S 5 VG 60/13

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 5 VG 60/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 14.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2013 verurteilt, 1. festzustellen, dass die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen Trigeminusneuralgie im Sinne eines Gesichtsschmerzes rechts und Knochennarben nach Bruch des Nasenbeines und der Kieferhöhlenwand rechts Schädigungsfolgen eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne von § 1 Abs. 1 OEG sind. 2. der Klägerin wegen der unter Ziffer 1.) festgestellten Schädigungsfolgen Heilbehandlung ab dem 01.02.2013 zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 20%.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Versorgung nach den Vorschriften des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz – OEG) in Verbindung mit den Vorschriften des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz – BVG). Sie wendet sich gegen den Bescheid vom 14.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2013.

Die 1961 geborene Klägerin wurde am 12.01.2010 von ihrem zweiten Ehemann S H körperlich misshandelt. Anschließend beging der Ehemann Selbstmord, indem er sich in den Kopf schoss. Nach den Angaben der Klägerin sah sie den Suizid mit an.

Mit ihrem am 08.02.2013 bei dem Beklagten eigegangenen Antrag machte die Klägerin Beschädigtenversorgung für Opfer von Gewalttaten geltend. Sie führte sinngemäß aus, am 12.01.2010 Opfer schwerer Körperverletzung durch S H geworden zu sein, der anschließend Selbstmord begangen habe. Eine Woche zuvor habe sie eine Fehlgeburt durch Schläge mit einem Gewehrkolben erlitten. Als maßgebliche Gesundheitsstörungen benannte die Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung und Depressionen insbesondere einhergehend mit Panikattacken, Dissoziation, Gedächtnis- und Konzentrationsminderung, Alpträumen und vegetativer Übererregbarkeit. Vor dem Antrag war der Befundbericht der Traumaambulanz der LVR-Klinik Bonn vom 30.01.2013 zu den Akten gelangt. Als Therapieanlass benannte der Befundbericht neben den Geschehnissen vom 12.01.2010 auch mehrfache sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen der Klägerin durch ihren ersten Ehemann.

Der Beklagte zog insbesondere die Akten der Staatsanwaltschaft Bonn - 910 UJs 64/10 A - über das Todesermittlungsverfahren betreffend Ralf Görtz bei. Auf den Polizeibericht vom 13.01.2010 wird verwiesen. Verwiesen wird ferner auf die von dem Beklagten durchgeführten medizinischen Ermittlungen. Sie ergaben, dass die Klägerin am 12.01.2010 Brüche des Nasenbeins sowie der Kieferhöhlenwand rechts erlitten hatte. Mit Schreiben vom 24.04.2013 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass der Suizid des Ehemannes keine entschädigungsfähige Tat im Sinne des OEG darstelle. Entschädigungsfähig seien lediglich die vor dem Suizid ihr gegenüber verübten Gewalttaten. Ferner wies er darauf hin, dass Ausschlussgründe für einen Entschädigungsanspruch in Betracht kämen. Mit Schreiben vom 02.05.2013, auf dessen Inhalt im Einzelnen Bezug genommen wird, hielt die Klägerin an ihrem Begehren fest.

Mit Bescheid vom 14.05.2013 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Er führte aus, zwar handele es sich bei den am 12.01.2010 durch S H erlittenen Schlägen im Gegensatz zum anschließenden Suizid um eine Gewalttat im Sinne des OEG. Eine Entschädigung sei jedoch unbillig im Sinne von § 2 OEG. Die Klägerin habe der Polizei gegenüber angegeben, in den vergangenen zwei Jahren mehrfach von ihrem Ehemann geschlagen worden zu sein, gleichwohl sei sie bei ihm geblieben. Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 04.06.2013 Widerspruch ein, den sie mit anwaltlichem Schreiben vom 07.08.2013 unter abermaliger Schilderung der Geschehnisse und unter Verweis auf den Abschlussbericht der LVR-Kliniken vom 01.08.2013 weiter begründete. Per Widerspruchsbescheid vom 24.10.2013 wies der Beklagte den Widerspruch unter Wiederholung seines bereits dem Ausgangsbescheid zugrundeliegenden Standpunktes als unbegründet zurück.

Am 21.11.2013 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

Im Laufe des gerichtlichen Verfahrens hat der Beklagte die Auffassung, eine Entschädigung sei unbillig, aufgegeben. Er geht nunmehr davon aus, dass die Klägerin aufgrund ihrer biographischen Hintergründe und einer daraus resultierenden emotional-abhängigen Beziehungsgestaltung psychisch nicht in der Lage war, sich von S H im Vorfeld des 12.01.2010 zu trennen.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, auch das Mitansehenmüssen des Suizids des S H stelle einen entschädigungsfähigen Tatbestand dar. Jedenfalls seien die körperlichen Übergriffe und der Suizid als ein Vorgang zu verstehen. Sie verweist im Übrigen auf die Folgen der körperlichen Misshandlungen am 12.01.2010 durch Ralf Görtz. Auf ihre schriftlichen Schilderungen des diesbezüglichen Beschwerdebildes wird verwiesen.

Die Klägerin beantragt sachdienlich formuliert,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 14.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2013 zu verurteilen,

1. festzustellen, dass insbesondere die bei der Klägerin bestehende schwere psychische Dauerschädigung unter anderem in Form einer PTBS und Depression sowie Gesichts- und Kopfverletzungen mit Trigeminusschädigung und chronischem Multiplenschmerzsyndrom Schädigungsfolge von rechtswidrigen, tätlichen Angriffen insbesondere am 12.10.2010 durch S H auf die Klägerin und ihn selbst im Sinne von § 1 Abs. 1 OEG sind.

2. der Klägerin angesichts der festzustellenden Schädigungsfolgen Beschädigtenversorgung mindestens bestehend aus Heilbehandlung und Rentenleistungen nach Maßgabe eines GdS von 40 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ein von ihn unterbreitetes Teilanerkenntnis hat die Klägerseite nicht angenommen.

Das Gericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts insbesondere Befundberichte von Behandlern der Klägerin beigezogen, auf deren jeweiligen Inhalt verwiesen wird. In einem am 15.12.2014 durchgeführten Erörterungstermin ist die Zeugin F H vor allem zum Verhältnis zwischen der Klägerin und S H vernommen worden. Zu diesem Termin ist die Klägerin nicht erschienen. Sie hat ein Attest des Arztes für Innere Medizin und Allgemeinmedizin Dr. med. Voss zu den Akten gereicht, nach welchem sie aufgrund der bestehenden schweren posttraumatischen Belastungsstörung mit ausgeprägten Angst- und Unruhezuständen auf absehbare Zeit nicht vernehmungsfähig sei. Mit Schriftsatz vom 12.02.2015 hat der Klägerbevollmächtigte mitgeteilt, der gesundheitliche Zustand der Klägerin mache eine Untersuchung und Befragung durch einen Sachverständigen unmöglich. Im Widerspruch hierzu stellte sich die Klägerin wenige Wochen später am 05.05.2015 in einem Verwaltungsverfahren zur Feststellung eines Grades der Behinderung der Begutachtung durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. T (C). Der Gutachter hatte insbesondere für die bei der Klägerin bestehende Trigeminusneuralgie einen Einzel-GdB von 10 vorgeschlagen. Auf den Inhalt des von Dr. med. Silberhorn vorgelegten Gutachtens wird Bezug genommen. Das Gericht hat im weiteren Fortgang den Direktor des Zentrums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Universitätsklinik Köln Prof. Dr. med. A mit der Erstellung eines Gutachtens nach Aktenlage insbesondere zu der Frage beauftragt, welche bei der Klägerin bestehenden Beeinträchtigungen auf den tätlichen Angriff durch S H am 12.01.2010 zurückzuführen sind. Der Sachverständige hat im Wesentlichen unter Verweis auf die Einschätzung Dr. med. T für die bestehende Trigeminusneuralgie einen GdS von 10 vorgeschlagen. Nach Beiziehung weiterer medizinischer Unterlagen hat der Sachverständige ergänzend Stellung genommen und im Ergebnis an seinem Vorschlag festgehalten. Mit Schriftsatz vom 28.02.2018 hat die Klägerseite die Notwendigkeit der persönlichen Untersuchung der Klägerin betont. Das Gericht hat sodann den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. H (C) mit der Begutachtung der Klägerin beauftragt. Mit Schriftsätzen vom 30.08.2018 und 13.09.2018 hat die Klägerin nunmehr sinngemäß mitgeteilt, sie sei zu einer ambulanten Begutachtung nicht in der Lage. Ein fachärztliches Attest zum Beleg dieser Behauptung ist sie in der Folge schuldig geblieben. Der Sachverständige Dr. med. H ist mit einer Begutachtung nach Aktenlage beauftragt worden. Im Hinblick auf die bestehende Trigeminusneuralgie nach Gesichtsschädelfraktur hat er die Feststellung eines GdS von 10 vorgeschlagen. Auf den weiteren Inhalt des Gutachtens wird Bezug genommen. Die Klägerseite hat Kritik an dem Gutachten des Sachverständigen geübt, die in Teilen die Grenzen der Sachlichkeit offensichtlich überschritten hat. Der Klägerbevollmächtigte ist im Erörterungstermin vom 13.08.2019 diesbezüglich zurechtgewiesen worden. Das Gericht hat anschließend, wie im Erörterungstermin angekündigt, den Behandler Dr. med. W zu den Auswirkungen der bei der Klägerin bestehenden Trigeminusneuralgie ergänzend schriftlich befragt und anschließend eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Dr. med. H zu den Ausführungen des Dr. med. Voss und der klägerseitigen Kritik eingeholt. Auf den Inhalt der ergänzenden Stellungnahme wird verweisen.

Auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte, den weiteren Inhalt der Verwaltungsakte des Beklagten sowie die ebenfalls beigezogene Schwerbehindertenakte des Rhein-Sieg-Kreises wird ergänzend Bezug genommen. Die genannten Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet und im Übrigen unbegründet.

Der klägerseitige Antrag bedurfte trotz anwaltlicher Vertretung der sachdienlichen Neuformulierung.

Die mit dem Antrag zu 1) erhobene Feststellungsklage ist zulässig. Eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage macht eine gleichzeitige Feststellungsklage nur dann unzulässig, wenn mit ihr nur die selbständige Feststellung zu einer Vorfrage des Leistungsstreits begehrt wird. Die Feststellung der Schädigungsfolge ist aber im sozialen Entschädigungsrecht mehr als nur die Feststellung einer Vorfrage für das Leistungsverhältnis – sie ist vielmehr Gegenstand einer selbständigen Feststellung. Nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG kann klageweise insbesondere die Feststellung begehrt werden, ob eine Gesundheitsstörung die Folge einer Schädigung im Sinne des BVG ist. Einer Schädigung im Sinne des BVG steht eine Schädigung im Sinne des übrigen sozialen Entschädigungsrechts gleich.

Der Bescheid vom 14.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2013 ist rechtswidrig. Die Klägerin ist hierdurch beschwert im Sinne von § 54 Abs. 2 S. 1 SGG.

Die Klägerin hat Anspruch auf die Feststellung, dass die bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen Trigeminusneuralgie im Sinne eines Gesichtsschmerzes rechts und Knochennarben nach Bruch des Nasenbeins und der Kieferhöhlenwand rechts Schädigungsfolgen von rechtswidrigen tätlichen Angriffen im Sinne von § 1 Abs. 1 OEG sind; sie hat hingegen keinen Anspruch auf Feststellung weiterer Schädigungsfolgen (hierzu I.). Sie hat hinsichtlich der festzustellenden Schädigungsfolgen Anspruch auf Heilbehandlung ab dem Antragsmonat (hierzu II.). Sie hat keinen Anspruch auf Rentenleistungen nach dem OEG (hierzu III.). Ausschlussgründe nach § 2 OEG stehen den Ansprüchen der Klägerin nicht entgegen (hierzu IV.).

Nach § 1 Abs. 1 S. 1 OEG enthält derjenige, der im Geltungsbereich des Gesetzes infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen sich oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Der Tatbestand des § 1 Abs. 1 S. 1 OEG besteht aus drei Gliedern – tätlicher Angriff, Schädigung, Schädigungsfolgen –, die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind. Grundsätzlich bedürfen die genannten drei Tatbestandsmerkmale des Vollbeweises. Für den Ursachenzusammenhang bzw. die Kausalität zwischen ihnen genügt gemäß § 1 Abs. 3 S. 1 BVG die Wahrscheinlichkeit.

Die Regelungen zur Bewertung des Ursachenzusammenhangs, der medizinischen Bewertung von Schädigungsfolgen und zur Feststellung des GdS sind in der nach § 30 Abs. 16 BVG vom BMAS erlassenen Rechtsverordnung, der Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 (BGBl I S. 2412), enthalten. Die Anlage zu § 2 VersMedV, die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VMG), sind seit dem 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht" (AHP) getreten.

Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze ist die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Haben mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen, sind sie versorgungsrechtlich nur dann nebeneinanderstehende Mitursachen und wie Ursachen zu werten, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges annähernd gleichwertig sind (Teil C 1. b) VMG). Dementsprechend begründet eine potentielle Ursache dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt. Bei mehr als zwei Teilursachen ist erforderlich, dass die im Blick stehende Ursache in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges allein mindestens so viel Gewicht hat, wie die übrigen Umstände zusammen (etwa Bundessozialgericht, Urt. v. 16.12.2014, Az.: B 9 V 6/13 R, juris).

I.)

Die Klägerin hat Anspruch auf Feststellung, dass es sich bei den Gesundheitsstörungen Trigeminusneuralgie im Sinne eines Gesichtsschmerzes rechts und Knochennarben nach Bruch des Nasenbeins und der Kieferhöhlenwand rechts um Schädigungsfolgen von rechtswidrigen tätlichen Angriffen im Sinne von § 1 Abs. 1 OEG handelt.

Einen weitergehenden Feststellunganspruch hat sie nicht.

Bei den der Klägerin am 12.01.2010 von S H zugefügten Schlägen handelt es sich um tätliche Angriffe im Sinne von § 1 Abs. 1 OEG. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten.

Der Suizid des S H stellt hingegen keine entschädigungspflichtige Handlung im Sinne von § 1 Abs. 1 OEG dar. Dies gilt unabhängig davon, ob man ihn unmittelbar oder mittelbar im Sinne einer Schockschadenkonstellation betrachtet. Und dies gilt ferner unabhängig davon, ob die Klägerin S H nach dem Suizid aufgefunden hat oder ihn bei seinem Selbstmord beobachtet hat. Die tatbestandlichen Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Bei dem Suizid handelt es sich nicht um einen "tätlichen Angriff" im Sinne des Gesetzes. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten mit diesem zentralen Tatbestandsmerkmal ausschließlich Fälle der sogenannten "Gewaltkriminalität" in die Entschädigung einbezogen werden, die mit einem willentlichen Bruch der Rechtsordnung durch körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person einhergehen. Es ist offensichtlich, dass hiermit Gewalt des Täters gegen sich selbst nicht gemeint ist. Unter einem "tätlichen Angriff" ist dem Sinn und Zweck entsprechend nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen (als dem Täter) zielende gewaltsame Einwirkung zu verstehen. Eine solche liegt nicht vor, wenn sich die auf das Opfer gerichteten Einwirkungen ohne Einsatz körperlicher Mittel (ihm gegenüber) allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellen und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielen respektive wenn es an einer unmittelbaren Gewaltanwendung (gegenüber dem Opfer) fehlt. Selbst, wenn man vorliegend mit der Klägerseite von einem "demonstrativen Selbstmord" ausgeht, erfolgte dieser ohne den Einsatz körperlicher Mittel gegen die Klägerin und die hieraus resultierende Einwirkung auf die Klägerin damit auf einer rein intellektuell bzw. psychisch vermittelten Ebene. Dies ist für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals des tätlichen Angriffs nicht ausreichend. Ebenfalls nicht erfüllt ist das Tatbestandsmerkmal der Rechtswidrigkeit. Der Suizid ist von Gesetzes wegen nicht mit Strafe bedroht. Die gegenteilige Auffassung der Klägerseite wird den Vorgaben des Gesetzes und hierzu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht gerecht und vermag nicht im Geringsten zu überzeugen. Insbesondere sind die dem Selbstmord vorausgegangenen Schläge gegen die Klägerin mit dem Selbstmord nicht dergestalt zu verklammern, dass dies zu einer Einbeziehung des Selbstmordes in den Anwendungsbereich führen würde. Hierfür besteht keinerlei Grundlage.

Auf die der Klägerin zugefügten Schläge sind die oben genannten Schädigungsfolgen im Sinne von § 1 Abs. 3 S. 1 BVG ursächlich zurückzuführen. Sie haben zu Brüchen im Gesicht der Klägerin geführt, welche ihrerseits zu der Trigeminusneuralgie im Sinne eines Gesichtsschmerzes rechts und Knochennarben nach Bruch des Nasenbeins und der Kieferhöhlenwand rechts geführt haben. Diese Kausalität ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten.

Nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die zugefügten Schläge zurückzuführen sind indes die bei der Klägerin bestehenden psychischen Leiden und zwar unabhängig davon ob man sie aktuell als posttraumatische Belastungsstörung oder andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung einordnet. Die körperlichen Übergriffe vom 12.01.2010 sind nicht als annähernd gleichwertige Mitursache für diese Leiden zu qualifizieren. Es spricht bei der gebotenen Gesamtabwägung der maßgeblichen Umstände mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang.

Dies ist bereits mit Blick auf die weiteren von der Klägerin erlittenen und nicht entschädigungspflichtigen bzw. nicht streitgegenständlichen Traumata, namentlich das behauptete Mitansehenmüssen des Suizids, den sexuellen Missbrauch durch ihren ersten Ehemann sowie frühere gewalttätige Übergriffe des S H offensichtlich. Dieser Befund wird aus medizinischer Sicht gestützt durch die Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen Dr. med. H, die das Gericht entgegen der Klägerseite als schlüssig und überzeugend betrachtet.

Die gegen das Gutachten des Sachverständigen erhobenen Anwürfe der Klägerseite überzeugen das Gericht nicht im Ansatz. Vielmehr sind sie in den Augen der Kammer weit überwiegend als abwegig bis grotesk einzuordnen. Soweit die Klägerseite dem Sachverständigen vorgeworfen hat, er habe einen falschen Schadensverlauf zugrunde gelegt bzw. den Sachvortrag der Klägerin nicht berücksichtigt, verkennt sie, dass der Sachverständige im Rahmen der gerichtlichen Beweisanordnung ausdrücklich nach den Folgen des Auffindens des S H gefragt worden war. Soweit ihm vorgeworfen wurde, er habe Behandlungsunterlagen nicht berücksichtigt, ergaben sich hierfür bereits seinerzeit aus objektiver Perspektive keine vernünftigen Anhaltspunkte. Der Sachverständige ist dem im Rahmen seiner ergänzenden Stellungnahme auch überzeugend entgegengetreten. Zu Recht ist der dabei davon ausgegangen, dass nicht jedes einzelne berücksichtigte Dokument von ihm zwingend explizit im Rahmen seiner Ausführungen zu benennen ist. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass die explizit durch den Sachverständigen benannten Atteste und Befundberichte den weiteren, nicht explizit benannten im Wesentlichen entsprechen. Die noch weiter gehenden Unterstellungen ("arglistige Verdrehung", "Taschenspielertrick" etc.) liegen im Übrigen vollkommen neben der Sache und sind für das Gericht unter keinem vernünftigen Gesichtspunkt gerechtfertigt. Anhaltspunkte dafür, dass der Sachverständige dem Anliegen der Klägerin nicht objektiv gestanden hätte, zeigen sich bei vernünftiger objektiver Betrachtung nicht. Die Klägerseite mag im Übrigen im Allgemeinen zur Kenntnis nehmen, dass die bloße Ergänzungsbedürftigkeit eines Gutachtens keine Besorgnis der Befangenheit begründet. Sie mag ferner zur Kenntnis nehmen, dass die wesentlichen Unwägbarkeiten des Verfahrens und des Begutachtungsverfahrens aus der unentschuldigten Weigerung der Klägerin resultieren, sich einer ambulanten Begutachtung zu stellen. Die für das Gericht zuletzt noch offenen Fragestellungen sind durch die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen im Übrigen beseitigt worden. Bei ihrem Antrag, das Gutachten aus der Akte zu "eliminieren", verkennt die Klägerseite schließlich, dass die Prozessordnung ein solches Vorgehen nicht vorsieht und ein solcher Anspruch demgemäß nicht existiert. Ob und inwieweit ein – wie vorliegend – rechtmäßig eingeholtes Gutachten verwertbar ist, ist im Übrigen Gegenstand der gerichtlichen Beweiswürdigung, die mit dem soeben Ausgeführten erfolgt ist.

II.)

Die Klägerin hat in der Konsequenz der Ausführungen sub I.) gemäß § 1 Abs. 1 OEG i.V.m. §§ 9 Abs. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 1 S. 1 OEG seit dem 01.02.2013 Anspruch auf die Gewährung von Heilbehandlung betreffend die festgestellten Schädigungsfolgen Trigeminusneuralgie im Sinne eines Gesichtsschmerzes rechts und Knochennarben nach Bruch des Nasenbeins und der Kieferhöhlenwand rechts.

III.)

Die Klägerin hat weder Anspruch auf Gewährung einer Grundrente nach Maßgabe von § 1 Abs. 1 OEG i.V.m. § 31 Abs. 1, 2 BVG noch auf Gewährung einer Ausgleichsrente nach Maßgabe von § 1 Abs. 1 OEG i.V.m. § 32 BVG. Grundvoraussetzung der Rentengewährung ist ein GdS von mindestens 30 respektive 25 (siehe § 31 Abs. 1 BVG; § 30 Abs. 1 S. 2 Halbsatz 2 BVG). Ein GdS in der erforderlichen Höhe liegt nicht vor.

Der Grad der Schädigungsfolgen ist gemäß § 30 Abs. 1 BVG nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst.

Der GdS für die einzig festzustellenden Schädigungsfolgen Trigeminusneuralgie im Sinne eines Gesichtsschmerzes rechts und Knochennarben nach Bruch des Nasenbeins und der Kieferhöhlenwand rechts ist auf der Grundlage von Ziffer 2.2 VMG der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit unter 25 zu bemessen. Auswirkungen, die eine höhere Einstufung rechtfertigen würden, sind nicht zur Überzeugung der Kammer nachgewiesen.

Das Gericht stützt hierbei auf die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen in der Zusammenschau mit den Angaben des Dr. med. W, dem Inhalt des im Rahmen des Verfahrens auf Feststellung eines Grades der Behinderung verwaltungsseitig eingeholten Gutachtens des Dr. med. T sowie dem weiteren Akteninhalt. Die im Klageverfahren vorgelegten schriftlichen Schilderungen der Klägerin über die Auswirkungen der Trigeminusneuralgie spiegeln sich nicht im weiteren Akteninhalt. So wurden Gesichtsschmerzen in den persönlichen Angaben der Klägerin im Rahmen der zur Feststellung eines Grades der Behinderung geführten Verwaltungsverfahren nicht erwähnt - weder in ihrem Erstantrag vom 13.01.2014 noch in ihrem Änderungsantrag vom 04.09.2014 noch in ihrem Änderungsantrag vom 22.05.2018. Hiermit im Einklang steht, dass auch im Rahmen der Anamneseerhebung anlässlich der Begutachtung durch Dr. med. T im Mai 2015 durch die Klägerin Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit der Trigeminusneuralgie augenscheinlich nicht geschildert worden sind. Den Behandlungsunterhalten des Dr. med. W ist ferner zu entnehmen, dass Vorsprachen mit direktem Bezug zu Trigeminusbeschwerden nicht in einem Umfang erfolgten, der mit Blick auf die geschilderte Schwere der Beeinträchtigungen zu erwarten wäre. Auf die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen zum Widerspruch zwischen Schwere der Beeinträchtigungen und therapeutischen Bemühungen wird im Übrigen Bezug genommen. Schließlich hat der gerichtliche Sachverständige selbst bei Unterstellung – der nicht objektivierten – schriftlichen Angaben der Klägerin für die Kammer überzeugend einen – für eine Rentengewährung unzureichenden – GdS von 20 angesetzt.

IV.)

Ausschlussgründe nach § 2 OEG sind zur Überzeugung der Kammer nicht nachgewiesen. Das Gericht schließt sich vielmehr der nunmehr durch den Beklagten vertretenen Auffassung an, dass die Klägerin aufgrund ihrer biographischen Hintergründe und einer daraus resultierenden emotional-abhängigen Beziehungsgestaltung psychisch nicht in der Lage war, sich seinerzeit von S H zu trennen.

V.)

Die Anträge der Klägerseite auf Vernehmung der – sachverständigen – Zeugen Dr. med. W, Dipl.-Psych. M und Dipl.-Psych. F waren abzulehnen. Ein Fragerecht der Beteiligten gegenüber behandelnden Ärzten gibt es nicht (vgl. Bundessozialgericht, Beschl. v. 16.07.2019, Az.: 5 R 131/18 B, juris; siehe Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 24.08.2017, Az.: L 14 R 554/13). Im Übrigen qualifiziert das Gericht den Beweisantrag der Klägerin vor dem Hintergrund der Verletzung ihrer Mitwirkungspflicht, sich einer gutachtlichen Untersuchung zu unterziehen, ohnehin als rechtsmissbräuchlich. Zwar haben die bei der Klägerin bestehenden Erkrankungen durchaus das Potential einer ambulanten Begutachtung entgegenzustehen. Eine Unzumutbarkeit im vorliegenden Einzelfall ist jedoch nicht - durch Vorlage eines entsprechenden fachärztlichen Attests - nachgewiesen worden. Vielmehr hat sich die Klägerin laufend zu ihrem eigenen Vorbringen in Widerspruch gesetzt. So hat sie sich der Begutachtung durch Dr. med. T unterzogen, nachdem sie wenige Wochen zuvor gegenüber dem Gericht bekundet hatte, eine Begutachtung sei nicht möglich. Das anlässlich des Erörterungstermins eingereichte – fachfremde – Attest des Dr. med. W überzeugt vor diesem Hintergrund nicht im Ansatz. Im Jahr 2018 hat sie sich sodann zu insgesamt vier mehrstündigen Terminen zur diagnostischen Einschätzung im Rahmen der Autismus-Sprechstunde der Uniklinik Köln eingefunden – auf eigene Initiative wie der zugehörige ärztliche Bericht festhält. Nach alledem qualifiziert das Gericht die Tatsache, dass die Klägerin sich einer ambulanten Begutachtung im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens ohne hinreichende Entschuldigung verweigert hat, als erhebliche Verletzung ihrer Mitwirkungspflichten. Das Gericht sieht indes keinen prozessualen Anspruch der Klägerin auf Vernehmung von (sachverständigen) Dritten zu ihrem Gesundheitszustand, solange sie selbst sich ohne hinreichende Entschuldigung bzw. ohne Beleg einer medizinischen Unzumutbarkeit der ambulanten Untersuchung durch einen bestellten Gerichtsgutachter entzieht.

Im Übrigen bestand auch keine Notwendigkeit für eine ergänzende Befragung der Behandler von Amts wegen. Von ihnen liegen zahlreiche medizinische Unterlagen und Äußerungen vor, die für die Kammer keine erläuterungsbedürftigen Fragen mehr aufwerfen. Die Auffassung, die an Dr. med. W unter dem 22.08.2019 ergänzend gestellten Fragen seien missverständlich gewesen, vertritt die Klägerseite im Übrigen exklusiv.

Abzulehnen war ferner der Antrag auf Vernehmung von Frau F H "zur weiteren Krankengeschichte, insbesondere den Einschränkungen und Störungen der Klägerin durch ihre gesundheitliche Situation". Es kann offen bleiben, ob die benannte Zeugin als medizinischer Laie überhaupt ein taugliches Beweismittel darstellt. Jedenfalls betrachtet die Kammer den Antrag mit Blick auf die Mitwirkungspflichtverletzung der Klägerin ebenfalls als rechtsmissbräuchlich. Auf die Frage, ob die Klägerin S H auffand oder Zeugin des Suizids wurde, kommt es im Übrigen nicht an (s.o.).

Der Antrag, Dr. med. T als sachverständigen Zeugen zu vernehmen, war ebenfalls abzulehnen. Auf die Frage der Abgrenzung zwischen posttraumatischer Belastungsstörung und andauernder Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung kommt es nicht an (s.o.).

Der Antrag nach § 109 SGG war mangels Statthaftigkeit abzulehnen, soweit beantragt wurde, Dipl.-Psych. F als Sachverständige zu hören. Sie ist kein approbierter Arzt und kommt daher als Gutachterin nach § 109 SGG offensichtlich nicht Betracht. Im Übrigen war der Antrag nach § 109 SGG mangels Benennung eines tauglichen Gutachters wegen Unvollständigkeit abzulehnen.

Die Klage war nach alledem, soweit sie über die tenorierte Feststellung und den damit korrespondierenden Zuspruch von Heilbehandlung hinausging, im Übrigen abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG und trägt dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen Rechnung.
Rechtskraft
Aus
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