S 18 U 60/98

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 18 U 60/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte das bei dem Kläger festgestellte Plattenepithel-Karzinom des linken Stimmbandes als Berufskrankheit zu entschädigen hat.

Der im Jahre 1944 geborene Kläger befand sich als Auslandsmonteur für seine Arbeitgeberfirma L-I-E AG in Kuwait, als dort in den frühen Morgenstunden des 02.08.1990 irakisches Militär einfiel. In seiner Unterkunft, dem "Kuwait Sheraton Hotel", wurde er gefangen genommen und im weiteren Verlauf zusammen mit zahlreichen Menschen unterschiedlicher Nationalität, u. a. seinem damaligen Arbeitskollegen, dem Zeugen Herrn C L1, als Geisel in den Irak verschleppt. In verdunkelten Autobussen und unter Waffengewalt wurden verschiedene Aufenthaltsorte angefahren, an denen die Geiseln über einen mehr oder weniger langen Zeitraum festgehalten wurden.

Unter ständigem Wechsel der als Geiseln genommenen Personen gelangte die Gruppe, in der sich der Kläger wie auch der Zeuge Herr L1 befanden, am 15.08.1990 auf ein größeres Fabrikgelände in der knapp 100 km westlich von Bagdad gelegenen Ortschaft Al Falluja. Dort wurden sie zunächst in einem einige hundert Meter von dem Fabrikgebäude entfernten Lager ("Baucamp") untergebracht und schließlich am 26.09.1990 unmittelbar in die Nähe des Fabrikgebäudes verbracht. Am 27.10.1990 wurde der Kläger nach Bagdad überführt und konnte unter Einschaltung der Deutschen Botschaft auf dem Luftwege den Irak verlassen.

Über den Ablauf seiner Gefangenschaft hat der Kläger zwei zeitlich auseinander liegende, zu den Akten genommene Manuskripte verfasst und namentlich auch die Unterbringung der Geiseln sowie deren Bewacher in dem Fabrikgebäude angegliederten Büro- und Laboreinrichtungen beschrieben. In einem an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 29.09.1996 führte der Kläger aus, das Baucamp sei am 26.09.1990 aufgelöst und die Gruppe der Deutschen auseinandergerissen worden. Er und der Zeuge Herr L1 seien direkt in die Giftgasfabrik, der Rest der Gruppe auf andere strategisch wichtige Anlagen im Irak verlegt worden. In der streng gesicherten und militärisch streng bewachten Anlage habe die Fabrik selbst aus einigen übererdigen Hallen, in denen angeblich Chlor produziert worden sei, bestanden. Unterirdisch in mehreren Etagen habe sich die eigentliche Fabrik befunden; zahllose, überall aus dem Boden ragende Be- und Entlüftungshutzen seien hierfür Beweis gewesen. Sie - die Geiseln - seien mitten im oberirdischen Gelände in einem eigens für ihre Unterbringung geräumten Laborgebäude untergebracht worden. Die Wände der Schlafräume seien von Säuren zerfressen gewesen. In der Zeit von der Verlegung in die Fabrik am 26.09. bis zu seiner Freilassung hätten sie ca. 20 bis 25 Fabrikalarme mitbekommen, bei denen alle dort beschäftigen Iraker sich für Stunden nur mit Schutzanzügen und Gasschutzhauben/Masken im Gebäude bewegt hätten; die Geiseln seien schutzlos geblieben.

Vom 8. bis zum 10.11.1993 sowie vom 22. bis zum 24.12.1993 befand sich der Kläger stationär in der Klinik für HNO-Heilkunde des Städtischen Krankenhauses L2 und wurde dort unter der Diagnose eines hochdifferenzierten, polypös-papillären Plattenepithel-Karzinoms des linken Stimmbandes operativ behandelt (Arztbriefe vom 29.11.1993 sowie vom 30.01.1994).

Diese Erkrankung, die der Kläger ursächlich auf die Einwirkung giftiger Chemikalien in dem Fabrikgelände Al Falluja zurückführt, macht der Kläger als Berufskrankheit geltend.

Auf die im März 1994 erstattete ärztliche Formularanzeige über eine Berufskrankheit von Dr. C1, Direktor Gesundheitswesen der L-I-E Personal-Dienste GmbH, leitete die Beklagte das entsprechende Feststellungsverfahren ein. Dr. C1 hatte ausgeführt, dem Kläger sei bereits Ende der Gefangenschaft im Irak eine deutliche zusätzliche Verschleimung und eine Sekretion aufgefallen, die vorher nicht aufgefallen sei. Diese sei zunächst mit schleimlösenden Mitteln behandelt worden. Im Oktober 1993 sei eine zusätzliche Heiserkeit aufgetreten, woraufhin eine Untersuchung durch den HNO-Arzt Dr. S sowie die anschließende Einweisung zur operativen Behandlung erfolgt sei. Der Kläger führe die aufgetretene Erkrankung ursächlich auf die Gefangenschaft zurück, da in der Chlorgasfabrik eine entsprechende Exposition bestanden habe. Abschließend war der Hinweis auf einen Zigarettenkonsum des Klägers von 20 Stück pro Tag bis vor 10 Jahren ergangen; seit ca. 1983 sei er Nichtraucher.

Aus dem beigezogenen Krankheitenverzeichnis der Betriebskrankenkasse ergaben sich Zeiten der Arbeitsunfähigkeit des Klägers wegen Alkoholabusus sowie wegen Psychose bei Alkoholismus.

Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten gelangte in seinem Ermittlungsbericht vom 13.09.1994 zu folgendem Ergebnis:

Der seit 1966 bei der Firma L-I-E AG beschäftigte, seit 1970 vorwiegend als Monteur von Großmotoren im Ausland eingesetzte Kläger habe bei seinen Montage- und Demontagearbeiten in erster Linie Kontakt zu technischen Ölen und Fetten gehabt. Darüber hinaus sei er mit Kaltreinigern sowie gelegentlich - beim Anstreichen von Motoren und Rohrleitungen - mit Lacken und Grundierungen umgegangen. Kontakt zu asbesthaltigem Material habe im Einsetzen bzw. Auswechseln von astbesthaltigen Dichtungen sowie Entfernen bzw. Anbringen von Asbestisolierungen bestanden.

Die Ursache seiner Krebserkrankung sehe der Kläger in der Gefangenschaft im Irak während des Golfkrieges. Dort sei er zusammen mit einer Gruppe von anderen Gefangenen als "lebende Schutzeinrichtung" mitten auf dem Gelände einer Chlorgasfabrik ca. drei Monate gefangengehalten worden. Nach Meinung des Klägers habe es sich bei der Chlorgasfabrik in Wirklichkeit um eine Giftgasfabrik gehandelt. Er sei mit zwei anderen Personen in einem ca. 16 qm großen Raum festgehalten worden. Hier habe ein starker beißend-stechender Geruch von Chemikalien geherrscht, der dem Kläger Hustenreiz, Schleimbildung und Auswurf verursacht habe. Die im Raum befindlichen zwei Fenster hätten nur über eine Stunde am Tag geöffnet bleiben dürfen. Der Kläger habe beobachtet, dass die draußen an der Chemieanlage arbeitenden Personen Schutzanzüge und Atemschutzmasken getragen hätten, woraus zu schließen sei, dass dort tatsächlich toxische Gase bzw. Stäube aufgetreten seien. Welche gesundheitsschädigenden Stoffe auf den Kläger während der Gefangenschaft eingewirkt hätten, lasse sich leider nicht feststellen.

Nachdem der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten in einer weiteren Stellungnahme mitgeteilt hatte, dass der Kläger bei seinen betrieblichen Tätigkeiten zwar Asbest, aber mit Sicherheit keiner Asbestexposition ausgesetzt gewesen sei, die zu einer Asbestfaserdosis von 25 sog. Asbestfaserjahren führe, veranlasste die Beklagte in arbeitsmedizinischer Hinsicht zunächst eine gutachtliche Untersuchung zur Überprüfung einer Berufskrankheit der Nr. 4103 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung - BKVO - (Asbeststaublungenerkrankung - Asbestose -) sowie der Nr. 4104 der Anlage 1 zur BKVO (Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs u. a. bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren).

In seinem fachärztlichen Gutachten vom 06.02.1995 gelangte der Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde Prof. Dr. P zu dem Ergebnis, es könne, da radiologisch eine Asbestose nicht nachweisbar sei und auch die kumulative Asbestfaserdosis sicher unter 25 Asbestfaserjahren liege, nicht mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass das 1993 diagnostizierte und operierte Stimmbandkarzinom Folge der früheren Asbeststaub-Belastung sei. Seiner - Prof. Dr. P - Meinung nach sei es auch unwahrscheinlich, dass der dreimonatige zwangsweise Aufenthalt in einer Chlorgas- oder Giftgasfabrik im Irak zur Entwicklung dieses Stimmbandkarzinoms geführt habe. Zur kompetenten Beantwortung dieser Frage sollte aber ein zusätzliches hno-ärztliches Gutachten erstellt werden.

Nach Einholung einer Stellungnahme des Staatlichen Gewerbearztes - datiert vom 10.03.1995 - lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21.08.1995 Entschädigungsleistungen mit der Begründung ab, dass es sich bei dem festgestellten Plattenepithel-Karzinom des linken Stimmbandes (Kehlkopfkrebs) weder um eine Berufskrankheit nach § 551 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) noch um eine solche nach § 551 Abs. 2 RVO handele. Eine beruflich bedingte Tumorentstehung sei auch unter Berücksichtigung einer dreimonatigen Internierung in einer Chlorgas- oder Giftgasfabrik im Irak nicht wahrscheinlich zu machen. Eine Kehlkopfkarzinom-Erkrankung könne gegebenenfalls wie eine Berufskrankheit im Sinne des § 551 Abs. 2 RVO entschädigt werden, wenn zugleich sog. Brückensymptome wie bei der Berufskrankheit Nr. 4104 vorlägen. Die computertomographische Untersuchung vom 20.01.1995 habe nicht den Nachweis asbestassoziierter Veränderungen der Pleura oder des Lungenparenchyms erbracht.

Auf den am 12.09.1995 eingelegten Widerspruch des Klägers, der seine Krebserkrankung weiterhin auf die Einwirkungen "einer Gift- und Kampfgasfabrik des Irak" zurückführte, holte die Beklagte ein weiteres fachärztliches Gutachten ein, das Prof. Dr. E1 aus der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde sowie Kopf- und Halschirurgie des Zentralklinikums B am 27.06.1996 nach Aktenlage erstattete. Unter Zustimmung zu der Beurteilung der Zusammenhangsfrage zwischen Asbestexposition und Kehlkopfkrebs im Vorgutachten führte er aus, der Einschätzung von Prof. Dr. P, dass die Entstehung eines Kehlkopfkrebses durch Giftgase unwahrscheinlich sei, könne er sich jedoch nicht anschließen. So sei in der Berufskrankheit der Nr. 1311 der Anlage 1 zur BKVO (Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylarylsulfide) niedergelegt, dass als wesentliche Gefahrenquelle Fundmunition oder Munition von Giftgas, Giftkampfstoffen denkbar, hier vor allen Dingen auch Schwefellost erwähnt seien. In dem amtlichen Merkblatt für die ärztliche Untersuchung werde auch die kanzerogene Wirkung auf die Luftwege erwähnt. In der Literatur gehe aus Untersuchungen hervor, dass bei Mitarbeitern einer Giftgasfabrik Kehlkopfkrebse signifikant häufiger gewesen seien als in der Normalbevölkerung.

Die versicherungsrechtliche Lage wäre seines - Prof. Dr. B - Erachtens demnach so, dass bei Nachweis einer Giftgasexposition im Rahmen der kriegerischen Internierung im Irak von einer haftungsausfüllenden Kausalität ausgegangen werden könnte. Die von dem Kläger berichteten primären Reizerscheinungen der oberen Atemwege direkt nach der Exposition würden in das Krankheitsbild der Berufskrankheit Nr. 1311 passen. Eine Latenzzeit von drei Jahren zwischen Exposition und Tumorerkrankung wäre recht kurz, erscheine jedoch angesichts einer zu vermutenden erheblichen Exposition nicht als ein Ausschlusskriterium für die Zusammenhangsfrage.

Nach seiner - Prof. Dr. B - persönlicher Meinung spreche etliches für eine Exposition gegenüber Giftgasen während der Internierung im Irak. Er sehe sich jedoch für die Beantwortung dieser Frage nicht als sachkundig an. Sollte es zu einer Anerkennung des Leidens als Berufskrankheit kommen, so wäre die dadurch bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit mindestens 20 % einzuschätzen.

Schließlich erstellte Prof. Dr. N, Leitender Arzt der Abteilung Hals- Nasen-Ohren Heilkunde sowie Kopf- und Halschirurgie des Bundeswehrkrankenhauses V, unter dem Datum vom 19.11.1997 ebenfalls nach Lage der Akten ein fachärztliches Gutachten, in dem er folgendes ausführte:

Bei einer Karzinogenese im Bereich des oberen Atmungs- und Verdauungstraktes handele es sich um ein komplexes multifaktorielles Geschehen. Als Risikofaktoren würden neben einer genetischen Prädisposition Ernährungsfaktoren, Virusinfektionen, Umweltfaktoren und vor allem der chronische Alkohol- und Tabakkonsum diskutiert. Darüber hinaus sei in den letzten Jahrzehnten verstärkt auf die Bedeutung beruflicher Schadstoffexpositionen als Risikofaktoren hingewiesen worden.

Im Falle des Klägers lägen sichere Hinweise für eine genetische Prädisposition, eine Mangelernährung sowie für Virusinfektionen nicht vor. Hinsichtlich des bei ihm dokumentierten Tabakkonsums sei festzustellen, dass der Gesamttabakkonsum von 20 sog. Packungsjahren ein um mehr als das sechsfache Kehlkopfkrebsrisiko bedeute; diese Risikoeinschätzung stehe im Einklang mit den Ergebnissen zahlreicher internationaler Fallkontrollstudien. Ein weiterer Risikoanstieg ergebe sich aus dem Trinkverhalten des Klägers. Zwar seien dem Aktenmaterial keine eindeutigen Angaben zur konsumierten Alkoholmenge zu entnehmen, es gehe aber aus den Unterlagen der Betriebskrankenkasse eindeutig hervor, dass eine schwere Alkoholabhängigkeit bei bestehendem Alkoholabusus im Zeitraum von mindestens 1978 bis 1992 bestanden habe. Darüber hinaus müsse davon ausgegangen werden, dass ein kombinierter Alkohol- und Tabakkonsum das Krebsrisiko im Bereich des oberen Atmungs- und Verdauungstraktes, und somit auch im Bereich des Kehlkopfes, nicht nur additiv, sondern multiplikativ in synergistischer Weise erhöhe. Da berufliche Schadstoffexpositionen, namentlich durch Asbest, nach den Ermittlungen des Technischen Aufsichtsdienstes nicht vorlägen, stelle sich die Frage, inwieweit eine Schadstoffexposition während der dreimonatigen Internierung des Klägers in einer Chlorgasfabrik im Irak ursächlich für die Entstehung des Stimmbandkarzinoms gewesen sei. Aus den Angaben des Klägers könne zum einen geschlossen werden, dass er gegenüber schleimhautreizenden Dämpfen oder Aerosolen während der drei Monate ausgesetzt gewesen sei. Darüber hinaus sei aufgrund der Schutzmaßnahmen, die für die dort tätigen Iraker getroffen worden seien, davon auszugehen, dass Personen, die auf dem Fabrikgelände tätig gewesen seien, zumindest potentiell durch Einwirkung von Schadstoffen gefährdet gewesen seien. Der Gutachter Prof. Dr. B ziehe die Möglichkeit in Betracht, dass eine Exposition gegenüber Giftkampfstoffen, z. B. Senfgas, stattgefunden habe. An der human-kanzerogenen Wirkung von Senfgas gebe es keinen Zweifel. so existierten kasuistische Mitteilungen über die Entstehung von Kehlkopfkarzinomen bei Patienten, die eine Senfgasvergiftung im Ersten Weltkrieg erlitten hätten; ferner sei ein gehäuftes Auftreten von Karzinomen des oberen Atmungs- und Verdauungstraktes bei Arbeitern in Senfgasfabriken beobachtet worden. Was die in den Studien festgehaltenen Expositions- und Latenzzeiten angehe, so dürfe das Argument der im Falle des Klägers kurzen Zeiten nicht überbewertet werden; so habe bei ihm möglicherweise eine weitaus massivere Exposition vorgelegen, als dies bei den Giftgasarbeitern in den Studien gewesen sei. Offen bleibe aber die Frage, ob eine Exposition gegenüber Senfgas, dem einzigen bislang bekannten Kampfstoff, der als Spätfolge Krebs im Bereich des Respirationstraktes verursachen könnte, stattgefunden habe. Dies sei nach seiner - Prof. Dr. N - Ansicht nicht der Fall. So handele es sich bei Senfgas um eine gelblich-ölige Flüssigkeit mit einem senf- bis knoblauchartigen Geruch. Einen derartigen Geruch habe der Kläger nicht angegeben. Der Kampfstoff könne aufgrund seiner physiko-chemischen Eigenschaften perkutan, inhalativ oder peroral resorbiert werden. Bemerkenswert sei die lange Latenzzeit von zwei bis acht Stunden bis zum Auftreten der ersten Vergiftungssymptome; im Augenblick des Kontaktes mit dem Organismus rufe Schwefellost keinerlei Reizwirkungen hervor. Die durch den Kontakt des Giftes mit der Haut und den Schleimhäuten bedingten Schädigungen seien aber quälend und in ihrer Heilung langsam, so dass eine erhebliche Belastung des Geschädigten eintrete. Insgesamt betrachtet wiesen die Angaben des Klägers weniger auf eine Senfgasexposition hin.

Hinsichtlich einer Exposition des Klägers gegen sonstige Kampfstoffe seien lungenschädigende Kampfstoffe, nach deren Einwirkung Krebserkrankungen aber nicht bekannt seien, sowie Reizkampfstoffe zu diskutieren. Gehe man von einer Giftgasherstellung in der Fabrik, in der der Kläger interniert gewesen sei, aus, so dürfte es sich den Schilderungen entsprechend am ehesten um Reizkampfstoffe handeln. Bislang gebe es keine Hinweise dafür, dass eine Exposition gegenüber derartigen Reizkampfstoffen das Risiko, an Karzinomen des oberen Aerodigestivtraktes zu erkranken, erhöhe.

Zusammenfassend komme er - Prof. Dr. N - zu dem Schluss, dass weder die Voraussetzungen einer Anerkennung als Berufskrankheit gemäß § 551 Abs. 1 RVO in Verbindung mit der Nr. 4103 noch mit der Nr. 1311 der Anlage 1 zur BKVO gegeben seien. Vielmehr dürften außerberufliche Risikofaktoren, wie der chronische Tabakkonsum bzw. der Alkoholabusus, ursächlich für die Entstehung des Kehlkopfkarzinoms im Vordergrund stehen.

Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 12.12.1997 (abgesandt am 17.12.1997) zurück.

Mit seiner am 13.01.1998 bei der Beklagten erhobenen und von dieser an das erkennende Gericht weitergeleiteten Klage macht der Kläger nach wie vor die Anerkennung seines Stimmbandkarzinoms als Berufskrankheit sowie entsprechende Entschädigungsleistungen geltend.

Dazu haben seine Bevollmächtigten vorgetragen, der Kläger sei drei Monate als strategische Geisel zusammen mit anderen, im Rotationssystem ausgewechselten Geiseln unmittelbar bei den Fertigungsanlagen in einer irakischen Giftgasfabrik interniert gewesen. Während die Geiseln den Gaseinwirkungen völlig ungeschützt gegenüber gestanden hätten, habe sich das irakische Bedienungspersonal nur in raumfahrtähnlichen Schutzanzügen mit Masken bewegt. Das Gelände der Giftgasfabrik sei hermetisch abgeriegelt gewesen. Während der gesamten Zeit seiner Internierung habe der Kläger üble Gerüche, insbesondere Senf- und Knoblauchgerüche wahrgenommen. Daraus müsse geschlossen werden, dass der Kläger während der gesamten Zeit der haut- oder schleimhautschädigenden Einwirkung von Schwefellost (Senfgas) ausgesetzt gewesen sei. Dieses habe sowohl nach Auffassung von Prof. Dr. N als auch nach Auffassung von Prof. Dr. E1 kanzerogene Wirkung, so dass mit Letzterem davon auszugehen sei, dass die Kehlkopfkrebserkrankung des Klägers auf dessen Exposition gegenüber Giftgasen während seiner Internierung im Irak zurückzuführen sei.

In der Giftgasfabrik Al Falluja habe der Kläger eine Vielzahl von Gerüchen wahrgenommen, darunter auch Senf- und Knoblauchgerüche. Er habe dieser Geruchsentwicklung zunächst keine Bedeutung beigemessen, weil ihm nicht bekannt gewesen sei, dass derartige Gerüche bei der Erstellung von Senfgas entstünden. In den arabischen Staaten sei die Entwicklung von Knoblauchgeruch nicht ungewöhnlich, so dass der Kläger die Erwähnung dieses Geruchs zunächst nicht für wichtig gehalten habe. Erst nach Erhalt des Gutachtens von Prof. Dr. N sei ihm die Relevanz dieser Geruchsbildung bewusst geworden.

Im weiteren Verlauf haben die Bevollmächtigten des Klägers einen internen Bericht ("Staff-Report") an den U.S.-Senator Donald W. Riegle jr. mit dem (in die deutsche Sprache übersetzten) Titel "Das Golfkkriegssyndrom: Die Vorgeschichte der Erkrankungen im Zusammenhang mit der Kriegführung mit kombinierten chemischen/biologischen Giftstoffen unterschiedlicher Herkunft" übersandt und ergänzend vorgetragen: Viele Berichte aus dem Irak-Krieg wiesen darauf hin, dass im Irak Giftgase produziert und angewendet worden seien. Aktuelle Ermittlungen hierzu könnten nicht mehr durchgeführt werden, weil die Gasfabrik Al Falluja, in der der Kläger interniert gewesen sei, nach dem Krieg zerstört worden sei. Aus dem "Staff-Report" gehe hervor, dass es sich bei der irakischen Fabrik Al Falluja um eine Giftgasfabrik gehandelt habe, in der neben dem Nervengas VX 1000 Tonnen Sarin monatlich produziert worden seien. Darüber hinaus seien Experimente mit Zyaniden und Chloriden durchgeführt worden. Des weiteren ergebe sich aus dem Report, dass in den irakischen Fabriken auch Senfgas produziert worden sei. Damit dürfte nachgewiesen sein, dass in Al Falluja zumindest Sarin und VX und wahrscheinlich auch Senfgas produziert worden sei.

Das Gericht hat die gesamten Akten einschließlich dem "Staff-Report" sowie dem (ersten) von dem Kläger über seine Gefangenschaft verfassten Manuskript an Prof. Dr. N gesandt und diesen um eine ergänzende Stellungnahme zu seinem im Auftrag der Beklagten erstatteten fachärztlichen Gutachten vom 19.11.1997 gebeten. Dieser hat nach eingehender Befragung und Untersuchung des Klägers unter dem Datum vom 30.01.2001 ein hno-ärztliches Gutachten mit folgendem Ergebnis erstattet:

Im Rahmen der Untersuchung habe der Kläger angegeben, im Zentrum der Chemiefabrik Al Falluja untergebracht gewesen zu sein. Dort seien nach dem "Staff-Report" Sarin und das Nervengas VX hergestellt worden und ferner Forschungsaktivitäten im Hinblick auf Giftgasentwicklungen mit Blausäure, Chlorzyan und Lewisit erfolgt. Darüber hinaus lägen mittlerweile Erkenntnisse vor, dass in irakischen Chemiefabriken auch in größeren Mengen Senfgas produziert worden sei; als Hauptproduktionsstätten für Senfgas, Sarin und Tabun werde insbesondere die Giftgasfabrik Muthanna, 65 Meilen nordwestlich von Bagdad genannt. Man müsse jedoch davon ausgehen, dass auch in der Chemiefabrik Al Falluja Senfgas hergestellt worden sei.

Der Kläger habe im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung angegeben, dass in den Räumen, in denen er interniert gewesen sei, immer wieder ätzende Flüssigkeiten an den Wänden heruntergelaufen seien, die zu lilafarbigen Verfärbungen geführt hätten. Die Raumluft habe eine sehr stark reizende Wirkung auf die Atemwege der in diesem Raum gefangen gehaltenen Personen gehabt. Neben dieser irritierenden Wirkung habe der Kläger eine ausgesprochen starke Geruchsbelästigung angegeben; dabei habe es sich um Geruchsqualitäten wie Essig, Senf, Knoblauch und faule Eier gehandelt. Gerade der von dem Kläger geschilderte Knoblauchgeruch sei als weiteres wichtiges Indiz für eine mögliche Senfgasexposition während des Aufenthalts in Al Falluja zu bewerten. Bei kritischer Bewertung des nunmehr vorliegenden Sachverhalts sei er - Prof. Dr. N - nach wie vor der Meinung, dass der chronische Alkohol- und Tabakkonsum eine wesentliche Teilursache für das bei dem Kläger aufgetretene Kehlkopfkarzinom darstelle. Nach derzeitigem wissenschaftlichen Kenntnisstand habe bei ihm eine Risikosteigerung der Größenordnung bis zum 15fachen im Vergleich zu einem Nichtraucher und Nichttrinker resultiert. Allerdings müsse er nunmehr davon ausgehen, dass auch eine Exposition gegenüber Senfgas vorgelegen habe. Senfgas vermöge anerkanntermaßen Plattenepithel-Karzinome im Bereich des oberen Aerodigestivtrakts, insbesondere im Bereich des Kehlkopfes zu verursachen; es stelle einen unabhängigen Risikofaktor für dieses Krankheitsbild dar. Aus diesem Grunde komme er zu dem Schluss, dass aufgrund der vorliegenden zusätzlichen Erkenntnisse die bei dem Kläger im Rahmen der Gefangenschaft stattgefundene inhalative Schadstoffexposition, wobei es sich vermutlich um Senfgas gehandelt habe, als wesentliche Teilursache für die Entstehung des bei dem Kläger diagnostizierten Kehlkopfkarzinoms zu bewerten sei.

Er empfehle daher, das Plattenepithel-Karzinom des Kehlkopfes als Berufskrankheit nach der Nr. 1311 der Anlage 1 zur BKVO anzuerkennen. Die dadurch bedingte MdE wäre für den Zeitraum von 1993 bis 1996 mit 40 % sowie für den Zeitraum danach auf Dauer mit 25 % einzuschätzen.

An dieser Beurteilung hat Prof. Dr. N in seiner auf die Einwände der Beklagten abgegebenen ergänzenden Stellungnahme vom 28.11.2001 festgehalten. Der Beklagten sei es bis heute nicht gelungen, klare Fakten oder Nachweise vorzulegen, dass die bei dem Kläger möglicherweise stattgefundene kombinierte Giftgaseinwirkung, u. a. durch Sarin, VX oder Senfgas, darüber hinaus mit Blausäure, Chlorzyan und Lewisit, definitiv nicht stattgefunden habe.

Die Beklagte hatte den Ausführungen Prof. Dr. N entgegengehalten, diese seien nicht geeignet, den sicheren Nachweis dafür zu erbringen, dass der Kläger Senfgaseinwirkungen ausgesetzt gewesen sei. Was überdies die beschriebene Reizwirkung auf die Atemwege betreffe, so sei darauf hinzuweisen, dass in den amtlichen Merkblättern für die ärztliche Untersuchung zu der Berufskrankheit Nr. 1311 dargelegt sei, dass Senfgas selbst in toxischer Stoffmenge, von der hier keinesfalls die Rede sein könne, zunächst ohne Reizerscheinungen durch Haut und Schleimhäute resorbiert werde.

Des weiteren hat das Gericht über die mit der Gefangenschaft des Klägers auf dem Fabrikgelände in Al Falluja verbundenen Umstände Beweis erhoben durch Vernehmung des damaligen Mitgefangenen und Arbeitskollegen des Klägers, Herrn C L1, als Zeugen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Anlage zur Sitzungsniederschrift vom 24.01.2003 verwiesen.

Die Beteiligten sind bei ihrer jeweiligen Auffassung geblieben.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21.08.1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.12.1997 zu verurteilen, sein Stimmbandkarzinom als Folge einer Berufskrankheit der Nr. 1311 der Anlage 1 zur BKVO anzuerkennen und ihm eine Verletztenrente nach einer MdE von 40 % ab dem 01.10.1993 bis Ende 1996 sowie im Anschluss daran nach einer MdE von 25 % zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes im einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die mit der rechtzeitig bei der Beklagten eingegangenen und von dieser an das erkennende Gericht weitergegebenen Klageschrift (§ 91 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig.

Sie ist jedoch nicht begründet, weil der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 21.08.1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.12.1997 tatsächlich wie rechtlich nicht zu beanstanden ist und damit für den Kläger keine Beschwer im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG darstellt. Zu Recht hat es die Beklagte darin abgelehnt, das bei dem Kläger festgestellte Plattenepithel-Karzinom des linken Stimmbandes als Berufskrankheit zu entschädigen, insbesondere die beantragte Verletztenrente zu zahlen.

Der von dem Kläger geltend gemachte Entschädigungsanspruch richtet sich noch nach den Vorschriften der RVO, da der streitige Versicherungsfall der Zeit vor dem Inkrafttreten des nunmehr für die gesetzliche Unfallversicherung maßgebenden Siebenten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) am 01.01.1997 zuzuordnen ist (Art. 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes - UVEG -, § 212 SGB VII). Berufskrankheiten sind nach § 551 Abs. 1 RVO die Krankheiten, welche die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet (sog. Listenerkrankung), hier also die im Feststellungsverfahren einer Überprüfung unterzogenen Berufskrankheiten der Nr. 1311 und Nr. 4103 bzw. 4104 der Anlage 1 zur BKVO. Darüber hinaus bestimmt § 551 Abs. 2 RVO, dass die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit entschädigen sollen, sofern nach neuen Erkenntnissen die Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind. Voraussetzung für die Anerkennung als Berufskrankheit und entsprechende Entschädigungsleistungen ist auf jeden Fall neben dem Erfordernis, dass die Verrichtungen, bei denen der Versicherte schädigenden Einwirkungen ausgesetzt war, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sind (sog. innerer Zusammenhang), dass die schädigende Einwirkung ihre rechtlich wesentliche Ursache in der versicherten Tätigkeit hat (sog. haftungsbegründende Kausalität) und dass die festgestellten Gesundheitsstörungen rechtlich wesentlich durch die schädigende Einwirkung verursacht worden sind (sog. haftungsausfüllende Kausalität).

Gesundheitsschädigende Einwirkungen unmittelbar aus der betrieblichen Tätigkeit des Klägers, die nach Art und Ausmaß geeignet wären, seine Krebserkrankung zu verursachen, sind nicht nachgewiesen und werden dementsprechend von dem Kläger auch nicht angeführt. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Ermittlungsbericht des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten und - was insbesondere die ausgewiesene Belastung mit Asbest anbetrifft - aus dem zur Überprüfung einer Berufskrankheit im Sinne der Nr. 4103/4104 der Anlage 1 zur BKVO eingeholten fachärztlichen Gutachten des Arztes für Lungen- und Bronchialheilkunde Prof. Dr. P; danach fehlte es bereits an dem radiologisch nachweisbaren Krankheitsbild einer Asbestose.

Wenn der Kläger somit für sein Stimmbandkarzinom allein die Giftgaseinwirkungen durch die Fabrik in Al Falluja verantwortlich macht, so steht einer Entschädigung als Berufskrankheit vom Grundsatz her nicht entgegen, dass die angeschuldigte Exposition gegenüber Giftstoffen nicht aus der versicherten Tätigkeit des Klägers bei der Firma L-I-E AG resultierte, sondern dass der Kläger eher zufällig in die Ereignisse des beginnenden Golfkriegs geriet und von irakischem Militär verschleppt und zuletzt auf dem Fabrikgelände in Al Falluja gefangen gehalten wurde. Als von seiner Arbeitgeberfirma nach Kuwait entsandter Auslandsmonteur war er nämlich unter dem Gesichtspunkt der sog. Ausstrahlung (§ 4 SGB IV) unfallversichert, und das im vorliegenden Falle erhöhte, nicht auf die eigentlichen betrieblichen Tätigkeiten beschränkte Risiko, einen Unfall bzw. eine Krankheit zu erleiden, ist jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn es - wie hier - mit dem betriebsbezogenen Aufenthalt im Krisengebiet ursächlich verknüpft ist (vgl. Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 280, Seite 2 ff., mit weiteren Nachweisen).

Indessen vermag sich die Kammer nach eingehender Würdigung aller dafür und dagegen sprechenden Faktoren nicht davon zu überzeugen, dass das bei dem Kläger Ende 1993 festgestellte und operativ behandelte Plattenepithel-Karzinom des linken Stimmbandes tatsächlich in einem Ursachenzusammenhang mit den Einwirkungen von in der Fabrik Al Falluja produzierten Giftstoffen steht. Der dafür erforderliche Nachweis lässt sich weder mit den ausführlichen mündlichen wie schriftlichen Schilderungen des Klägers selbst und der Bekundung seines damals mit gefangen gehaltenen Arbeitskollegen, des Zeugen Herrn C L1, noch mit den dokumentierten Unterlagen, namentlich auch den fachärztlichen Gutachten und Stellungnahmen, erbringen.

Maßgebend für die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs ist in der gesetzlichen Unfallversicherung die Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung bzw. der wesentlich mitwirkenden Bedingung. Danach sind als Ursachen im Rechtssinn unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes nur die Bedingungen (im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn) anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben; haben mehrere Bedingungen gemeinsam zu einem Erfolg geführt, sind sie rechtlich nur dann wesentliche Bedingungen und damit Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges in gleichem Maße wesentlich sind (vgl. Kater/Leube, Gesetzliche Unfallversicherung, vor § 7-13, Rdnr. 30, unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts).

Ein derart wesentlicher Kausalzusammenhang zwischen schädigenden Einwirkungen bei der Arbeit bzw. - wie hier - in einer der betrieblichen Tätigkeit zuzurechnenden Situation muss wahrscheinlich sein. Dies bedeutet, dass beim vernünftigen Abwägen aller Umstände die auf die berufliche Verursachung deutenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann. Eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden. Die für den Kausalzusammenhang sprechenden Gründe müssen die gegenteiligen deutlich überwiegen. Der medizinische Gutachter muss untergewichtige Möglichkeiten beiseite lassen und ein erkennbares Übergewicht des Wahrscheinlichen aufzeigen. Nicht ausreichend ist daher, wenn eine Schlussfolgerung lediglich durchaus möglich ist (vgl. Schönberger/ Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Auflage, Seite 116, mit weiteren Nachweisen aus Schrifttum und Rechtsprechung).

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien ist eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Krebserkrankung des Klägers wesentlich ursächlich auf die Einwirkung von Giftstoffen während seiner Gefangenschaft auf dem Fabrikgelände in Al Falluja zurückzuführen ist, nicht zu begründen. Dies um so mehr, als es bei dem Kläger für die Entstehung eines Stimmbandkarzinoms in medizinischer Hinsicht auch ohne Exposition gegenüber den angeschuldigten Chemikalien eine plausible Erklärung gibt. So hat der Sachverständige Prof. Dr. N in seinem ersten - im Auftrag der Beklagten erstatteten - fachärztlichen Gutachten das Rauch- und Alkoholtrinkverhalten des Klägers einer eingehenden Würdigung unterzogen mit dem Ergebnis, dass eher außerberufliche Risikofaktoren, wie der chronische Tabakkonsum bzw. der Alkoholabusus, ursächlich für die Erkrankung des Klägers im Vordergrund stehen. An dieser für das Gericht nachvollziehbaren Beurteilung hat Prof. Dr. N in seinem gerichtlicherseits eingeholten Gutachten vom 30.01.2001 einschließlich der ergänzenden Stellungnahme vom 28.11.2001 festgehalten und ausdrücklich hervorgehoben, dass der chronische Alkohol- und Tabakkonsum eine wesentliche Teilursache für das bei dem Kläger aufgetretene Kehlkopfkarzinom darstellt; resultierte nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand bei ihm doch eine Risikosteigerung der Größenordnung bis zum 15-fachen im Vergleich zu einem Nichtraucher und Nichttrinker. Wenn der Sachverständige nunmehr zu dem Ergebnis gelangt ist, er komme aufgrund zusätzlicher Erkenntnisse, namentlich der eingehenden Befragung des Klägers sowie der Berücksichtigung des "Staff-Reports", zu dem Schluss, dass die im Rahmen der Gefangenschaft stattgefundene inhalative Schadstoffexposition als weitere wesentliche Teilursache für die Entstehung der Erkrankung sei, so steht seine Empfehlung, das Plattenepithel-Karzinom des Kehlkopfes als Berufskrankheit nach der Nr. 1311 der Anlage 1 zur BKVO anzuerkennen, durchaus im Einklang mit der oben dargelegten Kausalitätslehre von der wesentlich mitwirkenden Bedingung. Indessen fehlt es für den seiner Gedankenführung zugrunde gelegten Sachverhalt an dem erforderlichen Nachweis. Dabei sollen seine Ausführungen über die Forschungsaktivitäten und die Herstellung von Giftgasen im Irak, insbesondere die inzwischen gewonnene Erkenntnis, dass in irakischen Chemiefabriken u. a. in größeren Mengen Senfgas produziert worden sei, keinesfalls in Zweifel gezogen werden; ist doch mittlerweile abgesehen von dem umfassenden "Staff-Report" durch zahlreiche Publikationen hinreichend bekannt, dass im Irak chemische und biologische Massenvernichtungsmittel produziert und bei Kriegshandlungen auch bereits eingesetzt wurden. Nicht zu folgen vermag die Kammer jedoch Prof. Dr. N darin, dass bei dem Kläger während seiner Gefangenschaft in Al Falluja eine Exposition gegenüber Senfgas vorgelegen hat, das - wie der Sachverständige in seinem ersten Gutachten hervorgehoben hat - den einzigen bislang bekannten Kampfstoff, der als Spätfolge Krebs im Bereich des Respirationstraktes verursachen kann, darstellt.

Hinsichtlich der Beweisanforderungen ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass sich die oben beschriebene hinreichende Wahrscheinlichkeit auf die Beurteilung der haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden Kausalität beschränkt. Für die Feststellung der übrigen anspruchsbegründenden Tatsachen hingegen, wie etwa das Vorliegen der versicherten Tätigkeit oder - hier - Art und Ausmaß der schädigend einwirkenden Giftstoffe, ist der volle Nachweis nötig (vgl. Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Auflage, Seite 111, mit weiteren Nachweisen aus Schrifttum und Rechtsprechung). Im letzteren Sinne als "bewiesen" anzusehen ist eine Tatsache dann, wenn es in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles - nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung - geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen; erforderlich ist danach ein der Gewissheit nahekommender Grad der Wahrscheinlichkeit (vgl. Krasney/Udsching, a. a. O.).

Von derartig bewiesenen Tatsachen kann im Hinblick auf die von dem Kläger angeschuldigte Exposition gegenüber dem für seine Krebserkrankung aus medizinischer Sicht allein in Frage kommenden Senfgas indessen nicht ausgegangen werden. Dies auch dann nicht, wenn man - wie das Gericht, das sich mit seiner Entscheidung schwer getan hat - geneigt ist, angesichts der damaligen bedauernswerten Lage des Klägers und vor allem des Umstandes, dass ihm jegliche realistische Möglichkeit verschlossen ist, durch weitere Beweiserhebungen zu einem für ihn günstigen Ergebnis zu gelangen, weniger strenge Ansprüche an die Beweisanforderungen zu stellen. Es lassen sich aber keine konkreten Anhaltspunkte dafür finden, dass der Kläger während seiner Gefangenschaft auf dem Fabrikgelände in Al Falluja tatsächlich gravierenden Einwirkungen von Senfgas ausgesetzt war. Insoweit besteht nach den eigenen Angaben des Klägers - verständlicherweise - nicht mehr als eine Vermutung, und auch der Sachverständige Prof. Dr. N hat dies eindeutig, wenn auch mit anderer Schlussfolgerung, zum Ausdruck gebracht, indem er ausgeführt hat, es habe sich bei der inhalativen Schadstoffexposition des Klägers "vermutlich um Senfgas" gehandelt, bzw. - so in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 28.11.2001 - von einer "möglicherweise stattgefundenen kombinierten Giftgaseinwirkung" u. a. durch Senfgas gesprochen hat.

Selbst wenn man unterstellt, dass seinerzeit auch in Al Falluja Senfgas produziert wurde und der Kläger dementsprechend exponiert war, fehlt es an jeder Erkenntnis, ob das Ausmaß in zeitlicher und quantitativer Hinsicht geeignet war, innerhalb einer von Prof. Dr. E1 als "recht kurz" bezeichneten Latenzzeit von drei Jahren eine Kehlkopfkrebserkrankung zu entwickeln. Dies um so mehr, als es dazu - so Prof. Dr. E1 - einer "zu vermutenden erheblichen Exposition" bedurfte und sowohl Prof. Dr. E1 als auch Prof. Dr. N offenbar davon ausgegangen sind, dass bei dem Kläger eine dreimonatige Schadstoffexposition stattgefunden hat, wogegen seine Überführung in die unmittelbare Nähe des Fabrikgebäudes in Al Falluja erst am 26.09.1990 erfolgte.

Schließlich lassen sich auch aus den Angaben des Klägers selbst sowie den Bekundungen des Zeugen Herrn L1 weder Art noch Ausmaß einer Schadstoffexposition verifizieren. Wenn Prof. Dr. N die nach den Angaben des Klägers "ausgesprochen starke Geruchsbelästigung" mit "Geruchsqualitäten wie Essig, Senf, Knoblauch und faule Eier" als "weiteres wichtiges Indiz für eine mögliche Senfgasexposition" hervorhebt, so lässt sich dies jedenfalls hinsichtlich ihrer Intensität anhand der wiederholten Schilderung des Klägers nicht nachvollziehen. In seinem ersten, offenbar noch vor Ausbruch seiner Krebserkrankung gefertigten Manuskript ist insoweit von einem "beißenden Gestank" die Rede, und die Erklärung für seine erstmals im Klageverfahren geschilderten Senf- und Knoblauchgerüche, nämlich, er habe dieser Geruchsentwicklung u. a. deswegen keine Bedeutung beigemessen, weil der Geruch von Knoblauch in den arabischen Ländern nicht ungewöhnlich ist, erscheint allenfalls insoweit plausibel, als es sich auch in Al Falluja eben um die gewöhnlichen Gerüche gehandelt hat, nicht hingegen um solche, wie sie Prof. Dr. N nach Art und Intensität beschrieben hat.

Für Letztere liefert auch die Aussage des Zeugen Herrn L1 keine Anhaltspunkte, der zwar von einem "stärkeren Knoblauchgeruch" gesprochen, aber auch bekundet hat, dass dieser nicht ständig vorhanden war und überdies keine Veranlassung gegeben hat, sich über die Geruchseinwirkungen intensive Gedanken zu machen.

Auch das Vorbringen des Klägers, es hätten sich bisweilen alle dort beschäftigten Iraker für Stunden nur mit Schutzanzügen und Gasschutzhauben/Masken im Gebäude bewegt und nur die Geiseln seien schutzlos geblieben, ist jedenfalls in dieser Form nicht von dem Zeugen bestätigt worden. So hat dieser geschildert, dass lediglich die in dem den Geiseln verschlossenen Fabrikgebäude selbst arbeitenden Personen mit den gesamten Körper bedeckenden Schutzanzügen ausgerüstet waren. Dies lässt, abgesehen davon, dass sich damit noch nicht klären lässt, gegen welche Einwirkungen derartige Schutzmaßnahmen getroffen wurden, eher die Vermutung zu, dass sie außerhalb des Fabrikgebäudes nicht für nötig befunden wurden, und zwar nicht nur für die Geiseln, sondern auch für deren Bewacher.

Wenn nach alledem nicht der Nachweis zu erbringen ist, dass das bei dem Kläger festgestellte Stimmbandkarzinom wesentlich ursächlich auf die Einwirkung von Giftstoffen auf dem Fabrikgelände in Al Falluja zurückzuführen ist, so lässt sich eine Entscheidung zu Gunsten des Klägers auch nicht über die Beweislastverteilung begründen. An die geltenden materiellen und verfahrensrechtlichen Beweisregeln sieht sich das Gericht auch in einer derart extremen Fallgestaltung wie der vorliegenden und einer damit für den Kläger einhergehenden ausweglosen Beweissituation gebunden. So besteht auch im Sozialrecht kein Grundsatz etwa in dem Sinne, dass im Zweifel für den verletzten oder erkrankten Versicherten zu entscheiden ist. Auch eine Umkehr der Beweislast, wie sie offenbar dem Sachverständigen Prof. Dr. N vorschwebt, wenn er der Beklagten vorhält, es sei ihr bis heute nicht gelungen, Fakten und Nachweise vorzulegen, dass die bei dem Kläger möglicherweise stattgefundene kombinierte Giftgaseinwirkung definitiv nicht stattgefunden habe, lässt sicht nicht rechtfertigen. Vielmehr gilt auch hier der Grundsatz der sog. objektiven Beweis- und Feststellungslast, wonach die Folgen des Nichtfestgestelltseins einer Tatsache von demjenigen zu tragen sind, der aus dieser Tatsache ein Recht herleiten will.

Die Klage konnte daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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