S 9 U 75/11

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 9 U 75/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 23/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 265/16 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt aufgrund von Schulterbeschwerden Leistungen nach dem SGB VII von der Beklagten – im vorliegenden Verfahren S 9 U 75/11 auf Basis eines Unfalles am 31.1.2010.

Der 1964 geborene Kläger ist selbständiger Zimmermann. Am 31.1.2010 stellte sich der Kläger beim Durchgangsarzt C. vor. Diesem gegenüber gab er an, nach Verlassen der Betriebshalle auf schneeglattem Untergrund ausgerutscht zu sein (der Unfall vom 31.1.2010 ist Gegenstand des Verfahrens S 9 U 75/11). Der Durchgangsarzt notierte, im Röntgen keine Fraktur, aber arthrotische Veränderungen festzustellen, und diagnostizierte eine ausgeprägte Distorsion des rechten Oberarmes / Schultergelenkes, Verdacht auf Rotatorenmanschettenverletzung rechts. Im MRT ergab sich dann eine Ruptur der Supraspinatussehne und eine Teilruptur der Infraspinatussehne, wobei die Verletzungen als frisch eingestuft wurden. Eine radiologische Untersuchung am 4.2.2010 ergab Humeruskopfhochstand, AC-Gelenkarthrose mit Gelenkhyperthrophie und Verschmälerung des Subacromialraumes, komplette Ruptur Supraspinatussehne und Teilruptur der Infraspinatussehne sowie des Musculus subscapularis, Gelenkerguss und Bursitis in der Bursa subdeltoidea subacromialis. Der Kläger stellte sich in der BG-Klinik Frankfurt vor und berichtete dort, dass er bereits am 9.6.1995 einen Arbeitsunfall unter Beteiligung der rechten Schulter gehabt zu haben (der Unfall vom 9.6.1995 ist Gegenstand des Verfahrens S 9 U 74/11). Die Beklagte zog daraufhin die digitalisierten Unterlagen aus dem Archiv heran. Nach dem damaligen Durchgangsarztbericht war der Kläger beim Ausheben eines Grabens ausgerutscht, wodurch sein rechter Arm hochgerissen wurde. Im Röntgen wurde festgestellt, dass keine Knochenverletzung vorlag, gelenkgerechte Stellung. In der Sonographie wurde festgestellt, dass kein Hinweis für eine Rotatorenmanschettenruptur bestand. Der Durchgangsarzt diagnostizierte eine starke Schulterzerrung rechts. Arbeitsunfähigkeit attestierte er zunächst bis 20.6.1995. Zur Behandlung erschien der Kläger zuletzt am 16.6.1995. Den Folgetermin am 21.6.1995 nahm der Kläger nicht mehr wahr. Die BG-Klinik Frankfurt notierte am 12.2.2010, keine äußeren Prellmarken oder Hämatome zu sehen und bewertete die Ruptur der Supraspinatussehne als alt, da sich bereits eine fettige Degeneration und eine Retraktion der Sehne zeige; außerdem sei der Sturz 2010 als alleinige Ursache für die Supraspinatussehnenruptur unwahrscheinlich. Die Beklagte legte den Vorgang ihrem beratenden Arzt Dr. D. vor, der ergänzte, dass im MRT kein Hinweis auf ein Knochenmarködem (Bone Bruise) beschrieben werde. Eine in der BG-Klinik am 22.3.2010 durchgeführte Sonographie ergab nach dortiger Einschätzung weitgehend degenerative Veränderungen sowie deutliche Retraktion des Musculus supraspinatus. Die am selben Tag gefertigten Röntgenbilder zeigten nach dortiger Einschätzung ausgeprägte degenerative Veränderungen in Form einer tropfenförmigen Ausziehung im unteren Anteil der Oberarmkalotte sowie eine leichte spitzzipflige Veränderung des Tuberculum majus, einer deutlichen Einengung des subakromialen Raumes und eines ausgeprägten Oberarmkopfhochstandes. Am 15.4.2010 unterzog sich der Kläger dann in der BG-Klinik einem operativen Eingriff, bei dem auch Sehnengewebe zur histologischen Untersuchung entnommen wurde. Die histologische Untersuchung ergab flammenzüngige Einrisse bei überwiegend jedoch glatten Risskanten, insgesamt mehrzeitige Sehnen bei mucoider Degeneration des benachbarten Sehnengewebes. Die Beklagte holte eine Stellungnahme ihres beratenden Arztes Dr. D. ein, der am 30.6.2010 empfahl, die Einblutung in die Muskulatur als unfallbedingt verursacht zu akzeptieren. Nicht wahrscheinlich sei seines Erachtens hingegen, dass der Unfall 2010 zur Ruptur der Supraspinatussehne und zur Teilruptur der Infraspinatussehne geführt habe. Gegen einen Zusammenhang spreche, dass der zu unterstellende Anprall kein geeigneter Unfallhergang sei, die deutliche Retraktion der Sehnenstrukturen mit fettiger Degeneration im Einklang mit chronisch-entzündlichem Reizzustand benachbarter Schleimbeutel, die arthrotischen Veränderungen im Schultereckgelenk und die viertgradige Arthrose des Gelenkes. Am 2.7.2010 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie mit sofortiger Wirkung das Heilverfahren zu ihren Lasten abbreche. Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes gab die Beklagte sodann ein Gutachten in Auftrag; aus den ihm vorgeschlagenen Sachverständigen wählte der Kläger Prof. Dr. E. von der BG-Klinik. Dieser gelangte in seinem Gutachten vom 8.10.2010 zu dem Ergebnis, dass das Unfallereignis vom 31.1.2010 zu einer Prellung des Schultergelenkes geführt habe und weder wesentlich noch teilursächlich für die Zusammenhangstrennung der Rotatorenmanschette sei. Hingewiesen werden müsse aber darauf, dass das Ereignis 1995 vom Ereignisablauf und vom erhobenen Befund her durchaus für eine Zusammenhangstrennung der Rotatorenmanschette sprechen könne, auch wenn damals die Sonographie keine Pathologie ergeben habe. Die Beklagte prüfte den Vorgang und gelangte zu dem Schluss, dass kein Beweis für eine Schädigung der Rotatorenmanschette 1995 vorliege. Mit Bescheid I vom 12.1.2011 (Verfahren S 9 U 74/11) erkannte die Beklagte das Ereignis vom 9.6.1995 als Arbeitsunfall an und stellte fest, dass es unfallbedingt zu einer Zerrung der rechten Schulter gekommen sei, die zum 20.6.1995 folgenlos ausgeheilt sei. Nicht als Unfallfolge anerkannt werden könne die Schädigung der Rotatorenmanschette rechts. Mit Bescheid II vom 12.1.2011 (Verfahren S 9 U 75/11) erkannte die Beklagte das Ereignis vom 31.1.2010 als Arbeitsunfall an und stellte fest, dass es unfallbedingt zu einer Prellung des rechten Schultergelenkes mit Einblutung in die Muskulatur gekommen sei. Nicht als Folgen des Arbeitsunfalles anerkannt werden könnten Zerrüttung der Rotatorenmanschette (Muskel- und Sehnenplatte im Schulterbereich) mit Riss der Supraspinatussehne und Teilriss der Infraspinatussehne, umformende Veränderungen (Degeneration) des Schulterdaches und des Oberarmes rechts im Sinne einer Omarthrose (Gelenkverschleiß im Schultergelenk). Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit infolge der Prellung hätten nicht bestanden, maßgebend sei ein degenerativer Vorschaden gewesen. Am 1.2.2011 legte der Kläger Widerspruch ein gegen Bescheid I vom 12.1.2011 und berief sich auf ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung, Dr. F., vom 24.2.2011 (der Bezug nahm auf eine frühere Stellungnahme vom 16.11.2010), der die Meinung vertrete, dass die Rupturen Monate, wenn nicht Jahre alt seien und nicht auf den Unfall vom 30.1.2010, aber möglicherweise auf denjenigen vom 9.6.1995 zurückzuführen seien. Am 2.2.2011 legte der Kläger Widerspruch ein gegen Bescheid II vom 12.1.2011 und vertrat die Auffassung, dass es in der Folge des Unfalles u.a. zu einem Abriss der Supraspinatussehene und zu einer Zerrüttung der Rotatorenmanschette gekommen sei. Zur Stützung seiner Auffassung verwies der Kläger wiederum auf das Gutachten von Dr. F. vom 24.2.2011 (der Bezug nahm auf eine frühere Stellungnahme vom 16.11.2010), der bemängele, dass nach einer früheren Auffassung der BG-Klinik das eigentliche Krankheitsbild eine posttraumatische Schulterteilsteife gewesen sei, die seines Erachtens nicht nur aufgrund der Rotatorenmanschettenruptur entstehen könne, sondern auch durch einen heftigen Prellungsmechanismus. Zu fragen sei, warum der vorher symptomlose Sehnenzustand nun Beschwerden verursache. Die Beklagte legte den Vorgang ihrem beratenden Arzt, Dr. G., vor, der ausführte, den Widerspruch gegen die Ablehnung jeder Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit bei einem körperlich arbeitenden Menschen verständlich zu finden. Ein unfallbedingter Zusammenhang mit den aktuellen Beschwerden bestehe seines Erachtens aber nicht. Selbst Dr. F. sage, dass die Sehnenrupturen nicht unfallbedingt seien. Es sei nicht selten, dass solche Rupturen körperlich kompensiert würden und dann eine Prellung dazu führe, dass das Stadium der Kompensation nicht mehr erreicht werde. Wesentlich für den Funktionsverlust sei dann aber nicht die Prellung, sondern der vorbestehende Körperschaden. Mit Widerspruchsbescheid I vom 12.5.2010 (S 9 U 75/11) wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers vom 1.2.2011 zurück und lehnte Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung infolge des Unfalles vom 9.6.1995 ab. Ein Beweis für eine Sehnenruptur 1995 sei nicht gegeben. Die Sonographie haben keinen Hinweis auf einen Rotatorenmanschettenriss ergeben, auch die Röntgenuntersuchung habe keine knöcherne Verletzung ergeben. Es sei nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit nachweisbar, dass die 2010 festgestellten Schäden auf das Ereignis 1995 zurückzuführen seien. Arbeitsunfähigkeit habe bis 20.6.1995 (für 11 Tage bestanden), die damalige Zerrung sei folgenlos ausgeheilt. Mit Widerspruchsbescheid II vom 12.5.2010 (S 9 U 74/11) wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers vom 2.2.2011 zurück und lehnte Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung infolge des Unfalles vom 31.1.2010 ab. Der Teilriss der Rotatorenmanschette im rechten Schultergelenk und die damit einhergehenden Beschwerden hätten nicht ihre Ursache im Unfall vom 31.1.2010.

Am 14.6.2011 sind die Klagen S 9 U 74/11 (betreffend den Unfall am 9.6.1995) und S 9 U 75/11 (betreffend den Unfall am 31.1.2010) beim Sozialgericht Kassel eingegangen. Zur Aufklärung des Sachverhaltes hat das Bilddaten betreffend die Schulter des Klägers herangezogen und sodann ein Gutachten bei dem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. H. in Auftrag gegeben, in dem dieser am 24.10.2012 zu dem Ergebnis gelangt ist, dass sich nach den Unfällen vom 9.6.1995 und 31.1.2010 maximal je zwei Wochen Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit begründen ließen; eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit habe nie vorgelegen. In den auf Kritik des Klägers vom Gericht eingeholten ergänzenden Stellungnahmen vom 18.3.2013 und 4.11.2013 ist Dr. H. bei seiner Einschätzung geblieben.

Der Kläger ist der Meinung, dass seine aktuellen Beschwerden auf den Unfall vom 9.6.1995 und/oder denjenigen vom 31.1.2010 zurückzuführen seien und beruft sich auf die Ausführungen von Dr. F. sowie auf ein vom Landgericht Kassel bei Prof. Dr. J. im Prozess des Klägers gegen die private Unfallversicherung eingeholtes Gutachten. Er ist der Auffassung, dass das Gericht noch weiter ermitteln müsse, wenigstens Dr. H. nochmals ergänzend zum Gutachten von Prof. Dr. J. hören müsse. Dabei übt der Kläger Kritik an der Untersuchung durch Dr. H., der seines Erachtens nicht hinreichend auf seine aktuellen Beschwerden eingegangen sei.

Der Kläger beantragt (im Verfahren S 9 U 75/11),
den Bescheid der Beklagten vom 12.1.2011 abzuändern, den Widerspruchsbescheid vom 12.5.2012 aufzuheben und die Beklagten zu verurteilen, den Riss der Supraspinatussehne sowie den Teilriss der Infraspinatussehne als weiteren Schaden und die fortbestehenden Beschwerden des Klägers mit der rechten Schulter als Folgen des Arbeitsunfalles vom 31.1.2010 anzuerkennen und in gesetzlichem Umfang zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält an ihren Entscheidungen im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren fest.

Wegen der weiteren Einzelheiten und Unterlagen, insbesondere des weiteren Vorbringens der Beteiligten, wird auf die Gerichtsakten S 9 U 74/11 und S 9 U 75/11 sowie auf die beigezogenen Akten der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand dieser Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber nicht begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 12.1.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.5.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte hat zu Recht die Anerkennung der Ruptur der Supraspinatussehne und die Teilruptur der Infraspinatussehne als Folge des Arbeitsunfalles vom 31.1.2010 und die Entschädigung von Schulterbeschwerden abgelehnt.

Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Für einen Arbeitsunfall ist danach grundsätzlich erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfall der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (sachlicher oder innerer Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität) (vgl. BSG vom 27.4.2010 – B 2 U 11/09 R; SG Augsburg vom 11.4.2011 – S 8 U 356/09, beide zitiert nach juris).

Als Voraussetzung für die Feststellung von Unfallfolgen und die Bewilligung von Leistungen müssen die versicherte Tätigkeit, der Unfall und die Gesundheitsschädigung im Sinn des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Unfall und einem Gesundheitsschaden bzw. der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung der Entschädigungspflicht ist nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen; dafür reicht grundsätzlich die "hinreichende" Wahrscheinlichkeit – nicht allerdings die bloße Möglichkeit – aus (vgl. BSG vom 2.4.2009 – B 2 U 29/07 R, zitiert nach juris; SG Augsburg vom 11.4.2011, aaO). Eine solche Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn nach vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Faktoren ein deutliches Übergewicht zukommt, sodass darauf die richterliche Überzeugung gestützt werden kann (vgl. BSG vom 2.2.1978 – 8 RU 66/77, zitiert nach juris). Hierbei trägt der Versicherte, also die Klägerseite, die objektive Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, d.h. deren etwaige Nichterweislichkeit geht zu ihren Lasten (vgl. BSG vom 5.2.2008 – B 2 U 10/07 R; SG Augsburg vom 11.4.2011, aaO).

Für beide Bereiche der Kausalität (haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität) gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. BSG vom 15.2.2005 – B 2 U 1/04 R; LSG B.-W. vom 23.3.2012 – L 8 U 884/11, zitiert nach juris).

Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache erforderlich (vgl. BSG vom 15.2.2005, aaO; LSG B.-W. vom 23.3.2012, aaO).

Anders als bei der für das Zivilrecht maßgebenden Adäquanztheorie folgt daraus keine abstrakt-generalisierende Betrachtungsweise; vielmehr ist die Kausalitätsbewertung in der gesetzlichen Unfallversicherung vom ex-post-Standpunkt aus anhand individualisierender und konkretisierender Merkmale des jeweiligen Einzelfalles vorzunehmen. Daher kommt es bei der Wertung im Bereich der Kausalität vor allem darauf an, welche Auswirkungen das Unfallgeschehen gerade bei der betreffenden Einzelperson mit ihrer jeweiligen Struktureigenheit im körperlich-seelischen Bereich hervorgerufen hat (vgl. LSG B.-W. vom 23.3.2012, aaO, unter Hinweis auf BSG vom 18.1.1990 – 8 RKnU 1/89, zitiert nach juris). Gleichzeitig ist im Rahmen der gegenseitigen Abwägung mehrerer, zu einem bestimmten "Erfolg" führender Umstände der Schutzzweck sowohl der gesetzlichen Unfallversicherung im Allgemeinen als auch der jeweils anzuwendenden Norm zu berücksichtigen. Dies führt zu der Wertbestimmung, bis zu welcher Grenze der Versicherungsschutz im Einzelfall reicht (vgl. LSG B.-W. vom 23.3.2012, aaO, mwN).

Gibt es neben der versicherten Ursache noch konkurrierende Ursachen, z.B. Krankheitsanlagen, so war die versicherte Ursache wesentlich, solange die unversicherte Ursache nicht von überragender Bedeutung war. Eine Krankheitsanlage war von überragender Bedeutung, wenn sie so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die (naturwissenschaftliche) Verursachung akuter Erscheinungen nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern jedes alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinungen verursacht hätte. War die Krankheitsanlage von überragender Bedeutung, so ist die versicherte naturwissenschaftliche Ursache nicht als wesentlich anzusehen und scheidet als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts aus; sie ist dann bloß eine so genannte Gelegenheitsursache (vgl. BSG vom 12.4.2005 – B 2 U 27/04 R, zitiert nach juris; LSG B.-W. vom 23.3.2012, aaO, mwN).

Ferner ist zu beachten, dass für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen - der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität - die Wahrscheinlichkeit genügt, dass aber das Unfallereignis, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden müssen (vgl. LSG B.-W. vom 23.3.2012, aaO, mwN).

Nach diesen Grundsätzen sind die Ruptur der Supraspinatussehne und der Teilriss der Infraspinatussehne nach Überzeugung der Kammer nicht rechtlich wesentlich auf den Unfall vom 31.1.2010 zurückzuführen. Nach den vorliegenden ärztlichen Befunden, insbesondere dem Gutachten samt ergänzenden Stellungnahmen des vom Gericht von Amts wegen gehörten Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. H., ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass der Unfall nur rechtlich wesentlich war für eine Prellung des rechten Schultergelenkes mit Einblutung in die Muskulatur.

Ohne Zweifel lagen bei dem Kläger ein Riss der Supraspinatussehne und ein Teilriss der Infraspinatussehne vor, wie die behandelnden Ärzte und die von der Beklagten und die vom Gericht gehörten Sachverständigen übereinstimmend festgestellt haben.

Das Bestehen einer Erkrankung und die Ereignung eines Arbeitsunfalles indizieren aber keineswegs den notwendigen Kausalzusammenhang zwischen Unfall und aufgetretener Erkrankung. Für den Ursachenzusammenhang zwischen den beruflichen Belastungen und der Erkrankung genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht aber die bloße Möglichkeit einer Verursachung (vgl. LSG B.-B. vom 19.3.2009 – L 31 U 454/08, zitiert nach juris).

Der Riss der Supraspinatussehne und der Teilriss der Infraspinatussehne sind nicht zur Überzeugung der Kammer rechtlich wesentlich durch den Unfall vom 31.1.2010 hervorgerufen worden. Der Unfall vom 31.1.2010 ist nicht die wesentliche (Teil-) Ursache für die beim dem Kläger beklagten Beschwerden mit der Schulter. Durch dieses Ereignis wurde nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Gesundheitserstschaden verursacht, weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne der Verschlimmerung.

Dies ergibt sich nach Auffassung der Kammer aus den zum Gesundheitszustand des Klägers vorliegenden ärztlichen Befunden und medizinischen Gutachten, insbesondere aus dem Gutachten samt ergänzenden Stellungnahmen des vom Gericht von Amts wegen gehörten Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. H. sowie aus dem Gutachten des von der Beklagten gehörten Prof. Dr. E. und letztlich auch aus den Äußerungen des vom Kläger bemühten Dr. F. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung. Übereinstimmend und für die Kammer überzeugend gehen sowohl Dr. H. als auch Prof. Dr. E. als auch Dr. F. davon aus, dass der Riss der Supraspinatussehne und der Teilriss der Infraspinatussehne nicht wesentlich durch das angeschuldigte Ereignis vom 31.1.2010 bedingt sind.

Bei der gutachterlichen Bewertung der Rotatorenmanschettenruptur sind der Unfallhergang, sowie Art, Alter und Lokalisation des Risses und schießlich die Beschaffenheit des Sehnengewebes, des Schultergelenkes und der Schulternebengelenke zu beurteilen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, S. 413f.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Rotatorenmanschette im hohen Maße der Degeneration unterliegt (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO, S. 410).

Im vorliegenden Fall können aus dem Unfallhergang keine direkten Schlüsse gezogen werden, weil dieser nicht zu rekonstruieren ist.

Für einen Kausalzusammenhang spricht dann lediglich, dass der Kläger nach seinen Angaben in der unmittelbaren Zeit vor dem angeschuldigten Ereignis vom 31.1.2010 keine Probleme mit der Schulter hatte. Jedoch führt Dr. H. in seinem Gutachten samt ergänzenden Stellungnahmen für die Kammer überzeugend aus, dass die Tatsache, dass ein Schmerz erst nach einem Unfallereignis auftritt, nicht als Beweis dienen kann, sondern auch körpereigene Erkrankungen sich irgendwann erstmals bemerkbar machen. Relativiert wird die Angabe des Klägers von Schmerzfreiheit vor dem angeschuldigten Ereignis auch dann, wenn man die von Prof. Dr. E. notierten Angaben des Klägers zu früheren Beschwerden mit der Schulter und diesbezüglichen Arztbesuchen sowie die von Prof. Dr. J. in seinem für das Landgericht Kassel erstellten Gutachten aufgedeckten Behandlungen der Schulter in 2005, 2006 und 2009 betrachtet.

Die medizinischen Befunde sprechen dann nach Auffassung der Kammer allesamt gegen eine rechtlich wesentliche (Teil-)Verursachung der Ruptur der Supraspinatussehne und der Teilruptur der Infraspinatussehne durch das angeschuldigte Ereignis vom 31.1.2010.

Für die Kammer nachvollziehbar und überzeugend legt Dr. H. in seinem Gutachten samt ergänzenden Stellungnahmen dar, dass der klinische Erstbefund eines diffusen Druckschmerzes ohne Hämatom und Hautverletzung bei schmerzhafter Einschränkung (aber möglicher) Beweglichkeit der Schulter gegen einen Kausalzusammenhang spreche.

Weiter legt Dr. H. in seinem Gutachten samt ergänzenden Stellungnahmen für die Kammer nachvollziehbar und überzeugend dar, dass der kernspintomographische und röntgenologische Befund gegen einen Kausalzusammenhang sprechen.

Dr. H. stellt bei Auswertung der zeitnah zum angeschuldigten Ereignis angefertigten Röntgenbilder das Fehlen einer knöchernen Verletzung und bereits beginnende arthrotische Veränderungen im Schultergelenk und im Schultereckgelenk fest und führt für die Kammer schlüssig aus, dass diese gegen einen Kausalzusammenhang sprechen.

Weiter stellt Dr. H. bei Auswertung der drei Tage nach dem angeschuldigten Ereignis vom 31.1.2010 erhobenen kernspintomographischen Daten einen Humeruskopfhochstand bei gleichzeitigem Fehlen eines pathologischen Knochenmarksignals (Bone Bruise) fest und führt in Übereinstimmung mit der medizinrechtlichen Literatur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO, S. 415) aus, dass dies gegen einen Kausalzusammenhang spricht, insbesondere, da sich ein Humeruskopfhochstand selbst bei einer kompletten Rotatorenmanschettenruptur frühestens nach sechs Wochen röntgenologisch nachweisen lässt. Diese Auffassung wird für die Kammer weiter gestützt durch die Notiz der BG-Klinik vom 12.2.2010, dass sich bereits eine fettige Degeneration und Retraktion der Sehne zeige, sowie vom 22.3.2010, dass in der Sonographie weitgehend degenerative Veränderungen und deutliche Retraktion des Musculus supraspinatus zu erkennen sei, und der histologischen Untersuchung in der Folge des operativen Eingriffs am 15.4.2010, die frische flammenzüngige Einrisse bei überwiegend jedoch glatten Risskanten, insgesamt mehrzeitige Sehnenrupturen bei mucoider Degeneration des benachbarten Sehnengewebes ergab.

Die Kammer sieht keinen Anlass, an der Richtigkeit der in dem Gutachten samt ergänzenden Stellungnahmen vertretenen Einschätzung des Gerichtssachverständigen Dr. H. zu zweifeln, und hält weitere Ermittlungen nicht für geboten. Die Kammer ist zu der Überzeugung, dass – unter Würdigung der Ausführungen des Sachverständigen, der sich ausführlich mit den gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers, dessen Vortrag und den ihm vorliegenden Unterlagen der Behandler und anderer Sachverständiger auseinandergesetzt hat – der Einschätzung des Sachverständigen Dr. H. in vollem Umfang zu folgen ist. Die von ihm vorgenommene Kausalitätsbewertung deckt sich mit den Feststellungen des von der Beklagten gehörten Prof. Dr. E. und des vom Kläger angeführten Dr. F. Die Beurteilung erfolgt in dem vorgelegten Gutachten samt ergänzenden Stellungnahmen nach eingehender Auswertung der dem Sachverständigen vorliegenden Befunde anhand der in der aktuellen medizinrechtlichen Literatur entwickelten Beurteilungskriterien für die Kammer nachvollziehbar und einleuchtend.

Diesen Anforderungen wird das vom Kläger vorgelegte Gutachten von Prof. Dr. J. schon deshalb nicht gerecht, weil es zu einer anderen Fragestellung ergangen ist. Auch handelt es sich bei dem in einem Zivilprozess eingeholten Gutachten nicht um ein Beweismittel im sozialgerichtlichen Verfahren, sondern lediglich um Vorbringen des Klägers (vgl. BSG vom 29.9.1958 – 9 RV 94/55, zitiert nach juris; Meyer-Ladewig, SGG, § 128 Rn. 4a). Die Vorlage des Gutachtens durch den Kläger hat auch nicht zur Folge, dass die Kammer nochmals in Ermittlungen eintreten müsste. In Ermittlungen erneut eintreten muss das Gericht nur, wenn wesentliche Tatsachen neu aufkommen. Der Sachverhalt war jedoch bereits vor der Äußerung von Prof. Dr. J. geklärt und ist es auch weiterhin. Neue, für den Kläger günstige Tatsachen, sind durch das Gutachten nicht zu Tage getreten.

Nach alledem ist ein auch nur teilweiser erheblicher Zusammenhang zwischen dem Ereignis vom 31.1.2010 und den Beschwerden des Klägers mit der Schulter nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Angesichts der festgestellten degenerativen Veränderungen der Schulter hat sich die Kammer auch nicht davon zu überzeugen vermocht, dass die eingetretene Prellung des rechten Schultergelenkes mit Einblutung in die Muskulatur auch nur einen Tag primärer Faktor der Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit war. Dabei ist für die Kammer die Äußerung von Dr. H., dass eine Prellung der Schulter maximal zu zwei Wochen Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit führt, nachvollziehbar. Nach Überzeugung der Kammer tritt die Prellung jedoch hinter der Ruptur der Supraspinatussehne und der Teilruptur der Infraspinatussehne als Ursachen der Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit zurück. Da jedenfalls die Beschwerden nach mehr als zwei Wochen nicht auf den Unfall vom 31.1.2010 zurückzuführen sind, gab es keinen Anlass für Dr. H., die aktuellen Beschwerdeschilderungen und -demonstrationen durch den Kläger noch genauer zu dokumentieren, sodass der Kläger mit diesbezüglicher Kritik nicht gehört werden kann. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verletztenrente. Ein Anspruch auf Verletztenrente setzt gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII voraus, dass die Erwerbsfähigkeit des Versicherten infolge des Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um mindestens 20 v.H. gemindert sei.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache selbst.
Rechtskraft
Aus
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