S 58 AS 369/17

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
58
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 58 AS 369/17
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 05.11.2019 – 1 BvL 7/16 – ergebenden Anforderungen an eine richtige und vollständige Rechtsfolgenbelehrung sind bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit von nicht bestandskräftigen Bescheiden über Leistungsminderungen nach § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II, die vor dessen Verkündung festgestellt worden sind, zu berücksichtigen, weil den Weitergeltungsanordnungen nach Nr. 2 des Tenors der Entscheidung keine rückwirkende Legalisierungswirkung zukommt.

2. Ein solcher Bescheid erweist sich daher nur dann als rechtmäßig, wenn die vorherige Rechtsfolgenbelehrung gem. § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II den Vorgaben von Nr. 2a und Nr. 2c des Tenors der Entscheidung entsprochen hat.
1. Der Sanktionsbescheid vom 09.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.01.2017 wird aufgehoben. 2. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin. 3. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen einen Sanktionsbescheid vom 09.11.2016 in der Gestalt eines Widerspruchsbescheides vom 16.01.2017.

Am 23.08.2016 stellte die Klägerin beim Beklagten einen Antrag auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), nachdem ihr Arbeitsverhältnis durch ihren damaligen Arbeitgeber mit Schreiben vom 15.08.2016 zum 15.09.2016 gekündigt worden war. Am 19.08.2016 schlossen die Klägerin und der Beklagte eine Eingliederungsvereinbarung ab, wonach sich die Klägerin unter anderem dazu verpflichtete, alle zumutbaren Möglichkeiten zur Einkommenserzielung zu nutzen. Die Rechtsfolgenbelehrung der Eingliederungsvereinbarung lautete wie folgt:

"Die §§ 31 bis 31b Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) sehen bei Verstößen gegen die in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflichten Leistungsminderungen vor. Das Arbeitslosengeld II kann danach – auch mehrfach nacheinander – gemindert werden oder vollständig entfallen.

Wenn Sie erstmals gegen die mit Ihnen vereinbarten Eingliederungsbemühungen verstoßen (siehe Nr. 2. Bemühungen des Kunden), wird das Ihnen zustehende Arbeitslosengeld II um einen Betrag in Höhe von 30 Prozent des für Sie maßgebenden Regelbedarfs zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II gemindert.

Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass bei einem wiederholten Verstoß gegen die mit Ihnen vereinbarten Bemühungen das Arbeitslosengeld II um einen Betrag in Höhe von 60 Prozent des für Sie maßgebenden Regelbedarfs gemindert wird. Die Kosten der Unterkunft und Heizung werden dann in der Regel direkt an Ihren Vermieter oder einen sonstigen Empfangsberechtigten gezahlt.

Bei weiteren wiederholten Pflichtverstößen entfällt Ihr Arbeitslosengeld II vollständig.

Die Minderung dauert drei Monate (Sanktionszeitraum) und beginnt mit dem Kalendermonat nach Zugang des Sanktionsbescheides. Während dieser Zeit besteht kein Anspruch auf ergänzende Hilfen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe).

Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn Sie für Ihr Verhalten einen wichtigen Grund darlegen und nachweisen. Folglich tritt keine Leistungsminderung ein. Ein nach Ihrer Auffassung wichtiger Grund, der jedoch nach objektiven Maßstäben nicht als solcher anerkannt werden kann, verhindert nicht den Eintritt der Leistungsminderung."

Am 26.09.2016 schloss die Klägerin einen befristeten Arbeitsvertrag ab dem 27.09.2016 ab. Am 06.10.2016 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, sie habe aufgrund ihrer psychischen Erkrankung die Arbeit nicht antreten können und der Arbeitsvertrag sei daher nichtig. Sie sei bis zum 02.11.2016 von ihrem Hausarzt krankgeschrieben worden, habe einen Termin bei ihrer Neurologin und strebe einen stationären Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik an. Nach dem Attest ihres Hausarztes vom 30.09.2016 war die Klägerin vom 30.09.2016 bis zum 02.11.2016 arbeitsunfähig erkrankt.

Mit Bewilligungsbescheid vom 18.10.2016 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.08.2016 bis zum 31.07.2017. Mit Schreiben vom 18.10.2016 wurde die Klägerin zudem zu einer möglichen Sanktion wegen des Nichtantritts der Erwerbstätigkeit angehört. Mit Schreiben vom 27.10.2016 teilte die Klägerin mit, sie sei am 27.09.2016 wegen Übelkeit, Bauchschmerzen und Angstzuständen nicht in der Lage gewesen, die Arbeit anzutreten. Sie habe auch erst am 30.09.2016 zu ihrem Hausarzt gehen können und ihm berichtet, dass es ihr seit Tagen schlecht gehe. Sie habe ihren Hausarzt nun erneut aufgesucht, dieser dürfe sie allerdings nicht rückwirkend nach einem Monat krankschreiben. Dem Schreiben war eine weitere Attestierung des Hausarztes der Klägerin vom 27.10.2016 beigefügt, wonach die Klägerin ihm gegenüber glaubhaft versichert habe, dass sie bereits ab dem 27.09.2016 nicht arbeitsfähig gewesen sei. Nach der Attestierung sei zudem eine Depression diagnostiziert worden.

Mit Änderungsbescheid vom 07.11.2016 berücksichtigte der Beklagte ein geringeres Erwerbseinkommen der Klägerin im September 2016. Mit streitgegenständlichem Sanktionsbescheid vom 09.11.2016 stellte der Beklagte eine Minderung des der Klägerin bewilligten Arbeitslosengeldes II um monatlich 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs für den Zeitraum vom 01.12.2016 bis zum 28.02.2017 fest und hob den Bewilligungsbescheid vom 18.10.2016 insoweit für den Zeitraum vom 01.12.2017 bis zum 28.02.2017 auf. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 26.11.2016 berücksichtigte der Beklagte die Erhöhung des Regelbedarfs ab dem 01.01.2017.

Unter dem 15.11.2016 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Sanktionsbescheid vom 09.11.2016 ein und verwies zur Begründung auf die eingereichten ärztlichen Atteste. Ein wichtiger Grund für den Nichtantritt der Erwerbstätigkeit habe danach vorgelegen. Mit Widerspruchsbescheid vom 16.01.2017 wies der Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum vom 27.09.2016 bis zum 29.09.2016 sei nicht vorgelegt worden. Das vorgelegte Attest vom 27.10.2016 sage über diesen Zeitraum nichts aus, weil es lediglich die Aussagen der Klägerin wiedergegeben habe und keine ärztliche Stellungnahme erfolgt sei. Aus den eingereichten Unterlagen würde sich nicht ergeben, welche Erkrankung die Klägerin gehabt habe. Die Klägerin habe im Übrigen noch bis zum 15.09.2016 und damit bis 12 Tage vor der vorgesehenen Arbeitsaufnahme als Spielhallenaufsicht gearbeitet.

Mit der vorliegenden Klage verfolgt die Klägerin ihr Rechtsschutzziel weiter. Zur Begründung verweist sie auf die vorstehenden Attestierungen und führt ergänzend aus, die Freistellung durch ihren ehemaligen Arbeitgeber sei bereits im August 2016 erfolgt.

Die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 09.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.01.2017 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die als Anfechtungsklage gem. § 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg, weil sich der streitgegenständliche Sanktionsbescheid vom 09.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.01.2017 als rechtswidrig erweist. Für die Feststellung einer Pflichtverletzung i.S.v. § 31 SGB II fehlt es an einer ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung i.S.v. 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II (hierzu 1.), so dass das Vorliegen eines wichtigen Grundes i.S.v. § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II dahinstehen kann. Auch die Voraussetzungen für eine teilweise Aufhebung der Bewilligungsentscheidung vom 18.10.2016 für die Monate Dezember 2016 bis Februar 2017 haben daher nicht vorgelegen (hierzu 2.).

1. Gem. § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II mindert sich bei einer Pflichtverletzung nach § 31 SGB II das Arbeitslosengeld II in einer ersten Stufe um 30 Prozent des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II setzt eine Pflichtverletzung nach § 31 SGB II stets eine vorherige schriftliche Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis durch den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten voraus.

Die Rechtsfolgenbelehrung erfüllt eine Steuerungs- und insbesondere eine Warnfunktion. Sie muss den Einzelfall betreffend konkret, verständlich, richtig und vollständig sein. Es kommt auf den objektiven Erklärungswert der Belehrung an. Dem Leistungsberechtigten soll in verständlicher Form erläutert werden, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen auf seinen Leistungsanspruch die in § 31 Abs. 1 SGB II genannten Pflichtverletzungen haben werden. Die hohen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung sind im Hinblick auf die gravierenden Folgen einer Pflichtverletzung im Bereich der existenzsichernden Leistungen geboten (Weber in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 31 (Stand: 01.03.2020), Rn. 136) und durch das Bundessozialgericht unter anderem bereits aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09) abgeleitet worden (BSG, Urteil vom 15.12.2010 – B 14 AS 92/09 R –, Rn. 24, juris).

Die Rechtsfolgenbelehrung vom 19.08.2016 wird diesen Anforderungen nicht gerecht, weil sie mit den grundgesetzlichen Vorgaben nach Maßgabe der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung vom 05.11.2019 – 1 BvL 7/16 – [hierzu a)] nicht in Einklang zu bringen ist [hierzu b)]. Letztere sind auch bei nicht bestandskräftigen Bescheiden über Leistungsminderungen nach § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II, die vor der Urteilsverkündung am 05.11.2019 festgestellt worden sind, zu berücksichtigen [hierzu c)].

a) Eine Leistungsminderung nach § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II kann nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Anforderungen aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG nur wahren, wenn sie nicht darauf ausgerichtet ist, repressiv Fehlverhalten zu ahnden, sondern darauf, dass Mitwirkungspflichten erfüllt werden, die gerade dazu dienen, die existenzielle Bedürftigkeit zu vermeiden oder zu überwinden. Es gelten danach strenge Anforderungen der Verhältnismäßigkeit, weil die Minderung existenzsichernder Leistungen zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten in einem unübersehbaren Spannungsverhältnis zur Existenzsicherungspflicht des Staates aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG steht. Denn der Gesetzgeber enthält vor, was er nach Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG zu gewährleisten hat. Er belastet außerordentlich, weil er dasjenige suspendiert, was Bedürftigen grundrechtlich gesichert zusteht.

Leistungsminderungen sind daher nur verhältnismäßig und wahren die Anforderungen aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, wenn es den Betroffenen tatsächlich möglich ist, die Minderung staatlicher Leistungen durch eigenes zumutbares Verhalten abzuwenden und die existenzsichernde Leistung auch nach einer Minderung wiederzuerlangen (BVerfG, Urteil vom 05. November 2019 – 1 BvL 7/16 –, BVerfGE 152, 68-151, Rn. 130 - 133). Zumutbar ist eine Leistungsminderung in Höhe von 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs daher nur, wenn in einem Fall außergewöhnlicher Härte von der Sanktion abgesehen werden kann und die Minderung nicht unabhängig von der Mitwirkung der Betroffenen starr andauert (BVerfG, Urteil vom 05. November 2019 – 1 BvL 7/16 –, BVerfGE 152, 68-151, Rn. 159).

b) Die Rechtsfolgenbelehrung vom 19.08.2016 wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Sie erweist sich insoweit als unvollständig und unrichtig i.S. der vorstehenden bundessozialgerichtlichen Rechtsprechung.

(1) Nach der Rechtsfolgenbelehrung vom 19.08.2016 beträgt der Sanktionszeitraum zunächst in jedem Fall drei Monate. Die Rechtsfolgenbelehrung erweist sich damit als unvollständig, weil auf die Möglichkeit, die Minderung durch eigenes zumutbares Verhalten abzuwenden und die existenzsichernde Leistung wiederzuerlangen, nicht hingewiesen worden ist. Die Minderung dauert danach unabhängig von der Mitwirkung des Betroffenen vielmehr starr an. Die Rechtsfolgenbelehrung erweist sich daher auch als unrichtig, weil sie den grundgesetzlichen Anforderungen nach Maßgabe der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung nicht entsprochen hat. Sie konnte auch keine dahingehende Steuerungsfunktion entfalten, so dass es widersprüchlich wäre, der Klägerin im laufenden Klageverfahren rückblickend entgegenzuhalten, dass sie es unterlassen habe, die Minderung durch ihr zumutbares Verhalten abzuwenden.

(2) Aus der Rechtsfolgenbelehrung ergibt sich auch nicht, dass im Falle einer außergewöhnlichen Härte von der Minderung hätte abgesehen werden können. Die Rechtsfolgenbelehrung vom 19.08.2016 ist auch aus diesem Grund unvollständig und damit unrichtig.

c) Die sich aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ergebenden verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine richtige und vollständige Rechtsfolgenbelehrung sind bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit von nicht bestandskräftigen Bescheiden über Leistungsminderungen nach § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II, die vor der Verkündung der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung vom 05.11.2019 festgestellt worden sind, zu berücksichtigen (Geckeler in: Adolph, SGB II, SGB XII, AsylbLG, 66. UPD August 2020, III. Fragen des Rechtsschutzes, Rn. 38; a.A. etwa SG München, Urteil vom 31. Januar 2020 – S 46 AS 536/18 –, Rn. 17, juris, m.w.N.), weil den Weitergeltungsanordnungen nach Nr. 2 des Tenors der Entscheidung keine rückwirkende Legalisierungswirkung zukommt. Ein solcher Bescheid erweist sich daher nur dann als rechtmäßig, wenn die vorherige Rechtsfolgenbelehrung gem. § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II den Vorgaben von Nr. 2a und Nr. 2c des Tenors der Entscheidung entsprochen hat.

(1) Steht eine Norm mit dem Grundgesetz nicht in Einklang, so ist sie grundsätzlich für nichtig zu erklären (§ 82 Abs. 1, § 78 Satz 1 BVerfGG). Gem. § 79 Abs. 2 BVerfGG bleiben die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer gemäß § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm beruhen, grundsätzlich unberührt. Den Regelungen des § 79 Abs. 2 BVerfGG wird der allgemeine Rechtsgedanke entnommen, dass die unanfechtbar gewordenen fehlerhaften Akte der öffentlichen Gewalt nicht rückwirkend aufgehoben und die in der Vergangenheit von ihnen ausgegangenen nachteiligen Wirkungen nicht beseitigt werden, dass jedoch für die Zukunft die aus einer zwangsweisen Durchsetzung der verfassungswidrigen Entscheidungen sich ergebenden Folgen abzuwenden sind (Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, 59. EL April 2020, BVerfGG, § 79, Rn.9). Nicht bestandskräftige Entscheidungen fallen insofern nicht unmittelbar unter § 79 Abs. 2 BVerfGG.

Das Bundesverfassungsgericht hat neben der Nichtigerklärung die sog. Unvereinbarerklärung (vgl. § 32 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG) als weitere Tenorierungsvariante einer Normverwerfung entwickelt. Das Bundesverfassungsgericht stellt in diesem Fall die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes fest, ohne es für nichtig (unwirksam) zu erklären. Eine Unvereinbarerklärung hat ebenfalls zur Folge, dass die mit höherrangigem Recht kollidierenden Vorschriften in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang und rückwirkend auf den Zeitpunkt der Normenkollision einer Einzelfallentscheidung grundsätzlich nicht mehr zugrunde gelegt werden dürfen. Sie dürfen von Behörden oder Gerichten "in dem sich aus dem Tenor ergebenden Ausmaß nicht mehr angewandt werden" (BeckOK BVerfGG/Karpenstein, 9. Ed. 1.1.2020, BVerfGG § 78, Rn. 39 m.w.N.). In diesem Fall bleiben noch nicht rechts- oder bestandskräftig abgeschlossene Gerichts- oder Verwaltungsverfahren grundsätzlich ausgesetzt oder sind grundsätzlich auszusetzen, bis das Schicksal der Norm endgültig (durch gesetzgeberische Neuregelung oder durch Nichtigkeitseintritt) geklärt ist (Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, 59. EL April 2020, BVerfGG § 79, Rn. 56). Dabei ist der Gesetzgeber verpflichtet, den festgestellten Verfassungsverstoß rückwirkend für den gesamten von der Normverwerfung betroffenen Zeitraum zu beseitigen (vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, 59. EL April 2020, BVerfGG § 79 Rn. 44).

Das Bundesverfassungsgericht versteht zudem die weitere einzelfallbezogene Festlegung der Folgen der Verfassungswidrigkeit namentlich von Gesetzen in einem sehr weiten Sinne noch als "Vollstreckung" i.S.v. § 35 BVerfGG (grundlegend BVerfGE 6, 300 (303 f.) = NJW 1957, 785) und entnimmt jener Bestimmung die Ermächtigung für ein umfassendes einzelfalladäquates "Folgenmanagement" (BeckOK BVerfGG/Sauer, 9. Ed. 1.7.2020, BVerfGG § 35). § 35 BVerfGG hat dem Bundesverfassungsgericht nach dessen Auffassung volle Freiheit belassen, das Gebotene in der jeweils sachgerechtesten, raschesten, zweckmäßigsten, einfachsten und wirksamsten Weise zu erreichen [BVerfG, Beschluss vom 21.03.1957- 1 BvB 2/51, BVerfGE 6, 300 (304)].

Das Bundesverfassungsgericht kann auf der Grundlage von § 35 BVerfGG unter bestimmten Voraussetzungen im Fall der Unvereinbarerklärung etwa die Weitergeltung eines Gesetzes aussprechen und gegebenenfalls mit inhaltlichen Maßgaben zur Gesetzesanwendung verbinden und damit die vorstehende Anwendungssperre durchbrechen (BeckOK BVerfGG/Karpenstein, 9. Ed. 1.1.2020, BVerfGG § 78 Rn. 39). Die Tenorierungsvariante einer Weitergeltungsanordnung im Gefolge einer Unvereinbarerklärung bietet sich an, wenn der Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten hat, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen (Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, 59. EL April 2020, BVerfGG § 78, Rn.70). Sie kann wegen ihres Legalisierungseffektes unter Umständen dazu führen, dass Verfassungsbeschwerden gegen Vollzugsakte, die auf dem – eigentlich als verfassungswidrig beanstandeten – Gesetz beruhen, bzw. gegen die die Vollzugsakte bestätigenden fachgerichtlichen Entscheidungen erfolglos bleiben (Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, ebenda, Rn. 73) und ist daher grundsätzlich rechtfertigungsbedürftig (Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, ebenda Rn. 67).

Die Weitergeltungsanordnung ist insbesondere zulässig, wenn die Besonderheit der für verfassungswidrig erklärten Norm es aus verfassungsrechtlichen Gründen, insbesondere aus solchen der Rechtssicherheit, notwendig macht, die verfassungswidrige Vorschrift als Regelung für die Übergangszeit fortbestehen zu lassen, damit in dieser Zeit nicht ein Zustand besteht, der von der verfassungsmäßigen Ordnung noch weiter entfernt ist als der bisherige (BeckOK BVerfGG/Karpenstein, 9. Ed. 1.1.2020, BVerfGG § 78 Rn. 47 m.w.N.). Sie dient insofern etwa der Vermeidung eines "rechtlichen Vakuums" bzw. der Verhinderung von Regelungslücken, die zu einem "Chaos" führen würden (BVerfG, Urteil vom 04. Mai 2011 – 2 BvR 2333/08 –, BVerfGE 128, 326-409, Rn. 168; vgl. zu den weiteren Fallgruppen, in denen einer Weitergeltungsanordnung für zulässig erachtet wird Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, ebenda, Rn. 67).

Die Weitergeltungsanordnung soll dem Gesetzgeber grundsätzlich jedoch nur eine zeitnahe gesetzliche Neugestaltung ermöglichen, nicht hingegen zu einer Perpetuierung der verfassungswidrigen Lage führen (BeckOK BVerfGG/Karpenstein, 9. Ed. 1.1.2020, BVerfGG § 78 Rn. 54). Sie muss einschließlich ihrer Modifikationen und Restriktionen (Interpretationsanweisungen) in die Entscheidungsformel aufgenommen werden. Gleiches gilt für inhaltliche Vorgaben nach § 35 BVerfGG zur Umsetzung des weiter anzuwendenden Gesetzes, die sich an die normausführende Verwaltung oder die Fachgerichtsbarkeit wenden (Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, 59. EL April 2020, BVerfGG § 78, Rn. 75 f.).

(2) Das Bundesverfassungsgericht hat § 31a Abs. 1 SGB II und § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II vorliegend nicht für nichtig erklärt, sondern die Tenorierungsvariante der Unvereinbarerklärung gewählt, weil der Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten hat, den Verfassungsverstoß zu beseitigen (BVerfG, Urteil vom 05. November 2019 – 1 BvL 7/16 –, BVerfGE 152, 68-151, Rn. 213). Hätte das Bundesverfassungsgericht es bei der bloßen Unvereinbarerklärung des § 31a Abs. 1 SGB II und § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II nach Nr. 1 des Tenors seiner Entscheidung belassen, hätten die Vorschriften in noch nicht rechts- oder bestandskräftig abgeschlossenen Gerichts- oder Verwaltungsverfahren nicht mehr angewandt werden dürfen, während der Gesetzgeber verpflichtet gewesen wäre, rückwirkend einen verfassungskonformen Zustand herzustellen. Das Bundesverfassungsgericht hat demgegenüber in Nr. 2 des Tenors seiner Entscheidung die Weitergeltung von § 31a Abs. 1 SGB II und § 31b Abs.1 Satz 3 SGB II angeordnet und die Weitergeltungsanordnungen jeweils mit inhaltlichen Maßgaben zur weiteren Anwendung der Vorschriften verknüpft.

Diese sich aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ergebenden inhaltlichen Einschränkungen von § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II und 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II nach Nr. 2a und Nr. 2c des Tenors der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung sind in den noch nicht rechts- oder bestandskräftig abgeschlossenen Gerichts- oder Verwaltungsverfahren auch bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit von Bescheiden über Leistungsminderungen nach § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II zu berücksichtigen, die vor der Urteilsverkündung am 05.11.2019 festgestellt worden sind. Gegenteiliges folgt zunächst nicht aus dem Hinweis des Bundesverfassungsgerichts, wonach diese Bescheide wirksam bleiben [(a)]. Zudem sind auch die Übergangsregelungen betreffend § 31a Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB II nach Nr. 2b des Tenors rückwirkend zu berücksichtigen [(b)]. Auch im Übrigen kann der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht entnommen werden, dass sich die Rechtmäßigkeit dieser Bescheide nicht nach den Regelungen in Nr. 2a und 2c des Tenors bemisst [(c)].

(a) Allein aus dem Hinweis des Bundesverfassungsgerichts, dass die nicht bestandskräftigen Bescheide gem. § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II, die vor der Urteilsverkündung festgestellt worden sind, wirksam bleiben (BVerfG, Urteil vom 05. November 2019 – 1 BvL 7/16 –, BVerfGE 152, 68-151, Rn. 221), kann nicht geschlossen werden, dass sich deren Rechtmäßigkeit nicht nach den verfassungsrechtlich erforderlichen Einschränkungen von § 31a Abs. 1 Satz 1 und § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II nach Maßgabe von Nr. 2a und Nr. 2c des Tenors bemisst [a.A. SG München, Urteil vom 31. Januar 2020 – S 46 AS 536/18 –, Rn. 17, juris; Greiser/Susnjar, NJW 2019, 3683 (3685), Weber in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 31b (Stand: 01.03.2020), Rn. 47)].

(aa) Gem. § 39 Abs. 3 SGB X ist ein nichtiger Verwaltungsakt unwirksam. Im Übrigen bleibt ein Verwaltungsakt gem. § 39 Abs. 2 SGB X wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Die weitere Wirksamkeit dieser Bescheide folgt für sich besehen bereits daraus, dass Verwaltungsakte, die auf einer Norm beruhen, welche das Bundesverfassungsgericht für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt, grundsätzlich nicht unwirksam und damit nichtig i.S.v. § 39 Abs. 3 SGB X sind oder durch das Bundesverfassungsgericht im Rahmen eines konkreten Normenkontrollverfahrens für unwirksam erklärt werden. Die Formulierung, wonach diese Bescheide wirksam bleiben, hat so gesehen für sich genommen lediglich einen deklaratorischen Charakter.

(bb) Die Frage nach der Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes ist im Übrigen von der hier maßgeblichen Frage nach der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Bescheide zu unterscheiden. Die Wirksamkeit der nicht bestandskräftigen Bescheide über Leistungsminderungen nach § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II, die vor der Urteilsverkündung am 05.11.2019 festgestellt worden sind, entbindet nicht von der Prüfung ihrer Rechtmäßigkeit (Geckeler in: Adolph, SGB II, SGB XII, AsylbLG, 66. UPD August 2020, III. Fragen des Rechtsschutzes, Rn. 38).

Das Bundesverfassungsgericht hatte auch keine Veranlassung dazu, auszusprechen, dass diese Bescheide in den noch nicht rechts- oder bestandskräftig abgeschlossenen Gerichts- oder Verwaltungsverfahren in jedem Fall aufzuheben sind, weil sich die Prüfung der Rechtmäßigkeit dieser Bescheide auch unter Berücksichtigung von Nr. 2a und Nr. 2c des Tenors – im Unterschied zu entsprechenden Bescheiden nach § 31a Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB II unter Berücksichtigung von Nr. 2b des Tenors (vgl. insoweit BVerfG, ebenda, Rn. 222) – im Ausgangspunkt als ergebnisoffen erweist. Eine Aufhebung dieser Bescheide kommt etwa aus Gründen in Betracht, die – wie beispielsweise die Frage einer ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung im jeweiligen Einzelfall – nicht Prüfungsgegenstand des konkreten Normenkontrollverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht gewesen sind. Andererseits können etwa die Voraussetzungen von § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II in der Fassung der Weitergeltungsanordnung nach Nr. 2 Satz 1 i.V.m. Nr. 2c des Tenors dann vorgelegen haben, wenn Mitwirkungspflichten anhaltend verletzt worden sind, weil ein Minderungszeitraum von drei Monaten als solcher in diesem Fall nicht zu beanstanden ist (BVerfG, Urteil vom 05. November 2019 – 1 BvL 7/16 –, BVerfGE 152, 68-151, Rn. 186). Entsprechendes gilt für § 31a Abs.1 Satz 1 SGB II in der Fassung der Weitergeltungsanordnung nach Nr. 2 Satz 1 i.V.m. Nr. 2a des Tenors, wenn keine außergewöhnliche Härte vorgelegen hat. Demgegenüber erweisen sich Leistungsminderungen von mehr als 30 Prozent des Regelbedarfs nach § 31a Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB II in Anwendung der Weitergeltungsanordnungen nach Nr. 2 Satz 1 i.V.m. Nr. 2b des Tenors, wonach wegen wiederholter Pflichtverletzungen eine Minderung der Regelbedarfsleistungen nicht über 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs hinausgehen darf, insoweit in jedem Fall als rechtswidrig.

(b) Vor diesem Hintergrund zeigt auch ein Vergleich der Weitergeltungsanordnungen, dass die Übergangsregelungen nach Nr. 2a und Nr. 2c des Tenors rückwirkend zu berücksichtigen sind.

Wären die Übergangsregelungen nach Nr. 2b des Tenors lediglich auf Leistungsminderungen nach § 31a Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB II anwendbar, die zeitlich erst nach der Verkündung der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung am 05.11.2019 festgestellt worden sind, so wären die zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits festgestellten Leistungsminderungen nach § 31a Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB II nicht in jedem Fall teilweise aufzuheben. Aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts ist dies jedoch der Fall (BVerfG, ebenda, Rn. 222). Auch die Übergangsregelungen nach Nr. 2b des Tenors sind aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts in den noch nicht rechts- oder bestandskräftig abgeschlossenen Gerichts- oder Verwaltungsverfahren daher rückwirkend zu berücksichtigen. Den Weitergeltungsanordnungen nach Nr. 2 Satz 1 i.V.m. Nr. 2b des Tenors kommt also keine rückwirkende Legalisierungswirkung für die zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits festgestellten und nicht bestandskräftigen Bescheide über Leistungsminderungen nach § 31a Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB II zu. Da die Weitergeltungsanordnungen betreffend § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II nach Nr. 2 Satz 1 i.V.m. Nr. 2a des Tenors und betreffend § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II nach Nr. 2 Satz 1 i.V.m. Nr. 2c des Tenors entsprechend formuliert sind, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie davon abweichende zeitliche Anwendungsbereiche haben.

(c) Auch im Übrigen ergeben sich keine Anhaltspunkte dahingehend, dass den Weitergeltungsanordnungen betreffend § 31a Abs. 1 Satz 1 und § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II im Unterschied zu den Weitergeltungsanordnungen betreffend § 31a Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB II eine rückwirkende Legalisierungswirkung für nicht bestandskräftige Leistungsminderungen, die zum Zeitpunkt der Verkündung der Entscheidung am 05.11.2019 bereits festgestellt waren, zukommen sollte.

(aa) Für eine solche Annahme hätte es zur Überzeugung der Kammer aufgrund der Verfassungswidrigkeit der Vorschriften zunächst einer expliziten Regelung durch das Bundesverfassungsgericht bedurft [Geckeler in: Adolph, SGB II, SGB XII, AsylbLG, 66. UPD August 2020, III. Fragen des Rechtsschutzes, Rn. 40, a.A.Schifferdecker, NZS 2020, 1, (5)]. Eine ausdrückliche Regelung dahingehend kann der Entscheidung allerdings nicht entnommen werden. Aus Nr. 2 Satz 1 i.V.m. Nr. 2a und 2c des Tenors ergibt sich lediglich die unbefristete Anordnung der inhaltlich eingeschränkten weiteren Anwendbarkeit von § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II und § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II, ohne dass die inhaltlichen Maßgaben zur Gesetzesanwendung ihrerseits in zeitlicher Hinsicht eingeschränkt worden sind.

(bb) Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine rückwirkende Legalisierungswirkung der Weitergeltungsanordnungen nach Nr. 2 Satz 1 i.V.m. Nr. 2a und 2c des Tenors aufgrund von überwiegenden verfassungsrechtlichen Erwägungen geboten und daher durch das Bundesverfassungsgericht intendiert gewesen sein könnte. Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die Annahme, diese Bescheide unterfielen nicht den im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG erforderlichen inhaltlichen Einschränkungen des § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II und § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II, ist nicht ersichtlich. Weder wäre eine solche Annahme für diese Bescheide aus überwiegenden Gründen der Rechtssicherheit geboten gewesen, noch sind anderweitige Rechtsgüter von Verfassungsrang ersichtlich, die zugunsten einer solche Annahme streiten könnten. Letzteres ergibt sich auch aus den Entscheidungsgründen selbst, weil der Gesetzgeber danach einen verfassungskonformen Zustand auch dadurch bewirken könnte, dass er auf Sanktionen ganz verzichten würde (BVerfG, Urteil vom 05. November 2019 – 1 BvL 7/16 –, BVerfGE 152, 68-151, Rn. 213). Die Annahme einer uneingeschränkten Legalisierungswirkung der Weitergeltungsanordnungen für Leistungsminderungen nach § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II für die Vergangenheit widerspräche daher Art. 1 Abs. 3 GG und dem Grundgedanken des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Es kann somit nicht angenommen werden, dass das Bundesverfassungsgericht ohne nähere Begründung durch die Weitergeltungsanordnungen seinerseits für den Zeitraum vor der Verkündung seiner Entscheidung am 05.11.2019 insoweit suspendiert hat und suspendieren wollte, was es zugleich als grundrechtlich zugesichert und in der Menschenwürde verankert erkannt hat, ohne dass eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung hierfür ersichtlich ist.

2. Ausgehend davon erweist sich vorliegend auch die teilweise Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 18.10.2016 für den Zeitraum vom 01.12.2016 bis zum 28.02.2017 als rechtswidrig, weil es an einer wesentlichen Änderung i.S.v. § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X fehlt.

II. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Rechtsstreits.

III. Die Berufung war zur Überzeugung der Kammer nicht gesondert zuzulassen. Das Urteil weicht weder von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab (§ 144 Abs.2 Nr. 2 SGG), noch hat die Sache grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Eine schon geklärte Rechtsfrage hat keine grundsätzliche Bedeutung mehr (Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 144 SGG (Stand: 28.08.2020), Rn. 32). Zur Überzeugung der Kammer sind die hier maßgeblichen Rechtsfragen durch die bundesverfassungsgerichtliche Entscheidung vom 05.11.2019 geklärt.
Rechtskraft
Aus
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