S 22 AS 50/05 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
22
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 22 AS 50/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag wird abgelehnt. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Die 1968 geborene Antragstellerin durchlief von 1986 bis 1988 eine Ausbildung zur Möbelfachverkäuferin. Nachdem sie 1995 die allgemeine Hochschulreife erlangt hatte, studierte sie eigenen Angaben zufolge von 1990 bis 1993 Wirtschaftswissenschaften und von 1995 bis 1998 Diplom-Pädagogik. Derzeit ist sie im 17. Hochschulsemester und studiert im 6. Fachsemester Rechtswissenschaften.

Am 04.03.2005 beantragte sie bei der Antragsgegnerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Im Rahmen der Antragsbegründung gab sie an: Sie "erbitte ALG2/Sozialgeld für den März 2005", da es bei ihr zu einem schweren finanziellen Engpass gekommen sei und sie nicht einmal mehr ihre Ernährung sicherstellen könne. Wegen einer Angstsymptomatik habe sie keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen können und deshalb Sozialhilfe bezogen. Ohne Rücklagen habe sie dann 2002 das Jurastudium aufgenommen und gleichzeitig mit einer Psychotherapie begonnen. Hierdurch sei sie wieder fähig, am Leben teilzunehmen. Ihr Studium sei zunächst durch den Gemeindepfarrer finanziert worden. Um nicht weiter auf diese Unterstützung angewiesen zu sein, habe sie versucht, ihren Lebensunterhalt durch Putzen zu bestreiten. Die Einkünfte hätten jedoch nicht ausgereicht, so dass die Krankenkasse sie wegen Beitragsrückständen inzwischen nicht mehr als Mitglied führe. Aufgrund der Härtefallregelung des § 26 BSHG habe sie für Oktober 2004 eine einmalige Beihilfe erhalten. Diesmal habe sie die "beantragte Beihilfe (einmalig)" dringend nötig, um ihre "Lebensmittel für März finanzieren" und Bewerbungen für eine Putzstelle verschicken zu können.

Mit Bescheid vom 10.03.2005 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, dass sich im Fall der Antragstellerin keine besondere Härte im Sinne des § 7 Abs. 2 SGB II annehmen lasse, bei deren Vorliegen Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) dem Grunde nach förderungsfähig sei, ausnahmsweise Leistungen nach dem SGB II beanspruchen könnten.

Hiergegen legte die Antragstellerin am 07.04.2005 Widerspruch ein. Sie rügte, dass der Bescheid keine einzelfallbezogene Prüfung der geltend gemachten Härtegründe enthalte. So sei unberücksichtigt geblieben, dass sie jahrelang an den Folgen sexuellen Missbrauchs in ihrer Kindheit gelitten habe. Momentan verfüge sie über keine finanziellen Mittel, um das Studium bestreiten zu können. Sie sei auf die Lebensmittelausgabe der "Dortmunder Tafel" angewiesen. Außerdem drohe eine Unterbrechung der Stromversorgung. Obwohl ihr ein im Wesentlichen lastenfreies, mit einer Doppelhaushälfte bebautes Grundstück gehöre, könne sie keinen Bankkredit erhalten. Wegen seines renovierungsbedürftigen Zustandes lasse sich das Haus auch nicht vermieten. Die Antragsgegnerin verlange als Voraussetzung für einen Leistungsbezug den Abbruch des Studiums, obwohl Professor Dr. T in seiner Stellungnahme zu ihrer Bewerbung für ein Stipendium des Evangelischen Studentenwerks ausdrücklich einen erfolgreichen Abschluss ihres Studiums in Aussicht gestellt habe. Sie beantrage daher die Gewährung einer Beihilfe nach § 7 Absatz 5 Satz 2 SGB II.

Am 14.04.2005 hat die Antragstellerin den vorliegenden Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz bei Gericht gestellt. Sie bezieht sich auf ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren und trägt ergänzend vor, dass das Jurastudium nach der "disziplinreichen Therapie" zur Überwindung ihrer Angstsymptomatik eine Chance auf eine neue und bessere Lebensgrundlage biete. Sie verfüge über keinerlei Mittel, mit denen sie vorübergehend ihren Lebensunterhalt sicherstellen könnte. Sie bemühe sich allerdings insbesondere darum, mittelfristig ein Darlehen von der Kreditanstalt für Wiederaufbau zu erhalten.

Die Antragstellerin beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr "vorläufig die ihr zustehenden Leistungen nach SGB II in dem ihr zustehenden Rahmen nach pflichtgemäßem Ermessen des Leistungsträgers zu bewilligen."

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag "zurückzuweisen".

Sie hält an ihrer Auffassung fest, dass die Ablehnung von Leistungen nach dem SGB II vorliegend keine besondere Härte darstelle; und zwar um so weniger, als die Antragstellerin bereits über eine abgeschlossene Ausbildung zur Möbelfachverkäuferin verfüge, die es ihr ermögliche, ihren Lebensunterhalt durch eine entsprechende Beschäftigung zu sichern.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

Nach der vorliegend maßgeblichen Vorschrift des § 86b des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn eine solche Regelung zur Abwehr wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Hierfür muss der Antragsteller/die Antragstellerin glaubhaft machen, dass ihm/ihr ein bestimmter Anspruch (Anordnungsanspruch) zusteht. Außerdem muss ein Anordnungsgrund vorliegen, das heißt, es muss ein besonderes Dringlichkeitsinteresse an einer vorläufigen Regelung bestehen, welches über das allgemeine Interesse an einem baldigen Verfahrensabschluss hinausgeht.

Soweit die Antragstellerin ihren Antrag nicht auf die Zeit ab Antragstellung bei Gericht begrenzt hat, fehlt ein Anordnungsgrund. Es widerspräche dem Wesen des vorläufigen Rechtsschutzes, die Verpflichtung zur Gewährung von Leistungen für vergangene Zeiträume auszusprechen. Da es hierbei nicht mehr um die Beseitigung einer gegenwärtigen Notlage geht, ist die Antragstellerin diesbezüglich auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen.

Im Übrigen, also für die Zeit ab 14.04.2005, besteht jedenfalls kein Anordnungsanspruch. Dabei geht das Gericht zugunsten der Antragstellerin davon aus, dass sich ihr Begehren im Verwaltungsverfahren nicht auf die zunächst lediglich beantragte "einmalige Beihilfe für den März 2005" beschränkt hat, sondern durch den im Widerspruchsschreiben ohne zeitliche Begrenzung gestellten Antrag auf "Gewährung einer Beihilfe nach § 7 Absatz 5 Satz 2 SGB II" in dem Sinne erweitert worden ist, dass auch über den März dieses Jahres hinaus bis auf Weiteres fortlaufend Leistungen beantragt wurden. Anderenfalls fehlte es an der im gerichtlichen Verfahren nicht mehr nachholbaren Zulässigkeitsvoraussetzung einer vorherigen Antragstellung bei der Behörde, - vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NW), Beschlüsse vom 12.02.1999, AZ.: 16 B 114/99; 15.12.2003, AZ.: 16 B 2454/03; 09.02.2004, AZ.: 12 B 2136/03 -.

Ein Anspruch auf die in Streit stehenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach §§ 19, 20 SGB II scheitert jedoch an § 7 Abs. 5 SGB II. Die Anwendung dieser Vorschrift begegnet keinen Bedenken im Hinblick auf Abs. 6; denn einer der dort geregelten Ausnahmefälle liegt offensichtlich nicht vor. Nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Als Studentin an einer Hochschule gehört die Antragstellerin deshalb nicht zu dem in § 7 SGB II geregelten Kreis der Anspruchsberechtigten. Dass sie tatsächlich keine BAföG-Leistungen erhält, weil sie die persönlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, ist unerheblich. Denn es kommt nicht auf die konkrete Förderungsfähigkeit, sondern nur darauf an, dass die Ausbildungsförderung nach dem BAföG gemäß dessen § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 grundsätzlich auch für den Besuch von Hochschulen geleistet wird.

Mit der Regelung des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II, der insoweit § 26 des zum 01.01.2005 aufgehobenen Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) und § 22 des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch (SGB XII) entspricht, bezweckt der Gesetzgeber, die Grundsicherung für Arbeitssuchende ebenso wie die Sozialhilfe von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten. Die Ausbildungsförderung durch Sozialleistungen, die die Kosten der Ausbildung und den Lebensunterhalt umfassen, ist außerhalb der SGB II und XII sondergesetzlich (z.B. durch das BAföG) abschließend geregelt. Das bedeutet, dass entsprechende Leistungen während der Ausbildung grundsätzlich nicht aus Mitteln der Grundsicherung für Arbeitssuchende oder der Sozialhilfe erbracht werden können; denn diese beiden Sozialleistungsbereiche sollen keine "versteckte Ausbildungsförderung auf einer zweiten Ebene" ermöglichen, - vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 14.10.1993, Az.: 5 C 16/91, Entscheidungen des BVerwG (BVerwGE) 94, 224 ff; Grube in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 22 Rdnr. 4 -.

Mag dies auch sozialpolitisch "kontraproduktiv" sein, weil ein Verzicht auf die Ausbildung die Chancen einschränkt, von Sozialhilfe unabhängig zu werden, so lässt sich hieraus jedoch keine Verfassungswidrigkeit herleiten. Nach allgemeiner Meinung folgt aus dem Grundgesetz nämlich kein Rechtsanspruch auf individuelle staatliche Ausbildungsförderung - vgl. Rothkegel, Sozialhilferecht, S. 409 f. -.

Die Antragstellerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf Satz 2 des § 7 Abs. 5 SGB II berufen, wonach in besonderen Härtefällen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen gewährt werden können.

Dabei mag dahinstehen, ob die insoweit vorgesehene Ermessensentscheidung überhaupt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes erstritten werden kann, - zur Problematik des Schutzes eines Anspruchs auf ermessensfehlerfreie im Eilverfahren vgl. Schoch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Ver- waltungsgerichtsordnung, Stand 9/2004, § 123 Rdnr. 158 -. Denn jedenfalls hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht, dass ein besonderer Härtefall vorliegt.

Das Gericht verkennt nicht, dass der Abbruch des Studiums für die Antragstellerin im Hinblick auf ihre Lebensplanung und die bereits in das Studium investierte Zeit und Mühe eine Härte bedeutet. Ein besonderer Härtefall im Sinne des § 7 Abs. 5 SGB II liegt darin jedoch nicht.

Es ist der Antragstellerin grundsätzlich zumutbar, die Ausbildung abzubrechen, um ihre Arbeitskraft zum Bestreiten ihres Lebensunterhalts einzusetzen. Dass der Auszubildende seine Ausbildung letztlich aufgeben muss, ist die typische Folge des in § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II geregelten Anspruchsausschlusses. Darin kann also keine besondere Härte liegen - vgl. Grube, a.a.O., § 22 Rdnr. 45 -.

Etwas anderes gilt auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass die Antragstellerin bei der derzeitigen Lage auf dem Arbeitsmarkt möglicherweise nicht sofort einen Arbeitsplatz finden kann. Würde hierauf Rücksicht genommen und deshalb die Fortführung des Studiums aus Mitteln des SGB II ermöglicht, so bedeutete dies nicht nur die gesetzlich unerwünschte "versteckte Ausbildungsförderung auf einer zweiten Ebene", sondern ließe darüber hinaus die im BAföG angeordneten Leistungsausschlüsse (etwa wegen Überschreitung der Förderungshöchstdauer oder der Altersgrenze, Fehlens eines wichtigen Grundes für einen Fachrichtungswechsel oder wegen Nichterfüllung sonstiger persönlicher Förderungsvoraussetzungen) ins Leere gehen, die ihrerseits ohne Rücksicht auf das Vorliegen eines Härtefalles eingreifen. Der hierdurch verursachte Zwang zum Abbruch der Ausbildung geschieht jedenfalls aus der Sicht des Ausbildungsförderungsrechts nicht ohne Rechtfertigung - vgl. Rothkegel, a.a.O., S. 406 - und kann daher aus dem Gedanken der Einheit der Rechtsordnung heraus grundsätzlich auch keine besondere Härte im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II begründen.

Ein besonderer Härtefall nach dieser Vorschrift wäre allerdings dann zu bejahen, wenn die Antragstellerin nur mit Hilfe einer Ausbildungsförderung aus Mitteln der Grundsicherung entsprechend der Zielsetzung des § 1 SGB II in die Lage versetzt werden könnte, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten zu können - hierzu und zum Folgenden vgl. Rothkegel, a.a.O., S. 405 -.

Dies lässt sich vorliegend jedoch nicht annehmen. Insbesondere ist nicht glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerin infolge der angeführten Kindheitstraumata an einer Krankheit/Behinderung litte, bei der eine Integration ins Erwerbsleben nur nach Fortführung des begonnenen Jurastudiums möglich wäre und anderenfalls zu befürchten stände, dass die Antragstellerin nach Abbruch ihrer Ausbildung keiner Erwerbstätigkeit nachgehen könnte und deshalb auf Dauer oder zumindest langfristig auf Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen sein würde.

Angesichts der bereits abgeschlossenen Ausbildung zur Verkäuferin lässt sich ein Härtefall auch nicht damit begründen, dass das derzeitige Jurastudium gleichsam die letzte Chance für die Antragstellerin wäre, überhaupt eine Ausbildung zu durchlaufen und mit Erfolg abzuschließen. Die Ausbildung zur Verkäuferin eröffnet der Antragstellerin auch durchaus eine realistische Möglichkeit, einen Arbeitsplatz zu finden.

Andererseits ist die Antragstellerin, der eigenen Angaben im Erörterungstermin zufolge noch mehrere "Scheine" fehlen, mit dem Jurastudium auch noch nicht so weit fortgeschritten, dass sich die Annahme einer besonderen Härte unter dem Gesichtspunkt eines unmittelbar bevorstehenden erfolgreichen Abschlusses der Ausbildung rechtfertigen ließe, der durch den Abbruch des Studiums vereitelt würde, - zu dieser Fallgruppe vgl. Spellbrink in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 7 Rdnr. 47 -.

Soweit die Antragstellerin zur Begründung eines Härtefalles auf ihre derzeitige existenzielle Notlage verwiesen hat, die durch ungesicherte Ernährungsmöglichkeiten und drohende Sperrung der Stromversorgung gekennzeichnet sei, sind diese Umstände im Rahmen des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II ohne Bedeutung. Es liegt in der Hand der Antragstellerin, durch Exmatrikulation oder Beurlaubung vom Studium - zu Letzterem vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.08.1999, AZ.: 5 B 153/99, 5 PKH 53/99 - die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II zu schaffen.

Ob ein Härtefall letztlich auch deshalb zu verneinen ist, weil die Antragstellerin ihren Lebensunterhalt während des Studiums durch Verwertung ihres Hausgrundstücks selbst sicherstellen könnte, kann nach alledem offenbleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf analoger Anwendung des § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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