S 9 R 1190/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Konstanz (BWB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 1190/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
§ 255 Abs. 2 S. 1 SGB V geht als lex specialis den allgemeinen Aufhebungs- und Erstattungsvorschriften des SGB X vor, wobei dieser Grundsatz in der Vorbehaltsregelung des § 37 SGB I kodifiziert ist.
Ein atypischer Fall, der die Ausübung von Ermessen erforderlich macht, kann nicht nur dann vorliegen, wenn die Beklagte ein Mitverschulden an der rechtswidrigen Leistungsgewährung trifft, sondern auch dann, wenn ein Mitverschulden eines anderen Sozialversicherungsträgers vorliegt.
Der Bescheid vom 23.08.2017 und der Widerspruchsbescheid vom 03.05.2018 werden insoweit aufgehoben, als für den Zeitraum vom 01.04.2002 bis 31.01.2017 Beitragszuschüsse zur Krankenversicherung in Höhe von 13.337,81 EUR und zur Pflegeversicherung in Höhe von 210,72 EUR zurückgefordert werden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger 2/3 seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten zur erstatten.

Tatbestand:

Der am xx.xx.1936 geborene Kläger wendet sich einerseits gegen die Rückforderung von Zuschüssen zur Kranken- und Pflegeversicherung für den Zeitraum vom 01.04.2002 bis zum 31.01.2017 sowie andererseits gegen die Aufrechnung der im Zeitraum vom 01.01.2013 bis 31.01.2017 nicht einbehaltenen Kranken -und Pflegeversicherungsbeiträge mit der Rente.

Mit den Bescheiden vom 17.06.1998 wurden dem Kläger aufgrund der freiwilligen Mitgliedschaft bei der BKK M. ein Beitragszuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung zu seiner Rente gewährt. Dabei hatte der Kläger die freiwilligen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung selbst an die BKK M. zu entrichten. Unter der Rubrik Mitteilungspflichten und Hinweise wurde der Kläger darüber informiert, dass eine gesetzliche Verpflichtung bestünde, jede Änderung des Kranken- und Pflegversicherungsverhältnisses unverzüglich mitzuteilen. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass der Anspruch auf Beitragszuschuss u. a. bei Eintritt der Krankenversicherungspflicht entfalle. Zudem wurde er darüber informiert, dass der Beitragszuschuss für die Pflegeversicherung bei Eintritt der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung sowie bei Eintritt einer Beitragsfreiheit in der Pflegeversicherung entfalle. Auch wurde er darauf hingewiesen, dass die überzahlten Beträge zurückgefordert werden würden, wenn der Mitteilungspflicht nicht genügt werden sollte.

Mit Schreiben vom 09.04.2002 hatte die BKK M. den Kläger darauf hingewiesen, dass seine freiwillige Versicherung mit dem 31.03.2002 ende und er ab dem 01.04.2002 als Rentner pflichtversichert sei. Alle Arbeiten, die diese Umstellung mit sich bringen würde, hätte die BKK M. bereits für ihn erledigt. Unter Ziffer 1 des Schreibens wurde ausgeführt, dass der Rentenversicherungsträger informiert worden sei.

Unter dem 16.11.2016 hatte die BKK M. der Beklagten mitgeteilt, dass bei der Durchsicht der Unterlagen festgestellt wurde, dass unter anderem bei dem Kläger ein Beitragszuschuss gewährt werde, obwohl dieser in der Krankenversicherung der Rentner (im Folgenden: KVdR) seit dem 01.04.2002 pflichtversichert ist.

Mit Rentenbescheid vom 10.01.2017 berechnete die Beklagte daraufhin die Rente des Klägers ab dem 01.04.2002 neu und gewährte dem Kläger ab dem 01.02.2017 monatlich 1.214,31 EUR. Für die Zeit vom 01.4.2002 bis zum 31.01.2017 ergäbe sich eine Überzahlung von 19.453,62 EUR. Mit Schreiben vom 10.01.2017 wurde der Kläger hinsichtlich der Einbehaltung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen und dem überzahlten Beitragszuschuss nach § 24 SGB X angehört.

Mit Bescheid vom 23.08.2017 wurde der Bescheid vom 17.06.1998 über die Bewilligung eines Beitragszuschusses mit Wirkung zum 01.04.2002 nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2-4 SGB X aufgehoben und die sich für die Zeit vom 01.04.2002 bis 31.01.2017 ergebende Überzahlung des Beitragszuschusses i. H. v. 13.548,53 EUR gemäß § 50 SGB X zurückgefordert. Mit weiterem Bescheid vom 23.08.2017 wurde die Aufrechnung der für die Zeit vom 01.01.2013 bis 31.01.2017 nicht einbehaltenen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge i. H. v. 5.905,09 EUR erklärt.

Gegen die Bescheide vom 23.08.2017 legte die Bevollmächtigte des Klägers Widerspruch ein. Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die BKK M. dem Kläger mitgeteilt habe, dass ihn betreffenden Datensätze an die Beklagte übermittelt worden seien. Ferner habe der Kläger aufgrund des Schreibens der BKK M., in welchem es unter anderem hieß "Alle Arbeiten, die diese Umstellung mit sich bringt, haben wir für Sie bereits erledigt!", davon ausgehen dürfen, dass er sich um nichts mehr kümmern müsse und ihn keine Mitteilungspflichten treffen. Ferner sei es trotz des unveränderten Zahlbetrages für den Kläger nicht offensichtlich gewesen, dass ein Fehler vorlag. Für den Kläger sei es eine logische Konsequenz gewesen, dass der Auszahlungsbetrag gleichgeblieben sei, da ihm mitgeteilt worden sei, dass die Krankenversicherung der Rentner günstiger werde. Der Kläger habe eine Mitteilungspflicht weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt, weswegen kein Rückforderungsanspruch bestünde. Mit Widerspruchsbescheid vom 03.05.2018 wurde der Widerspruch gegen die beiden Bescheide vom 23.08.2017 zurückgewiesen. Die Voraussetzung für die Gewährung eines Beitragszuschusses zur Krankenversicherung nach § 106 SGB VI und eines Beitragszuschusses zur Pflegeversicherung nach § 106a SGB VI hätten seit dem 01.04.2002 nicht mehr vorgelegen, da der Kläger seit diesem Zeitpunkt in der gesetzlichen Kranken- beziehungsweise Pflegeversicherung pflichtversichert gewesen sei. Es habe sich insgesamt eine Überzahlung i. H. v. 13.578,53 EUR ergeben. Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten sei, sei der Verwaltungsakt gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Sofern der ursprüngliche Verwaltungsakt rechtmäßig ergangen sei, sei eine Änderung regelmäßig dann wesentlich, wenn durch sie dem ursprünglich erlassenen Verwaltungsakt nachträglich die Rechtsgrundlage entzogen werde. Daher seien alle Änderungen wesentlich, die dazu führen würden, dass die Behörde unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen den Verwaltungsakt nicht hätte erlassen dürfen. Unstreitig sei hier, dass die Aufhebung für die Zukunft erfolgen könne. Darüber hinaus könne der Bescheid aber auch mit Wirkung vom 01.04.2002 an aufgehoben werden. Der Kläger sei verpflichtet gewesen, der Beklagten die Aufnahme in die Kranken und Pflegeversicherung bei der BKK M. mitzuteilen. Diese Verpflichtung ergebe sich aus § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB I. Danach habe derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich seien, unverzüglich mitzuteilen. Das gelte selbst dann, wenn die mitzuteilenden Änderungen dem Leistungsträger bereits bekannt sein soll sollten. Diese Pflichtverletzung sei dem Kläger auch subjektiv vorwerfbar. Dem Kläger könne zu mindestens grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden. Insbesondere sei er anlässlich der Gewährung der Beitragszuschüsse mit den Bescheiden vom 17.06.1998 eindeutig und in hinreichender verständlicher Form auf die Mitteilungspflichten gegenüber der Beklagten hingewiesen worden. Dass der Kläger die erteilte Belehrung und Erläuterung aufgrund seiner Urteils- und Kritikfähigkeit sowie seines Einsichtsvermögens nicht habe verstehen können, sei weder vorgetragen noch sei dies ersichtlich geworden. Es lägen vor allem auch keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger krankheits- oder altersbedingt den Inhalt und die Bedeutung nicht hätte verstehen können. Ferner könne der Kläger nicht damit durchdringen, dass er aufgrund des Schreibens der BKK M. davon ausgegangen sei, keine Mitteilungen gegenüber der Beklagten machen zu müsse. Da seitens der Beklagten keine weitere Mitteilung erfolgte, hätte gerade dieser Umstand den Kläger zu einer Nachfrage bei der Beklagten veranlassen müssen. Es könne daher nicht nachvollzogen werden, dass seitens des Klägers seit dem Jahr 2002 keine Mitteilung an die Beklagte erfolgte. Es sei für den Kläger ohne weiteres erkennbar gewesen, dass er die Beklagte über das Ende der freiwilligen Mitgliedschaft zum 31.03.2002 bzw. den Eintritt der Krankenversicherungspflicht zum 01.04.2002 hätte unterrichten müssen. Ferner bedeute nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts das "soll" in § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X, dass der Rentenversicherungsträger den Verwaltungsakt im Regelfall (typischer Fall) rückwirkend aufzuheben habe. Läge jedoch ein Ausnahmefall (atypischer Fall) vor, sei eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen, ob und in welchem Umfang von der gegebenen Aufhebungsmöglichkeit abgesehen werden könne. Die vorliegende Bösgläubigkeit des Klägers habe maßgebliche Bedeutung. Diesem Umstand sei im Rahmen der Ermessensabwägung Vorrang gegenüber sämtlichen anderen Belangen einzuräumen. In diesem Zusammenhang werde darauf hingewiesen, dass bei einem bösgläubigen, der sich auf Vertrauen schlechthin nicht berufen könne, grundsätzlich auch keine "billigenswerten" Interessen rechtlich anzuerkennen seien, dass schuldhaft erlangte ganz oder teilweise zu behalten. In dieser Annahme sei kein Ermessensfehlgebrauch zu erkennen. Es sei somit festzustellen, dass der Kläger Kenntnis über die ab dem 01.04.2002 bestehende Kranken- und Pflegeversicherungspflicht gehabt habe und insoweit Bösgläubigkeit vorläge. Die Voraussetzung nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X seien damit ebenfalls gegeben. Die Gewährung der Beitragszuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung seien auch fristgerecht gemäß § 48 Abs. 4 S. 1 i. V. m. § 45 Abs. 3 S. 3 SGB X und § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X aufgehoben worden. Die Erstattung der zu Unrecht erbrachten Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung i. H. v. insgesamt 13.548,53 EUR stützte sich dabei auf § 50 Abs. 1 SGB X. Hinsichtlich der Einbehaltung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen und der Aufrechnung an der laufenden Rente ergäbe sich die Pflicht zur Nacherhebung der rückständigen Beiträge aus der Rente aus § 255 Abs. 2 SGB V. Unter Berücksichtigung der Verjährung seien daher im Zeitraum vom 01.01.2013 bis 31.01.2017 die nicht von der Rente einbehaltenen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge i. H. v. 5.905,09 EUR an der laufenden Rente einzubehalten.

Mit Schriftsatz vom 04.06.2018 hat die Bevollmächtigte des Klägers Klage vor dem Sozialgericht Konstanz erhoben. Zur Begründung wird das Vorbringen im Widerspruchsverfahren weiter vertieft. Insbesondere habe die BKK M. mit einer E-Mail vom 17.03.2017 bestätigt, dass sie 2002 alle den Kläger betreffenden Datensätze an die Beklagte übermittelt habe. Die Beitragszuschüsse und die nicht einbehaltenen Beiträge seien im Rahmen der monatlichen Altersrente an den Kläger ausbezahlt worden. Dieser habe im Vertrauen auf die Richtigkeit der Rentenleistung diese ausgegeben bzw. verbraucht. Ferner könne auch nicht von einer Mitteilungspflicht wegen einer Änderung der Verhältnisse ausgegangen werden. Es hätten sich nicht die Verhältnisse, sondern der gesetzliche Rahmen durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts verändert. Dadurch habe sich ein rechtlicher Automatismus in Gang gesetzt, nach dem die bis dahin freiwillig versicherten Rentner mit entsprechenden Vorversicherungszeiten aufgrund der neuen Rechts- und Gesetzeslage in die Krankenversicherung der Rentner übergeführt worden seien. Ferner läge auch seitens des Klägers kein grob fahrlässiges Handeln vor. Es sei realitätsfremd, dass der Kläger in Ergänzung zu der von der Krankenkasse angekündigte Informationsweitergabe an die Beklagte von sich aus an sie heranträte. Insbesondere hätte der Kläger weitere fernliegende Überlegung anstellen und/oder dezidierte Kenntnis im Sozialversicherungswesen haben müssen, um erkennen zu können, dass im konkreten Fall der Beklagten etwas mitgeteilt werden müsse. Insofern sei für den Kläger nicht offensichtlich gewesen, dass der gleichbleibende Zahlbetrag seiner Monatsrente fehlerhaft sei.

Die Bevollmächtigte des Klägers beantragt,

den Bescheid vom 23.08.2017 und den Widerspruchsbescheid vom 03.05.2018 insoweit aufzuheben, als für den Zeitraum vom 01.04.2002 bis 31.01.2017 Beitragszuschüsse zur Krankenversicherung in Höhe von 13.337,81 EUR und zur Pflegeversicherung in Höhe von 210,72 EUR zurückgefordert werden, sowie den Bescheid vom 23.08.2017 und den Widerspruchsbescheid vom 03.05.2018 insoweit aufzuheben, als für den Zeitraum vom 01.01.2013 bis 31.01.2017 nicht einbehaltene Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 5.905,09 EUR mit der Rente aufgerechnet werden.

Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt, die Klage abzuweisen.

Verwiesen wird zunächst auf die Begründung in dem Widerspruchsbescheid. Ferner wird zur Begründung vorgebracht, dass vollumfängliche Kenntnisse des Klägers im Sozialversicherungsrecht nicht erforderlich seien, um den bestehenden Mitteilungspflichten entsprechend nachzukommen. Selbst wenn aufgrund der Änderungen des Krankenversicherungsverhältnisses nicht alle daraus resultierenden Folgen für den Kläger abzuschätzen gewesen wären, würde dies den Kläger nicht von den bestehenden Mitteilungspflichten entbinden. Im Rahmen dieser Mitteilungspflicht hätte der Kläger der Beklagten eventuelle Fragen zu den Auswirkungen der Änderungen stellen können.

Die Vorsitzende hat das Sach- und Streitverhältnis mit den Beteiligten am 02.04.2019 erörtert. Ferner hat das Gericht eine Auskunft bei der BKK M. eingeholt. Die BKK M. hat mit Schreiben vom 20.05.2019 dem Gericht die Ausdrucke aus dem damaligen EDV-System übersendet, wonach der maschinelle Datensatz über den Eintritt der Pflichtversicherung am 28.03.2002 an die Beklagte übermittelt wurde.

Wegen weiterer Einzeleinheiten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 54 Abs. 1 SGG als Anfechtungsklage statthafte Klage ist zwar zulässig, aber nur aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Soweit die Beklagte mit Bescheid vom 23.08.2017 und Widerspruchsbescheid vom 03.05.2018 für den Zeitraum vom 01.01.2013 bis 31.01.2017 nicht einbehaltene Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 5.905,09 EUR mit der Rente aufrechnen will, erweisen sich die Bescheide als rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Hinsichtlich der Rückforderung zu Unrecht gezahlter Beitragszuschüsse zur Kranken- (i. H. v. 13.337, 81 EUR) und Pflegeversicherung (i. H. v. 210, 72 EUR) für den Zeitraum vom 01.04.2002 bis 31.01.2017 sind der Bescheid vom 23.08.2017 und der Widerspruchsbescheid vom 03.05.2018 rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 54 Abs. 2 SGG).

Seit der am 01.04.2002 eingetretenen Pflichtmitgliedschaft in der KVdR sind von der Rente entsprechende Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung gemäß § 255 Abs. 1 SGB V i. V. m. § 60 Abs. 1 S. 2 SGB XI einzubehalten. Ist bei der Zahlung der Rente – wie hier – zunächst die Einbehaltung von den Beiträgen unterblieben, sind die rückständigen Beiträge aus der weiterhin zu zahlenden Rente einzubehalten, wobei § 51 Abs. 2 SGB I entsprechend gilt, vgl. § 255 Abs. 2 S. 1 SGB V i. V. m. § 60 Abs. 1 S. 2 SGB XI. Dabei besteht die Pflicht zur nachträglichen Einbehaltung unabhängig von der Schuldfrage hinsichtlich der in der Vergangenheit unterbliebenen Einbehaltung. Selbst wenn die Beklagte den Beitragseinbehalt zunächst schuldhaft unterlassen hätte, berührt dies ihre grundsätzliche Berechtigung zur Nachforderung der Beiträge nicht (hierzu schon BSG, Urt. v. 23.05.1989 – 12 RK 66/87 (Rn. 23); LSG Schleswig-Holstein, Urt. v. 07.03.2013 – L 5 KR 58/11 (Rn. 25) – jeweils juris; NK-GesundhR/Fischinger/Hofer, 2. Aufl. 2018, § 255 SGB V Rn. 8). Zudem unterliegt die Nacherhebung im Grundsatz nicht den §§ 44 ff. SGB X (LSG Hessen, Urt. v. 16.11.2010 – L 2 R 161/10 (Rn. 56) – juris), da die speziellere Regelung des § 255 Abs. 2 S. 1 SGB V als lex specialis den allgemeinen Aufhebungs- und Erstattungsvorschriften des SGB X vorgeht. Dieser Grundsatz wurde in der Vorbehaltsregelung des § 37 SGB I kodifiziert (juris-PK-SGB V/Peters, Stand: 09.08.2018, § 255 SGB V Rn. 41; juris-PK-SGB I/Reyels, Stand: 31.07.2018, § 37 SGB I Rn. 52). Ob vor der beabsichtigten Korrektur des Beitragseinbehalts eine Anhörung nach § 24 SGB X zu erfolgen hat (dafür: juris-PK-SGB V/Peters, Stand: 09.08.2018, § 255 SGB V Rn. 41; dagegen: LSG Bayern, Urt. v. 25.03.1998 – L 13 RA 9/97 (Rn. 21) – juris, nach dessen Ansicht keine Änderung der Rente erfolge, weswegen auch nicht in Rechte i. S. d. § 24 SGB X eingegriffen werde) kann hier offen gelassen werden, da die Beklagte den Kläger mit Schreiben unter dem 10.01.2017 angehört hat. Durch den Verweis in § 255 Abs. 2 S. 1 SGB V auf § 51 Abs. 2 SGB I darf jedoch keine Sozialhilfebedürftigkeit des Versicherten eintreten. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger durch den Beitragseinbehalt der Rückstände hilfebedürftig i. S. d. SGB XII wird, sind hier weder vorgebracht noch nachgewiesen worden. Ferner liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beklagte die einzubehaltenden Beitragsanteile der Höhe nach unzutreffend festgestellt hätte. Die Höhe der einzubehaltenden Beitragsanteile wird im Übrigen auch nicht von dem Kläger in Frage gestellt. Insbesondere hat die Beklagte auch berücksichtigt, dass für den Zeitraum vom 01.04.2002-31.12.2012 nach § 25 SGB IV Verjährung eingetreten ist. Insoweit hat die Klage keinen Erfolg, da sich diesbezüglich der Bescheid vom 23.08.2017 und der Widerspruchsbescheid vom 03.05.2018 als rechtmäßig erweisen.

Mit dem Eintritt der Versicherungspflicht des Klägers am 01.04.2002 entfällt nach § 106 Abs. 1 S. 2 SGB VI gleichzeitig der Anspruch auf den Beitragszuschuss zur freiwilligen Krankenversicherung. Dies gilt entsprechend für den gezahlten Zuschuss zur Pflegeversicherung im Rahmen des bis zum 31.03.2004 geltenden § 106a SGB VI. Die Gewährung eines Zuschusses zur Kranken- und Pflegeversicherung setzt u. a. voraus, dass der Rentenbezieher freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert ist. Endet die freiwillige Versicherung, etwa – weil wie hier – eine Versicherungspflicht eintritt, vgl. § 191 Nr. 2 SGB V, fällt auch der Anspruch auf Beitragszuschuss weg. Dies gilt ebenso im Hinblick auf die Zahlung des Zuschusses zur Pflegeversicherung, wenn der Rentner – wie hier – der Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung nach § 20 Abs. 1 SGB XI unterliegt. In Anbracht dessen ist die Beklagte zurecht davon ausgegangen, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum ab April 2002 keinen Anspruch auf einen Beitragszuschuss mehr haben kann und von einer wesentlichen Änderung i. S. d. § 48 SGB X ausgegangen. Die Beklagte hat den Kläger mit Schreiben unter dem 10.01.2017 angehört.

Soweit – wie vorliegend – nachträglich in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines anfänglichen rechtmäßigen Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X grundsätzlich mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse – also rückwirkend – aufgehoben werden, soweit 1. die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, 2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, 3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder 4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist. Vorliegend ist die Beklagte zurecht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen der Nrn. 2 und 4 der Vorschrift erfüllt worden sind. Mit den Bescheiden vom 17.06.1998 ist dem Kläger aufgrund der freiwilligen Mitgliedschaft bei der BKK M. ein Beitragszuschuss zu seiner Rente gewährt worden. Rentenbezieher, die – wie der Kläger – einen Beitragszuschuss nach Maßgabe der §§ 106, 106a (a. F.) SGB VI erhalten, sind gemäß § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB I und somit nach einer Rechtsvorschrift i. S. d. § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X verpflichtet, Änderungen, die für diese Leistung erheblich sind, unverzüglich mitzuteilen. Entscheidend ist somit – entgegen der Ansicht der Klägerseite – nicht, ob sich die Änderung aufgrund einer Änderung der Rechtslage oder der tatsächlichen Verhältnisse ergibt. Der Kläger ist hier sogar mit Schreiben von der BKK M. unter dem 09.04.2002, ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass seine "( ) freiwillige Versicherung mit dem 31.03.2002 endet und ( ) (er) ab dem 01.04.2002 ( ) als Rentner pflichtversichert ( )" worden sei. Zudem ist der Kläger in den Bescheiden über die Zuschussbewilligung vom 17.06.1998 deutlich und in verständlicher Form darauf hingewiesen worden, dass der Beitragszuschuss unter bestimmten Voraussetzungen entfällt und er verpflichtet ist, solche für den Empfang des Zuschusses wesentlichen Umstände – wie beispielsweise den Eintritt von Versicherungspflicht in der Krankenversicherung – der Beklagten mitzuteilen. Dieser Mitteilungspflicht ist der Kläger hier nicht nachgekommen. Nicht durchdringen kann der Kläger damit, dass er aufgrund des Schreibens der BKK M. unter dem 09.04.2002 davon ausgegangen sei, dass er selbst keine Mitteilung habe vornehmen müssen und die Beklagte entsprechend Ziffer 1 des Schreibens von dem Krankenversicherungsträger informiert worden sei. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kommt es nicht darauf an, ob der Rentenversicherungsträger auf andere Weise – hier durch die Mitteilung der BKK M. – Kenntnis erlangt haben könnte. Begründet wird dies damit, dass es gerade Zweck der Mitteilungspflicht des Leistungsempfängers sei, auch eine – von der Kenntnis beziehungsweise ordnungsgemäßen Unterrichtung des Amtes unabhängige – Überprüfung des Leistungsfalls zu veranlassen (BSG, Urt. v. 12.02.1980 – 7 RAr 13/79 (Rn. 26); siehe auch LSG Hessen, Urt. v. 23.05.2014 – L 5 R 197/12 (Rn. 46) – jeweils juris). Das Gericht teilt insoweit auch die Auffassung der Beklagten, dass der Kläger seiner Mitteilungspflicht grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (i. S. v. § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X) und dass er die Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (i. S. v. § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X). Grobe Fahrlässigkeit i. d. S. liegt gemäß § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 HS. 2 SGB X vor, wenn die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt worden ist. Notwendig ist, dass schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt werden und daher nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. (LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 23.01.2013 – L 5 R 5250/11 (Rn. 39) – juris mit Verweis auf BSG, Urt. v. 08.02.2001 – B 11 AL 21/00 R). Abzustellen ist also darauf, ob dem Kläger unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit ohne weitere Nachforschungen und mit ganz naheliegenden Überlegungen einleuchten und auffallen hätte müssen, dass der Anspruch weggefallen ist (LSG Hessen, Urt. v. 08.06.2018 – L 5 R 138/15 (Rn. 50) – juris). Vorliegend ist der Kläger mit Schreiben der BKK M. vom 09.04.2002 über den Eintritt in die Pflichtversicherung der KVdR zum 01.04.2002 informiert worden. In der Zusammenschau mit den Bescheiden der Beklagten vom 17.06.1998, die unter der Rubrik Mitteilungspflichten und Hinweise die Information enthalten haben, dass der Anspruch auf Beitragszuschuss bei Eintritt von Krankenversicherungspflicht entfalle, hätte dem Kläger auffallen müssen, dass er keinen Anspruch mehr auf den Beitragszuschuss hat. Der Kläger kann hier auch nicht damit durchdringen, dass er sich keine Gedanken darüber gemacht habe, dass sich die Höhe der Rentenzahlung zunächst nicht geändert habe, und dass er nach dem Schreiben der BKK M. vom 09.04.2002 davon ausgegangen sei, selbst keine Mitteilung mehr an die Beklagte vornehmen zu müssen. Die Bescheide über die Zuschussbewilligung vom 17.06.1998 weisen deutlich und in verständlicher Form darauf hin, dass die Verpflichtung besteht, für den Empfang des Zuschusses wesentlichen Umstände – wie etwa den Eintritt von Versicherungspflicht in der Krankenversicherung – der Beklagten mitzuteilen.

Liegen – wie hier – die tatbestandlichen Voraussetzungen einer oder mehrerer Alternativen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X vor, so "soll" der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden. Regelmäßig besteht somit eine Verpflichtung zur rückwirkenden Aufhebung, soweit nicht ein atypischer Fall vorliegt, der die Ausübung von Ermessen erforderlich macht. Dabei ist die Entscheidung, ob ein atypischer Fall vorliegt der Ermessensentscheidung vorgelagert und damit von den Gerichten in vollem Umfang nachprüfbar. Ob ein atypischer Fall vorliegt, ist unter Berücksichtigung des Sinn und Zwecks der jeweiligen Tatbestandsalternative des § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X und der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Entscheidend ist, ob der Einzelfall wegen seiner besonderen Umstände von den Regelfällen des § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X signifikant abweicht (Hauck/Noftz/Merten, SGB X, Stand: 11/18, § 48 Rn. 68 f. mit zahlreichen Nachweisen aus der Rspr. des BSG; aus jüngerer Zeit: BSG, Urt. v. 30.06.2016 – B 5 RE 1/15 R (Rn. 23, 26) – juris; LSG Hessen, Urt. v. 23.05.2014 – L 5 R 197/12 (Rn. 52) – juris m. w. N.).

Von einem atypischen Fall kann ausgegangen werden, wenn die Behörde ein Mitverschulden an der rechtswidrigen Leistungsgewährung trifft (LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 28.09.2000 – L 12 RA 3142/99 (Rn. 42); LSG Schleswig-Holstein, Urt. v. 07.03.2013 – L 5 KR 58/11 (Rn. 34); LSG Hessen, Urt. v. 08.10.2013 – L 2 R 46/12 (Rn. 37) – jeweils juris; differenzierend Hauck/Noftz/Merten, SGB X, Stand: 11/18, § 48 Rn. 72, nach dessen Ansicht das Verschulden des Leistungsträgers überwiegen müsse; a. A. LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 23.01.2013 – L 5 R 5250/11 (Rn. 51) – juris). Streitig ist allerdings, ob dies auch für ein Mitverschulden eines anderen Sozialversicherungsträgers gilt (dafür LSG Schleswig-Holstein, Urt. v. 07.03.2013 – L 5 KR 58/11 (Rn. 34) – juris; Rieker, Anmerkung zu LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 23. 01. 2013 – L 5 R 5250/11, NZS 2013, 662 f; dagegen LSG Baden-Württemberg vom 23.01.2013 – L 5 R 5250/11 (Rn. 51) – juris). Nach der älteren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts scheitert der sozialrechtliche Herstellungsanspruch nicht daran, dass die rechtswidrige Handlung oder Unterlassung einer anderen Behörde zuzurechnen ist (BSG, Urt. 17.12.1980 – 12 RK 34/80 (LS 1, Rn. 32) – juris). In der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wird eine Zurechnung nur bei einer zwischen den beiden Leistungsträgern bestehenden Funktionseinheit vorgenommen (BSG, Urt. v. 06.05.2010 – B 13 R 44/09 (Rn. 31) – juris m. w. N.) Eine solche Funktionseinheit besteht, wenn sich der eine Leistungsträger für die Erfüllung der ihm obliegenden sozialrechtlichen Aufgabe kraft Gesetzes oder Vertrages des anderen Leistungsträgers bedient. (BSG, Urt. v. 17.02.2009 – B 2 U 34/07 R (Rn. 31) – juris). Für die Annahme eines atypischen Falls reicht es nach dem oben ausgeführten aus, dass der Einzelfall auf Grund seiner besonderen Umstände von dem Regelfall der Tatbestände des § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X signifikant abweicht. Dabei genügt es, dass das Verschulden der Sphäre des Leistungsträgers und nicht der des Versicherten zuzuordnen ist. Insofern kann der im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs angewandte Maßstab der Funktionseinheit auch hier herangezogen werden (siehe zum Ganzen: LSG Hessen, Urt. v. 08.10.2013 – L 2 R 46/12 (Rn. 37) – juris m. w. N.). Die Voraussetzungen einer Funktionseinheit zwischen der Beklagten und der BKK M. sind auch erfüllt. Die Beklagte bedient sich bei der Erfüllung ihrer Aufgabe der Krankenversicherung des Klägers. Der Beitragszuschuss ist von dem Bestehen einer freiwilligen Versicherung abhängig. An die Entscheidung durch die Krankenkasse hinsichtlich der freiwilligen Versicherung (§ 9 SGB V) ist der Träger der Rentenversicherung gebunden. Daraus resultieren gesetzliche Mitteilungspflichten. Nach § 201 Abs. 5 SGB V hat die Krankenversicherung das Entstehen einer Versicherungspflicht dem Rentenversicherungsträger unverzüglich mitzuteilen. Umgekehrt treffen den Träger der Rentenversicherung in § 201 Abs. 4 SGB V Mitteilungspflichten gegenüber der Krankenversicherung. Von einer atypischen Fallkonstellation kann bei einer etwaigen unterlassenen Mitteilung des Krankenversicherungsträgers deswegen ausgegangen werden, da diese zeitnah zu erfolgen hat und die Behörde typischerweise pflichtgemäß und nicht schuldhaft handelt. Mehr spricht hier allerdings für ein Mitverschulden der Beklagten, wenngleich sie vorträgt erst mit Schreiben der BKK M. vom 16.11.2016 Kenntnis von der Versicherungspflicht erlangt zu haben. Ausweislich des dem Gericht vorliegenden Ausdrucks aus dem damaligen EDV System der BKK M. wurde der maschinelle Datensatz über den Eintritt der Pflichtversicherung am 28.03.2002 der Beklagten übermittelt. Typischerweise kann davon ausgegangen werden, dass die Beklagte pflichtgemäß die ihr übermittelnden Daten zur Kenntnis nimmt und dementsprechend auch den Wegfall der bewilligten Beitragszuschüsse nicht erst nach mehr als 14 Jahren erkennt. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Abläufe bei der Beklagten so organisiert sind, dass eine einfache Fahrlässigkeit eines Einzelnen nicht dazu führen kann, dass die Mitteilung nicht entsprechend zur Kenntnis gelangt. Bei einer besonderen Nachlässigkeit der Behörde im Sinne grober Fahrlässigkeit muss jedenfalls von einem atypischen Fall ausgegangen werden (LSG Schleswig-Holstein, Urt. v. 07.03.2013 – L 5 KR 58/11 (Rn. 35) – juris mit Verweis auf BSG, Urt. v. 26.06.1986 – L 7 RAr 126/84).

Im Ergebnis liegt mithin nach beiden Konstellationen ein atypischer Fall vor, der zur Ausübung des Ermessens zwingt. Von dem Vorliegen einer Atypik scheint auch die Beklagte (erstmals) im Widerspruchsverfahren ausgegangen zu sein, da sie im Widerspruchsbescheid ausgeführt hat, dass der vorliegenden Bösgläubigkeit eine maßgebliche Bedeutung beigemessen und diesem Umstand im Rahmen der Ermessenabwägung Vorrang gegenüber sämtlichen anderen Belangen eingeräumt werde, mithin also Ermessen ausgeübt hat.

Eine fehlerfreie Ermessensentscheidung liegt gemäß § 39 Abs. 1 S. 1 SGB I vor, wenn der Leistungsträger sein Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausübt und dabei die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einhält. Der von der Ermessensentscheidung Betroffene hat einen damit korrespondierenden Anspruch auf die pflichtgemäße Ausübung fehlerfreien Ermessens (§ 39 Abs. 1 S. 2 SGB I). Nach Maßgabe des § 54 Abs. 2 S. 2 SGG unterliegt die Ermessensentscheidung nur in diesem Umfang einer gerichtlichen Kontrolle. Rechtswidrig können Verwaltungsakte demnach nur in Fällen der Ermessensüberschreitung, der Ermessensunterschreitung oder des Ermessensfehlgebrauchs sein. Die Frage, ob überhaupt eine Ermessensentscheidung ergangen ist, und ob diese gegebenenfalls rechtmäßig war, beurteilt sich dabei nach dem Inhalt des Bescheids. Die Begründung des Bescheids muss erkennen lassen, dass eine Ermessensentscheidung getroffen wurde, und sie muss darüber hinaus auch diejenigen Gesichtspunkte aufzeigen, von denen der Leistungsträger bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist (ausführlich hierzu LSG Hessen, Urt. v. 08.10.2013 – L 2 R 46/12 (Rn. 39) – juris). Die Beklagte hat zwar im Ausgangsbescheid vom 23.08.2017 kein Ermessen ausgeübt, dies aber im Widerspruchsbescheid vom 03.05.2018 nachgeholt. Dabei hat sie die Bösgläubigkeit des Klägers als einzigen Aspekt in die Ermessenserwägung eingestellt. Insofern liegt hier eine Ermessensunterschreitung vor. Eine Ermessensunterschreitung ist dann gegeben, wenn die Notwendigkeit von Ermessenserwägungen erkannt wird und zwar zulässige, jedoch unzureichende Ermessenserwägungen angestellt werden (jurisPK-SGB I/Groth, Stand: 15.03.2018, § 39 Rn. 41). Vorliegend hätte die Beklagte die für den Kläger günstigen Erwägungen, wie ein etwaiges Mitverschulden der BKK M. beziehungsweise ein eigenes Mitverschulden, in ihre Ermessenserwägungen einstellen müssen. Unabhängig von der Frage, wie die Ermessensentscheidung ausfällt, was im Übrigen nach den vorstehenden Ausführungen der gerichtlichen Kontrolle entzogen ist, darf die Behörde die für den Betroffenen günstigen Erwägungen im Rahmen ihrer Ermessensausübung nicht außer Acht lassen. Die Ermessensunterschreitung der Beklagten führt damit zur Rechtswidrigkeit des Ausgangs- und des Widerspruchsbescheids, die auf die Anfechtungsklage hin aufzuheben sind.

Deshalb hat die Klage hinsichtlich des Bescheids vom 23.08.2017 und des Widerspruchsbescheids vom 03.05.2018, betreffend der Rückforderung zu Unrecht gezahlter Beitragszuschüsse zur Kranken- (i. H. v. 13.337, 81 EUR) und Pflegeversicherung (i. H. v. 210, 72 EUR) für den Zeitraum vom 01.04.2002 bis 31.01.2017, Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den nur teilweisen Erfolg der Klage.
Rechtskraft
Aus
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