Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
15
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 15 AS 3265/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Während einer gerichtlich angeordneten Unterbringung im Rahmen des Maßregelvollzuges (§ 64 StGB) greift der Leistungsausschluss gem. § 7 Abs. 4 S. 1 SGB II auch dann, wenn der Hilfebedürftige aus der Einrichtung heraus eine Umschulungsmaßnahme in einem Berufsfortbildungswerk aufnimmt.
Eine Vollzeitbildungsmaßnahme in einem Berufsfortbildungswerk ist keine Erwerbstätigkeit von mindestens 15 Stunden wöchentlich im Sinne des § 7 Abs. 4 S. 3 Nr. 2 SGB II.
Eine Vollzeitbildungsmaßnahme in einem Berufsfortbildungswerk ist keine Erwerbstätigkeit von mindestens 15 Stunden wöchentlich im Sinne des § 7 Abs. 4 S. 3 Nr. 2 SGB II.
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Zeitraum Juli 2015 bis Januar 2016.
Der am 22.11.1990 geborene Kläger war seit dem 11.06.2013 zur therapeutischen Behandlung gem. § 64 Strafgesetzbuch im Rahmen des Maßregelvollzuges im Zentrum für Psychiatrie C. (ZfP - Klinik für forensische Psychiatrie und Psychotherapie) untergebracht. Laut Bescheinigung des ZfP vom 24.07.2015 waren mit Genehmigung der Staatsanwaltschaft Lockerungen der Maßregel entsprechend Stufen 5 und 6 eines Lockerungsplanes erfolgt (Stufe 5 seit 29.4.2015: unbegleitete Ausgänge außerhalb des Klinikgeländes; Stufe 6 seit 27.7.2015: Adaptionsphase/Freigang zur Arbeit). Vom ZfP erhielt der Kläger den monatlichen Barbetrag von 107,73 EUR sowie Kleidergeld in Höhe von 23,01 EUR "analog SGB XII".
Am 27.07.2015 beantragte der Kläger beim Beklagten die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II.
Dies lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 12.08.2015 ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, weil er seit dem 11.02.2013 in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung untergebracht sei. Inhaftierte seien mit dem ersten Tag der Unterbringung von Leistungen des SGB II ausgeschlossen. Dies gelte auch für Freigänger und Inhaftierte, denen Vollzugslockerungen zum Zweck der Arbeitssuche bzw. Arbeitsaufnahme eingeräumt worden seien.
Hiergegen erhob der Kläger am 02.09.2015 Widerspruch. Er sei nur noch formal untergebracht, könne sich aber tatsächlich frei bewegen und habe dadurch theoretisch vollen Zugang zum Ar-beitsmarkt. Ab dem 27.07.2015 habe er von der zuständigen Staatsanwaltschaft die Genehmi-gung zur Adaptionsphase/Aufnahme einer Arbeit (Stufe 6) erhalten. Sinn und Zweck dieser Stufe sei es, dass er - ganztags - von der Einrichtung aus eine extramurale Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufnehme und auch sein erarbeitetes Freizeitverhalten aus der vorhergehenden Stufe 5 umsetze und stabilisiere. Zum Nachweis legte er ein weiteres Bestätigungsschreiben des ZfP vom 14.08.2015 vor. Danach habe der Kläger am 29.04.2015 die Genehmigung der zuständigen Staatsanwaltschaft für unbegleitete Ausgänge außerhalb des Klinikgeländes (Lockerungsplan Stufe 5) erhalten, seit dem 27.07.2015 habe er die Genehmigung zum Freigang für die Arbeit (Lockerungsplan Stufe 6). Er sei demnach nur noch ambulant untergebracht und habe nach vorheriger Antragsgenehmigung jederzeit die Möglichkeit einer Arbeit nachzugehen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11.09.2015 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II sei dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung, der den Leistungsausschluss nach sich ziehe, der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Es werde von § 7 Abs. 4 SGB II jede Vollzugsform, so auch die nach § 64 StGB, umfasst. Es komme bei einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung nicht darauf an, ob sie nach der Art ihrer Ausgestaltung eine mindestens dreistündige Erwerbstätigkeit ausschließe oder ob Vollzugslockerungen gewährt würden (Bezug auf BSG, Urteil vom 24.02.2011, B 14 AS 81/09 R). Die Rückausnahme nach § 7 Abs. 4 Nr. 2 SGB II, wonach sich ein Anspruch auch bei Freigängereigenschaft ergeben könne, sei hier nicht erfüllt. Denn diese beinhalte zum einen die Voraussetzung, dass die Aufnahme eines konkreten Beschäftigungsverhältnisses erlaubt und zusätzlich auch tatsächlich ausgeübt werde. Dies sei nicht der Fall. Soweit der Kläger vorbringe, er sei nur noch formal untergebracht, ändere dies nichts an der tatsächlich noch bestehenden Unterbringung.
Hiergegen hat der Kläger am 09.10.2015 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben.
Zur Begründung trägt er vor, die Ablehnung könne nicht auf § 7 SGB II gestützt werden. Es sei vielmehr die Rückausnahme nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II einschlägig. Tatsächlich habe der Kläger zwischenzeitlich eine Umschulung zum Industriemechaniker begonnen. Seit dem 11.01.2016 habe er ein Praktikum aufgenommen. Zum Beleg legte er einen Vertrag über die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme Umschulung zum Industriemechaniker (Zeitraum 13.07.2015 bis 12.07.2017) vor sowie einen Praktikumsvertrag vom 27.11.2015, wonach vom 11.01.2016 bis 08.04.2016 ein Praktikum bei der Firma V. durchgeführt werde.
Seit dem 1.2.2016 wohnt der Kläger zusammen mit seiner Freundin in S. Ab diesem Zeitpunkt hat das Jobcenter Stuttgart der Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II bewilligt. Der Kläger befindet sich weiterhin in therapeutischer Behandlung gem. § 64 StGB (Lockerungsstufe 7); eine Entlassung aus dem Maßregelvollzug ist noch nicht erfolgt.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 12.8.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.9.2015 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm vom 1.7.2015 bis 31.1.2016 Leistun-gen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Bildungsmaßnahme/Umschulung sei keine Erwerbstätigkeit gemäß § 7 Abs. 4 S. 3 Nr. 2 SGB II im Sinne einer auf das Erzielen von Einkünften gerichteten Verwertung der Arbeitskraft.
Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwal-tungsakte sowie den der Gerichtsakte S 15 AS 3265/15 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Der ablehnende Bescheid vom 12.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.09.2015 ist rechtmäßig und ver-letzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat im streitgegenständlichen Zeitraum 01.07.2015 bis 31.01.2016 keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung erhalten gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in Verbindung mit § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II erwerbsfähige Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, wenn sie hilfebedürftig sind.
Einem entsprechendem Anspruch des Klägers steht allerdings vorliegend § 7 Abs. 4 SGB II entgegen. Danach erhält Leistungen nach dem SGB II nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach dem SGB II,
1. wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 SGB V) untergebracht ist oder
2. wer in einer stationären Einrichtung untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
§ 7 Abs. 4 SGB II enthält eine gesetzliche Fiktion, wonach der eigentlich erwerbsfähige Hilfebedürftige als erwerbsunfähig anzusehen und vom Leistungsbezug nach dem SGB II auszuschließen ist. Diese gesetzliche Fiktion kann nur durch tatsächliche Aufnahme einer mindestens 15 Wochenstunden umfassenden Erwerbstätigkeit zu regulären Arbeitsmarktbedingungen widerlegt werden (§ 7 Abs. 4 Satz 3 SGB II; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.03.2016, L 13 AS 4877/13).
Gemäß § 7 Abs. 4 SGB II in der vorangehenden Fassung des 4. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (alte Fassung) erhielt Leistungen nach dem SGB II nicht, wer länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht ist oder Rente wegen Alters bezieht. § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II in der seit dem 1.8.2006 geltenden Fassung sieht dagegen lediglich für den Fall einer tatsächlichen Erwerbstätigkeit eine ausdrückliche Rückausnahme vom Leistungsausschluss vor.
Der 14. Senat des BSG hatte in Bezug auf die alte Fassung des § 7 Abs. 4 SGB II einen vom SGB XII getrennten eigenständigen funktional ausgerichteten Einrichtungsbegriff für das SGB II entwickelt. Danach kam es für die Einordnung einer Einrichtung als stationär darauf an, ob der in der Einrichtung Untergebrachte aufgrund der objektiven Struktur der Einrichtung in der Lage war, wöchentlich 15 Stunden (bzw. täglich 3 Stunden) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig zu sein (BSG, Urteil vom 06.09.2007, B 14/7b AS 16/07 R; BSG, Urteil vom 07.05.2009, B 14 AS 16/08 R). Dieser funktionale Einrichtungsbegriff findet für die Auslegung von § 7 Abs. 4 SGB II in der seit dem 01.08.2006 geltenden Fassung keine Anwendung mehr. Zentrales Kriterium wird nunmehr eine tatsächliche Erwerbstätigkeit im Umfang von 15 Wo-chenstunden unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes (BSG, Urteil vom 05.06.2014, B 4 AS 32/13 R, juris Rdnr. 23; BSG, Urteil vom 02.12.2014, B 14 AS 35/13 R, juris Rdnr. 20).
Nach dieser nunmehr modifizierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts müssen für das Eingreifen eines Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II drei Voraussetzungen vorliegen: In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob es sich um eine Leistungserbringung in einer Einrichtung handelt. In einem zweiten Schritt kommt es darauf an, ob Leistungen stationär er-bracht werden. Dritte Voraussetzung ist die Unterbringung in der stationären Einrichtung. Es reicht nicht aus, dass die Einrichtung (auch) stationäre Leistungen erbringt, ferner genügt nicht bereits ein geringes Maß an Unterbringung im Sinne einer formellen Aufnahme. Von einer Un-terbringung ist nur auszugehen, wenn der Träger der Einrichtung nach Maßgabe seines Konzep-tes die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung und die Integration des Hilfebe-dürftigen übernimmt (BSG, Urteil vom 05.06.2014, B 4 AS 3213 R, juris Rdnr. 24 - 28; BSG, Urteil vom 02.12.2014, B 14 AS 35/13 R, juris Rdnr. 21; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.03.2016, L 13 AS 4877/13, juris Rdnr. 28).
Gemessen an dieser Rechtsprechung war der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum im zfp in einer Einrichtung im Sinne von § 7 Abs. 4 SGB II stationär untergebracht. Bei stationären Leistungen handelt es sich typischerweise um Gesamtleistungen, die Unterkunft und Verpfle-gung einschließen, wobei auf die Art der jeweiligen Hilfemaßnahme und das Konzept der in Anspruch genommenen Einrichtung abzustellen ist. Will die Einrichtung die Führung eines selbständigen Lebens vermitteln, ist die Hilfe dann als stationär anzusehen, wenn der Einrichtungsträger nach Maßgabe des angewandten Gesamtkonzeptes die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung des Aufgenommenen übernimmt (Bayerisches LSG, Urteil vom 17.9.2014, L 16 AS 813/13, juris Rnr. 37; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 3.12.2014, L 19 AS 1600/11, Rn. 23 für Unterbringung in einem Wohnprojekt im Rahmen des Maßregelvollzugs).
Im Rahmen der Unterbringung im Maßregelvollzug wurde der Kläger im zfp therapeutisch be-treut und erhielt auch darüber hinaus von der Einrichtung alle erforderlichen Leistungen in Form von Unterkunft, Nahrung, Barbetrag und Kleidergeld.
Der Erfüllung des Kriteriums eines stationären Aufenthalts des Klägers steht nicht entgegen, dass der Kläger entsprechend dem in den Verwaltungsakten enthaltenen Lockerungsplan seit dem 29.04.2015 die Lockerungsstufe 5 bzw. seit dem 27.07.2015 die Lockerungsstufe 6 erreicht hatte. Auch wenn nach Lockerungsstufe 5 unbegleitete Ausgänge außerhalb des Klinikgeländes möglich sind, der Aufbau eines stabilisierenden Freizeitverhaltens sowie die Kontaktgestaltung zu einem suchtmittelfreien Umfeld, darüber hinaus die Kontaktierung der Agentur für Arbeit und anderer Behörden vorgesehen ist und in Stufe 6 der Patient ganztags von der Einrichtung aus einer extramuralen Tätigkeit nachgehen soll, bleibt es dabei, dass die Einrichtung in diesem Zeitraum nach Maßgabe eines Konzepts (eben Lockerungsstufe 5 bzw. 6) weiterhin die Gesamtverordnung für die tägliche Lebensführung und Integration des Klägers hat. Hierfür spricht z. B., dass in Stufe 5 sämtliche Ausgänge vom Patienten schriftlich zu beantragen und gegebenenfalls vor- und nachzubesprechen sind. In Stufe 6 bleibt der Patient ausdrücklich in Form von Diensten, Patientenversammlungen und Kontakten zum Behandlungsteam in den Ablauf der Station eingebunden. Der Verlauf der Erprobung einer Tätigkeit außerhalb der Klinik steht durch die täglichen Kontakte mit dem Pflegeteam sowie den regelmäßigen Kontakten zum Sozialdienst und der Bezugspflege unter einer engen Kontrolle.
Erst ab dem 01.02.2016 hat der Kläger vom zfp keine Gesamtleistung mehr erhalten, die neben der therapeutischen Begleitung auch Unterkunft und Verpflegung einschloss. Mit dem Auszug des Klägers in eine eigenständige Wohnung zusammen mit seiner Freundin hat das zfp die Ge-samtverantwortung für die tägliche Lebensführung und Integration des Klägers fast vollständig an diesen selbst abgegeben. Nach der vom Kläger nunmehr erreichten Lockerungsstufe 7 erfolgt die weitere therapeutische Betreuung nur noch ambulant. Die Versorgung des Klägers als Teil der Leistungserbringung ist mit dem Umzug in die eigene Wohnung aufgehoben worden. Diese Form der Leistungserbringung stellt keine stationäre Leistungserbringung mehr dar (ebenso für den Fall einer dauerhaften Beurlaubung in eine eigene Wohnung bzw. "Probewohnen" im Rahmen des Maßregelvollzuges nach § 64 StGB: Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 17.9.2014, L 16 AS 813/13, juris Rn. 38 f.; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24.3.2015, L 7 AS 1504/13, juris Rn. 22). Entsprechend den Angaben des Sozialdienstes gegenüber dem Gericht folgt bei problemlosem Verlauf der Lockerungsstufe 7 der Entlassungsantrag, so dass auch nach Ende der Umschulung keine Rückkehr in die stationäre Einrichtung zu erwarten ist. Dementsprechend folgerichtig hat das Jobcenter S. dem Kläger ab dem 01.02.2016 Leistungen nach dem SGB II bewilligt. Der entsprechende Leistungsanspruch des Klägers ist allerdings nicht mehr Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens.
Nach alledem hat der Kläger zur Überzeugung der Kammer im streitgegenständlichen Zeitraum 1.7.2015 bis 31.1.2016 trotz Erreichens der Lockerungsstufen 5 und 6 in einer stationären Ein-richtung im Sinne von § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II gelebt und war insoweit vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen.
Damit kommt es maßgeblich darauf an, ob die vom Kläger zum 13.7.2015 begonnene Umschu-lung eine tatsächliche Erwerbstätigkeit in einem Umfang von mindestens 15 Stunden wöchent-lich im Sinne der Rückausnahme des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II darstellt. Erst mit tatsächli-cher Ausübung einer solchen Tätigkeit wäre die Fiktion fehlender Erwerbsfähigkeit zwingend widerlegt; die reine Möglichkeit der Aufnahme einer mindestens 15-stündigen Erwerbstätigkeit reicht nicht aus.
Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers nicht erfüllt. Eine Vollzeitbildungsmaßnahme in einem Berufsfortbildungswerk mit dem Ziel eines qualifizierten Berufsabschlusses ist keine Erwerbstätigkeit von mindestens 15 Stunden wöchentlich. Sie ist einer derartigen Erwerbstätig-keit auch nicht gleichzustellen.
Bei einer Erwerbstätigkeit im Sinne des § 7 Abs. 4 S. 3 Nr. 2 SGB II kann es sich um eine ab-hängige Beschäftigung oder um eine selbständige Tätigkeit handeln. Eine Beschäftigung muss sich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes vollziehen. Dies ist gege-ben, wenn die Bedingungen des Arbeitsverhältnisses hinsichtlich Arbeitsentgelt, Arbeitsort sowie -dauer, Lage und Verteilung der Arbeitszeit den Bedingungen der Mehrheit der Arbeitsverhältnisse entsprechen (vgl. nur Leopold in juris-PK-SGB II, § 7, Rn. 252; diesen Anforderungen entsprechen beispielsweise Beschäftigungen in einer Justizvollzugsanstalt oder Werkstätte für Behinderte ebenso wenig wie Tätigkeiten mit Mehraufwandsentschädigung, sog. 1-EUR-Job).
Den genannten Anforderungen genügt die vom Kläger begonnene Umschulung nicht, denn der Kläger steht weder in einem Beschäftigungsverhältnis noch erhält er für seine Tätigkeit eine Vergütung.
Laut dem vom Kläger vorgelegten Bildungsvertrag mit dem Berufsfortbildungswerk (bfw S.) nimmt er im Zeitraum 13.07.2015 bis 12.07.2017 an der Bildungsmaßnahme "Umschulung In-dustriemechaniker/in Fachrichtung Feingerätebau" mit dem Bildungsziel "Facharbeiterbrief Industriemechaniker/Feingerätebau" teil. Es handelt sich um eine Bildungsmaßnahme der beruflichen Erwachsenenbildung mit einer wöchentlichen Unterrichtszeit von 37,5 Stunden. Die Bildungsmaßnahme erfolgt in Form eines schulischen Lehrgangs; die Lehrgangsgebühren betragen monatlich 866,11 Euro. Der Kläger erhält für seine Tätigkeit keine Vergütung. Sowohl das Kriterium der schulischen Ausbildung als auch die fehlende Entlohnung sprechen gegen eine Einordnung der Tätigkeit als Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes im Sinne der Vorschrift des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II.
Etwas anderes gilt auch nicht für den Zeitraum, in dem der Kläger das Praktikum bei der Firma V. in L. durchgeführt hat (laut Praktikumsvertrag im Zeitraum 11.01.2016 bis 08.04.2016). Ein Arbeitsverhältnis zum Praktikumsbetrieb sollte erkennbar nicht begründet werden. Verantwortlicher Bildungsträger blieb auch in diesem Zeitraum weiterhin das bfw. Eine Praktikumsvergütung hat der Kläger vom Praktikumsbetrieb nicht erhalten. Eine weitergehende Integration in den Praktikumsbetrieb ist nicht erfolgt. Auch während des Praktikumszeitraums fand demzufolge keine Erwerbstätigkeit zu regulären Arbeitsmarktbedingungen statt.
Nach alledem greift die Rückausnahmevorschrift des § 7 Abs. 4 S. 3 SGB II nicht ein; es bleibt beim Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II. Die Klage konnte aus diesen Gründen keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Zeitraum Juli 2015 bis Januar 2016.
Der am 22.11.1990 geborene Kläger war seit dem 11.06.2013 zur therapeutischen Behandlung gem. § 64 Strafgesetzbuch im Rahmen des Maßregelvollzuges im Zentrum für Psychiatrie C. (ZfP - Klinik für forensische Psychiatrie und Psychotherapie) untergebracht. Laut Bescheinigung des ZfP vom 24.07.2015 waren mit Genehmigung der Staatsanwaltschaft Lockerungen der Maßregel entsprechend Stufen 5 und 6 eines Lockerungsplanes erfolgt (Stufe 5 seit 29.4.2015: unbegleitete Ausgänge außerhalb des Klinikgeländes; Stufe 6 seit 27.7.2015: Adaptionsphase/Freigang zur Arbeit). Vom ZfP erhielt der Kläger den monatlichen Barbetrag von 107,73 EUR sowie Kleidergeld in Höhe von 23,01 EUR "analog SGB XII".
Am 27.07.2015 beantragte der Kläger beim Beklagten die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II.
Dies lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 12.08.2015 ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, weil er seit dem 11.02.2013 in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung untergebracht sei. Inhaftierte seien mit dem ersten Tag der Unterbringung von Leistungen des SGB II ausgeschlossen. Dies gelte auch für Freigänger und Inhaftierte, denen Vollzugslockerungen zum Zweck der Arbeitssuche bzw. Arbeitsaufnahme eingeräumt worden seien.
Hiergegen erhob der Kläger am 02.09.2015 Widerspruch. Er sei nur noch formal untergebracht, könne sich aber tatsächlich frei bewegen und habe dadurch theoretisch vollen Zugang zum Ar-beitsmarkt. Ab dem 27.07.2015 habe er von der zuständigen Staatsanwaltschaft die Genehmi-gung zur Adaptionsphase/Aufnahme einer Arbeit (Stufe 6) erhalten. Sinn und Zweck dieser Stufe sei es, dass er - ganztags - von der Einrichtung aus eine extramurale Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufnehme und auch sein erarbeitetes Freizeitverhalten aus der vorhergehenden Stufe 5 umsetze und stabilisiere. Zum Nachweis legte er ein weiteres Bestätigungsschreiben des ZfP vom 14.08.2015 vor. Danach habe der Kläger am 29.04.2015 die Genehmigung der zuständigen Staatsanwaltschaft für unbegleitete Ausgänge außerhalb des Klinikgeländes (Lockerungsplan Stufe 5) erhalten, seit dem 27.07.2015 habe er die Genehmigung zum Freigang für die Arbeit (Lockerungsplan Stufe 6). Er sei demnach nur noch ambulant untergebracht und habe nach vorheriger Antragsgenehmigung jederzeit die Möglichkeit einer Arbeit nachzugehen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11.09.2015 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II sei dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung, der den Leistungsausschluss nach sich ziehe, der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Es werde von § 7 Abs. 4 SGB II jede Vollzugsform, so auch die nach § 64 StGB, umfasst. Es komme bei einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung nicht darauf an, ob sie nach der Art ihrer Ausgestaltung eine mindestens dreistündige Erwerbstätigkeit ausschließe oder ob Vollzugslockerungen gewährt würden (Bezug auf BSG, Urteil vom 24.02.2011, B 14 AS 81/09 R). Die Rückausnahme nach § 7 Abs. 4 Nr. 2 SGB II, wonach sich ein Anspruch auch bei Freigängereigenschaft ergeben könne, sei hier nicht erfüllt. Denn diese beinhalte zum einen die Voraussetzung, dass die Aufnahme eines konkreten Beschäftigungsverhältnisses erlaubt und zusätzlich auch tatsächlich ausgeübt werde. Dies sei nicht der Fall. Soweit der Kläger vorbringe, er sei nur noch formal untergebracht, ändere dies nichts an der tatsächlich noch bestehenden Unterbringung.
Hiergegen hat der Kläger am 09.10.2015 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben.
Zur Begründung trägt er vor, die Ablehnung könne nicht auf § 7 SGB II gestützt werden. Es sei vielmehr die Rückausnahme nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II einschlägig. Tatsächlich habe der Kläger zwischenzeitlich eine Umschulung zum Industriemechaniker begonnen. Seit dem 11.01.2016 habe er ein Praktikum aufgenommen. Zum Beleg legte er einen Vertrag über die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme Umschulung zum Industriemechaniker (Zeitraum 13.07.2015 bis 12.07.2017) vor sowie einen Praktikumsvertrag vom 27.11.2015, wonach vom 11.01.2016 bis 08.04.2016 ein Praktikum bei der Firma V. durchgeführt werde.
Seit dem 1.2.2016 wohnt der Kläger zusammen mit seiner Freundin in S. Ab diesem Zeitpunkt hat das Jobcenter Stuttgart der Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II bewilligt. Der Kläger befindet sich weiterhin in therapeutischer Behandlung gem. § 64 StGB (Lockerungsstufe 7); eine Entlassung aus dem Maßregelvollzug ist noch nicht erfolgt.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 12.8.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.9.2015 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm vom 1.7.2015 bis 31.1.2016 Leistun-gen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Bildungsmaßnahme/Umschulung sei keine Erwerbstätigkeit gemäß § 7 Abs. 4 S. 3 Nr. 2 SGB II im Sinne einer auf das Erzielen von Einkünften gerichteten Verwertung der Arbeitskraft.
Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwal-tungsakte sowie den der Gerichtsakte S 15 AS 3265/15 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Der ablehnende Bescheid vom 12.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.09.2015 ist rechtmäßig und ver-letzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat im streitgegenständlichen Zeitraum 01.07.2015 bis 31.01.2016 keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung erhalten gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in Verbindung mit § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II erwerbsfähige Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, wenn sie hilfebedürftig sind.
Einem entsprechendem Anspruch des Klägers steht allerdings vorliegend § 7 Abs. 4 SGB II entgegen. Danach erhält Leistungen nach dem SGB II nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach dem SGB II,
1. wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 SGB V) untergebracht ist oder
2. wer in einer stationären Einrichtung untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
§ 7 Abs. 4 SGB II enthält eine gesetzliche Fiktion, wonach der eigentlich erwerbsfähige Hilfebedürftige als erwerbsunfähig anzusehen und vom Leistungsbezug nach dem SGB II auszuschließen ist. Diese gesetzliche Fiktion kann nur durch tatsächliche Aufnahme einer mindestens 15 Wochenstunden umfassenden Erwerbstätigkeit zu regulären Arbeitsmarktbedingungen widerlegt werden (§ 7 Abs. 4 Satz 3 SGB II; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.03.2016, L 13 AS 4877/13).
Gemäß § 7 Abs. 4 SGB II in der vorangehenden Fassung des 4. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (alte Fassung) erhielt Leistungen nach dem SGB II nicht, wer länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht ist oder Rente wegen Alters bezieht. § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II in der seit dem 1.8.2006 geltenden Fassung sieht dagegen lediglich für den Fall einer tatsächlichen Erwerbstätigkeit eine ausdrückliche Rückausnahme vom Leistungsausschluss vor.
Der 14. Senat des BSG hatte in Bezug auf die alte Fassung des § 7 Abs. 4 SGB II einen vom SGB XII getrennten eigenständigen funktional ausgerichteten Einrichtungsbegriff für das SGB II entwickelt. Danach kam es für die Einordnung einer Einrichtung als stationär darauf an, ob der in der Einrichtung Untergebrachte aufgrund der objektiven Struktur der Einrichtung in der Lage war, wöchentlich 15 Stunden (bzw. täglich 3 Stunden) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig zu sein (BSG, Urteil vom 06.09.2007, B 14/7b AS 16/07 R; BSG, Urteil vom 07.05.2009, B 14 AS 16/08 R). Dieser funktionale Einrichtungsbegriff findet für die Auslegung von § 7 Abs. 4 SGB II in der seit dem 01.08.2006 geltenden Fassung keine Anwendung mehr. Zentrales Kriterium wird nunmehr eine tatsächliche Erwerbstätigkeit im Umfang von 15 Wo-chenstunden unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes (BSG, Urteil vom 05.06.2014, B 4 AS 32/13 R, juris Rdnr. 23; BSG, Urteil vom 02.12.2014, B 14 AS 35/13 R, juris Rdnr. 20).
Nach dieser nunmehr modifizierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts müssen für das Eingreifen eines Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II drei Voraussetzungen vorliegen: In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob es sich um eine Leistungserbringung in einer Einrichtung handelt. In einem zweiten Schritt kommt es darauf an, ob Leistungen stationär er-bracht werden. Dritte Voraussetzung ist die Unterbringung in der stationären Einrichtung. Es reicht nicht aus, dass die Einrichtung (auch) stationäre Leistungen erbringt, ferner genügt nicht bereits ein geringes Maß an Unterbringung im Sinne einer formellen Aufnahme. Von einer Un-terbringung ist nur auszugehen, wenn der Träger der Einrichtung nach Maßgabe seines Konzep-tes die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung und die Integration des Hilfebe-dürftigen übernimmt (BSG, Urteil vom 05.06.2014, B 4 AS 3213 R, juris Rdnr. 24 - 28; BSG, Urteil vom 02.12.2014, B 14 AS 35/13 R, juris Rdnr. 21; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.03.2016, L 13 AS 4877/13, juris Rdnr. 28).
Gemessen an dieser Rechtsprechung war der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum im zfp in einer Einrichtung im Sinne von § 7 Abs. 4 SGB II stationär untergebracht. Bei stationären Leistungen handelt es sich typischerweise um Gesamtleistungen, die Unterkunft und Verpfle-gung einschließen, wobei auf die Art der jeweiligen Hilfemaßnahme und das Konzept der in Anspruch genommenen Einrichtung abzustellen ist. Will die Einrichtung die Führung eines selbständigen Lebens vermitteln, ist die Hilfe dann als stationär anzusehen, wenn der Einrichtungsträger nach Maßgabe des angewandten Gesamtkonzeptes die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung des Aufgenommenen übernimmt (Bayerisches LSG, Urteil vom 17.9.2014, L 16 AS 813/13, juris Rnr. 37; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 3.12.2014, L 19 AS 1600/11, Rn. 23 für Unterbringung in einem Wohnprojekt im Rahmen des Maßregelvollzugs).
Im Rahmen der Unterbringung im Maßregelvollzug wurde der Kläger im zfp therapeutisch be-treut und erhielt auch darüber hinaus von der Einrichtung alle erforderlichen Leistungen in Form von Unterkunft, Nahrung, Barbetrag und Kleidergeld.
Der Erfüllung des Kriteriums eines stationären Aufenthalts des Klägers steht nicht entgegen, dass der Kläger entsprechend dem in den Verwaltungsakten enthaltenen Lockerungsplan seit dem 29.04.2015 die Lockerungsstufe 5 bzw. seit dem 27.07.2015 die Lockerungsstufe 6 erreicht hatte. Auch wenn nach Lockerungsstufe 5 unbegleitete Ausgänge außerhalb des Klinikgeländes möglich sind, der Aufbau eines stabilisierenden Freizeitverhaltens sowie die Kontaktgestaltung zu einem suchtmittelfreien Umfeld, darüber hinaus die Kontaktierung der Agentur für Arbeit und anderer Behörden vorgesehen ist und in Stufe 6 der Patient ganztags von der Einrichtung aus einer extramuralen Tätigkeit nachgehen soll, bleibt es dabei, dass die Einrichtung in diesem Zeitraum nach Maßgabe eines Konzepts (eben Lockerungsstufe 5 bzw. 6) weiterhin die Gesamtverordnung für die tägliche Lebensführung und Integration des Klägers hat. Hierfür spricht z. B., dass in Stufe 5 sämtliche Ausgänge vom Patienten schriftlich zu beantragen und gegebenenfalls vor- und nachzubesprechen sind. In Stufe 6 bleibt der Patient ausdrücklich in Form von Diensten, Patientenversammlungen und Kontakten zum Behandlungsteam in den Ablauf der Station eingebunden. Der Verlauf der Erprobung einer Tätigkeit außerhalb der Klinik steht durch die täglichen Kontakte mit dem Pflegeteam sowie den regelmäßigen Kontakten zum Sozialdienst und der Bezugspflege unter einer engen Kontrolle.
Erst ab dem 01.02.2016 hat der Kläger vom zfp keine Gesamtleistung mehr erhalten, die neben der therapeutischen Begleitung auch Unterkunft und Verpflegung einschloss. Mit dem Auszug des Klägers in eine eigenständige Wohnung zusammen mit seiner Freundin hat das zfp die Ge-samtverantwortung für die tägliche Lebensführung und Integration des Klägers fast vollständig an diesen selbst abgegeben. Nach der vom Kläger nunmehr erreichten Lockerungsstufe 7 erfolgt die weitere therapeutische Betreuung nur noch ambulant. Die Versorgung des Klägers als Teil der Leistungserbringung ist mit dem Umzug in die eigene Wohnung aufgehoben worden. Diese Form der Leistungserbringung stellt keine stationäre Leistungserbringung mehr dar (ebenso für den Fall einer dauerhaften Beurlaubung in eine eigene Wohnung bzw. "Probewohnen" im Rahmen des Maßregelvollzuges nach § 64 StGB: Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 17.9.2014, L 16 AS 813/13, juris Rn. 38 f.; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24.3.2015, L 7 AS 1504/13, juris Rn. 22). Entsprechend den Angaben des Sozialdienstes gegenüber dem Gericht folgt bei problemlosem Verlauf der Lockerungsstufe 7 der Entlassungsantrag, so dass auch nach Ende der Umschulung keine Rückkehr in die stationäre Einrichtung zu erwarten ist. Dementsprechend folgerichtig hat das Jobcenter S. dem Kläger ab dem 01.02.2016 Leistungen nach dem SGB II bewilligt. Der entsprechende Leistungsanspruch des Klägers ist allerdings nicht mehr Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens.
Nach alledem hat der Kläger zur Überzeugung der Kammer im streitgegenständlichen Zeitraum 1.7.2015 bis 31.1.2016 trotz Erreichens der Lockerungsstufen 5 und 6 in einer stationären Ein-richtung im Sinne von § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II gelebt und war insoweit vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen.
Damit kommt es maßgeblich darauf an, ob die vom Kläger zum 13.7.2015 begonnene Umschu-lung eine tatsächliche Erwerbstätigkeit in einem Umfang von mindestens 15 Stunden wöchent-lich im Sinne der Rückausnahme des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II darstellt. Erst mit tatsächli-cher Ausübung einer solchen Tätigkeit wäre die Fiktion fehlender Erwerbsfähigkeit zwingend widerlegt; die reine Möglichkeit der Aufnahme einer mindestens 15-stündigen Erwerbstätigkeit reicht nicht aus.
Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers nicht erfüllt. Eine Vollzeitbildungsmaßnahme in einem Berufsfortbildungswerk mit dem Ziel eines qualifizierten Berufsabschlusses ist keine Erwerbstätigkeit von mindestens 15 Stunden wöchentlich. Sie ist einer derartigen Erwerbstätig-keit auch nicht gleichzustellen.
Bei einer Erwerbstätigkeit im Sinne des § 7 Abs. 4 S. 3 Nr. 2 SGB II kann es sich um eine ab-hängige Beschäftigung oder um eine selbständige Tätigkeit handeln. Eine Beschäftigung muss sich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes vollziehen. Dies ist gege-ben, wenn die Bedingungen des Arbeitsverhältnisses hinsichtlich Arbeitsentgelt, Arbeitsort sowie -dauer, Lage und Verteilung der Arbeitszeit den Bedingungen der Mehrheit der Arbeitsverhältnisse entsprechen (vgl. nur Leopold in juris-PK-SGB II, § 7, Rn. 252; diesen Anforderungen entsprechen beispielsweise Beschäftigungen in einer Justizvollzugsanstalt oder Werkstätte für Behinderte ebenso wenig wie Tätigkeiten mit Mehraufwandsentschädigung, sog. 1-EUR-Job).
Den genannten Anforderungen genügt die vom Kläger begonnene Umschulung nicht, denn der Kläger steht weder in einem Beschäftigungsverhältnis noch erhält er für seine Tätigkeit eine Vergütung.
Laut dem vom Kläger vorgelegten Bildungsvertrag mit dem Berufsfortbildungswerk (bfw S.) nimmt er im Zeitraum 13.07.2015 bis 12.07.2017 an der Bildungsmaßnahme "Umschulung In-dustriemechaniker/in Fachrichtung Feingerätebau" mit dem Bildungsziel "Facharbeiterbrief Industriemechaniker/Feingerätebau" teil. Es handelt sich um eine Bildungsmaßnahme der beruflichen Erwachsenenbildung mit einer wöchentlichen Unterrichtszeit von 37,5 Stunden. Die Bildungsmaßnahme erfolgt in Form eines schulischen Lehrgangs; die Lehrgangsgebühren betragen monatlich 866,11 Euro. Der Kläger erhält für seine Tätigkeit keine Vergütung. Sowohl das Kriterium der schulischen Ausbildung als auch die fehlende Entlohnung sprechen gegen eine Einordnung der Tätigkeit als Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes im Sinne der Vorschrift des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II.
Etwas anderes gilt auch nicht für den Zeitraum, in dem der Kläger das Praktikum bei der Firma V. in L. durchgeführt hat (laut Praktikumsvertrag im Zeitraum 11.01.2016 bis 08.04.2016). Ein Arbeitsverhältnis zum Praktikumsbetrieb sollte erkennbar nicht begründet werden. Verantwortlicher Bildungsträger blieb auch in diesem Zeitraum weiterhin das bfw. Eine Praktikumsvergütung hat der Kläger vom Praktikumsbetrieb nicht erhalten. Eine weitergehende Integration in den Praktikumsbetrieb ist nicht erfolgt. Auch während des Praktikumszeitraums fand demzufolge keine Erwerbstätigkeit zu regulären Arbeitsmarktbedingungen statt.
Nach alledem greift die Rückausnahmevorschrift des § 7 Abs. 4 S. 3 SGB II nicht ein; es bleibt beim Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II. Die Klage konnte aus diesen Gründen keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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