S 52 AS 4376/17, S 52 AS 4377/17, S 52 AS 4378/17, S 52 AS 4379/17, S 52 AS 4380/17 und S 52 AS 4381/17 gleichartige Entscheidungen gefällt, von deren Veröffentlichung bei juris aber abgesehen.
Rechtskraft
Aus
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