Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Leipzig (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 8 KR 18/04
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Auch die Beitragssatzerhöhung nach einer Fusion von Krankenkassen berechtigt die Versicherten zu einer (vorzeitigen) Kündigung des Versicherungsverhältnisses in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung (Sonderkündigungsrecht).
I. Der Bescheid vom 06.10.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2004 wird aufgehoben. II. Die Rechtmäßigkeit der Kündigung der Mitgliedschaft zum 31.12.2003 wird festgestellt. III. Die Beklagte wird verurteilt, die Kündigung der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung zum 31.12.2003 zu bestätigen. IV. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Kündigung der Mitgliedschaft.
Der am ...1955 geborene Kläger ist seit 01.10.2002 Mitglied der BKK-KMdirect. Am 29.09.2003 kündigte er zum 31.10.2003 die Mitgliedschaft. Am 01.10.2003 fusionierte die BKK-KMdirect mit der Novitas Vereinigte BKK zur Novitas Vereinigte BKK. Statt des bisherigen Beitragssatzes von 12,9 % betrug der neue Beitragssatz der vereinigten Krankenkassen nunmehr 14,3 %.
Mit Bescheid vom 06.10.2003 bestätigte die Beklagte das Ende der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung erst zum 31.03.2004. Wegen der gesetzlich festgelegten 18-monatigen Bindungswirkung habe sie die Kündigung auf den nächstmöglichen Termin umgedeutet.
Hiergegen legte der Kläger am 13.10.2003 Widerspruch ein. Nach der Fusion beider Krankenkassen gelte das Sonderkündigungsrecht zum 31.12.2003. Die fusionierte neue Krankenkasse müsse sich bei einem höheren Beitragssatz diesen als eigenen zurechnen lassen. Bei einer fusionsbedingten Beitragssatzerhöhung gelte das Sonderkündigungsrecht. Mangels gesetzlicher Regelung für den Fall der Fusion sei auf den Sinn und Zweck der Regelung abzustellen. Der Gesetzgeber habe aber mit dem Sonderkündigungsrecht beabsichtigt, den Wettbewerb unter den Krankenkassen zu stärken. Dem Versicherten solle damit die Möglichkeit gegeben werden, Beitragserhöhungen, auf deren Ausgestaltung er keinen Einfluss habe, zu begegnen. Bei einer fusionsbedingten Beitragserhöhung handele es sich um eine einseitige Erhöhung, die mit den bei Vertragsschluss geltenden Bedingungen nicht übereinstimme. Der Versicherte müsse hierauf gegebenenfalls kurzfristig reagieren können.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.01.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Den Versicherten sei bei einer Fusion der Krankenkasse kein Sonderkündigungsrecht eingeräumt. Vielmehr werde nicht der Beitragssatz erhöht, sondern im Falle der Fusion erstmals neu festgelegt. Nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung sollten größere und damit leistungsfähigere Solidargemeinschaften entstehen. Die durch den Zusammenschluss entstandene größere Solidargemeinschaft würde andernfalls geschwächt, wenn die Mitglieder der bislang beitragsgünstigeren Krankenkasse diese verlassen könnten. Ein "Sonderwahlrecht", wie bei der Vereinigung von Betriebs- oder Innungskrankenkassen, solle gerade nicht eingeräumt werden. Ihre Rechtsauffassung werde auch vom Bundesversicherungsamt geteilt. Da bei einer Fusion von Krankenkassen das Sonderkündigungsrecht nicht gelte, verbleibe es bei der 18-monatigen Bindungsfrist an die gewählte Krankenkasse.
Der Kläger hat deswegen unter Wiederholung seines Vorbringens am 02.02.2004 Klage zum Sozialgericht Leipzig erhoben. Wegen des Sonderkündigungsrechtes sei die Mitgliedschaft des Klägers in der Kranken- und Pflegeversicherung der Beklagten zum 31.12.2003 beendet. Nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung solle das Sonderkündigungsrecht den Wettbewerb stärken.
Der Kläger beantragt in sachdienlicher Fassung,
den Bescheid vom 06.10.2003 in Gestalt des Wider- spruchsbescheides vom 13.01.2004 abzuändern und festzustellen, dass die Kündigung der Mitglied- schaft in der gesetzlichen Kranken- und Pflege- versicherung zum 31.12.2003 rechtmäßig ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt, eine Gerichtsakte sowie ein Verwaltungsvorgang der Beklagten, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Klage ist zulässig. Sie ist auch begründet, denn der Bescheid vom 06.10.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2004 erweist sich als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Unter Abänderung des Bescheides war die Beklagte zu verurteilen, die Kündigung der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung bereits zum 31.12.2003 zu bestätigen, weil dem Kläger wegen der Beitragserhöhung ein Sonderkündigungsrecht einzuräumen ist.
Nach § 175 Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) ist der Versicherungspflichtige zwar an die Wahl der Krankenkasse mindestens 18 Monate gebunden, wenn er das Wahlrecht ab dem 1. Januar 2002 ausübt. Erhöht eine Krankenkasse jedoch ihren Beitragssatz, kann die Mitgliedschaft abweichend von Satz 1 bis zum Ablauf des auf das Inkrafttreten der Beitragserhöhung folgenden Kalendermonats gekündigt werden (Satz 5 der Vorschrift).
Auf dieses Sonderkündigungsrecht kann sich der Kläger berufen; denn durch die Fusion seiner bisherigen Krankenkasse, der BKK-KMdirect mit der Novitas Vereinigte BKK am 01.10.2003, wurde der Beitragssatz von ursprünglich 12,9 % für die BKK-KMdirect auf nunmehr 14,3 % erhöht. Für den Fall der Fusion ist indes - entgegen der Rechtsansicht der Beklagten - das Sonderkündigungsrecht wegen Beitragserhöhung nicht aufgehoben.
Dies ergibt sich aus dem Gesetzeswortlaut: Gem. § 175 Abs. 4 Satz 1 SGB V ist der Versicherungspflichtige an die Wahl der Krankenkasse mindestens 18 Monate gebunden. Im Falle der Fusion besteht die bisher gewählte Krankenkasse jedoch nicht mehr. Über § 150 Abs. 2 Satz 1 SGB V gilt § 144 Abs. 2 bis 4 SGB V entsprechend. Nach § 144 Abs. 4 Satz 1 SGB V sind mit dem Zeitpunkt der freiwilligen Vereinigung die bisherigen Krankenkassen geschlossen. Wenn aber mit dem Zeitpunkt der Genehmigung der Vereinigung die bisherige Krankenkasse geschlossen ist, entfällt die Bindung an die bisherige, nun nicht mehr fortbestehende, Krankenkasse. Somit folgt unmittelbar aus dem Gesetz, dass mit dem Zeitpunkt der Vereinigung - und ohne zusätzliche Verfügungen - die beteiligten Krankenkassen kraft Gesetzes geschlossen sind und die vereinigte Krankenkasse neu entsteht. Dies gilt im Unterschied zu der bis 31.12.1988 bestehenden Rechtslage, wo bei Vereinigung von Krankenkassen eine Krankenkasse als aufnehmende Krankenkasse fortbestand und die Rechte und Pflichten der anderen, aufgenommenen Krankenkasse auf sie übergingen (§ 288 Reichsversicherungsordnung (RVO) a.F.). Mit der Schließung endet somit die rechtliche Existenz der beteiligten Krankenkasse als Körperschaft des öffentlichen Rechts und damit auch die Funktion ihrer Organe (wie hier: Baier, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung - Kommentar, § 144 Rdnr. 23 EL 29).
Erhöht somit nach der Fusion die neue Krankenkasse ihren Beitragssatz, ist der Versicherte nicht für weitere 18 Monate (gegebenenfalls unter Einschluss der Verweildauer in der bisherigen Krankenkasse) an die rechtlich nicht mehr existente Krankenkasse gebunden. Denn wenn nach § 144 Abs. 4 Satz 1 SGB V die bisherige Krankenkasse kraft Gesetzes geschlossen ist und eine vereinigte Krankenkasse neu entsteht, entfällt wegen der früher getroffene Wahl die Bindung an die bisherige Krankenkasse. Der Wegfall der bisherigen Krankenkasse bewirkt zugleich eine Aufhebung der Mindestbindungsdauer nach Maßgabe des § 175 Abs. 4 Satz 1 SGB V.
Dass das Kassenwahlrecht der Versicherten bei einer Fusion von Krankenkassen aufgehoben sein soll, lässt sich demgegenüber dem Gesetz nicht entnehmen. Vielmehr hat der Gesetzgeber, insbesondere um die Krankenkassen zu einer Senkung ihrer Beitragssätze anzuhalten, den Versicherten ein Sonderkündigungsrecht gerade für den Fall der Beitragssatzerhöhung einräumen wollen. Aus der Sicht der Mitglieder der bisherigen Krankenkasse wird nach der Fusion, auf die sie keinen Einfluss haben, der bisher bestehende Beitragssatz erhöht und nicht erstmals neu festgesetzt, weil der ursprünglich mit der Wahl der Krankenkasse zugleich "gewählte" Beitragssatz nicht mehr derselbe ist. Hierfür sprechen auch wettbewerbsrechtliche Gesichtspunkte: Wenn sich der niedrige Beitragssatz einer Krankenkasse nicht halten lässt, soll es den Versicherten unbenommen sein, zu einer kostengünstigeren zu wechseln. Andererseits würden sie benachteiligt, wäre ihnen das Sonderkündigungsrecht trotz Beitragserhöhung nur deshalb genommen, weil die gewählte Krankenkasse fusioniert (ebenso: SG Stuttgart, Urteil vom 28.10.2003, Az: S 4 KR 5695/03).
Dass durch fusionsbedingten Mitgliederwechsel der "Markt" in Bewegung kommt, hat der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen. Auch den Krankenkassen steht es frei, zu wählen, ob und gegebenenfalls mit welchen Wettbewerbern sie sich - gegebenenfalls unter Anpassung des Beitragssatzes "nach oben" - zusammenschließt. Die den Versicherten (neu) eingeräumte Kassenwahlfreiheit würde jedoch wieder beseitigt, würde ihnen nicht bei Erhöhung des Beitragssatzes ein Sonderkündigungsrecht eingeräumt. Zugleich sollen die Wirtschaftlichkeitsanstrengungen der miteinander im Wettbewerb stehenden Krankenkassen gefördert werden. Die auf 18 Monate erhöhte Mindestbindungsdauer nach § 175 Abs.4 Satz 1 SGB V verfolgt hingegen das Ziel einer Angleichung des Wettbewerbs (vgl. Baier, a.a.O., Rdnr. 28 a). Die mit der Fusion einhergehenden Risiken einer veränderten Mitgliederstruktur und - damit einhergehend - einer anderen Kalkulationsbasis liegt allein in der Sphäre und der Entscheidungsgewalt der fusionierenden Krankenkassen. Die möglicherweise mit übernommenen wirtschaftlichen Risiken können deswegen nicht einseitig den Versicherten auferlegt werden, zumal die Wahl einer beitragssatzgünstigeren Krankenkasse wettbewerbs- und gesetzeskonform ist.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht dadurch, dass nach § 144 Abs. 4 Satz 2 SGB V die neue Krankenkasse in die Rechte und Pflichten der bisherigen Krankenkasse eintritt, weshalb sich der Mitgliederübergang ebenfalls im Wege der Rechtsnachfolge vollzieht. Dies führt sowohl dazu, dass die Leistungspflichten der bisherigen Krankenkasse auch nach der Fusion weiterbestehen, als auch die Beitragspflichten der Mitglieder der nunmehr geschlossenen Krankenkassen zur neuen, fusionierten Krankenkasse fortwirken, wenn diese von ihrem Sonderkündigungsrecht keinen Gebrauch machen. Dahinter steht zum einen der gesetzgeberische Wille, dass der Kranken- und Pflegeversicherungsschutz der Mitglieder nicht durch eine, sich regelmäßig ihrem Einflussbereich entziehende, Fusion entfallen soll; zum anderen soll die Funktionsfähigkeit - und damit einhergehend die wirtschaftilche Überlebensfähigkeit - dadurch gesichert werden, dass der neu entstandenen Kranken- und Pflegeversicherung weiterhin die Mitgliedsbeiträge der bisherigen Versicherten zufließen.
Zwar liegt es - worauf die Beklagte zu Recht hinweist - durchaus im Interesse der Versichertengemeinschaft, dass sich die Vielzahl der Krankenkassen in Deutschland zu größeren und leistungsfähigen Einheiten verbinden; andererseits würde der gesetzgeberisch gewollte Druck auf die Krankenkassen, günstige Beitragssätze anzubieten, genommen, sofern den Versicherten im Falle der Fusion von Krankenkassen das Sonderkündigungsrecht abgesprochen würde. Dieses dient der Stärkung des Wettbewerbs der Krankenkassen untereinander in gleicher Weise wie der Zwang, insbesondere bei Betriebskrankenkassen, sich zu leistungsfähigeren Einheiten zu verbinden.
Durch die Rechts- und Funktionsnachfolge ist die fusionierte, neuentstandene Krankenkasse nicht mehr die ursprünglich gewählte Krankenkasse im Sinne des § 175 Abs. 4 SGB V. Wenn diese höhere Beitragssätze festsetzt, muss sie sich deshalb das Sonderkündigungsrecht der Mitglieder zurechnen lassen (wie hier: LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16.12.2003, Az: L 4 KR 33/00, in: Die Ersatzkasse 2004, 51). Das Gericht hatte insoweit die Rechtmäßigkeit der Kündigung der Mitgliedschaft festzustellen. Nach § 175 Abs. 4 Satz 3 SGB VI war die Beklagte demzufolge zu verurteilen, dem Kläger vorzeitig zum 31.12.2003 eine Kündigungsbestätigung auszustellen, da diese für die Ausstellung einer Mitgliedsbescheinigung durch die neu gewählte Krankenkasse erforderlich ist (Abs. 2 Satz 2 der Vorschrift).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Kündigung der Mitgliedschaft.
Der am ...1955 geborene Kläger ist seit 01.10.2002 Mitglied der BKK-KMdirect. Am 29.09.2003 kündigte er zum 31.10.2003 die Mitgliedschaft. Am 01.10.2003 fusionierte die BKK-KMdirect mit der Novitas Vereinigte BKK zur Novitas Vereinigte BKK. Statt des bisherigen Beitragssatzes von 12,9 % betrug der neue Beitragssatz der vereinigten Krankenkassen nunmehr 14,3 %.
Mit Bescheid vom 06.10.2003 bestätigte die Beklagte das Ende der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung erst zum 31.03.2004. Wegen der gesetzlich festgelegten 18-monatigen Bindungswirkung habe sie die Kündigung auf den nächstmöglichen Termin umgedeutet.
Hiergegen legte der Kläger am 13.10.2003 Widerspruch ein. Nach der Fusion beider Krankenkassen gelte das Sonderkündigungsrecht zum 31.12.2003. Die fusionierte neue Krankenkasse müsse sich bei einem höheren Beitragssatz diesen als eigenen zurechnen lassen. Bei einer fusionsbedingten Beitragssatzerhöhung gelte das Sonderkündigungsrecht. Mangels gesetzlicher Regelung für den Fall der Fusion sei auf den Sinn und Zweck der Regelung abzustellen. Der Gesetzgeber habe aber mit dem Sonderkündigungsrecht beabsichtigt, den Wettbewerb unter den Krankenkassen zu stärken. Dem Versicherten solle damit die Möglichkeit gegeben werden, Beitragserhöhungen, auf deren Ausgestaltung er keinen Einfluss habe, zu begegnen. Bei einer fusionsbedingten Beitragserhöhung handele es sich um eine einseitige Erhöhung, die mit den bei Vertragsschluss geltenden Bedingungen nicht übereinstimme. Der Versicherte müsse hierauf gegebenenfalls kurzfristig reagieren können.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.01.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Den Versicherten sei bei einer Fusion der Krankenkasse kein Sonderkündigungsrecht eingeräumt. Vielmehr werde nicht der Beitragssatz erhöht, sondern im Falle der Fusion erstmals neu festgelegt. Nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung sollten größere und damit leistungsfähigere Solidargemeinschaften entstehen. Die durch den Zusammenschluss entstandene größere Solidargemeinschaft würde andernfalls geschwächt, wenn die Mitglieder der bislang beitragsgünstigeren Krankenkasse diese verlassen könnten. Ein "Sonderwahlrecht", wie bei der Vereinigung von Betriebs- oder Innungskrankenkassen, solle gerade nicht eingeräumt werden. Ihre Rechtsauffassung werde auch vom Bundesversicherungsamt geteilt. Da bei einer Fusion von Krankenkassen das Sonderkündigungsrecht nicht gelte, verbleibe es bei der 18-monatigen Bindungsfrist an die gewählte Krankenkasse.
Der Kläger hat deswegen unter Wiederholung seines Vorbringens am 02.02.2004 Klage zum Sozialgericht Leipzig erhoben. Wegen des Sonderkündigungsrechtes sei die Mitgliedschaft des Klägers in der Kranken- und Pflegeversicherung der Beklagten zum 31.12.2003 beendet. Nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung solle das Sonderkündigungsrecht den Wettbewerb stärken.
Der Kläger beantragt in sachdienlicher Fassung,
den Bescheid vom 06.10.2003 in Gestalt des Wider- spruchsbescheides vom 13.01.2004 abzuändern und festzustellen, dass die Kündigung der Mitglied- schaft in der gesetzlichen Kranken- und Pflege- versicherung zum 31.12.2003 rechtmäßig ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt, eine Gerichtsakte sowie ein Verwaltungsvorgang der Beklagten, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Klage ist zulässig. Sie ist auch begründet, denn der Bescheid vom 06.10.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2004 erweist sich als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Unter Abänderung des Bescheides war die Beklagte zu verurteilen, die Kündigung der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung bereits zum 31.12.2003 zu bestätigen, weil dem Kläger wegen der Beitragserhöhung ein Sonderkündigungsrecht einzuräumen ist.
Nach § 175 Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) ist der Versicherungspflichtige zwar an die Wahl der Krankenkasse mindestens 18 Monate gebunden, wenn er das Wahlrecht ab dem 1. Januar 2002 ausübt. Erhöht eine Krankenkasse jedoch ihren Beitragssatz, kann die Mitgliedschaft abweichend von Satz 1 bis zum Ablauf des auf das Inkrafttreten der Beitragserhöhung folgenden Kalendermonats gekündigt werden (Satz 5 der Vorschrift).
Auf dieses Sonderkündigungsrecht kann sich der Kläger berufen; denn durch die Fusion seiner bisherigen Krankenkasse, der BKK-KMdirect mit der Novitas Vereinigte BKK am 01.10.2003, wurde der Beitragssatz von ursprünglich 12,9 % für die BKK-KMdirect auf nunmehr 14,3 % erhöht. Für den Fall der Fusion ist indes - entgegen der Rechtsansicht der Beklagten - das Sonderkündigungsrecht wegen Beitragserhöhung nicht aufgehoben.
Dies ergibt sich aus dem Gesetzeswortlaut: Gem. § 175 Abs. 4 Satz 1 SGB V ist der Versicherungspflichtige an die Wahl der Krankenkasse mindestens 18 Monate gebunden. Im Falle der Fusion besteht die bisher gewählte Krankenkasse jedoch nicht mehr. Über § 150 Abs. 2 Satz 1 SGB V gilt § 144 Abs. 2 bis 4 SGB V entsprechend. Nach § 144 Abs. 4 Satz 1 SGB V sind mit dem Zeitpunkt der freiwilligen Vereinigung die bisherigen Krankenkassen geschlossen. Wenn aber mit dem Zeitpunkt der Genehmigung der Vereinigung die bisherige Krankenkasse geschlossen ist, entfällt die Bindung an die bisherige, nun nicht mehr fortbestehende, Krankenkasse. Somit folgt unmittelbar aus dem Gesetz, dass mit dem Zeitpunkt der Vereinigung - und ohne zusätzliche Verfügungen - die beteiligten Krankenkassen kraft Gesetzes geschlossen sind und die vereinigte Krankenkasse neu entsteht. Dies gilt im Unterschied zu der bis 31.12.1988 bestehenden Rechtslage, wo bei Vereinigung von Krankenkassen eine Krankenkasse als aufnehmende Krankenkasse fortbestand und die Rechte und Pflichten der anderen, aufgenommenen Krankenkasse auf sie übergingen (§ 288 Reichsversicherungsordnung (RVO) a.F.). Mit der Schließung endet somit die rechtliche Existenz der beteiligten Krankenkasse als Körperschaft des öffentlichen Rechts und damit auch die Funktion ihrer Organe (wie hier: Baier, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung - Kommentar, § 144 Rdnr. 23 EL 29).
Erhöht somit nach der Fusion die neue Krankenkasse ihren Beitragssatz, ist der Versicherte nicht für weitere 18 Monate (gegebenenfalls unter Einschluss der Verweildauer in der bisherigen Krankenkasse) an die rechtlich nicht mehr existente Krankenkasse gebunden. Denn wenn nach § 144 Abs. 4 Satz 1 SGB V die bisherige Krankenkasse kraft Gesetzes geschlossen ist und eine vereinigte Krankenkasse neu entsteht, entfällt wegen der früher getroffene Wahl die Bindung an die bisherige Krankenkasse. Der Wegfall der bisherigen Krankenkasse bewirkt zugleich eine Aufhebung der Mindestbindungsdauer nach Maßgabe des § 175 Abs. 4 Satz 1 SGB V.
Dass das Kassenwahlrecht der Versicherten bei einer Fusion von Krankenkassen aufgehoben sein soll, lässt sich demgegenüber dem Gesetz nicht entnehmen. Vielmehr hat der Gesetzgeber, insbesondere um die Krankenkassen zu einer Senkung ihrer Beitragssätze anzuhalten, den Versicherten ein Sonderkündigungsrecht gerade für den Fall der Beitragssatzerhöhung einräumen wollen. Aus der Sicht der Mitglieder der bisherigen Krankenkasse wird nach der Fusion, auf die sie keinen Einfluss haben, der bisher bestehende Beitragssatz erhöht und nicht erstmals neu festgesetzt, weil der ursprünglich mit der Wahl der Krankenkasse zugleich "gewählte" Beitragssatz nicht mehr derselbe ist. Hierfür sprechen auch wettbewerbsrechtliche Gesichtspunkte: Wenn sich der niedrige Beitragssatz einer Krankenkasse nicht halten lässt, soll es den Versicherten unbenommen sein, zu einer kostengünstigeren zu wechseln. Andererseits würden sie benachteiligt, wäre ihnen das Sonderkündigungsrecht trotz Beitragserhöhung nur deshalb genommen, weil die gewählte Krankenkasse fusioniert (ebenso: SG Stuttgart, Urteil vom 28.10.2003, Az: S 4 KR 5695/03).
Dass durch fusionsbedingten Mitgliederwechsel der "Markt" in Bewegung kommt, hat der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen. Auch den Krankenkassen steht es frei, zu wählen, ob und gegebenenfalls mit welchen Wettbewerbern sie sich - gegebenenfalls unter Anpassung des Beitragssatzes "nach oben" - zusammenschließt. Die den Versicherten (neu) eingeräumte Kassenwahlfreiheit würde jedoch wieder beseitigt, würde ihnen nicht bei Erhöhung des Beitragssatzes ein Sonderkündigungsrecht eingeräumt. Zugleich sollen die Wirtschaftlichkeitsanstrengungen der miteinander im Wettbewerb stehenden Krankenkassen gefördert werden. Die auf 18 Monate erhöhte Mindestbindungsdauer nach § 175 Abs.4 Satz 1 SGB V verfolgt hingegen das Ziel einer Angleichung des Wettbewerbs (vgl. Baier, a.a.O., Rdnr. 28 a). Die mit der Fusion einhergehenden Risiken einer veränderten Mitgliederstruktur und - damit einhergehend - einer anderen Kalkulationsbasis liegt allein in der Sphäre und der Entscheidungsgewalt der fusionierenden Krankenkassen. Die möglicherweise mit übernommenen wirtschaftlichen Risiken können deswegen nicht einseitig den Versicherten auferlegt werden, zumal die Wahl einer beitragssatzgünstigeren Krankenkasse wettbewerbs- und gesetzeskonform ist.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht dadurch, dass nach § 144 Abs. 4 Satz 2 SGB V die neue Krankenkasse in die Rechte und Pflichten der bisherigen Krankenkasse eintritt, weshalb sich der Mitgliederübergang ebenfalls im Wege der Rechtsnachfolge vollzieht. Dies führt sowohl dazu, dass die Leistungspflichten der bisherigen Krankenkasse auch nach der Fusion weiterbestehen, als auch die Beitragspflichten der Mitglieder der nunmehr geschlossenen Krankenkassen zur neuen, fusionierten Krankenkasse fortwirken, wenn diese von ihrem Sonderkündigungsrecht keinen Gebrauch machen. Dahinter steht zum einen der gesetzgeberische Wille, dass der Kranken- und Pflegeversicherungsschutz der Mitglieder nicht durch eine, sich regelmäßig ihrem Einflussbereich entziehende, Fusion entfallen soll; zum anderen soll die Funktionsfähigkeit - und damit einhergehend die wirtschaftilche Überlebensfähigkeit - dadurch gesichert werden, dass der neu entstandenen Kranken- und Pflegeversicherung weiterhin die Mitgliedsbeiträge der bisherigen Versicherten zufließen.
Zwar liegt es - worauf die Beklagte zu Recht hinweist - durchaus im Interesse der Versichertengemeinschaft, dass sich die Vielzahl der Krankenkassen in Deutschland zu größeren und leistungsfähigen Einheiten verbinden; andererseits würde der gesetzgeberisch gewollte Druck auf die Krankenkassen, günstige Beitragssätze anzubieten, genommen, sofern den Versicherten im Falle der Fusion von Krankenkassen das Sonderkündigungsrecht abgesprochen würde. Dieses dient der Stärkung des Wettbewerbs der Krankenkassen untereinander in gleicher Weise wie der Zwang, insbesondere bei Betriebskrankenkassen, sich zu leistungsfähigeren Einheiten zu verbinden.
Durch die Rechts- und Funktionsnachfolge ist die fusionierte, neuentstandene Krankenkasse nicht mehr die ursprünglich gewählte Krankenkasse im Sinne des § 175 Abs. 4 SGB V. Wenn diese höhere Beitragssätze festsetzt, muss sie sich deshalb das Sonderkündigungsrecht der Mitglieder zurechnen lassen (wie hier: LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16.12.2003, Az: L 4 KR 33/00, in: Die Ersatzkasse 2004, 51). Das Gericht hatte insoweit die Rechtmäßigkeit der Kündigung der Mitgliedschaft festzustellen. Nach § 175 Abs. 4 Satz 3 SGB VI war die Beklagte demzufolge zu verurteilen, dem Kläger vorzeitig zum 31.12.2003 eine Kündigungsbestätigung auszustellen, da diese für die Ausstellung einer Mitgliedsbescheinigung durch die neu gewählte Krankenkasse erforderlich ist (Abs. 2 Satz 2 der Vorschrift).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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