Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 9 KR 539/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des am 12.09.2001 zugestellten Bescheides in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2001 verurteilt, die Klägerin mit einer C-Leg-Prothese zu versorgen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Streitig ist die Versorgung mit einer computergesteuerten Oberschenkelprothese mit microprozessorgesteuertem Kniegelenk (C-Leg).
Die am 00.00.1982 geborene Klägerin erlitt im Bürgerkrieg in C im Alter von neun Jahren durch einen Granatsplitter eine Oberschenkelverletzung mit anschließender Amputation des linken Oberschenkels. In den folgenden drei Jahren war sie mit Unterarmgehstützen versorgt. Erst danach erfolgte eine erste Versorgung mit einer Oberschenkelprothese ohne Kniegelenk. Derzeit ist sie mit einer herkömmlichen Oberschenkelprothese mit Cat-Cam-Schaft und Total-Knee versorgt. Sie lebt mittlerweile in der Bundesrepublik bei Adoptiveltern und erlernt den Beruf der Friseurin.
Unter Vorlage einer Verordnung des behandelnden Orthopäden Dr. X, F, vom 23.04.2001 und eines Kostenvoranschlags des Sanitätshauses T vom 02.05.2001 über 48.222,42 DM beantragte sie im Mai 2001 bei der Beklagten die Versorgung mit einem C-Leg-Kniegelenksystem. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Nordrhein (MDK) kam - unter Beiziehung eines Orthopädiemechaniker-Meisters - in einem Gutachten vom 07.09.2001 zu dem Ergebnis, dass die Klägerin mit der herkömmlichen Oberschenkelprothese gut grundversorgt sei. Allerdings fielen extreme Wackel- und Schabgeräusche am Prothesenkniegelenk auf. Es wurde vermutet, dass dies behebbar sei. Der MDK vertrat weiter die Auffassung, dass ein C-Leg bisher noch nicht probegetragen worden sei. Auch stelle sich zum Beispiel die Elektronik beim Tragen einer schweren Tasche nicht selbst ein, sondern müsse neu eingestellt werden. Da es sich um eine rein leistungsrechtliche Entscheidung handele, wurde die Entscheidung einer Kostenübernahme der Beklagten überlassen. Mit dem am 12.09.2001 zugestellten Bescheid - ohne Datum - lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein und trug unter anderem vor, dass eine Reihe von Sozialgerichten die betreffenden Krankenkassen zur Leistung verurteilt hätten. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.11.2001 zurück.
Dagegen hat die Klägerin am 16.11.2001 Klage erhoben. Sie trägt vor, dass durch das Tragen der C-Leg-Prothese ein erhöhter Sicherheitsgewinn beim Gehen und Stehen erreicht werde, wodurch die sonst immer wiederkehrende Gefahr schwerer Stürze weitestgehend vermieden werde. Der Bewegungsapparat werde zudem enorm entlastet, was bei dem jungen Alter der Klägerin sehr wichtig sei. Zur Zeit sei die Klägerin mit der herkömmlichen Prothese nicht ausreichend sicher versorgt. Das beantragte Kniegelenksystem sei auch wirtschaftlich, da die herkömmliche Prothese ständig repariert bzw. erneuert werden müsse. So habe die Klägerin bisher schon 15 Kniegelenke verschlissen. Bei einem C-Leg-System hingegen biete die Herstellerfirma eine 5-jährige Gewährleistung an. Die Klägerin sieht sich ferner bestätigt durch das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 06.06.2002, Az. B 3 KR 68/01 R.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des am 12.09.2001 zugestellten Bescheides in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2001 zu verurteilen, die Klägerin mit einer C-Leg-Prothese zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verweist auf das Gutachten des MDK, und auf eine Entscheidung des Bayrischen Landessozialgerichtes vom 26.07.2001, Az. L 4 KR 6/01, worin in einem gleichgelagerten Fall der Leistungsanspruch einer Versicherten abgewiesen worden war. Im übrigen sei die Klägerin zur Zeit gut versorgt. Daher sei der Leistungsanspruch der Beklagten erfüllt, denn sie habe nur eine Basisversorgung zu leisten. Die Krankenkasse habe nach der ständigen Rechtssprechung des BSG keinen Behinderungsausgleich zu leisten, der das vollständige Gleichziehen mit Gesunden ermögliche. Soweit der Ausgleich von Behinderungsfolgen auf beruflichem Gebiet erreicht werden solle, falle dies ohnehin nicht in die Zuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung.
Das Gericht hat ein ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt von dem Orthopäden Dr. E, Aachen. Wegen des Ergebnisses der durchgeführten Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 28.02.2002 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide der Beklagten beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), denn die Bescheide sind rechtswidrig. Die Klägerin hat Anspruch auf die Versorgung mit einer Oberschenkelprothese mit dem Kniegelenksystem C-Leg.
Gemäß §§ 33 Abs. 1 S. 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Der Anspruch auf die Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel ist nicht bereits schon deswegen ausgeschlossen, weil es nicht in dem nach § 128 SGB V von den Spitzenverbänden der Krankenkassen erstellten Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt ist. Nach ständiger Rechtssprechung des BSG handelt es sich bei dem Hilfsmittelverzeichnis um eine Auslegungshilfe, die für die Gerichte nicht verbindlich ist (BSG, Urteil vom 06.06.2002, Az. B 3 KR 68/01 R).
Das BSG hat am 06.06.2002 unter dem Az. B 3 KR 68/01 R eine grundlegende Entscheidung zum Versorgungsanspruch von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung mit einer Oberschenkelprothese mit dem computergestützten Kniegelenkssystem C-Leg getroffen. Das BSG hat hierzu ausgeführt, dass Ziel der Versorgung behinderter Menschen mit Hilfsmitteln die Förderung ihrer Selbstbestimmung und gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ist (§ 1 S. 1 SGB IX). Im Rahmen dieser für alle behinderten Menschen geltenden Bestimmungen ist die gesetzliche Krankenversicherung allerdings nur innerhalb ihres Aufgabengebietes - Krankenhilfe und medizinische Rehabilitation - und unter ihren besonderen Voraussetzungen (vgl. § 7 SGB IX) zur Gewährung von Hilfsmitteln verpflichtet. Die frühere Rechtssprechung ging davon aus, dass die Krankenversicherung vordringlich bei solchen Hilfsmitteln leistungspflichtig sei, die einen Ausgleich der körperlichen Behinderung selbst bezweckten (BSG, SozR 2200, § 182 b Nr. 12; SozR 3 - 2500, § 33 Nr. 29). Ein derart unmittelbarer Ausgleich wurde angenommen, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion ermöglichte, ersetzte oder erleichterte. Hilfsmittel, die nicht unmittelbar an der Behinderung ansetzten, sondern den Funktionsausfall anderweitig ausglichen oder milderten, sollten nur dann in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung fallen, wenn Grundbedürfnisse betroffen waren (BSG SozR 2200, § 182 b Nr. 10; SozR 3 - 2500 § 33 Nr. 16, S. 73; Nr. 31, S. 184 f.). Dem lag die Erwägung zugrunde, dass sich der direkte Funktionsausgleich in allen Lebensbereichen auswirkt und damit ohne weiteres auch Grundbedürfnisse betroffen sind, während bei einem mittelbaren Ausgleich besonders geprüft werden muss, in welchem Lebensbereich er sich auswirkt. Eine solche Differenzierung erleichtert damit die rechtliche Einordnung und den Begründungsaufwand, ändert aber nichts daran, dass auch nach neuem Recht des SGB IX die Förderung der Selbstbestimmung des behinderten Menschen und seiner gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft durch Versorgung mit Hilfsmitteln nur dann Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist, wenn sie der Sicherstellung eines allgemeinen Grundbedürfnisses dient. Geht es - wie hier - um den Ersatz eines noch voll funktionstüchtigen Hilfsmittels durch ein technisch verbessertes Gerät mit Gebrauchsvorteilen gegenüber dem bisherigen Hilfsmittel, so reicht es nicht aus, wenn die Verbesserung sich nur in einzelnen Lebensbereichen auswirkt, die nicht zu den menschlichen Grundbedürfnissen zählen. Das Wirtschaftlichkeitsgebot schließt darüber hinaus eine Leistungspflicht der Krankenversicherung für solche Innovationen aus, die nicht die Funktionalität, sondern in erster Linie Bequemlichkeit und Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels betreffen. Speziellen Wünschen des Behinderten trägt insoweit nunmehr die neu geschaffene Regelung in § 31 Abs. 3 SGB IX Rechnung. Die Gebrauchsvorteile des C-Leg gegenüber einer herkömmlichen Prothese werden von den genannten Einschränkungen nicht erfasst. Sie sind weder auf spezielle Lebensbereiche begrenzt, noch erschöpfen sie sich in der Bequemlichkeit oder im Komfort der Nutzung. Der Einsatz der Beine zum Gehen, Laufen und Stehen ist jederzeit und überall erforderlich und damit ein Grundbedürfnis, das das C-Leg nach dem gegenwärtigen Stand der Technik so weit wie möglich deckt. Der Gebrauchsvorteil hängt allerdings maßgebend von den körperlichen und geistigen Voraussetzungen des Prothesenträgers und seiner persönlichen Lebensgestaltung ab. Nicht jeder Betroffene ist in der Lage, die Gebrauchsvorteile des C-Leg zu nutzen; dann fehlt es an der Erforderlichkeit dieses speziellen Hilfsmittels. Die Versorgung mit einem C-Leg kann nur derjenige beanspruchen, der nach ärztlicher Einschätzung im Alltagsleben dadurch deutliche Gebrauchsvorteile hat.
Nach dem Ergebnis der durchgeführten medizinischen Beweisaufnahme erfüllt die Klägerin diese vom BSG aufgestellten Voraussetzungen für die begehrte Versorgung mit dem C-Leg. Der Gebrauchsvorteil, den das C-Leg der Klägerin im Vergleich zu einer herkömmlichen Oberschenkelprothese bietet, dient in erheblichem Umfang diesem vom BSG näher bezeichneten Grundbedürfnis. Zwar ist die Klägerin derzeit mit der herkömmlichen Oberschenkelprothese gut grundversorgt. Das Gangbild ist insgesamt als zufriedenstellend anzusehen. Gleichwohl hat sie Anspruch auf die Versorgung mit dem computergesteuerten Kniegelenksystem. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sind hierfür folgende Überlegungen maßgeblich. Bei der Klägerin musste im Alter von neun Jahren eine Oberschenkelamputation durchgeführt werden. In den Kriegswirren in C konnte für ca. drei Jahre keine Orthesenversorgung vorgenommen werden, so dass die Klägerin nur an Unterarmgehstützen mobilisiert war. Bedingt durch diesen Umstand hat sich das linke Hüftgelenk minderentwickelt im Vergleich zur Gegenseite sowohl in Größe wie auch im Mineralsalzgehalt. Die lange Entlastung führe zwangsweise zu einer Entmineralisierung, die bekanntermaßen nie mehr in vollem Umfang aufgeholt werden kann. Diese Tatsachen sind röntgenologisch verifiziert. Zudem befindet sich eine Passbündigkeitsstörung (Containmentstörung) am linken Hüftgelenk im Hauptbelastungsbereich der Pfanne. Die festgestellten Veränderungen am linken Hüftgelenk sind als präarthrotische Deformität zu werten. Hierdurch bedingt ist mit einer "Früharthrose" am linken Hüftgelenk zu rechnen. Diesem Umstand sollte insofern Rechnung getragen werden, als biomechanisch gesehen die bestmögliche Orthesenversorgung vorgenommen werden sollte, um hier eine Vorbeugung einer drohenden Früharthrose zu leisten.
Bei der Klägerin handelt es sich um eine junge, dynamische Frau, die zudem einen Beruf (der Friseurin) ergreift, der eine hohe Stand- und Schwungphasensicherung erfordert. Das C-Leg passt sich in Echtzeit individuell den Sicherheitsbedürfnissen und der Aktivität des Patienten. Stand- und Schwungphasenwiderstände werden aktivitätsabhängig elektronisch in Echtzeit kontrolliert und geregelt. Aus der Messung des Kniewinkelverlaufes sowie des anterioren/posterioren Biegemomentes im Unterschenkel wird mit Hilfe eines Regelnetzwerkes eindeutig auf den aktuellen Bewegungszustand des Patienten geschlossen. Die erforderlichen Beuge- und Streckwiderstände werden errechnet und von einer Hydraulikeinheit, die mit elektronischen Servoventilen ausgestattet ist, bereitgestellt. Damit wird eine Schwungphasensteuerung erzielt, die den gesamten Dynamikbereich des Gehens abdeckt. Die elektronische Standphasensicherung entlastet den Patienten beträchtlich. Er muss sich weniger auf das Gehen konzentrieren. Dadurch wird entsprechend die Sturzgefährdung mit allen möglichen negativen Auswirkungen signifikant reduziert. Die Grundeinstellung ist zwar primär aufwendiger und erfordert ein kooperatives Mitwirken des Orthesenträgers im Hinblick auf eine Optimierung aller im täglichen Leben anfallenden Bewegungsabläufe. Diesbezüglich ist die Klägerin hochmotiviert. Nach Angaben des Sachverständigen hat die Klägerin zudem das zur Diskussion stehende C-Leg eine Woche von der Firma T kostenlos probatorisch zur Verfügung gestellt erhalten. Mit dieser Orthese konnte sie nach eigenen Angaben deutlich sicherer stehen und gehen sowie auch Treppab gehen im alternierenden Schritt. Das komfortable sichere Gehen auch auf verschiedenen Untergründen (gedämpft, ungedämpft etc.) sowie alternierendes Treppab gehen und Rampenhinuntergehen stellen ein gewichtiges Argument dar, vor allem auch im Hinblick auf die bereits vorliegende präarthrotische Deformität am linken Hüftgelenk (Minderentwicklung, Entkalkung etc.).
Nach diesen Ausführungen des Sachverständigen steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die vom MDK während des Verwaltungsverfahrens erhobenen Einwände nicht stichhaltig sind. Die Versorgung ist nach den Ausführungen des Sachverständigen auch wirtschaftlich, da eine vernünftige Relation zwischen den Kosten und dem Erfolg besteht. In den letzten viereinhalb Jahren sind glaubhaft erhebliche Reparaturaufwendungen entstanden, da die mechanische Beanspruchung im Alter der Klägerin naturgemäß sehr hoch ist. Vor diesem Hintergrund ist der vergleichsweise hohe Anschaffungswert der C-Leg-Prothese, verbunden mit einer 5-jährigen Gewährleistung seitens der Herstellerfirma gerechtfertigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Streitig ist die Versorgung mit einer computergesteuerten Oberschenkelprothese mit microprozessorgesteuertem Kniegelenk (C-Leg).
Die am 00.00.1982 geborene Klägerin erlitt im Bürgerkrieg in C im Alter von neun Jahren durch einen Granatsplitter eine Oberschenkelverletzung mit anschließender Amputation des linken Oberschenkels. In den folgenden drei Jahren war sie mit Unterarmgehstützen versorgt. Erst danach erfolgte eine erste Versorgung mit einer Oberschenkelprothese ohne Kniegelenk. Derzeit ist sie mit einer herkömmlichen Oberschenkelprothese mit Cat-Cam-Schaft und Total-Knee versorgt. Sie lebt mittlerweile in der Bundesrepublik bei Adoptiveltern und erlernt den Beruf der Friseurin.
Unter Vorlage einer Verordnung des behandelnden Orthopäden Dr. X, F, vom 23.04.2001 und eines Kostenvoranschlags des Sanitätshauses T vom 02.05.2001 über 48.222,42 DM beantragte sie im Mai 2001 bei der Beklagten die Versorgung mit einem C-Leg-Kniegelenksystem. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Nordrhein (MDK) kam - unter Beiziehung eines Orthopädiemechaniker-Meisters - in einem Gutachten vom 07.09.2001 zu dem Ergebnis, dass die Klägerin mit der herkömmlichen Oberschenkelprothese gut grundversorgt sei. Allerdings fielen extreme Wackel- und Schabgeräusche am Prothesenkniegelenk auf. Es wurde vermutet, dass dies behebbar sei. Der MDK vertrat weiter die Auffassung, dass ein C-Leg bisher noch nicht probegetragen worden sei. Auch stelle sich zum Beispiel die Elektronik beim Tragen einer schweren Tasche nicht selbst ein, sondern müsse neu eingestellt werden. Da es sich um eine rein leistungsrechtliche Entscheidung handele, wurde die Entscheidung einer Kostenübernahme der Beklagten überlassen. Mit dem am 12.09.2001 zugestellten Bescheid - ohne Datum - lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein und trug unter anderem vor, dass eine Reihe von Sozialgerichten die betreffenden Krankenkassen zur Leistung verurteilt hätten. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.11.2001 zurück.
Dagegen hat die Klägerin am 16.11.2001 Klage erhoben. Sie trägt vor, dass durch das Tragen der C-Leg-Prothese ein erhöhter Sicherheitsgewinn beim Gehen und Stehen erreicht werde, wodurch die sonst immer wiederkehrende Gefahr schwerer Stürze weitestgehend vermieden werde. Der Bewegungsapparat werde zudem enorm entlastet, was bei dem jungen Alter der Klägerin sehr wichtig sei. Zur Zeit sei die Klägerin mit der herkömmlichen Prothese nicht ausreichend sicher versorgt. Das beantragte Kniegelenksystem sei auch wirtschaftlich, da die herkömmliche Prothese ständig repariert bzw. erneuert werden müsse. So habe die Klägerin bisher schon 15 Kniegelenke verschlissen. Bei einem C-Leg-System hingegen biete die Herstellerfirma eine 5-jährige Gewährleistung an. Die Klägerin sieht sich ferner bestätigt durch das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 06.06.2002, Az. B 3 KR 68/01 R.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des am 12.09.2001 zugestellten Bescheides in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2001 zu verurteilen, die Klägerin mit einer C-Leg-Prothese zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verweist auf das Gutachten des MDK, und auf eine Entscheidung des Bayrischen Landessozialgerichtes vom 26.07.2001, Az. L 4 KR 6/01, worin in einem gleichgelagerten Fall der Leistungsanspruch einer Versicherten abgewiesen worden war. Im übrigen sei die Klägerin zur Zeit gut versorgt. Daher sei der Leistungsanspruch der Beklagten erfüllt, denn sie habe nur eine Basisversorgung zu leisten. Die Krankenkasse habe nach der ständigen Rechtssprechung des BSG keinen Behinderungsausgleich zu leisten, der das vollständige Gleichziehen mit Gesunden ermögliche. Soweit der Ausgleich von Behinderungsfolgen auf beruflichem Gebiet erreicht werden solle, falle dies ohnehin nicht in die Zuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung.
Das Gericht hat ein ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt von dem Orthopäden Dr. E, Aachen. Wegen des Ergebnisses der durchgeführten Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 28.02.2002 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide der Beklagten beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), denn die Bescheide sind rechtswidrig. Die Klägerin hat Anspruch auf die Versorgung mit einer Oberschenkelprothese mit dem Kniegelenksystem C-Leg.
Gemäß §§ 33 Abs. 1 S. 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Der Anspruch auf die Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel ist nicht bereits schon deswegen ausgeschlossen, weil es nicht in dem nach § 128 SGB V von den Spitzenverbänden der Krankenkassen erstellten Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt ist. Nach ständiger Rechtssprechung des BSG handelt es sich bei dem Hilfsmittelverzeichnis um eine Auslegungshilfe, die für die Gerichte nicht verbindlich ist (BSG, Urteil vom 06.06.2002, Az. B 3 KR 68/01 R).
Das BSG hat am 06.06.2002 unter dem Az. B 3 KR 68/01 R eine grundlegende Entscheidung zum Versorgungsanspruch von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung mit einer Oberschenkelprothese mit dem computergestützten Kniegelenkssystem C-Leg getroffen. Das BSG hat hierzu ausgeführt, dass Ziel der Versorgung behinderter Menschen mit Hilfsmitteln die Förderung ihrer Selbstbestimmung und gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ist (§ 1 S. 1 SGB IX). Im Rahmen dieser für alle behinderten Menschen geltenden Bestimmungen ist die gesetzliche Krankenversicherung allerdings nur innerhalb ihres Aufgabengebietes - Krankenhilfe und medizinische Rehabilitation - und unter ihren besonderen Voraussetzungen (vgl. § 7 SGB IX) zur Gewährung von Hilfsmitteln verpflichtet. Die frühere Rechtssprechung ging davon aus, dass die Krankenversicherung vordringlich bei solchen Hilfsmitteln leistungspflichtig sei, die einen Ausgleich der körperlichen Behinderung selbst bezweckten (BSG, SozR 2200, § 182 b Nr. 12; SozR 3 - 2500, § 33 Nr. 29). Ein derart unmittelbarer Ausgleich wurde angenommen, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion ermöglichte, ersetzte oder erleichterte. Hilfsmittel, die nicht unmittelbar an der Behinderung ansetzten, sondern den Funktionsausfall anderweitig ausglichen oder milderten, sollten nur dann in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung fallen, wenn Grundbedürfnisse betroffen waren (BSG SozR 2200, § 182 b Nr. 10; SozR 3 - 2500 § 33 Nr. 16, S. 73; Nr. 31, S. 184 f.). Dem lag die Erwägung zugrunde, dass sich der direkte Funktionsausgleich in allen Lebensbereichen auswirkt und damit ohne weiteres auch Grundbedürfnisse betroffen sind, während bei einem mittelbaren Ausgleich besonders geprüft werden muss, in welchem Lebensbereich er sich auswirkt. Eine solche Differenzierung erleichtert damit die rechtliche Einordnung und den Begründungsaufwand, ändert aber nichts daran, dass auch nach neuem Recht des SGB IX die Förderung der Selbstbestimmung des behinderten Menschen und seiner gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft durch Versorgung mit Hilfsmitteln nur dann Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist, wenn sie der Sicherstellung eines allgemeinen Grundbedürfnisses dient. Geht es - wie hier - um den Ersatz eines noch voll funktionstüchtigen Hilfsmittels durch ein technisch verbessertes Gerät mit Gebrauchsvorteilen gegenüber dem bisherigen Hilfsmittel, so reicht es nicht aus, wenn die Verbesserung sich nur in einzelnen Lebensbereichen auswirkt, die nicht zu den menschlichen Grundbedürfnissen zählen. Das Wirtschaftlichkeitsgebot schließt darüber hinaus eine Leistungspflicht der Krankenversicherung für solche Innovationen aus, die nicht die Funktionalität, sondern in erster Linie Bequemlichkeit und Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels betreffen. Speziellen Wünschen des Behinderten trägt insoweit nunmehr die neu geschaffene Regelung in § 31 Abs. 3 SGB IX Rechnung. Die Gebrauchsvorteile des C-Leg gegenüber einer herkömmlichen Prothese werden von den genannten Einschränkungen nicht erfasst. Sie sind weder auf spezielle Lebensbereiche begrenzt, noch erschöpfen sie sich in der Bequemlichkeit oder im Komfort der Nutzung. Der Einsatz der Beine zum Gehen, Laufen und Stehen ist jederzeit und überall erforderlich und damit ein Grundbedürfnis, das das C-Leg nach dem gegenwärtigen Stand der Technik so weit wie möglich deckt. Der Gebrauchsvorteil hängt allerdings maßgebend von den körperlichen und geistigen Voraussetzungen des Prothesenträgers und seiner persönlichen Lebensgestaltung ab. Nicht jeder Betroffene ist in der Lage, die Gebrauchsvorteile des C-Leg zu nutzen; dann fehlt es an der Erforderlichkeit dieses speziellen Hilfsmittels. Die Versorgung mit einem C-Leg kann nur derjenige beanspruchen, der nach ärztlicher Einschätzung im Alltagsleben dadurch deutliche Gebrauchsvorteile hat.
Nach dem Ergebnis der durchgeführten medizinischen Beweisaufnahme erfüllt die Klägerin diese vom BSG aufgestellten Voraussetzungen für die begehrte Versorgung mit dem C-Leg. Der Gebrauchsvorteil, den das C-Leg der Klägerin im Vergleich zu einer herkömmlichen Oberschenkelprothese bietet, dient in erheblichem Umfang diesem vom BSG näher bezeichneten Grundbedürfnis. Zwar ist die Klägerin derzeit mit der herkömmlichen Oberschenkelprothese gut grundversorgt. Das Gangbild ist insgesamt als zufriedenstellend anzusehen. Gleichwohl hat sie Anspruch auf die Versorgung mit dem computergesteuerten Kniegelenksystem. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sind hierfür folgende Überlegungen maßgeblich. Bei der Klägerin musste im Alter von neun Jahren eine Oberschenkelamputation durchgeführt werden. In den Kriegswirren in C konnte für ca. drei Jahre keine Orthesenversorgung vorgenommen werden, so dass die Klägerin nur an Unterarmgehstützen mobilisiert war. Bedingt durch diesen Umstand hat sich das linke Hüftgelenk minderentwickelt im Vergleich zur Gegenseite sowohl in Größe wie auch im Mineralsalzgehalt. Die lange Entlastung führe zwangsweise zu einer Entmineralisierung, die bekanntermaßen nie mehr in vollem Umfang aufgeholt werden kann. Diese Tatsachen sind röntgenologisch verifiziert. Zudem befindet sich eine Passbündigkeitsstörung (Containmentstörung) am linken Hüftgelenk im Hauptbelastungsbereich der Pfanne. Die festgestellten Veränderungen am linken Hüftgelenk sind als präarthrotische Deformität zu werten. Hierdurch bedingt ist mit einer "Früharthrose" am linken Hüftgelenk zu rechnen. Diesem Umstand sollte insofern Rechnung getragen werden, als biomechanisch gesehen die bestmögliche Orthesenversorgung vorgenommen werden sollte, um hier eine Vorbeugung einer drohenden Früharthrose zu leisten.
Bei der Klägerin handelt es sich um eine junge, dynamische Frau, die zudem einen Beruf (der Friseurin) ergreift, der eine hohe Stand- und Schwungphasensicherung erfordert. Das C-Leg passt sich in Echtzeit individuell den Sicherheitsbedürfnissen und der Aktivität des Patienten. Stand- und Schwungphasenwiderstände werden aktivitätsabhängig elektronisch in Echtzeit kontrolliert und geregelt. Aus der Messung des Kniewinkelverlaufes sowie des anterioren/posterioren Biegemomentes im Unterschenkel wird mit Hilfe eines Regelnetzwerkes eindeutig auf den aktuellen Bewegungszustand des Patienten geschlossen. Die erforderlichen Beuge- und Streckwiderstände werden errechnet und von einer Hydraulikeinheit, die mit elektronischen Servoventilen ausgestattet ist, bereitgestellt. Damit wird eine Schwungphasensteuerung erzielt, die den gesamten Dynamikbereich des Gehens abdeckt. Die elektronische Standphasensicherung entlastet den Patienten beträchtlich. Er muss sich weniger auf das Gehen konzentrieren. Dadurch wird entsprechend die Sturzgefährdung mit allen möglichen negativen Auswirkungen signifikant reduziert. Die Grundeinstellung ist zwar primär aufwendiger und erfordert ein kooperatives Mitwirken des Orthesenträgers im Hinblick auf eine Optimierung aller im täglichen Leben anfallenden Bewegungsabläufe. Diesbezüglich ist die Klägerin hochmotiviert. Nach Angaben des Sachverständigen hat die Klägerin zudem das zur Diskussion stehende C-Leg eine Woche von der Firma T kostenlos probatorisch zur Verfügung gestellt erhalten. Mit dieser Orthese konnte sie nach eigenen Angaben deutlich sicherer stehen und gehen sowie auch Treppab gehen im alternierenden Schritt. Das komfortable sichere Gehen auch auf verschiedenen Untergründen (gedämpft, ungedämpft etc.) sowie alternierendes Treppab gehen und Rampenhinuntergehen stellen ein gewichtiges Argument dar, vor allem auch im Hinblick auf die bereits vorliegende präarthrotische Deformität am linken Hüftgelenk (Minderentwicklung, Entkalkung etc.).
Nach diesen Ausführungen des Sachverständigen steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die vom MDK während des Verwaltungsverfahrens erhobenen Einwände nicht stichhaltig sind. Die Versorgung ist nach den Ausführungen des Sachverständigen auch wirtschaftlich, da eine vernünftige Relation zwischen den Kosten und dem Erfolg besteht. In den letzten viereinhalb Jahren sind glaubhaft erhebliche Reparaturaufwendungen entstanden, da die mechanische Beanspruchung im Alter der Klägerin naturgemäß sehr hoch ist. Vor diesem Hintergrund ist der vergleichsweise hohe Anschaffungswert der C-Leg-Prothese, verbunden mit einer 5-jährigen Gewährleistung seitens der Herstellerfirma gerechtfertigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved